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Die Regierung in Hessen-Darmstadt hat vor Kurzem dem ultramontanen „Mainzer Journal" die amtlichen Anzeigen und obrigkeitlichen Bekanntmachungen entzogen — an sich eme wenig bedeutsame Lhatsache. Außerhalb Hessen- werden ver- muthlich nicht viele Deutsche gewußt haben, auf welchem Wege Herr v. Dalwigk und seine Nachfolger mit der Oeffentlichkeit zu verkehren pflegten. Gleichwohl nehmen wir von dieser Lhat sache Akt, weit sie einen Fortschritt des politischen AnstandSge- fühl- in einem Lande zeigt, wo man ihn am wenigsten erwartet hätte. In Darmstadt, wo vor zwei Jahren bei AuSbruch de- Krieges die Rücksicht auf den französischen Gesandten noch al- „das höchste der Gefühle" galt — in demselben Darmstadt ge winnt man eS heute über sich, einem alten, guten Freunde die Einnahmen zu kürzen, weil er so dumm und ungeschickt ist, sich in der provozirendsten Weise als Feind des Reiches zu gebehrden. Außer diesen Motiven ist wohl die Maßregel noch durch einen unglaublich stechen Artikel veranlaßt, in welchem die neuliche Feier bei Enthüllung de- Stein-DenkmalS — ein Fest, dem der Kaistr, die Kaiserin und der Kronprinz des deutschen Reichs beiwohnten — als „GenSdarmen-MatmSe" bezeichnet wurde. DaS war den Herren von der hessischen Regierung denn doch zu arg und sie beeilten sich, ihre amtlichen Beziehungen mit dem Blatte abzubrechen, noch ehe ein Wink deS Reichskanzleramtes fie daju aufforderte. Oe-erreichisch s Ungarische Monarchie. Vor einiger Zeit tauchte das Gerücht auf, Andraffy wolle in der Jesuitenfrage dem Beispiele Bismarcks folgen. Als wir dirse Nachricht in österreichischen Blättern lasen, fiel unS das Wort deS Dichters ein: „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Deshalb nahmen wir von dem Gerücht keine Notiz. Heute denkt Niemand in Oesterreich mehr an die Ausweisung der Jesuiten, im Gegentheil warnt ein Theil der dortigen Presse Andrassy, die Handlungsweise des deutschen Reichskanzler zu kopiren. Es bedürfte in der That auch einer großen Portion von Sanguinik, um ernstlich zu glauben, die österreichische Regierung werde der römischen Kirche so tief in da- Fleisch schneiden, wie es mit der angedeuteten Maßregel ge schehen wäre. In der Wiener Hofburg hat die römische Ortho doxie so starke Wurzeln geschlagen, daß eS den Anschein gewinnt, als wolle fie den Staat selbst überdummen. Wir wollen nur ein einziges, scheinbar kleines, aber dennoch vielsagendes Beispiel anführen: das Theater. Erst neuerdings hat die kirchliche . Censur deS Burgtheaters Zeugniß von dem Geist abgelegt, welcher am Hofe herrscht. In Grillparzer's Drama: „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg" wurden bei der Aufführung die Worte gestrichen: „trotz Papst und Rom". Ferner die anstößige Bemerkung, daß unter den Ketzern die fähigsten und kühnsten Leute zu finden seien. Auch daß Grillparzer den Kaiser sagen läßt, er müsse sich in die neue Zeit schicken und, um sein weltliches Amt nicht zu vernachlässigen, den Schutz der Kirche dem Himmel überlassen, fand die kaiserliche Lheaterzensur un statthaft. Als Majestätsbeleidigung ersten Grades vernichtete man die Stelle, welche im Drama der kaiserliche Bruder Ma thias spricht: „Das ist der Fluch an unserm edlen HauS, auf halbem Wege und zur halben That mit halben Mitteln zauber haft zu streben." Genug hiervon! Wir könnten die Beispiele noch sehr erweitern; daS Wenige schon wird genügen, um den Wind zu kennzeichnen, der von der Hofburg weht und welcher trotz aller freisinnigen Gesetze eine freiere Auffassung der Dinge unmöglich macht. Italien. Die in mehreren Städten bereit- vorgenommenen Runizipalwahlen find zu Gunsten der Liberalen ausgefallen. — DaS Brüsseler Kabinet hat, wie aus guter Quelle verlautet, mit der italienischen Regierung wiederholte Mittheilungen ge wechselt, um die Anschauungen der letzteren bezüglich der Frank reich gegenüber in der Frage der Handelsverträge einzunehmenden Haltung kennen zu lernen. Frankreich. > Wie vorauszusehen war, hat sich die fran zösische Nationalversammlung vor LhierS auch in der Frage wegen Besteuerung der Rohstoffe gebeugt. Dieselbe ist mit 346 gegen 248 Stimmen zur Diskussion der einzelnen Artikel diese- Gesetzentwürfe- übergegangen und genehmigte schließlich nach und nach alle Paragraphen. Der erste derselben zählt die verschiedenen Stoffe auf, welche der Steuer untetkegen- Jedenfalls ermuthigt durch den günstigen Verlauf, den die Debatte nahm, hat die Regierung die Subskription auf die neue Anleihe offiziell für den 28. und 29. Juli festgesetzt und zwar mit folgenden Bestimmungen: Die Anleihe wird zum Kourse von 84,-0 emittirt. Der ZinSgenuß beginnt mit dem 16. August. DaS Minimum der Subskription beträgt 5 FrcS. Rente. Die erste Einzahlung ist auf 14 FrcS. 50 CtS. festgesetzt. Der Rest wird auf 20 Monatstermine verlheilt, deren erster den 21. September fällt, während die übrigen vom 11. October an gerechnet auf den 11. jede- folgenden Monats angesetzt sind. Vorauszahlungen werden erst nach der Repartition angenommen und wird für dieselben eine Bonifikation von 6 Prozent gewährt, welche indeß durch ein ministerielles Dekret noch geändert werden kann, doch muß dies vor dem 31. Oktober geschehen. Für den Fall, daß der gezeichnete Bettag reduzirt werden muß, erhalten die Zeichner gleichzeitig mit dem Anleihe-Zertifikate die Rückzahlung der über schießenden Summe. Von jedem Inhaber einer JnterimSquittung, welcher nicht bis zum 31. August reklamirt, wird angenommen, daß er den zuviel gezahlten Betrag auf die noch zu leistenden Terminzahlungen angerechnet wissen will. Diejenigen, welche 5000 FrcS. oder mehr gezeichnet haben, können in einer Frist, welche 10 Lage nach Schluß der Subskription nicht überschreiten darf, die Rückzahlung deS zuviel gezeichneten Betrages beantragen. Die Nationalversammlung kann nun ungehindert ihre Sitzungen bis Mitte August fortsetzen. Auch LhierS wird die große politische Debatte über die innere Lage, die er, falls chn die Rechte nicht daran hindert, durch eine Botschaft Hervorrufen will, bis nach Zeichnung der Anleihe verschieben. Als günstiges Präludium zur Emission ist die Meldung deS französischen Bevollmächtigten im deutschen Hauptquartiere zu betrachten, daß eS ihm, Dank den höchst entgegenkommenden Gesinnungen des deutschen Ober- generalS, gelungen ist, bezüglich der Vertheilung der Okkupation^ truppen ein vollkommenes Einverständnißzu erzielen. Dar nach kommen von den deutschen Truppen, welche jetzt an der Marne und Ober-Marne stehen, 3000 Mann nach den Ardennen, 3500 Mann nach der Maas und 5500 Mann nach den Vogesen. Dieselben werden in diesen drei Departements folgendermaßen vertheilt; Ardennen-Rocroy ein Infanterie-Bataillon, 609 Mann; Mezikres Generalstab, Artillerie, Genie, Verwaltungsdienste, eine Schwadron, 400; Sedan ein Infanterie-Bataillon, 600; Rethel 2 Schwadronen, 400; VouzierS drei Artillerie-Batterien, 400; Charleville ein Infanterie-Bataillon, 600; Maas-Montmedy ein Infanterie-Bataillon, zwei Batterien, 800; Verdun ein In fanterie-Bataillon, Generalstab, Genie- Artillerie, Verwaltungs dienste, eine Schwadron, 1000; Bar-le-Duc ein Infanterie- Bataillon, zwei Batterien, 900; Commercy ein Infanterie- Bataillon, eine Schwadron, 800; Vogesen-Neufchateau ein In fanterie-Bataillon, 600; Mirecourt ein Infanterie-Bataillon, zwei Schwadronen, 1000; Epinal Hauptquartier, Genie^Artillerie, Telegraph, Post, Verwaltungsdienste, ein Regiment Infanterie, 3000; Remiremont ein Bataillon Infanterie, 660; Saint Di4 zwei Batterien. — Bekanntlich bestand vor dem Kriege ein deutscher Turnverein in Paris. Derselbe hat sich jetzt wieder neu gebildet und hielt dieser Tage seine- erste Versammlung. DaS auf ihn übergegangene Kapital von 30,000 FrcS., welches von der Wittwe eines deutschen BanquierS zur Verfügung ge stellt worden war, wird er dazu benutzen, einen Hilfs- und Kranken-Verein zu bilden. (SroObritannien. Im Unterhause antwortete am 22. d. M. der General-Postmeister Monsell auf eine Anfrage See ley's: Amerika habe erklärt, eine Aenderung de- zwischen Eng land und Amerika bestehenden PortosatzeS sei unmöglich, so lange das amerikanische Inlandsporto 3 Cents betrage. — Der Präsi dent deS HandelSamtes, ForteScue, beantwortete eine von Man ner- an ihn gerichtete Anfrage dahin: England könne die Stein- kohlenauSfuhr nach Frankreich weder verbieten noch besteuern, so lange der gekündigte Handelsvertrag noch fortbestehe. Ebenso wenig könne die Regierung eine solche Maßregel den ZollvereinS- staaten gegenüber ergreifen, so lange der mit denselben abge schlossene, bi- zum Jahre 1877 in Kraft bleibende Handel-ver-