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tu länd schloß sich ihm aN, gleichmäßig, ja vielleicht ernstlicher als Frank reich gegen Rußland und für Polen gestimmt und allen eigensüchtigen Schritten Frankreichs, namentlich einer Excursion gegen Preußen vorbeugend. Oesterreich wurde auf Antrieb Englands der Dritte im Bunde. Die ersten identischen Depeschen dieser drei Mächte fanden noch vor ihrem Abgänge in der russischen Amnestie, einem Angebot ohne irgendwelche Nachfrage und wohl auch ohne Ernstlich keit, eine vorläufige Antwort, denen Rußland später mehr oder minder — daS Minder für Oesterreich — höfliche Erwiderungs schreiben folgen ließ. Darin war alle Schuld des Aufstandes auf die europäische Revolution geschoben und den Mächten an heimgegeben, Vorschläge zu machen. Es hat nun verhältniß- mäßig sehr lange gewährt, ehe die drei Großmächte sich zu diesen Vorschlägen einigen konnten, die in weiteren drei, diesmal nicht vollständig, aber doch ziemlich gleichlautenden Noten gestellt und nun seit acht Tagen der russischen Regierung eröffnet sind. Sie enthalten 6 Punkte, allerdings die brennendsten Fragen: 1) voll ständige Amnestie, 2) die schon im Jahre 1815 bewilligte Na tionalvertretung, 3) von Rußland gesonderte Landesverwaltung unter russischer Oberhoheit, 4) volle Gewissensfreiheit namentlich der katholischen Kirche, 5) Anwendung der polnischen Sprache bei Gerichten und in Schulen, und 6) gesetzliche Regelung des RekrutirungSwesens — dieses Ausgangspunktes der Revolution. Diese sechs Punkte sollen in einer Conferenz berathen werden, welche Frankreich gern in Paris abgehalten sähe, während Ruß land, wenn eS überhaupt darauf eingeht, Petersburg dazu Vor schlägen würde. Auf Vorschlag Englands ist — bis zur end- giltigen Regelung — ein Waffenstillstand, die Einstellung des Kampfes mit beantragt worden. Gerade dieses Verlangen aber ist vielleicht das Schwierigste sowohl für Rußland, als für die Insurgenten. Für Rußland heißt es soviel als Anerkennung des Aufstandes als eines berechtigten, für die Insurgenten ist damit die Unterwerfung unter jene Vorschläge der Großmächte ausge sprochen. ES wird den Beweis ablegen, ob sie Maß zu halten und staatsmännisch zu handeln wissen, je nachdem sie diese Vor schläge annehmen oder ablehnen. Sie sind freilich nicht dasAeußerste,^ was die Insurgenten sich wünschen, insbesondere enthalten 'sie nichts von der Wiederherstellung eines selbstständigen, von Rußland unabhängigen Polenreichs, worauf es nach Erlassen der National regierung abgesehen zu sein scheint. Jndeß werden sie auch daS nie erreichen und eine Ablehnung der von den Großmäch ten gemachten Vorschläge polnischerseits hieße wirklich mindestens für diesmal, für diesen Aufstand und bis eine neue Generation heranwächst, die den Kampf wieder aufnimmt — kms ?oloniN. Glücklicherweise lassen die jüngsten Berichte hoffen, daß die Polen gelernt und vergessen haben: gelernt, Maß zu halten, vergessen, sich -u entzweien. Die demokratische Partei scheint sich losgesagt zu haben von Mieroslawski, der durch seine Umtriebe für Polen so verhängnißvoll ist, wie Mazzini für Italien, und scheint mit der aristokratischen Partei fich vereinigt zu haben, deren Haupt- vertteter in Paris wieder mit den Diplomaten der Großmächte verhandeln. Auf diesem Wege der Einigung darf Polen von diesem Aufstande und der diplomatischen Intervention etwas hoffen. Bis jetzt ist nur die französische Note des Herrn Drouin de LhuyS an den Fürsten Gortschakoff bekannt. Darin werden zu nächst die 6 Punkte angeführt, wovon mehrere den Absichten deS Kaiser- Alexander, alle aber den Verträgen conform seien. Es wird die Hofftrung ausgesprochen, Rußland werde dem Kampfe Ein halt thun. Rußland müsse ein Ende der Feindseligkeiten wünschen, die Polen könnten die Einstellung derselben nicht verweigern, ohne ihre Stellung zu verschlimmern. Die Theilnahme der acht Unterzeichner der Wiener Congreßacte an den Unterhandlungen sei al- natürlich Lndicirt; mit Gewalt könne man den Knoten der polnischen Frage wohl durchhauen, aber ohne sie zu lösen. Der Weg der Unterhandlung sei die einzige, des Jahrhunderts würdige Lösung. - Von der Erklärung Rußland- aber wird , mehr abhängett, al- nur Polens Schicksal — der Friede Europa-, sowohl mittel bar, weil der in Polen lodernde Brand Europa stets bedroht, al- auch unmittelbar, weil offenbar Louis Napoleon fich diese Gelegenheit, mit Rußland anzubinden — oder je nach Umständen wieder vortheilhast Fneden zu schließen — nicht wird entgehen lassen. ' Jahr 1000 lch Mähren, Doch läßt trotz der schroten Haltung, die Äußland neuer dings in Polen eingenommen, Vieles hoffen, daß eS den An forderungen der Westmächte nachgeben und daß die polnische Frage friedlich werde gelöst werden. Weder Oesterreich, dessen Reichs tag nun auch gelegentlich der Adreßdebatte in würdiger, durch vr. Bergers Rede glänzend zu nennender Weise Gerechtigkeit für Polen forderte, weder Oesterreich, noch England wollen Krieg und so wird auch im schlimmsten Falle Frankreichs kriegerische- Gelüste gedämpft werden. - Es mag nicht ungerechtfertigt erscheinen, bei,, der großen nicht ungerechtfertigt erscheinen, bei der großen Theilnahme ^ür Polens Geschick emen kurzen Rückblick auf dessen Geschichte zu werfen. Die jetzt auf 2300 Quadratmeilen mit gegen 5 Millionen Einwohnern zusammengeschrumpfte russische Provinz ist der Rest des Polenreichs, das im 157 und 16. Jahrhunderte 13,000 Quadratmeilen und 15 Millionen Einwohner zählte. Aber einen hervorragenden politischen Einfluß vermochte es auch damals nicht geltend zu machen. Es blieb fern von feudalen und hie rarchischen Auswüchsen, aber auch vom Elemente des Bürger- . tyums, das sich aus dem Kampfe mit diesem herausbildete. Der polnische Königstitel ward vom Kaiser Otto Ul. unter deutscher Lehenshoheit dem Polenfürsten Boleslaw um das Jahr 1000 verliehen. Dieser theilte sein Stammreich, zu dem auch Mähren, Böhmen und die Lausitz gehörte, unter seine Söhne. Der Theilung folgte Zwiespalt. Einer seiner Nachkommen, Konrad von Masovien, rief den deutschen Ritterorden zu Hülfe, die zwar gewährt wurde, aber den Helfern den Küstenstrich an der Ostsee, den Stamm des heutigen Preußen, einbrachte. Das spater entstandene Großpolen und Kleinpolen vereinigte König Wladis law 1320 zum Königreich Polen. Sein Sohn, Kasimir der Große, der Letzte der Piasten, verlor zwar einen Theil deS Landes an den Deutschritterorden, gewann aber die Oberhoheit über Rothrußland. Sein Schwestersohn Ludwig von Ungarn vereinigte zwölf Jahre lang Polen mit Ungarn; durch dessen Tochter Hedwig, vermählt mit dem Großfürsten Jagello von Litthauen, kamen 1382 die Jagellonen auf den polnischen Königs thron. Sie schlugen die Deutschordensritter (1410) und verdrängten damit die durch diese geförderte Bildung zurück. Vom deutschen Reich im Stich gelassen, mußte der deutsche Orden 1466 die Oberhoheit Polens anerkennen und das germanisirte Westpreußen mit Marienburg und Elbing an Polen abtreten. Während dieser Kriege mit den deutschen Rittern entwickelte sich die Zügellosig keit des polnischen Aoels — Polens Verderben. Der Krieg kostete Geld, das die Edelleute auf dem Reichstage gegen immer erweiterte Vorrechte bewilligten. Der Adel allein wählte die Landboten, aus ihm allein durfte der König die im Senat ver- einiaten geistlichen und weltlichen Würdenträger wählen. Die Adligen waren allein vollberechtigt, neben ihnen gab es nur Leibeigene. In der Reformationszeit kamen die extremsten Gegner des Kirchenthums, die Socinianer nach Polen und fanden dort Anhang, aber so wenig nachhaltigen, daß nachmals die Jesuiten in Polen ihren Hauptheerd begründen konnten. Nach dem Tode des letzten Jagellonenkönigs, Sigismund August, 1572, wurde Polen ein Wahlreich. Sein erster Wahlkönig war Heinrich von Anjou, dessen Legitimation war — die sechs Monate zuvor von ihm angezettelte Bartholomäusnacht. Vier Monate nach der Krönung flüchtete er nach Frankreich zurück. Nun folgten ein Ungar, Stephan Bathory, ein Schwede', Sigis mund Ul., unter dessen 45jähriger, ultrakatholischer Regie rung die Türken die Moldau losrissen, Gustav Adolf und die Schweden aber Lievland, Kurland und einen Theil von Preußen. Nach Sigismund's Tode maßte sich, der habgierige Adel immer größere Rechte an und wählte die meistbietenden Ausländer. Selt 1652 wurde das liberum velo: das Recht jedes Einzelnen durch seinen Widerspruch die Beschlüsse dec Uebrigen zu hinter treiben, ein Recht, das den Widersprechenden zum Tyrannen der Anderen erhob, staatsrechtliches Grundgesetz in Polen. Die Folge war, daß kein bmdender Beschluß zu Stande kam und daß an Stelle friedlicher Unterwerfung der Minderheit unter die Mehr heit blutige Kämpfe traten, bei denen das Ausland willkommene Gelegenheit fand, sich einzumischen. Karl Gustav von Schwe den nahm 1653 Warschau ein. Auf den Krieg mit Schweden