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winnen könnten, solche Anträge künftig nicht wieder zu stellen, nicht ewig an der Verfassung zu rütteln, nicht ewig den Einzeln staaten, die gern sich am Bunde betheiligen und daran mitwirken, daS Bild vorzuhalten, wie unsicher die ganzen Verhältnisse sind, indem die Majorität dieser Versammlung im Stande sein möchte, diese ganzen Verhältnisse umzukehren. Bundeskanzler Graf Bismarck: Die Herren Vorredner haben sich in längeren Ausführungen über dle unfertigen Zu stände und sonstigen Uebelstände im Bunde beklagt. Sollen die selben etwa dadurch beseitigt werden, daß dem vielfachen Räder werk noch ein fünftes Rad in Gestalt eines verantwortlichen Bundesministeriums beigegeben wird? Beurtheilen Sie nicht den Bundeskanzler, als ob er das Gegentheil von dem will, was Si- wollen; er will dasselbe. Im Anträge heißt es: es solle eine geordnete Aufsicht und Verwaltung herbeigeführt werden. Diese besteht schon, davon können Sie sich in den ^Bureaus überzeugen. Die Ausschüsse, an deren Spitze preußische Minister stehen, üben die Aufsicht. Diese Ausschüsse und das Bundes kanzleramt würden bei Annahme des Antrags überflüssig werden. Auch enthält der Antrag eine Schmälerung der Rechte des Bundesrathes; dazu werde ich nie meine Hand bieten. Die Spitze desselben richtet sich gegen den Süden. Sie sagen: wir wollen unseren Bund schließen und mit Annahme dieses Antrags ist auf den Eintritt Süddeutschlands in den norddeutschen Bund nicht mehr zu rechnen. Ein Kollegium von verantwortlichen Ministern würde mir die Hände bmden. Jeder Minister hat seine eigne Ueberzeugung, und wenn schon daS Sprichwort sagt: zwei harte Steine mahlen schlecht, so mahlen acht noch viel schlechter. Ich bin weit entfernt, die preußischen Einrichtungen auf den Bund zu übertragen, sondern umgekehrt, und ich würde wünschen, daß in Preußen auch nur ein verantwortlicher Minister bestände. Sie verkennen die Stellung deS Bundeskanzlers voll kommen, er ist kein Minister, nur Präsidialbeamter. Man sagt, eS sei dem Bundeskanzler allein nicht möglich, über Alles zu urtheilen, aber geschieht dies von Ihnen nicht ebenfalls? Es giebt kaum einen Minister eines großen Staates, der auch nur ein Viertel von dem, was er unterschreibt, lesen kann. — In seinen weiteren Ausführungen erklärt der Bundeskanzler sehr bestimmt: Sie haben in mir keinen Bundeskanzler, der einen Kollegen duldet; ein Kollege würde denselben Tag mein Nachfolger sein. Am allerliebsten wäre es mir ge wesen, wenn der Antrag gar nicht gestellt worden und ich nicht in die unliebsame Stellung gekommen wäre, mich darüber zu äußern. Ich bin durchaus kein Partikularist, ich strebe die vollste Entwickelung der deutschen Verhältnisse an, halte aber den Einheitsstaat nicht für das wünschenswerte Gebilde. Sie sehen, daß auch in Preußen die Decentralisation angestrebt wird, warum wollen Sie im norddeutschen Bunde das Gegentheil thun? Der Fluch der Einbildung, daß die preußischen Zustände die besten, hat mit der Berührung der Verwaltung der kleinen Staaten allmälig abgenommen. Ich will nur zur vollsten, brei testen Entwicklung deutscher Wohlfahrt und Macht beitragen. Lassen Sie dem Bunde Zeit! Er ist noch jung und wird sein Werk zu Ende bringen. Ich gebe sehr gern zu, daß die Bundes verfassung noch eine sehr unvollkommene ist, — das ist sie nicht blos durch die Eile, mit der sie hergestellt wurde, sondern auch durch die Umstände, die dem Zustandekommen zu Grunde lagen — aber bilden wir uns nicht ein, daß wir die Zeit dadurch beschleu nigen, wenn wir unsere Uhr vorstellen. Mir wird Niemand zu- muthen, daß ich Geschichte machen soll, und selbst im Verein mit Ihnen könnte ich es nicht; wir würden damit nur das Wachsthum der Früchte verderben, die wir zu ziehen beabsichtigen. Ich bitte Sie, warten Sie die Zeit doch ruhig ab! Nehmen Sie die Versicherung von mir entgegen, daß jede persönliche Empfindlichkeit über die Stellung deS Antrages mir absolut fremd ist, und daß, wenn ich mich in einer Weise scharf ausge drückt habe, dies mehr eine üble Gewohnheit von mir ist, als ein Zeichen der Erregung. Ich bin mir sehr wohl bewußt, mit allen Antragstellern über das Ziel vollständig einig zu sein, über die Wege, die dazu führen, können wir verschiedene Ansichten haben. Bewahren Sie aber daS Bewußtsein, daß wir dem gemeinschaft lichen Ziele mit gleicher Treue -usteuern! (Lebhafter Beifall.) Nachdem noch Schulze-Delitzsch für, Abg. Windhorst und StaatSminister v. Watzdorf g e g e n den Antrag gesprochen, widerlegt Abg. Lasker in längerer Rede die Ausführungen deS Bundeskanzler-. In keinem Staate der Welt ruhe die Verant wortlichkeit auf den Schultern eine- einzigen ManneS. DaS Bundesministerium müsse so gestaltet werden, wie daS Ministerium in England, wo der Chef desselben die Macht besitze, widerstrebende Elemente ohne Weiteres zu beseitigen. Mit dem Anträge wolle man dem Bundeskanzler die Lasten abnehmen, welche verhinder ten, daß er mit dem größeren Gedanken der Staatspolitik sich ausschließlich beschäftige. Bei der hierauf erfolgten Abstimmung wurde der Twesten- Münster'sche Antrag mit 111 gegen 100 Stimmen angenommen. Am folgenden Tatze beschloß der Reichstag, am Mittwoch jeder Woche die von semen Mitgliedern gestellten Anträge sowie Petitionen in Berathung zu nehmen. Es wurde sodann mit der Spezial-Diskussion der neuen Gewerbe-Ordnung bis zu h 49 des Entwurfs fortgefahren. Preußen. Bekanntlich zählte unlängst der Präsident des Bundeskanzleramtes, Delbrück, im Reichstage mehrere neuen Steuern auf, mit denen Rorddeutschland beglückt werden soll. Wer etwa glaubt, daß Herr Delbrück das Register derselben vollständig erschöpft habe, irrt sehr, denn nachträglich wird be stimmt versichert, daß die Börsen steuer durchaus nicht aus bleiben werde und ebensowenig die Petroleum steuer. Letztere kommt nach Mittheilung der „Kreuzztg." im Zollparlament zur Vorlage. — In Bezug auf die neue Gewerbeordnung melden einige preußische Blätter, daß der Bundesrath mit den Be schlüssen des Reichstags durchaus nicht einverstanden ist. Trotzdem die Konzessions- und Bedürfnißfrage stehen geblieben, soll ihm das Gesetz noch immer zu freisinnig sein. Möglicherweise kommt daher dasselbe gar nicht zu Stande. — Der Verein zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger tritt in Berlin vom 22. bis 27. d. M. zu einer Konferenz in den Räumlichkeiten des Ab geordnetenhauses zusammen. — Den im Feldzuge von 1866 invalide gewordenen Soldaten soll in Erinnerung gebracht werden, daß der nach Abschluß des Prager Friedens gewährte dreijährige Zeitraum, innerhalb dessen auf Grund erlittener Verwundungen und Beschädigungen, die durch das Gesetz vom 6. Juli 1865 vorgesehenen Versorgungsansprüche erhoben werden können, am 23. August d. I. abläuft und später zu erhebende Ansprüche ohne Ausnahme unberücksichtigt bleiben sollen. — In den letzten 6 Jahren hat Berlin, welches jetzt 702,437 Einwohner zählt, um 154,860 Seelen zugenommen. In 150 Jahren (1710 bis 1861) betrug der Ueberschuß der Gebornen über die Gestorbenen nur 59,558, dagegen der Ueberschuß der Zuzüge über die Weg züge 382,343 Personen. — Am 16. April fandm in Königsberg neue Arbeiter-Versammlungen statt, welche jedoch ohne Ruhe störung abliefen. Es wurden wiederholt Deputationen an den Oberbürgermeister abgeschickt, welcher jedoch erklärte, auf unbillige Forderungen nicht eingehen zu können. So z. B. hatte man Tags vorher die Ausweisung fremder Arbeiter verlangt. Oesterreichifch-Ungarische Monarchie. Endlich hat das cisleithanische Ministerium einen Präsidenten erhalten und zwar in der Person des Grafen Ta affe, welcher die Präsidentur bisher provisorisch verwaltete. Die Bevölkerung Oesterreichs erblickt in dieser Ernennung kein gutes Omen für die fernere freiheitliche Fortentwickelung der staatlichen Institu tionen. Nun und nimmermehr, sagt die „N. Fr. Pr., werden wir glauben, daß ein Graf Taaffe, daß dieser Graf Taaffe, der Salzburtzer Landes-Präsident, der nach Belcredi'S Sturz einst weilen eme Ministerrolle übernehmen mußte, bis das parlamenta rische Ministerium möglich geworden war, daS ihn sodann nur auS tausend kleinen Rücksichten in seine Mitte aufnahm, der Chef des Ministeriums Giskra-Herbst-Brestel-Hasner sein wird. Ein Minister-Präsident ist mit dem Grafen Taaffe allerdings ernannt worden, aber das Ministerium wird auch ferner keinen Präsidenten haben, denn ein Präsident des parlamentarischen Ministeriums müßte eine politische Capacität sein, müßte parlamentarische Geltung haben, müßte dem Rufe wie der That nach als der' Führer anerkannt werden, und an alledem gebricht eS in dem