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Dienstag, Nr. 13. 13. Jebrnar 1872. Mrufteedt- in der Expedi ¬ tion, N.Meißn. Anstalten. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Vrei«r vierteljährlich 15 Ngr. An beziehen durch 4 alle kais. Post- AälUche DschntMA Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Inseratenpreis: Für den Raum einer gespaltenen Seile 14 Ngr. Unter „Eingesandt" s Ngr. Verantwortlicher Redakteur und Verleger: Herrmann Müller in Dresden. ! . . —-s—S———-S Politische Weltschau. Deutsche- Reich. Wie zur Zeit der Konfliktsjahre die Augen der Welt auf da- preußische Abgeordnetenhaus sich richteten, so auch in neuerer Zeit wieder, nachdem dort der Kampf gepen den UltramontaniSmus mit voller Kraft und Energie auf beiden Seiten begonnen hat. Die letzten drei Tage der ver gangenen Woche steigerten diesen Kampf zu einer ungeahnten Höhe und Heftigkeit. Auf der Tagesordnung stand nämlich das Gesetz über die Beaufsichtigung der Schulen, welches in seinen beiden Paragraphen bestimmt: § I. Die Aufsicht über alle öffentlichen und PrlvaL-Unterricht-- und Erziehungs-Anstalten steht dem Staate zu. Demgemäß handeln alle mit dieser Aufsicht betrauten Behörden und Beamten im Auftrage de- Staates. 8 2. Die Ernennung der Lokal- und Kreisschulinspektoren und die Abgrenzung ihrer Aufsichtsbezirke gebührt dem Staate allein. Der vom Staate den Inspektoren der Volksschule ertheilte Auf trag ist, sofern sie die- Amt als Neben- oder Ehrenamt verwalten, jederzeit widerruflich. Diejenigen Personen, welchen die bisherigen Vorschriften die Inspektion über die Volksschulen zugewiesen, sind verpflichtet, dies Amt gegen d!e etwaigen bi-heriaen Dienstbezüge im Auftrage deS Staate- fortzuführen oder auf Erfordern zu übernehmen. Alle entgegen stehenden Bestimmungen sind aufgehoben. Bon den zahlreichen Amendements, welche hierzu einge gangen, sei daS vom Abg. v. Bonin erwähnt: 1) Au § 1: den ersten Absatz wie folgt zu fasten: „Unter Aufhebung aller in einzelnen LandeStheilen entgegen- stehenden Bestimmungen steht die Aufsicht über alle öffentlichen und Privat-UnterrichtS- und Erziehungsanstalten dem Staate zu." 2) Zu tz 2: den dritten Absatz zu streichen. 3) Folgende zwei neue Paragraphen htnzuzufügen: h 3. Unberührt durch dieses Gesetz bleibt die den Gemeinden und deren Organen zustehende Teilnahme an der Schulaufsicht. ß 4. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten wird mit der Ausführung dieses Gesetze- beauftragt. Ein ausführliches Bild von den dreitägigen Debatten zu entwerfen, verbietet leider der Raum unseres Blattes und be gnügen wir uns, in Folgendem daS Wesentlichste zusammen- zufaffen. Sowohl Kultusminister vr. Falk als auch Fürst Bis marck traten mit glanzvollen Reden in die parlamentarische Arena; vr. Falk als Unterrichtsminister, Fürst Bismarck als Stifter und Hüter der deutschen Einheit. Die Rede deS neuen Kultusminister- erstreckte sich auf die Darlegung der Verfassungs mäßigkeit deS Gesetzes, auf die Beschaffenheit dagegen einge gangener Petitionen u. s. w. Nie habe eine Vorlage, äußerte derselbe, solche Anfechtungen erfahren, wie diese, und die Regie rung habe sich gefragt, welche Bedeutung dieses Maß von Ebre hat. Die Regierung sei entschlossen, mit Ernst vorzugehen, sich aber in ihrem vorgehen auch durch die Petitionen nicht beirren zu lassen. (Bravo!) Petitionen seien stets gegen die Regierung gerichtet;, diesmal gehen sie zum Theil aus Kreisen hervor, wo die Anfechtungen erklärlich sind, zum anderen Theil aus Kreisen, Keomddreißigster Jahrgang. I. Quartal. denen der Anstoß von Organen der Kirche gegeben worden ist und hierbei habe man Schemata anqewendet; die Petitionen von Gemeinden z. B. auS Hannover seien reine Treibhauspflanzen, wie ein Pfarrer selbst zugebe. Unbegreiflich sei eS, wie man sagen könne, man will die Kirche auS der Schule hinauSwerfen. Er sei überzeugt, daß die Kirche eine ganz andere Macht und Kraft habe, als sie sich selbst zutraue, denn unter der religiösen Bewegung zittere der ganze Erdball. Man möge die Regierung nicht mit Vorwürfen überhäufen, dle ihr innerste- Wesen betreffen. Der Staat habe die ganze und volle Aufsicht, wie ihm gut dünkt, daS stelle da- allgemeine Gesetz klar auf; der Kircke bleibe die Selbständigkeit für ihre Unterrichtszwecke und an eine Sä kularisation sei bei der Schulaufsicht gewiß nicht zu denken. Der Minister tritt dann allen laut gewordenen Befürchtungen ent gegen und beantwortet die Frage: warum denn jetzt? warum denn so eilig die Vorlage eingebracht sei? dahin, daß die Be- dürfnißfrage auf dem Gebiete der Zeitbewegung liege, in dem Bedürfniß, daß sich in Gegenden heraus stellt, die Kinder von Leuten, deren Muttersprache nicht die deutsche ist, in der deutschen Sprache auszubilden, und da sei der Subjektivismus der Geist lichen ein Hinderniß gewesen. Hier handle es sich darum, da- Uebel an der Wurzel auSzurotten. Man könne eine DerfaffungS- bestimmung lange unausgeführt lassen; mache sich aber das Be dürfniß geltend, so müsse mit der Ausführung unverzüglich vor gegangen werden. Von einem Ausdruck deS Mißtrauen- gegen die Geistlichen sei gar keine Rede; eS handle sich um eine Aus führung der Verfassung für Alle. (Beifall.) Fürst Bismarck: Die vorliegende Frage hätte wahrscheinlich nicht das allgemeine Interesse in so hohem Maße in Anspruch genommen, wie die Zahl der Petitionen beweist, wenn dieselbe nicht eben in einen eigemhümlichen Zustand der politischen At mosphäre unseres politischen StaatSlebenS gefallen wäre, nämlich in den innerer polnischer Spannung. Ich habe schon früher daS Verlangen der StaatSregierung occemuirt, in konfessionellen Dingen zu vollem Frieden zu gelangen und allen Konfessionen volle Befriedigung zu gewähren. Ich hatte auch die heutige Gelegenheit dazu geeignet, unS mit der Diagnose dieses Krank» heitszuftandeS zu beschäftigen, denn ich bin viel geneigter, von dieser Stelle aus mit den Herren zu verhandeln, als dies sonst in diplomatischen Dingen der Fall ist. Lassen Sie uns also einmal einen Augenblick auf daS Thema zurückkommen und uv- einmal fragen, wie kommt es, daß wir uns nun schon seit ein m Jahre in einem unbehaglichen Kampfe befinden, während tie meisten von Ihnen noch kurz zuvor ihre volle Befriedigung mit den Verhältnissen der katholi chen Kirche zum Staote ausgesprochen haben Ich habe neulich mein Bedauern darüber ausgesprochen, daß sich auf rein politischem Gebiete eine katholische Fraltion gebildet hat. Ich würde die- weniger beklagen, ja würde e- selbst als einen Fortschritt betrachten, wenn diess Fraktion es sich zur Aufgabe gemacht hätte, den religiösen Frieden zu fördern, und sich nicht mit Aufgaben belast-t hätte, welche der K rck e völl'g fremd sind. Es wäre vor Allem ihre Aufgabe gewesen, sich von Elementen fern zu halten, die den Streit und den Kampf wollen. Daß diese Fraktion nicht eine Fraktion ist, die den Frieden will, geht schon au- der Zusammensetzung ihre- Vor-