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Wichtigkeit diesen Abend neun Uhr um eine Unterredung in ihrem Hause bitten ließ. ' ' „Sollte er Etwa- ahnen?" murmelte die Gräfin, al- sie dir Karte, welche ihr soeben überbracht worden war, bei Seite legte. ,/Abrr wik kann er wissen, waS in meiner Seele vorgeht . . . Btrmag er Geheimnisse zu errathen? . . . Bah, waS wird e- srin— eine jener AlltagSgeschichten: Viel Lärm um Nichts!" E- dunkelte bereit-, al- dieser Monolog gehalten wurde; kurz darauf trat Hohenthurm, erhitzt und mit Staub bedeckt, herein. „Schon zurück?" fragte Frau von Wolkenstein. „Bin ich nicht gut geritten? — Drei Stunden in Einer Stunde —" „Haben Sie Morrion gesprochen?" „Er erwartet seinen Besuch und hat für denselben Num mer 16 einrichten lassen." „Aber nur für zwei Tage," fügte die Gräfin hinzu. „Sie muß fort nach Paris und dort im Kloster der „grauen Schwestern" untergebracht werden. Wer wird sie begleiten?" „Die Geliebte des Arztes, Mademoiselle Hortense. « „Gut. Die falschen Papiere werde ich Morrion persönlich einhändigen; er selbst soll ein ärztliches Attest unter anderem Namen beifügen. So gehen wir sicher. Leontine wird dann angeblich auf Befehl ihres Vaters im Kloster zurückgehalten und nach dem beiliegenden Zeugniß des Doctors von den frommen Schwestern als geistesschwach angesehen werden." „Wir müssen jetzt nur noch überlegen, wie das junge Mäd chen am besten zu entführen ist, ohne daß es Aufsehen erregt," bemerkte Hohenthurm. „Darüber zerbreche ich mir eben den Kops," erwiderte die Gräfin. „Was mich stutzig macht, ist, daß sich ihr Vater bei mir für heute Abend neun Uhr durch diese Karte hat anmel den lassen." „Im Gegentheil," rief der Verbündete, „ich betrachte dies als einen glücklichen Zufall. Auch der Major kehrt erst morgen in die Residenz zurück. Warten Sie doch; da taucht ein Ge danke bei mir auf! . . . Herrlich! Herrlich!" rief der Spieler, „der Schlüssel zur Lösung des Räthsels ist gefunden; der Va ter hat uns selbst die Tochter in die Hände geliefert!" „Wäre eS möglich?" „Gewiß. Händigen Sie mir nur die Karte des Indiers ein, und ich stehe für das Gelingen der Entführung." Der Baron trat mit Eug^me an's Fenster und flüsterte mit ihr einige Minuten leise. Das Gesicht der Letzteren hellte fich immer mehr auf und zuletzt strahlte es vor diabolischer Freude. „Sie haben heute Ihr Meisterstück gemacht," sagte sie zu ihrem Genossen, „und ich bitte Ihnen hiermit alles Unrecht, wa- ich Ihnen gethan, ab. Aber jetzt eilen sie. Gerade, wenn der" Vater sich hierher begiebt, muß unser Plan ausgeführt werden." „Wir haben Zeit. Der Indier wird uns nicht stören. Er beliebt fich regelmäßig um acht Uhr nach dem Klubb; von dort wtrd er zu Ihnen gehen." „Und mich nicht antreffen," fügte die Gräfin hinzu, „in einer halben Stunde befinde ich mich bereits auf dem Wege nach meinem Gute." ' „Schön. Dort werde ich Ihnen dann Bericht abstatten." ' (Fortsetzung folgt.) — Die polnische Frage. Die bedeutungsvollste und schwerste politische Frage dieses Jahre- ist die polnische, die nun schon sechs Monate hindurch die Aufmerksamkeit Europa - fesselt. Der polnische Aufstand, der fich an die grausame Rekrutenaushebung knüpfte, und dem nach russischer Auffassung diese zuvorkommen sollte, hat schon durch die Nachhaltigkeit seiner Dauer, mehr aber noch durch die daran fich knüpfenden diplomatischen Verhandlungen und Com binationen Anspruch auf allgemeine Theilnahme. Die Begei sterung und patriotische Hingebung der Polen ist, welchen Stand punkt man auch immer zur Frage einnehme, im höchsten Grade bevundernswerch und rühmlich, und steht den Großthaten patrio ¬ tischer Erhebung, welche die Geschichte verzeichnet hat, in nichttz ltach. Ist es auch noch zu keiner großen offenen Schlacht ge kommen, in welcher die Massenhaftigkeit und bessere Bewaffnung ...... „ Bewaffnung der Russen den Sieg davon tragen würde, so haben doch die Insurgenten durch das, worin sie stark find, durch die kleinen, an vielen Punkten gleichzeitig erfolgenden Scharmützel ihren Heldenmuth bewährt und günstige Chancen sich errungen. Das Bewundernswertheste aber ist die innere Organisation des gehei men Revolutionscomitv, die Autorität und unbedingte Nach achtung, die er findet, trotzdem er fich in das strengste Geheim niß ru hüllen weiß. Iw Warschau regiert factisch nicht das russisch-polnische Gouvernement, sondern die revolutionäre Natio- nalregierung. JeneS officielle Gouvernement ertheilt Befehle, diese revolutionäre Regierung verbietet, ihnen nachzukommen — und die Bevölkerung gehorcht dieser revolutionären Regierung, die ihren Verboten strenge Strafen, den Strafen schnelle Voll ziehung folgen läßt. Die geheime Regierung schreibt Steuern aus, bedeutende, und sie werden pünktlich erlegt; sie verbietet Reisen in's Ausland, und man sucht dies gefürchtete Verbot durch Dispensationssteuern aufzuheben. Die Revolutionsregierung verbietet einem Kaufmanne die Erfüllung eines mit der Regie rung abgeschlossenen Liefercontracts und der Kaufmann beeilt sich, der Nationalregierung zu erwidern, wie nachtheilig ihm diese Auslösung wäre, wie er aber gern bereit sei, die Hälfte seines Gewinnes der Nationalregierung zufließen zu lassen. Ein polnischer Schriftsteller, der im russischen Sinne geschrieben, wird von der Nationalregierung zum Tode verurtheilt und meuchlings getMet. Die officielle Regierung bietet seiner Wittwe eine Pension, die Nationalregierung verbietet ihr dir Annahme — und sie lehnt sie ab. Solche Züge beweisen, welche Macht, welch ein Schreckensregiment die Natioualregierung entfaltet, deren Mitglieder nicht genannt werden, aber ohne Zweifel auch in den bisherigen officiellen Regierungskreisen zu suchen sind. Die Nationalregierung war und ist stets zu genau von allem unterrichtet, was jene officielle Regierung vorhat, als daß nicht Mitglieder derselben auch zu ihr gehören sollten. In Petersburg hat man selbst auf Wielopolski, der allgemein als Vertretet der bisherigen russisch-polnischen officiellen Politik gilt, in dieser Richtung Verdacht und General Berg, der nunmehrige Militär- gouverneur in Warschau, hat dem Großfürststatthalter erklärt, sie Beide seien die Einzigen, auf die kein Verdacht der Theilnahme an der Nationalregierung falle, denen diese unbekannt sei. Infolge dicheS Mißtrauens gegen sämmtliche Civilbehörden sind denn neuerdings auch diese aufgelöst und durch russisches Militär ergänzt und ersetzt worden und wie dieses in Polen haust, davon geben die Zeitungen täglich haarsträubende Berichte. Am Tollsten treibt eS General Murawiew in Witna, ein greiser, kranker, finsterer Kriegsmann, der Hine Schonung kennt und mit wahr haft tartariscyer Grausamkett auftritt. Die Hinrichtungen sind unter ihm auf die Tagesordnung gekommen. Natürlich fehlt es auch auf Seiten der Insurgenten nicht an Grausamkeiten, Er mordungen angeblicher oder wirklicher Spione und Verheerungen. Die Opfer, die dieser Aufstand dem Lande kostet, sind unermeß lich, daS Blutbad, das er angerichtet hat, ein fürchterliches. Aber mit immer erneuter Kühnheit schreiten die Polen zum Kampfe. Daß die europäischen Großmächte sich in diesen Kampf mengen, daß sie zu Gunsten Polens interveniren, ist nn höchsten Grade zu billigen. Denn Rußland gegenüber sind die Polen im Recht und so lange es noch Polen geben wird, so lange werden sie blutigen Protest erheben gegen das LooS, das ihnen seit 1830 in Rußland beschieden ist. Aber die Art, wie sich die Diplomatie dieser Frage bemächtigt, erinnert mehr an die Thätigkeit eines Naturforschers, der nnt der Loupe vor dem Auge die Leiden und Todeszuckungen eines Thieres ansieht, als an die Thätigkeit des Arztes, der rasch Hülfe bringt. Die Geschichte der Intervention ist bekannt genug. Ihhr Verdienst gebührt, wie vielleicht noch so manches andere, das m der Geschichte verborgnem Schooße ruht, Herrn v. Bismarck. Die geistvolle Idee, eine Convention mit Rußland zu Schutz und Trutz gegen Polen abzuschließen, ebnete LouiS Napoleon die Bahn zum Handeln. Er konnte dabei zwei Fliegen mit einem Schlage tödten, auf Rußland schlagen und Preußen treffen. Eng-