Volltext Seite (XML)
rathungea dazu führen werden, unter Benutzung der gewonnenen Erfahrungen die schon bewährten Einrichtungen weiter auSzu- bilden und nach Bedürfniß zu ergänzen. Jedenfalls ist aber den beabsichtigten Schritten ein günstiger Eindruck gesichert, da sie den Beweis liefern, daß die Staatsbehörden bemüht sind, ihre Fürsorge für die arbeitende Bevölkerung immer wirksamer und fruchtbarer zu gestalten. (Prov.-Corresp.) Friedlos. Kriminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Der Präsident forderte jetzt den Müllergesellen Wilhelm Schobert auf, sein Zeugniß abzulegen. — Der Bursche schwankte und blieb einen Augenblick sitzen; aber als ihm Konrad einige Worte in's Ohr geflüstert, raffte er sich zusammen; er schnippte einige Male mit den Fingern, als wolle er mit altem Leicht sinn die letzten Gewissensscrupel verscheuchen, dann trat er mu- thig vor und ohne Zögern bestätigte er die Angaben Lina s Wort für Wort. — Er war ebenfalls bereit, seine Aussage zu beschwören . . . Der Kopf Dorotheen's begann zu wirbeln. — Auch dieser gutmüthige, harmlose Bursche, der ihr eine solch' leidenschaftliche Ergebenheit geheuchelt, hatte die Stirne, in die schamlosen Lügen des elenden Geschöpfes einzustimmen . . . Sie glaubte, ihr Herz müsse endlich in Stücke brechen. — Ach und immer neue De- müthigungen stürmten auf sie ein! — Der Advokat stellte, Lief erregt, schon wieder einen Antrag: „Ich bitte, die bereits in der Voruntersuchung vernommene Frau Wittig über einen Umstand abzuhören, der damals nicht zur Sprache gekommen. Die Zeugin hat am andern Morgen die unverehelichte Wild besucht und auf ihre Beileidsbezeugungen sehr eigenthümliche Aufschlüsse erhalten." Dorothea erhob noch einmal das müde, schöne Haupt. Welch' neuen Fallstrick wollte der schlaue Advokat ihr legen? — Ah, sie besann sich! — sie hatte an jenem Morgen die alte klatschsüchtige Frau zmückzewiesen, weil sie ihr gräßliches Un glück nicht in Aller Munde haben wollte und jetzt wurde auch dieser Umstand geschickt zu ihrem Nachtheil benutzt! — Das von allen Seiten gehetzte junge Mädchen fühlte sich jetzt macht los diesen tückischen höllischen Mächten übergeben; wozu noch länger dagegen ankämpfen, um diesen Elenden einen höhern Ge nuß zu bereiten? . . . Sie sah das teuflische Grinsen Konrad's, die unruhig fun kelnden Augen des Advokaten, das übermüthige Lächeln Lina's. — Ihr war's, als sei sie in einer Arena, wo man ein wildes Thier nach dem andern auf sie Hetze, bis sie blutend, in Stücke zerfleischt, zusammengebrochen! ... O, es war genug — ihre zermarterte Brust blutete bereits aus tausend Wunden und wie zum Tode ermattet, senkte sie das Haupt. — Frau Wittig war glücklich, endlich sprechen zu können und ihr in Lhätigkeit gesetztes Mundwerkzeug machte von der Er- laubniß deS Präsidenten den umfassendsten Gebrauch. Wie der Wasserstrom auS einer geöffneten Schleuse rollte und fluthete eS über ihre redegewandten Lippen. Sie wußte noch Alles; — jedes Wort von jenem merk würdigen, unvergeßlichen Morgen, — klagte, wie hastig sie zu der Verunglückten hinübergeeilt und sie zu trösten gesucht und wie unverschämt sie von dem Frauenzimmer zurückgewiesen worden. Und nachdem sie weitläufig und mit einem Schwall von Worten ihren Besuch geschildert, kam sie immer wieder da rauf zurück: „Sie hat mir ausdrücklich gesagt, daß sie sich nur einen Scherz mit ihrem guten Vater gemacht und ich solle ja nicht diese Albernheit weiter verbreiten. Ja, das hat sie gesagt, so wahr ich eine ehrliche Frau bin und dabei rollten ihre Augen so —Die Zeugin suchte vergeblich mit ihren kleinen halb zugefallenen Augen die drohenden Blicke Dorotheen's nachzuahmen. Der Präsident hatte alle Mühe, das einmal in Gang ge kommene, treffliche Mundwerk der tüchtigsten Dorfklatschgevatte- rin zum Schweigen zu bringen. Dorothea hatte auf ihr Geplauder kaum gehört, aber jetzt sollte zur Vereidigung der Zeugen geschritten werden und sie »wurdl wieder aufmerksam. „Ah, sie werden nicht den Muth haben, zu schwören! — DaS Ganze ist nichts als ein Komödienspiel, um mich zu mar tern und zu quälen, aber im letzten Augenblick werden sie Alle- bekennen müssen!" das waren die einzigen Gedanken, die sie noch aufrecht erhielten . . ! Der Kopf begann ihr zu schmerzen, ihre Schläfe hämmerten, sie besaß nicht mehr Kraft genug, dem leichtsinnigen Burschen ein abmahnendeS Wort zuzu rufen. — Als aber Lina sowohl wie Wilhelm Schobert dennoch keck und sicher den Eid geleistet hatten, brach sie mit einem wilden Schmerzschrei zusammen. Sie mußte aus dem Saal getragen werden. — Ihr Vater begleitete sie nicht ... Er blieb ruhig sitzen — für ihn war seine Tochter verloren . . . Wohl hatte er anfangs lange geschwankt; aber die Beiden beschworen ihre Aussage und der alte, ehrliche Mann hielt es für unmöglich, daß man selbst mit dem Heiligsten, mit einem Eide, ein solch' gewissenloses Spiel treiben könne. Er glaubte jetzt an die Schuld seiner Tochter und ein tiefer Gram nagte an seinem Herzen. Die boshafte Vertheidigungsrede des Advokaten sollte ihn vollends überzeugen. — Der gewandte Jurist hatte seine Ruhe wiedergewonnen und obwohl ihm die Befriedigung entgangen, durch seine Rede den letzten Giftpfeil in die wunde Brust des armen Opfers zu senden, begann er doch mit gewohntem triumphirenden Lächeln: „Die Zeugenaussage ist für den Jnkulpaten so außer ordentlich günstig ausgefallen, daß ich eigentlich auf jedes wei tere Wort der Vertheidigung verzichten könnte; aber ich will wenigstens die von der Anklage betonte psychologische Unmöglich keit, daß Dorothea Wild Tlch so rasch dem Angeklagten in die Arme geworfen, etwas widerlegen. — Das junge Mädchen hatte so eben von ihrer Freundin die Nachricht erhalten, daß der junge Graf für sie verloren sei und in ihrer leidenschaftlichen Erregung, ihrer wilden Verzweiflung war ihr das ganze Dasein werthlos geworden; — sie haßte jetzt die hohen, vornehmen Männer und warf sich gern dem einfachen, schlichten Manne in die Arme, den ihr ein glücklicher Zufall entgegenführte und von dem sie wußte, daß er zwar keine glatten Worte machen konnte, daß er jedoch in treuer, hingebender, ja leidenschaftlicher Liebe ihr er geben sei." Der Advokat machte eine Pause und blickte sich mit selbst gefälligem Grinsen im Saale um, als wolle er sagen: „Nun, habe ich nicht mit allem Scharfsinn die Beweggründe dieses Mädchens ausgelpürt und dargelegt?" Der alte Wild stieß nach dieser Auseinandersetzung des Ad vokaten einen so schweren Seufzer aus, daß er im ganzen Saale gehört wurde. Er bedeckte das runzelvolle Gesicht mit seinen Händen und schluchzte wie ein Kind . . . Dorothee hatte ihm also was vorgemacht, ihn getäuscht und ihm war darüber fast sein altes, müdes Herz gebrochen. Er hatte seitdem keine Ruhe mehr gehabt und ganz für sich den schwersten Kummer getragen, denn er mochte seiner Tochter nicht zeigen, wie es in seinem Innern aussah. Er dachte an jene furchtbare, schlaflose Nacht nach ihrem Unglück, dem noch viele andere, ebenso quäl- und sorgenvolle Nächte gefolgt und jetzt war das alles thöricht, sein einziges, geliebtes Kind nichts weiter als eine abgefeimte Heuch lerin, die ihr freches Spiel mit ihm getrieben . . . Warum hatte sie ihm nicht ehrlich bekannt, was doch nicht zu verbergen war? Und jetzt wurde sie öffentlich gebrandmarkt als steche Lüg nerin und er hatte bei all' seiner Armuth seine ganze Ehre da rein gesetzt, als rechtschaffener Mann dazustehen und auch auf seiner Tochter sollte nicht der geringste Flecken ruhen. — O es war zu bitter, plötzlich sein Kind noch mehr beschimpft zu sehen als je vorher! — Verzweifelnd und trostlos saß der alte, un glückliche Mann da und noch immer flossen seine Thränen. Unbekümmert um die Wirkung, die seine Worte auf den tiefgebeugten Vater Dorotheen's hervorbrachten, begann der Advokat von Neuem: „Daß aber Dorothea Wild eine sorgfältige Untersuchung ihrer kühnen Angaben zu fürchten hatte, beweist schon der Um stand, wie hartnäckig sie anfangs geschwiegen und vor einer ge richtlichen Erörterung der Sache zurückgescheut. Sie wünschte