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S40 treten, probirte er so geräuschlos als möglich den größern Sperr haken lm Thürschloffe. Schon verzweifelte er, daß eS ihm ge lingen werde, hier zum Ziele zu kommen, als eine Kraftanstreng ung, die Frucht seiner Verzweiflung, e- doch noch ermöglichte.« Die Thüre' war offen, er schlüpfte auf den Zehen den fast ganz dunklen Gang zur rechten Hand entlang bis an das ihm be zeichnete Fenster, das einiges Licht spendete und nach der An gabe im Zettel an einem seiner Wirbel den Rock und darüber hängend eine Wollenmütze ihn finden ließ. Im Nu war der Kleider tausch geschehen und die ihm bezeichnete Treppe neben dem Fenster hinabeilend, gelangte er in einen Hof, der zwischen den coloffalen Steinwänden eher einer Schlucht glich, als einer Räumlichkeit, welcher der Namen Hof gebührt. Mittels einer Ziehthüre der Treppe gegenüber, kam er in einen langen engen Gang und die ver schiedenen Stimmen, die er aus der zur Seite gelegenen halb offenen Wachtstube erschallen hörte, erregten ihm anfangs Bangen; indeß war die wehlvorbereitete Flucht so weit gediehen, so mußte er auch das Aeußerste daran wagen, die Freiheit zu gewinnen. Rasch schritt er an der Wachtstube vorbei und befand sich in wenigen Augenblicken vor der Wache. Ein paar dastehende Soldaten wendeten sich verächtlich von ihm ab, was ihm als Zeichen galt, daß der Rock, den er trug, jedenfalls der des Schließerknechteß sein müsse, welcher ihm diese ihm in jetzigem Moment so sehr erwünschte Verachtung zuzog. In ihren Augen lastete auf dem Schließerknecht der Makel der Unehre, der Ge fangene stand dagegen bei ihnen im Ansehen eines Ehrenmannes. Der Wachtposten ging mit wiederhallenden Schritten grade am andern Ende des sehr schwach erleuchteten langen Thorge- wölbes hin und Egon benutzte diesen glücklichen Umstand und verließ das Thor. Bis jetzt war Alles glücklich von Statten gegangen, doch mit dem ersten Schritte, den er, wie ihm bezeichnet worden, außerhalb des Thores zur Rechten an der Mauer that, schien das Verderben drohend sich gegen ihn zu erheben. Er hörte in der engen halbdunklen Gasse den kräftigen Schritt eines Sporen tragenden Mannes sich entgegenkommen, während von der anderen Sette des längs den Wällen hinlaufenden Weges „an der Mauer" das schallende tacktmäßige Auftreten einer zahlreichen Patrouille hörbar wurde. Egon schlug das Herz - - so nahe am Ziele und verloren zu sein! der Gedanke entseelte ihn fast. Er suchte sich in einen sehr wenig vorstehenden Mauervorsprung hineinzudrücken; aber das Auge des rasch heran kommenden Sporenträgers war scharf genug, um in dem tiefen Düster die noch dunklere schwei gend in den Winkel gedrückte Gestalt zu erkennen. Mit einem Satze sprang er auf sie zu und ein kräftiger Faustgriff an des hier Versteckten Hals überzeugte diesen, daß er es mit einem kör perlichen und widerstandsfähigen Gegner zu thun habe. „Runde herbei!" donnerte des Angreifers Stimme . .. „Hundsfott, steh oder ich spalte Dir den Schädel!" Egon sah sich verloren, sobald es ihm nicht gelang, sich von der Faust des nach der Runde Schreienden und mit Riesenkraft ihn in Mitte der engen Gasse Zerrenden zu befreien. Schon hörte er die Mannschaft der herbeigerufenen Runde in Laufschritt nahen, als es ihm gelang, durch einen gewaltigen Fauststoß gegen den Unterleib seines sehr kräftigen Femdes diesen zum momen tanen Loslaffen der Faust von seinem Halse zu zwingen; kaum diese Wirkung bemerkend, führte er rasch einen gewaltigen Schlag in dessen Gesicht, welcher zur Folge hatte, daß der davon Ge troffene zur Seite taumelte. In raschen Springen floh der Be freite an der Mauer entlang, hinter sich hörte er den Ruf: „Nach, nach! ein Spion! fangt ihn, todt oder lebendig!" und das Geräusch vieler hinter ihm drein Laufenden, deren Gewehre klirrten, überzeugte den Verfolgenden, daß wenn er ohne Htlfe seiner unbekannten Freunde bliebe, er bei dieser von den ihm Nachsetzenden gewiß mit größerer Ausdauer, als sie in seinen Kräften stand, durchgeführten Hetzjagd zuletzt in ihre Hände fallen müsse. In dieser Noth drang der leise Ruf einer gedämpften männlichen Stimme an der Ecke der von der Kreuzkirche her sich in den Weg „an der Mauer" einmündenden Gasse zu seinem Ohr: „Hierher! hierher!" Athemlos stürzte der Angerufene auf den Beistand zu, er sah in dem Düster eine gewaltige herkulische Gestatt vor sich, die ohne Umstände ihn bei dem Arme ergriff und ihn mit den Worten: „Wir sind gleich im Hauses mit sich fortriß. Der wenn auch kurze, aber sehr rasche Lauf mochte seinem Führer, der die Schwerfälligkeit in Person war, ungemein hart ankommen, er schnaufte wie ein zum Tod überjagtes Roß; zum Glück jedoch war das Ziel nicht fern; in eins der den Kreuzkirchenplatz begrenzenden Häuser, dessen Thür angelehnt war, fuhr er mit dem am Arme immer noch festgehaltnen Egon hinein und ein kleiner alter Mann, der daselbst gewartet hatte, schob schnell den Hausthürriegel hinter ihnen vor. Egon sah sich im Flur eines Hauses; von der seitwärts befindlichen Treppe fiel ein Streiflicht von einer daselbst hingestellten Lampe in den selben, der den Flüchtling nothdürftig die ihm gänzlich Unbe kannten Männer erkennen ließ. „Schnell hinauf mit dem Herrn ... ich höre schon den Lärm der nachsetzenden Soldaten!" rief der Alte leise und Egon, der immer noch keine Ahnung hatte, wer seiner Rettung sich so thätig annähme, folgte seinen beiden Führern die Treppe hinauf. Es war die höchste Zeit, daß sich der Flüchtling in Schutz wußte, denn kaum war der Riegel vorgeschoben, als auch die Soldaten an der Ecke anlangten. Mit scharfem Auge hatten einige von ihnen bemerkt, daß noch eine zweite Gestatt an der Ecke sichtbar geworden, mit welcher der Verfolgte zugleich verschwun den sei. Da nirgends das Geräusch von Schritten zu hören war, so lag es auf der Hand, daß der Flüchtling in einem, der den Kirchenplatz umstehenden Häuser Asyl gefunden. „Den Platz occupiren, Niemand aus den Häusern lassen!" lautete der zornige Befehl des Oberstlieutenant Hoffmann, welcher sich das Blut aus dem Gesichte wischte, dessen Urheber der gewaltige, seine Nase treffende Faustschlag Egons gewesen war. „Der Herr Hauptmann von Sydow werden in den Nestern da die strengste Durchsuchung halten, jeder Verdächtige wird festgenommen ... Rapport auf die Hauptwache!" Nach diesen Befehl verließ der Oberstlieutenant den Platz, sich in seinem chweren Grimme mit der Hoffnung tröstend, daß der Schuldige einer Rache nicht entgehen werde. Die friedliche Ruhe der Bewohner des Kreuzkirchenplatzes, der jetzt in tiefem und durch die massenhaften, von der genannten Kirche auf ihn niederfallenden Schatten noch mehr verdunkelten Abenddüster lag, war gründlich gestört; der Soldatenlärm, das Kolbenschlagen an die Thüren hatte alle Umwohnenden in Angst und Schrecken versetzt und in vielen Fenstern erschien Licht, auch hörte man angstvolle Stimmen herabrufen: „Um GotteS Barmherzigkeit willen, was geschieht denn Schreckliches?!" Auch an der Thüre der Superintendentur krachten die Kolbenschläge und als ein altes das Ansehen eines Kirchendieners habendes kleines Männlein auf die Frage des Hauptmanns von Sydow: „Wer wohnt hier?" zur Antwort gab: „Sr. Hoch ehrwürden unser Herr Superintendent und Consistorialrath, Herr Vp. Ende", wandte sich der Fragende zu den neben ihm stehenden Soldaten und sprach fast lachend: „Nun, wir werden hier sicher keinen Fang thun, denn die geistlichen Herren sind zu vorsichtiger Natur, um sich in militairische Händel zu ver wickeln; aber der Befehl muß befolgt, das Haus durchsucht werden. Schläft Sein Herr noch?" „Bei dem Lärmen?" entgegnete der kleine alte Mann...' „wäre ja unmöglich. Alle Hausbewohner haben sich in der Angst zu Sr. Hochehrwürden ins Zimmer geflüchtet. „Führ' Er mich zum Superintendenten! Zwei Mann gehen mit mir, die übrigen fassen Posto hier und an der Treppe. Leuchte Er!" Hauptmann von Sydow mit zwei Soldaten trat bald darauf in die Wohnung des geistlichen Herrn, in der sich außer diesem noch ein Geistlicher, Beide in ihrer Amtstracht und vier weibliche Personen befanden. Es war recht merkbar, daß der junge Hauptmann seiner Ordre eben nur so weit nachkam, als er grade mußte, während sein Blick widerspenstig statt auf den Herrn Superintendent zu haften, gar zu oft nach Jungfer Clara hinstreifte, die demüthig und angstzerknischt beide Hände auf dem Busen in einander gefaltet hielt und doch im Stillen mit einem Lächeln zu kämpfen schien, ganz im Gegensätze zu dem neben ihr stehenden jungen Mädchen, welches wie Espenlaub zitterte und die Augen gar nicht aufzuschlagen wagte,