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und dem Heute! Hier, wo vor einem Halden Jahrhundert die Völker Europa'- rangen im vernichtenden Entscheidungskampfe, wie ihn die Welt kaum jemals vorher gesehen, hier versammeln sich heute die deutschen Volksstämme in friedlich-ernster Kestesstimmung, um daS Andenken an den glorreichen Sieg zu begehen, welchen unsere Väter im Dienste der Freiheit und der Selbständigkeit unseres gemeinsamen Vaterlandes auf dieser von ihrem und der Feinde Blut getränkten Wahlstatt erfochten. Und fragen wir, waS uns zu dieser Feier drängt? so giebt eS darauf nur die Eine Antwort: Wir feiern heute an dieser geheiligten Stätte die Selbstherrlichkeit deutscher Nation! Ja, die Selbstherrlichkeit, welche* uns frei ge macht hat von den Banden fremden JocheS, welche uns wieder einführen soll in die Reihe der Völker, die da mit zu entscheiden haben über die Geschicke der Welt. Unser Deutschland, dereinst, so lange es nach außen noch einig und in dieser Einigkeit noch stark war, das mächtigste Reich der Erde, konnte, da es im Laufe der Zeit zerfallen, zerfallen durch die Schuld seiner Fürsten wie seiner Völker, dem Andrange des fremden Eroberers nicht Widerstand leisten. Es unterlag nach schwacher Ge genwehr und ward erniedrigt zu Schmach und Schande von den ewig fluchwürdigen Friedensschlüssen zu Basel und Rastadt über die Niederlagen von Austerlitz und Jena hinaus bis zum Auferstehen des neuen Völkerfrühlings, dem Jahre 1813; bis zu dem Kampfe, der heute vor fünfzig Jahren auf den weiten Ebenen Leipzigs sieg reich ausgefochten wurde! Mit diesem Siege endete für Deutschland die Zeit, in welcher fremde Herrschaft und fremde Sitte über das deutsche Volk gekom men waren, das sich ihnen, wenn auch zähneknirschend, doch beugen mußte, weil es aufgehört hatte, ein einiges Volk zu sein! Diese Zeit der Prüfung war nothwendig, sollten die Sünden vergangener Jahrhunderte wieder ausgeglichen werden. Das deutsche Volk mußte erkennen, daß es durch die Führung der Mächtigen, welcher es sich in blindem Gehorsam bis zur lässigen Gewohnheit des Daseins hin gegeben, an den Abgrund völliger Vernichtung gebracht worden war; eS mußte lernen, daß es selbsthandelnd eingreifen müsse in die Ge schicke des Vaterlandes, wenn dasselbe vom Untergange gerettet wer den sollte. Uud unser Volk hat diese Lehrzeit siegreich bestanden! Von seinen Edelsten wach gerufen und geführt, stand es auf von dem Drucke, der es über ein Jahrzehnt niedergehalten hatte, fühlte sich Eins in dem Einen Ziel der Befreiung des Vaterlandes! Da galt es nicht die deutschen Stämme nach dem Süden oder dem Norden zu scheiden und zu gliedern. Es gab nur ein Heer, das Volksheer deS neugeeinigten Deutschland! Wie ein Engel der Rache stürmte es an gegen den Feind seiner Freiheit und stürzte ihn herab von dem Thron, den er auf der Zerrissenheit unseres Vaterlandes sich auferbaut hatte. Jubel- und Dankeslieder tönten zum Himmel für die Errettung von der Fremdherrschaft und ob auch die harten Zeiten deS Drucks und des Kampfes schwere und schmerzliche Opfer an reichem Gut und heißgeliebtem Blut forderten, athmete doch das Volk wieder auf, achtete nicht der auf dem Altar des Vaterlandes darge brachten zeitlichen Güter, und wie tief auch im Verborgenen die Herzen über den Verlust ihrer Theuern trauerten, doch gedachte man mit verehrungswürdigem Stolz der gefallenen Helden, welche mit ihrem Blute das Werk der Freiheit besiegelt hatten! So schließt, bewundernswerth, ein unvergängliches Denkmal der Vollkraft eines Volkes, mit dem ruhmwürdigen Siege der Völker schlacht bei Leipzig die Erhebung deutscher Nation zu der Selbstherr lichkeit ab, welche uns freigemacht hat von den Banden fremden Joches. Aber hat damit das deutsche Volk seine Aufgabe vollständig gelöst? Die Antwort auf diese Frage, wie sehr wir auch darüber zu erröthen haben, ist noch heute ein lautes und entschiedenes Nein! Unsere Nation hat bis auf diesen Tag die ihr gebührende Machtstell ung noch nicht wiedergewonnen; ihr Wort wird im Rache der Mächte nicht gehört, geschweige daß es ein entscheidendes wäre. Und warum? Weil sie noch nicht wieder Eins ist, wie sie es sein soll und sein muß! Nachdem die Schlachten siegreich geschlagen waren, welche dem Vaterlande seine Selbständigkeit und Freiheit, den deutschen Fürsten ihre Länder wiedergegeben hatten, tagten dieselben Fürsten über eine Verfassung deS gesammten Deutschlands. Ihr Wort hatten sie da für eingesetzt, daß dieselbe hervorgehen müsse „au- dem ureigen ¬ sten Geiste der Nation". Und wie ward diese Verheißung er füllt? Statt Brode- boten sie Stein! Ohne Gehör der Völker brachten sie ein Werk zu Stande, welche- schon bei seinem Entstehen den Keim steter Eifersucht und Zwietracht in sich trug und damit die Zerklüftung und Ohnmacht Deutschland- nach außen verewigen, zugleich aber auch die junge Freiheit im Innern wieder vernichten sollte. Die Begeisterung des Volks für die Macht und Größe, für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes, diese Begeisterung, durch welche der fremde Eroberer von deutscher Erde vertrieben worden war, wurde nur zu bald für den Einzelnen zu dräuender Gefahr. Ver folgung, jahrelanger Kerker oder freiwillige Verbannung von der geliebten Heimath ward der Lohn für solch patriotisches Fühlen. Der Sänger des „Deutschen Vaterlandes", Ernst Moritz Arndt, der edel- len Patrioten Einer, Er, der in der Zeit der Noch und Gefahr ein Volk entflammt hatte zu den Heldenthaten, welche die Tafeln der Geschichte mit unvergänglichem Ruhme verherrlichen, selbst Er mußte dem Undanke der Gewaltigen erliegen! Doch wie auch in die fortschreitende Zeit hemmend eingegriffen wurde, sie konnte nicht zum dauernden Stillstände gebracht werden. Das nationale Bewußtsein, der politische Fortschritt, einmal wach ge rufen, bricht sich endlich doch siegreiche Bahn in allen Schichten des Volks. Die Zeit kann nicht auSbleiben, wo die Nation die Früchte ihrer Kämpfe erringen wird und erringen muß! Möchte zum Heile der Fürsten, wie der Völker, ja zum Heile des gesammten Vaterlandes diese Zeit nicht mehr fern sein! Und dürfen wir dies boffen nach den Zeichen, die allerwärts an unserm politischen Horizont aufleuchten? Ja, wahrlich, sie sind sonderbar genug, als daß diese Hoffnung nicht berechtigt sein sollte. Oder wäre es etwa nicht ein Zeichen der fort geschrittenen Zeit, wenn heute die Fürsten selbst ihr eigenes Werk, die deutsche Bundesverfassung, verurtheilen, während vor kurzer Frist noch jeder Zweifel an deren Mustergültigkeit zum Verbrechen ge stempelt wurde? Der Umschwung, der darin unleugbar bekundet wird, muß noch ganz andere Erfolge zeitigen als die, welche er bis heute vollbracht hat. Das vernichtende Urtheil über die Verfassung unsres Bundes von solcher Stelle trägt die Nothwendigkeit einer verjün genden That in sich! Soll aber dieser That eine wirklich verjüngende Kraft inwohnen, soll sie die deutsche Frage zum glückverheißenden Ab schlusse bringen, dann muß sie im vollen Einverständnisse zwischen den Fürsten und dem Volke gethan werden, denn ohne dieses Ein- verstä'ndniß giebt es auf dem Wege friedlicher Rform für diese Frage überhaupt keinen Abschluß. Und wenn endlich ein solcher Abschluß gefunden worden ist, o! möchte er dann das ganze Deutschland umfassen! Doch wo ist die Kraft, welche uns solche Lösung bringt? Aber wehe uns allen, Fürsten wie Völkern, wenn diese That so lange auf sich warten ließe, daß sie zu spät erschiene, zu spät, um das Vaterland gegen hereinbrechende Gefahren zu schützen! Daß solch Unhnl unser Volk nicht treffe, dafür hat das gegenwärtige Ge schlecht nicht minder als die nach uns kommenden mit Leib und Leben, mit Gut und Blut einzustehen. Darum fassen wir die heutige Feier nicht nur auf als eine Feier dankbarer Erinnerung an das, was unsere Väter Großes und Herrliches für uns gethan, sondern auch als die Feier eine- heiligen Gelübdes: daß jeder an seiner Stelle mit dem Opfermuthe und der Opserfreudigkeit, welche einst unsere Vorkämpfer zur Wahrheit gemacht haben, mitarbeite an der Selbstherrlichkeit deutscher Nation, die uns wieder einführen soll in die Reihe der Völker, die da mit zu entscheiden haben über die Geschicke der Welt! Und so hat auch das Denkmal, welches wir heute an dieser geweihten Statte begründen wollen, die doppelte Bedeutung, daß es die Nachwelt an die Heldenthaten unserer Vorvordern erinnern, uns aber und die, welche nach uns kommen werden, fort und fort mahnen soll an die Einlösung der heiligen Pflichten, die wir dem Vaterlande schulden. Heute aber, da dieses Denkmal sich noch nicht vor unsem Blicken erhebt, heute bringen wir euch, die ihr den Kampf gegen den fremden Eroberer siegreich mit ausgekämpst habt, den Lebenden wie den Todten, für das, waS ihr für des Vaterlandes Rettung gethan, gelitten und errungen, den Dank des jetzigen Geschlechts,, der, wenn auch noch nicht in Erz und Stein gegraben, doch tief in den Herzen euer- Volks lebt, euer- Volkes, daS euch liebt und I ehrt al- leuchtende Vorbilder für alle kommenden Zeiten!