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I zir danket Alle Gott", in daS die ganze Versammlung feierlich ein stimmte. Am Nachmittage wurden von den Sängern gleichfalls aus dem Marktplatze patriotische Lieder gesungen und dazwischen von den Musikern Märsche geblasen, welche im Jahre 1813 die Käme, raden in den Krieg geführt. Wie ging den alten Veteranen bei diesen lieben Klängen das Herz auf! Am Abend fand zu Ehren der Veteranen und Gäste im Theater eine Festvorstellung: Kleist's Hermannschlacht, statt, der ein Festprolog voraußging. Die treffliche, wuchtige Sprache dieser Schmerzenstragödie des edlen Kleist ist von der, leider nur zweimaligen, Aufführung in Dresden her bekannt. Sie verfehlte auch zum Feste ihre Wirkung nicht, wenn sich auch nicht ver kennen läßt, daß wir für große nationale Feste nur einen Dra mendichter haben: Schiller, und daß von diesem nur ein Drama, Wilhelm Tell, das würdigste und entsprechendste für diese Ge legenheit gewesen wäre. Einem anderen Theile der Festgäste und Festgenossen bot sich im Gewandhause ein wundervoll schö nes Symphonieconcert und in dem künstlerisch schön mit den Büsten der Frciheitshelden dekorirten Saale der Centralhalle ein Concert mit gewählten patriotischen Musikstücken vom Liebig'schen Chor aus Berlin dar. Inzwischen bereitete sich in der Stadt ein Fackelzug vor, wie er in dieser Großartigkeit wohl noch von Niemandem gesehen wurde. Die alte ehrwürdige Fackel, obwohl in der Zahl von 1000 vertreten, wurde dennoch in den Hinter grund gedrängt durch die leuchtende Milchstraße der Windlichter und Lampions. Im Ganzen wurden 7080 Lichter getragen. Der Zug war über eine halbe Stunde lang und schloß 23 Musikchöre in sich. Die Innungen, die Studenten, .die Vereine, auch die benachbarten Landgemeinden hatten sich be- theiligt. Die rasselnden Schleppsäbel und Nappiere der Studen ten fügten dem malerischen Anblick noch eine besondere Eigen- thümlichkeit hinzu. Auf dem schönen Augustusplatze wurden die Fackeln erst wie Raketen aufgeworfen, dann in mehreren Haufen verbrannt. Auf den Anhöhen der benachbarten Dörfer und den höchsten Punkten des Schlachtfeldes brannten Octoberfeuer hinaus in die Lüfte. Und das Alles war erst das Vorspiel: das eigentliche Fest fand am 19. October statt. Am Morgen hatte der seit langer Zeit bestehende Leipziger Verein zur Feier des 19. October, welcher um Markirung der bedeutendsten Punkte des Schlacht feldes, um Sammlung der reichhaltigen Schlachtliteratur und Denkwürdigkeiten, sowie durch seine alljährliche Octoberfeier um stete Förderung des Andenkens an jene große Zeit sich besonderes Verdienst erworben hat, in Gerhards Garten das von ihm errichtete Denkmal an die heldenmüthige „Sprengung der Brücke bei dem Rückzüge des französischen Heeres am 19. October 1813" enthüllt. In. den ersten Vormittagstunden zogen Schaaren und Häuflein mit Fahnen und klingendem Spiel durch die Stadt, deren Verkaufsladen geschlossen waren. Von 10 bis gegen 11 Uhr stellten sich die einzelnen Zugabtheilungen auf. Und nun schlän gelte sich durch die Petersstraße über den Markt und die Grim- maische Straße hinaus nach der Stötteritzer Höhe ein Festzug von einer Großartigkeit, Mannichfaltigkeit und Erhebung, wie ihn selbst Leipzig zum Turnfeste nicht gesehen hatte. Dem Zuge schritten voraus und zur Seite Festmarschälle mit schwarz-roth- goldnen Schärpen und prächtigen vergoldeten Stäben, an deren Spitze der deutsche Reichsadler schwebte. Den gleichfalls ge schmückten Reitern, den Mitgliedern des Leipziger Rennclubs, folgten die Leipziger Turnvereine, die Schulen, die Gymnasien und nun, gelettet von 50 Jungfrauen, die Hauptzierde des Zuges, die Veteranen, das würdige Alter, umgeben von rosiger Jugend. Die ältesten und gebrechlichsten Veteranen fuhren in nicht weniger als 84, zum Theil bekränzten Equipagen, welche deren Leipziger Besitzer hierzu gestellt. Die Mehrzahl der Ve teranen, an ihrer Spitze der greise General v. Pfuel, im Jahre 1815 Commandant von Paris, im Jahre 1848 preußischer Kriegsminister. Es folgten die Mitglieder des Banners der freiwilligen Sachsen (der sich an 3000 Mann infolge eines Auf rufs aus Leipzig im November 1813 gebildet und an der Be lagerung von Mainz theilnahm. Ein Denkmal bei Miltenberg am Main bezeichnet die Stelle, an welcher am 1. April 1814 61 Mann dieses Banners in den Fluthen ihr Grab fanden.) Den über 1000 Veteranen folgten die Leipziger Schützen in kleidsamer moderner Schützentracht, mit dem wundervoll schönen rothsammtnen, goldgestickten Banner, das die Frauen und Jung frauen Berlins „den deutschen Frauen von 1813" gestiftet, dann das Festcomitä mit schwarz-roth-goldnen Schärpen, und Vie gleich den Veteranen überall freudig begrüßten Vertreter der deutschen Städte, deren Namen Turnerknaben auf Standarten vorantrugen. Besonders jubelnd empfangen wurden die Abge ordneten von Berlin und Wien, sowie die von Dresden, welche letzteren, ihr stattliches Stadtbanner voran, die Reihe der säch- ischen Städte eröffneten. Trotz des bedauerlichen Ausbleibens o mancher sächsischen Stadt hatte Sachsen doch noch immer eine so zahlreiche Vertretung gestellt, daß man die Fehlenden und deren Städte nicht vermißte. Es waren vertreten: Dres den, Leipzig, Freiberg, Mittweida, Zwickau, Plauen, Crimmitz- schau, Pegau, Grimma, Borna, Pausa, Taucha, Naunhof, Leisnig, Oschatz, Frankenberg, Großenhain, Schandau, Sebnitz, Neusalza u. s. w. Am stärksten war, nächst Sachsen, Preußen (mit Ausnahme der Rheinprovinz, von der nur Barmen sich betheiligt) am schwächsten Süddeutschland vertreten. Aus Wür- temberg immerhin 5 Städte: Stuttgart, Tübingen, Heilbronn, Ulm,Elwangen. Baiern, außer Augsburg, fehlte ganz. Den Städten folgte die Geistlichkeit aller Confessionen, die Universität, den Rector Or. Erdmann voran mit der goldnen Kette, die Studirenden mit ihren malerischen Verbindungsabzeichen, endlich die Land gemeinden des Leipziger Schlachtfeldes, auf deren Standarten sinnig die Namen ihrer Orte und der Feldherren angegeben waren, welche während der Octobertage in diesen Orten commandirt. An sie schloffen sich die auswärtigen Theilnehmer an, von den vielen Tausenden, die nach Leipzig gekommen, leider kaum fünfzig, und an diese die Mitglieder des Nationalvereins, Professor Roßmäßler an der Spitze. Nun kamen die Gesangvereine, die Innungen und einzelne Vereine. Wenig zahlreich war der Handelsstand, um so mehr waren die jungen Kaufleute im kaufmännischen Ver ein, die Buchhändler und Buchdrucker vertreten. Die Innungen folgten alphabetisch. Nicht nur die Künstler zeichneten sich durch Herolde in prächtigem, blausammtnem, altholländischem Costüm aus, auch die Innungen hatten elegante Bannerträger und zier liche Verkleidungen aufzuweisen. Die Buchdrucker und Buch binder trugen Standarten mit der Jahreszahl 1410 (Erfindung der Buchdruckerkunst) und den Namen der besten Schriften über die Freiheitskriege. Die Bäcker imponirten durch ihre schöne neue Schwedenfahne sowohl, als durch ihre alte zerfetzte. Die Baugewerke führten unter der Bezeichnung „Sonst und Jetzt" Männer in kleidsamer mittelalterlicher Gewerbstracht, die Zimmerleute tru gen die Modelle eines Hauses und eines besonders kunstvoll ge arbeiteten Daches. Doch wie sollte es möglich sein, alle die Einzelheiten aufzuführen! Sie bewiesen, daß auch Leipzigs Ge werbe- und Arbeiterstand die hohe Bedeutung des Tages tief erfaßt hatte. Die Turnvereine des Leipziger Schlachtfeldes schlossen den Zug, der eine Länge von 1^4 Stunde hatte und von 48 Musikchören geleitet wurde. Die Gesammtzahl der Theilnehmen den schätzt man auf circa 20,000. Die zahllosen bunten, großen theils kunstvollen Fahnen erhöhten den feierlichen Eindruck des Zuges, der aus allen dichtbesetzten Fenstern und Plätzen der Stadt bis.hinaus auf die Straßenhäuser, freudig begküßt und mit Blumen überschüttet wurde. Hier draußen waren Ehren pforten errichtet mit den Inschriften: Heil Euch, die Ihr in schwerer Zeit Das Volt von Druck und Schmach befreit. Ferner: Einigkeit Fühlt zum Siege allezeit. Auf dem Schlachtfelde wurden Lieder gesungen und ward sodann der Grundstein gelegt zu dem großartigen Denkmal, das hier durch Beiträge aus ganz Deutschland errichtet werden soll. Bürgermeister vr. Koch hielt hierbei folgende treffliche Fest rede, die wir vollständig folgen lassen, weil sie den erhebenden Festgedanken den geeignetsten Ausdruck gab: Tausende und abermals Tausende bedecken heute lpie vor fünfzig Jahren diese Fluren. Aber welcher Unterschied zwischen dem Damals