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ein Aktivum von ca. 639 Millionen verbanden sei. Der neuerdings abgeschlossene Handelsvertrag mit England wird mit. großer Befriedigung erwähnt. Am wichtigsten ist jedoch der Schluß der Botschaft, worin Herr Thiers er klärt: Die Ereignisse haben die Republik geschaffen; den ' Ursprung derselben zu diskutiren, wäre gefährlich und un nütz. Die Republik existirt, sie ist die gesetzliche Regierungs form des Landes; etwas Anderes zu wollen, würde auf's Neue die furchtbarste Revolution herbciführcn. Verlieren wir nicht unsere Zeit, indem wir die Republik proklamiren, sondern versuchen wir, ihr das Gepräge zu geben, welches wünschenS- werth und nothwendig für sie ist. Eine parlamentarische Kom mission würde dieser Negierungsform die Bezeichnung einer kon servativen Republik geben. Frankreich will nicht unter bestän diger Beunruhigung leben, es will die Ruhe, um zu arbeiten, um den ungeheuren Aufgaben gerecht zu werden, die auf ihm lasten. Frankreich würde nicht lange eine Regierung dulden können, welche ihm nicht die Aufrechterhaltung der Ruhe sicherte. Eine Regierung, welche nur das Werk einer Partei wäre, würde nicht von Bestand sein, sie würde wie in früheren Zeiten erst die Anarchie, dann den Despotismus und endlich neue Unglücks- fälle heraufbeschwören. Die Republik muß die Regierung sein, der Alle sich fügen, sie darf nicht die Regierung einer Partei, nicht der Triumph nur einer Klaffe der Bevölkerung sein. Frankreich ist nicht is'olirt, es hängt lediglich von ihm selbst ab, sich von Freunden umgeben zu sehen, welche auf Frankreich vertrauen unv welche ihm Vortheil bringen. Ist Frankreich unter der Herrschaft der Republik von friedlichem Geiste getragen, o wird es Niemand von sich abstoßen; ist es unter der Herr- chaft einer wankenden Monarchie von innerer Bewegung ergriffen, o wird es vereinsamt sein. Alle Welt wartet darauf, welchen Tag und welche Stunde Sie wählen werden, um der Republik diese konservative Macht und Stärke zu geben, deren dieselbe nicht entbehren kann. An Ihnen ist es, die Wahl zu treffen, Sie haben die Mission, das Land zu retten, indem Sie ihm Frieden, Ordnung und eine regelmäßige Regierung geben, Ihre ' Sache ist eS, die Stunde zu bestimmen, in der das Werk be ginnen soll. — Die sprechendste Kritik, welche diese Botschaft erfuhr, besteht darin, daß sie die Rechte der Nationalversammlung mit eisigem Stillschweigen, die Linke dagegen mit Beifall auf nahm. Sultan Abdul Aziz. Die „Presse" bringt in einem Feuilletonartikel vom Bos porus folgende interessante Schilderung der Lebensweise des Sultans Aziz: Der Beherrscher aller Gläubigen ist, seitdem wir ihn 1867 in Paris gesehen, um gute zwei Jahrzehnte älter ge worden. Sein damals dunkelschwarzes Haupt- und Barthaar ' ist jetzt weiß, sein volles Gesicht eingefallen, seine Gestalt zu sammengedrückt. Wenn er zu Paris schlafend auf dem Bastille- und Concordienplatz und an den großen Denkmälern vorbei sich spazieren fahren ließ, der Weltausstellung und allen Pracht werken der westeuropäischen Kunst kaum einen verdrossenen Blick schenkte, so entschuldigte dies Mancher mit dem Gedanken er sehne sich eben nach den Zauberreizen des Morgenlandes zurück und habe keinen Sinn für das ganz fremdartige abendländische Wesen. Wir aber sahen ihn auch hier, zu Beschiktasch, am Fest tage, in aller orientalischen Pracht, umgeben von seinen Paschas und Garden, gefolgt von dem Heere seiner üppig geputzten Weiber, ' auS seinem Palast im Kaik und dann im Wagen zur Moschee fahren, offenbar teilnahmslos für Alles, waS um ihn vorging, mit dem AuSdrucke stumpfster Gleichgiltigkeit, tiefster Ermüdung auf dem Gesichte. Geistigen Bedürfnissen ist der Sultan in seinem Leben zu wenig nachgegangen, als daß man bei ihm an ' eine Art salomonischer Blasirtheit denken dürfte. Die Gerüchte von einer bestimmten Krankheit an der er litte, scheinen unbe gründet zu sein. Er huldigt, wie alle Großen seines Reiches, Ml Uebermaße der Liebe, nachgerühmt wird ihm aber, daß er sich deS furchtbar um sich greifenden Lasters des Raki-Trinkens enthalte. Nicht Melancholie, sondern üble Laune liegt auf dem Gesicht deS Sultan-, und diese rührt her nicht vom Gemüth, sondern lediglich von Verdauungsbeschwerden. Denn trotz aller Abmahnungen seines Arztes verzichtet der Sultan nicht auf seine täglichen Orgien im Essen; er ist im Stande ein ganze-Lantin aufzuzehren. So regelmäßig wie seine täglichen Ausschweifungen in den Freuden deS Mahles, ist überhaupt die ganze LaAs- vrdnung des Sultans. Des Morgens begiebt er sich auf eine oder zwei Stunden zu seiner Mutter mit der allein er gelegentlich auch über ernstere Dinge spricht; dann geht er nach dem Se- lamlik, setzt sich bei einem Fenster nieder und schaut bis zum Abend, in jener Art von Halbschlummer, in welchen den Lürken Tschibuk und Kaffe zu versetzen pflegen, seine Perlenschnur unge zählte Mal durch die Hände gleiten lassend, zu, wie daö Wasser den Bosporus hinabfließt; und er beschließt sodann im Harem sein müheloses Tagewerk. Ausgesprochene Neigungen zu dieser oder jener Beschäftigung hat er nicht, sondern nur vorübergehende Gelüste und Launen. Nicht selten bleibt er drei Lage hinter einander sitzen, ohne Hand oder Fuß zu rühren oder den Mund zu öffnen. Sein liebster Zeitvertreib sind Hahnenkämpfe und das Füttern von Tauben und Hühnern, von denen es in seinen Palasträumen wimmelt. Vor Kurzem hatte er auch eine aller dings nur flüchtige Liebe zu Papageien gefaßt: man mußte ihm zusammenkaufen, was man nur von diesen Vögeln zwischen dem Schwarzen- und dem Marmora-Meere austreiben konnte; aber nachdem er acht Tage mit denselben gespielt, wurde er ihrer über drüssig und gab sie wieder weg. Am Klavierspielen findet er einigen Geschmack, auch spielt er selber manchmal einige Stunden lang. Der Malerei ist er nicht ganz abhold. Ec liebt aber nur Schlachtenbilder und zwar Darstellungen türkischer Siege über die Giaurs. Sein Hofmaler, der Pole Glebowski, muß auf seinen Befehl solche Bilder bald in Monatsfrist, bald in der Zeit von ein paar Tagen liefern, und dieselben nach den Wei sungen des Sultans oft mehrmals noch überarbeiten, z. B. einen Rappen, der demselben nicht gefällt, in einen Schimmel zu ver wandeln. Mehr als durch den eigenthümlichen Geschmack deS Sultans kommt dieser arme Maler jedoch durch den Patriotismus desselben ins Gedränge, da er gezwungen wird, die Lürken immer, auch wenn sie im Hintergründe erscheinen, mindestens um einen Kopf größer dalzusteüen, als die Giaurs. — Bekannt ist die Gauwuth, von welcher der Sultan zeitweise befallen wird; die selbe ist so groß als seine Zerstörungslust. Den wunderbaren Palast Tschernagan, dessen Bau Ä) Millionen Thaler ver schlungen, wollte er wieder Niederreißen lassen, weil er sich, nach dem er gegen den Rath seiner Umgebung allzu früh eingezogen ! war, einen Schnupfen darin geholt hatte. Der Großvezier wußte ! sich in seiner Verzweiflung nicht ander- zu helfen, als indem er sich hinter den englischen Gesandten steckte. Dieser rühmte dann dem Sultan gelegentlich seinen neuen Bau als den schönsten der Welt; der Sultan fragte ihn, ob dies wahr sei und ließ dann auf die bejahende Antwort den Palast zwar stehen, ohne ihn aber wieder zu beziehen. Alles, was an fränkische Vorbilder erinnert, haßt er gründlich; die schönsten Gartenanlagen ließ er im vorigen Jahre wieder zerstören, weil sie nicht im türkischen Geschmack seien, und durch Anpflanzungen von Melonen ersetzen. So ist es kein Wunder, daß die Einkünfte des Staates, soweit sie nicht durch die Zinsen der öffentlichen Schuld aufgezehrt «er den, fast ausschließlich im Palaste des Sultans darauf gehen. Und doch sind die Tausende von Palastdienern seit Jahren nicht mehr bezahlt worden und müssen sich entweder mit gelegentlichen Geschenken begnügen oder mit der Annehmlichkeit, daß sie durch den Aufenthalt im Palaste davor gesichert sind, wegen begangener , Verbrechen oder Vergehen von drr Polizei verfolgt zu werden. Friedlos. Kriminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „Und wie löschte daS Licht aus?" fragte sie weiter. „DaS ist noch mein Geheimniß, Dorothee", lachte HanS, „aber Du wirst eS später schon erfahren, denn nachdem er schon ganz mürbe geworden, sollst Du ihm in der Nacht als böse Fee erscheinen, um ihn vollends toll zu machen." „Ach, wie wollt' ich ihn dann vernichten!" Ihre Augen strahlten im unheimlichsten Feuer, sie mußte die Hände über die n*