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SSV Ivon der Bank bis in'S Detailgewölbe, überall aber ist der Bank- discont maßgebend. Je höher dieser, desto allgemeiner derVer- lust aller Geldsuchenden. Und das geht bis in die kleinsten Ver kehrs- und Erwerbszweige hinein. Stockt der Handel, mangelt es da am Gelde, so sinkt der Lohn, so vertheuern sich die nothwendigen Lebensmittel, während die Preise der Luxuswaaren sinken. - Die Handel-- und Geldkrisen sind keine neuen Erscheinungen unserer Zeit. Kast seit der Entdeckung Amerika s und der gleich zeitig vollzogenen Umwandlung des europäischen Creditsystems sind derartige Handelscalamitäten von Zeit zu Zeit eingetreten. Die Geschichte zählt unter die hervorragendsten dieser Krisen: die, welche der Lulpenmanie in Holland in den Jahren 1634 bis 1638 folgte. Damals wurden die Tulpen so eifrig gesucht, wie in den Speculationsperioden unserer Zeit die Eisenbahnactien. Man schloß Geschäfte auf Lieferung gewisser Tulpenzwiebeln ab und kamen dann wenige auf den Markt, so zahlte man enorme Differenzen. Für eine Zwiebel wurden Güter im Werthe von 2500 Gulden eingetauscht. ' - - - Hundert Jahre später führte der Law'sche Banknotenschwin del in Frankreich eine ähnliche Calamität herbei. Gleichzeitig gab in England die Gesellschaft für den Handel mit der Süd see Anlaß zu ähnlichem Schwindel und Geldverlust. Neuere Krisen traten in Hamburg in den Jahren 176Z und 1799, in England 1815 und 1825, in Nordamerika 1837 bis 1840, in . England 1847, endliche die bedeutendste von Allen, 1857 in Hamburg ein. Die Nachwehen der Revolution von 1848 machten sich geltend. Der Verkehr stockte, die Course sanken, das baare Geld verschwand und ging über s Meer. Mit der Thronbesteigung Louis Napo leons, an die man kurzsichtigerweise Fricdenshoffnungen geknüpft, wurde die Unruhe und die Kriegsfurcht zur Permanenz erhoben. Mißernten traten ein und der Verkehr war mannichfach gehemmt. Nur England und Nordamerika erfreuten sich damals friedlicher und ruhiger Verhältnisse. Dafür wurde Nordamerika von dem australischen und kalifornischen Golde überschüttet. In Frank reich suchte man in Thronreden und ossiciellen Leitartikeln die politischen Bestrebungen durch den Hinweis auf materielle Ziele zu beseitigen und unschädlich zu machen. Neue Banken wurden errichtet, der bisher zaghafte Unternehmungsgeist sollte Aufmun terung und Geldmittel erhalten. Die Creditbanken schossen wie Pilze allenthalben aus der Erde. In England und Amerika war die Spekulation und mit ihr der Luxus in außergewöhn licher Weise gestiegen. Aus dem Zollverein waren im Jahre 1856 für 41 Millionen Dollars weibliche und für 14 Millionen männliche Luxusartikel nach Amerika exportirt worden. Die Banken hatten allesammt Baarfonds, die ihre Noten deckten, aber nicht die Depositen. Und so wie diese eingefordert wurden, bei den ersten Anzeichen von Gefahr, waren sämmtliche Banken in Frage gestellt. In Newyork fallirten sämmtliche Banken, als eine ihre Zahlungen einstellte. Eine große Anzahl Handels häuser fiel nach, . Europa verlor hierdurch mindestens 750 Mil lionen Gulden. Im ersten Augenblick wurde Deutschland we niger davon berührt. Aber je schlimmere Nachrichten von jen seits de- OceanS eintrafen, um so mehr griff der Schrecken um sich. In England sanken die Waarenpreise um 16 bis 37 Proc., die schottischen Banken stellten ihre Zahlungen ein. In Schwe den und Norwegen traten bedeutende Fallissements ein. Alles das wirkte auf Hamburg ein. Dort war die speculirende Ein- und Ausfuhr von 764z Millionen Mark Banko (1852) auf 1268^ Million im Jahre 1856 gestiegen. Hierzu reichten die Geldmittel nicht aus. ES wurden Wechsel über Wechsel ge geben. Die Waarenvorräthe waren enorm und konnten trotz der niedrigen Preise nicht loSgeschlagen werden, weil es an Geld fehlte, auch die besten Wechsel ließen sich nicht discontiren. So brachen denn im November und December 1857 ungefähr 150 Bünkerotte mit circa 200 Millionen Mark Banko Passiven auS, deren Nachsehen überallhin sich fühlbar machten. Die Geldkn'siS, die jetzt über Europa hereingebrochen ist und sich in dem hohen Diöcont, der an allen Börsenplätzen bei nahe gleichzeitig eingetreten, wie in den sehr bedeutenden Fallisse ments, unter anderen namentlich vieler österreichischer Fabri kanten, kundgiebt, verdient nicht minder Beachtung. Die Baum wollenpreise und jene für andere Rohprodutte sind schnell gesunken. An den alten Vorräthen wird Geld verloren. DaS Geld zu den Löhnen ist theuer zu beschaffen, die Zahlungen gehen m Wechseln ein und dies? können nur mit Verlust diScontirt werden. Alles daS trifft in erster Linie den Fabrikanten. Die Ursachen dieser KrisiS sind verschiedene. Hauptsächlich der amerikanische Krieg. Er führte zuerst zur Baumwollennoth. Man hatte nicht genug Baumwolle in Europa, die Preist stiegen. Die Baumwolle wurde nun aus Ostindien bezogen. Aber während der Baumwollenverkehr mit dem bedürfnißreichen Ame rika fast hauptsächlich ein Tauschhandel gewesen, indem die Amerikaner englische und deutsche Waaren an Zahlungsstatt für die Baumwolle angenommen, verlangte die bedürfnißlosere ostindische Bevölkerung Baarzahlung in Silber für die Baum wolle. Nachdem zuvor europäisches Kapital in Ostindien Eisen bahnen, Häuser, Pflanzungen errichtet, muß eS nun auch seinen Bedarf von Circulationsmitteln, das Silber, dahin abfließen sehen. Der nordamerikanische Krieg sperrt ferner den über seeischen Markt für den europäischen Gewerbfleiß. Dafür wurden andere Absatzwege ausgesucht. Man suchte neue überseeische Handelsverbindungen und in Europa selbst noch gesteigerten Verkehr. Dies letztere ward durch eine Reihe von Handelsver trägen angebahnt, welche den Verkehr erleichterten und daS Schutzsystem aufhoben. Die ArbeitStheilung führte zur billigeren Produktion. Die neuen überseeischen Verkehrsbeziehungen erfor dern zunächst Kapitalvorschüsse, wie denn namentlich England ganz bedeutende Summen zur Errichtung von Bergwerken, Fabriken u. s. w. über's Meer wandern ließ. In England stieg die Waarenausfuhr nach Amerika in zwei Jahren um 23 Mil lionen Pfund Sterling oder 33z Proc., die Waareneinfuhr um 29j Millionen oder 42j Proc. England bezahlt in der Regel die Einfuhr baar, nimmt dagegen für die Ausfuhr Wechsel auf 3 bis 12 Monate. Steigt die Einfuhr gegen die Ausfuhr, kann also erstere durch die fälligen Wechsel der letzteren nicht vollständig gezahlt werden, und tritt die Steigerung rasch ein, so macht sich der Geldmangel fühlbar. Der Zinsfuß steigt, der Credit wird knapp, Waaren und Wechsel werden billig verkauft, die Einfuhr wird entmuthigt, die Ausfuhr mehrt sich. Endlich hat Nordamerika auch das europäische Kapital für seinen Bürgerkrieg aufgebraucht. DaS Papiergeld ist trotz deS unnatürlichen Zwangscourses entwerthet, die Geldverhältnisse Nordamerika'- sind auf das Tiefste erschüttert, die Schuldenlast hat sich zur unerträglichen Höhe aufgethürmt, die entwertheten Unionspaprere kaufte Europa, namentlich Holland und Süd- deutschland, massenhaft auf. Damit gingen Kapitale hinüber, die der Produktion entzogen sind, während die amerikanischen Papiere vor der Hand todt daliegen. Die Mehrzahl derer, welche jetzt amerikanische Papiere gekauft, sind entweder Rentiers, die ihre früheren theuer erworbenen amerikanischen Fonds durch den Hinzukauf der nun im Preis gesunkenen Papiere billiger stellen wollen, oder Speculanten, die an der Coursdifferenz zwischen Krieg und Frieden gewinnen wollen. Sowie eS zum Frieden kommt, verkaufen letztere unbedingt, erstere wahrscheinlich, und zwar auch ihre älteren Papiere. AlS am 5. November 1857 die englische Bank den Dis cont auf 9 Procent erhöhte, hatte sie einen Baarvorrath von 8V« Million, eine Notenreserve zur Deckung von Depositen an 2 Millionen, die im Laufe einer Woche um 1,200,000 Pfund Sterling herabsank. Dagegen belief sich der Baarvorrath in diesem Jahre, als am 7. September die Bank den Discontosatz auf 9 Proc. erhöhte, 13 Millionen, die Notenreserve auf 6 Millionen. Die Bank ist in günstigerer Lage gegen damals, der gleiche DiScontosatz ist nur ein Beweis, daß man sich die Erfahrungen von 1857 zu Nutze gemacht. Er soll jetzt vorbeugen, während er damals von der Noth dictirt war. Er wird aber auch so lange andauern, bis die Abfuhr von Edelmetallen für Baum wolle aufhört. Der hohe DiScont hatte zur Folge, daß die Preise von Baumwolle, Talg u. s. w. rasch sanken. In dessen Folge traten Bankerotte ein. Aber eS fleht dennoch in England nicht so ' schlimm aus, wie im Jahre 1857. Auch in Hamburg sind die