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solcher auSsieht — die Fäserchen sind ganz anders, Heller, spitzer." Er hatte eine Ecke des RandeS zuerst umgelegt und dann ab- gerissen. Sie mußte ihm darin Recht geben. Ueberzeugten sie doch ihre eigenen Augen davon, das Blatt sei wer weiß wann aus gerissen. Wäre dies bei Lebzeiten der seligen Großmutter ge schehen, diese hätte es, da sie die Postille so oft in den Händen gehabt, sogleich bemerkt und den Verlust aus dem Gedächtniß ergänzt. Also nach deren Tode!? Frau Hainingen erinnerte sich ganz ge nau, daß sie das alte Buch, welches bis dahin auf dem Tisch neben dem Kranken- und Sterbebette gelegen, bei dem Aufräumen nach dem Begräbniß fortgeschlossen in den Schrank, zu dem sie den Schlüssel bei sich trug. „Gestohlen und das Geld dazu!" sagte sie tonlos und sank wie gebrochen auf einen Stuhl. Erich schüttelte ungläubig den Kopf. „Wer sollte es ge- than haben? Und dann würde Niemand so einfältig gewesen sein, das andere Blatt nicht auch mit herauszunehmen, so daß von der ganzen Geschichte nichts zurückblieb. Ueberdies wäre das Herausreißen ja gar nicht nöthig gewesen, hätte gewiß Jeder, der Absichten auf das Geld gehabt, es sich so aneignen können.. Giebt Jemand sich überhaupt dazu her, fremdes Eigenthum zu nehmen, ist er gewiß auch klug genug, entweder jede Spur zu vertilgen, oder doch keinen Verdacht, kein Aufsehen irgend wel cher Art zu erregen. Lasen wir auch die Angabe des Versteckes, fanden dieses aber leer, so wäre ja durch nichts festzustellen ge wesen, ob es unlängst erst ausgeräumt worden, oder ob die Gold- und Silbervögel schon vor sechzig, vor hundert Jahren ausge flogen — vielleicht in der Franzosenzeit, im siebenjährigen oder im nordischen Kriege von Marodeuren aufgestöbert wurden." Siedendheiß überrieselte es sie. Das Geld war in ihrer Ein bildung schon zu einer bedeutenden Summe, ja schon zu einem wahrhaften Märchenschatz angewachsen und nun — für sie verloren. Sie mußte dem Sohne vollständig beistimmen. ES war Niemand im Hause aus- und eingeqangen, den sie eines solchen Diebstahls fähig hielt. Zwar wer Schaden — hat auch Sünde, sagt ein Sprichwort. Mehr als eine Magd und dieser oder jener Arbeiter kam ihr in den Sinn. Allein die Betreffenden lebten alle unter ihren Augen in so dürftigen Verhältnissen oder waren in solchen bereits verstorben, daß an eine unrechtmäßige Bereiche rung derselben nicht im Ernst zu denken. (Fortsetzung folgt) Dresdner Nachrichten vom 11. November. — Vom Landtage. Die I. Kammer trat am 9. d. M. den in der II. Kammer gefaßten Beschlüssen bezüglich des Feuer- und Lebensversicherungswesen einstimmig bei und genehmigte so dann die jenseitigen Anträge über Tunkwasseranlagen in folgender modifici<rter Form: bei der Staatsregierung die baldigste Vorlegung eineS.Gesetzes zu beantragen, durch welches s,) den Gemeinden bei dem Nachweise eines im öffentlichen Interesse vorhandenen dringenden Bedürfnisses gegen volle Entschädigung gestattet wird, die Zuleitung von Wasser auch überfremde sowohl innerhalb als außerhalb des Gemeinde bezirks gelegene Grundstücke zu bewerkstelligen, und d) den von der Wasserleitung betroffenen Grundstücksbesitzern die Wahl eingeräumt wird, ob sie die Wasserleitung gegen Entschädigung als Dienstbarkeit aufnehmen oder die Expropriation der betroffen wer denden Grundstücke, soweit deren Benutzung für den Eigen thümer wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht wird, verlangen wollen. An demselben Tage wurde in der II. Kammer der Gesetzentwurf über die Wegebaupflicht berathen. AuS den Motiven des Ent wurfs geht hervor, daß die Regierung eine befriedigende Lösung der Frage wegen Anwendung des Bezirksprinzips auf den Straßenbau zur Zeit überhaupt für unmöglich Hält. Erst wenn die Reorganisation der Verwaltungsbehörden ihren Abschluß gefunden, könne man den inH Auge gefaßten BezirkSverbänden einen Theil des Wegebauwesens übeupeiien, weshalb die gegenwärtige Vorlage gewissermaßen nur als N-velle zum Straßenbaumandat zu betrachten sei. — Die Deputation * »4 » - . erklärt hiermit ihr Einverständnis» sie hat sich zum Eingehen auf den speziellen Inhalt des Entwurfs durch die Erwägung bewogen gesehen, weil sich nicht verkennen läßt, daß daS Straßenbaumandat einige fühl bare Härten enthält, um deren Beseitigung schon wiederholt nachge sucht worden ist, und daß insbesondere die Aufhebung der Observanzen, in welchem Punkte der Schwerpunkt des vorliegenden Entwurfs zu suchen ist, dringend wünschenswerlh erscheint, im Uebrigen aber der Entwurf Grundsätze aufstellt, welche sich in Anlehnung an die im Straßenbaumandate enthaltenen Prinzipien im Laufe der Zeit zu festen Normen der Verwaltungsbehörden entwickelt haben, zur Zeit jedoch noch der gesetzlichen Bestätigung entbehren Für die Emanation des Entwurfs spricht ferner, daß durch die Aufhebung der Observanzen den Behörden eine nicht unbeträchtliche Arbeitskraft erwachsen wird, deren Bewältigung vor dem Jnslebentreten der Bezirksvertretungen sich empfiehlt, um nicht die letzteren gleich zu Anfang ihres Bestehens mit außergewöhnlichen Arbeiten zu behelligen. — Nach längeren De-' batten genehmigte dis Kammer die hh 1—12 in der von der I. De putation, Ref. v. Känneritz, vorgeschlagenen Fassung. Am Mittwoch, den 10. d. M., fand die Vorberathung derselben Kammer über folgenden Antrag des Abg. May und Gen. statt: In Erwägung, daß die seit dem Jahre 1866 geschaffene, ganz unverhältnismäßig große Militärmacht auf die Dauer nicht forterhalten werden kann, wenn der Volkswirthschaft nicht die empfindlichsten Nachtheile bereitet werden sollen; in Erwägung, daß ein allgemeine- Vertrauen auf dauernde friedliche Zustände unter Beibehaltung der jetzigen Militärmacht nicht Platz greifen kann; in Erwägung endlich, daß so lange solche Zustände andauern, nirgends ein rechtes Vertrauen und ein belebter Aufschwung in Handel, Industrie und Verkehr kommen kann und wird, wohl aber der unvermeidliche finan zielle Ruin aller Staaten die natürliche Folge solch' unproduktiver Aus gaben sein muß, beschließen die beiden Kammern des Königreichs: die k. Staatsregierung wolle beim norddeutschen Bundesrathe mit allen gebotenen Mitteln dahin wirken, daß a) der Aufwand für die Militärverwaltung des norddeutschen Bun des entsprechend abgeändert, d) eine allgemeine Abrüstung angestrebt und möglichst bald durchgeführt, zu dem Ende aber bei dem Bun- despräsidium das Vorgehen auf diplomatischem Wege angeregt werde. Von den Abgg. Eule und Gen. wurde folgender Zusatzanttag eingebracht: 1) nach den Worten: „die k. Staatsregierung wolle" die Worte einzufügen: „dann, wenn die nothwendige Rück sicht auf die Sicherheit und Machtstellung DeutschlandS dies gestattet" — „beim norddeutschen BundeSrathe — dahin wirken," — 2) in Satz a das Wort „abgeändert" zu vertauschen mit dem Worte „vermindert," — 3) Satz b ganz wegzulaffen. Nach sehr langer Debatte lehnte die Kammer den Antrag mit dem Zusatz von Eule und Gen. mit 53 gegen 21 Stimmen ab, nahm aber denselben in seiner ursprünglichen Fassung mit 59 gegen 15 Stimmen an. Ebenso wurde Punkt k. des May'schen Antrags mit überwiegender Majorität genehmigt. — Nachdem hierauf noch h 13 des Entwurfs über die Wegebaupflicht berathen war, vertagte der Präsident die Sitzung auf Donnerstag, in welcher nur die §h 14, 15 und 16 ihre Erledigung fanden. Morgen tritt die II. Kammer in Berathung des Berichts ihrer I. Deputation, Referent Kretschmar, über den Anttag deS Abg. Petri, wegen Beseitigung gewisser Bestimmungen aus dem Ent würfe eines Strafgesetzbuches für den norddeutschen Bund. Zunächst wünscht der Abg. Petri, daß die vom Entwurf beibehaltene Todes strafe in dem Gesetz selbst keine Aufnahme finde. „Die Todesstrafe," sagt der Bericht, „ist in Sachsen abgeschafft und gegen ihre Wieder einführung sprechen alle diejenigen Bedenken, aus welchen man sich gegen das Schwanken und Wechseln der Gesetzgebung erklären muß. Deshalb haben vielseitig Männer, welche seiner Zeit gegen die Auf hebung der Todesstrafe anzukämpfen sich gedrungen fühlten, die Er wägung nicht von sich abweisen mögen, ob eS wohlgethan und politisch sei, wenn DaS, was von den gesetzgebenden Faktoren vor nur erst zwei Jahren für Recht erklärt worden ist, jetzt durch eine diametral entgegengesetzte gesetzgeberische Entschließung wieder umge stoßen werden soll. Es ist ferner vielseitig zugegeben worden, daß, wenn auch der Zeitraum seit Emanation des revidirten StrafgesetzbucheS kein langer ist, doch keine Momente hervorgetreten sind, welche dafür sprächen, daß die Zahl der nach älterem Rechte todeswürdigen Ver brechen sich seit Aufhebung der Todesstrafe vermehrt und daß diese