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„Wenn Du wieder zur Kirche kommst," fuhr Grethchen fort, „so stellst' Dich beim Kanzelvfeiler rechter Hand, wo der Oel- müller seinen Platz hat; da rann ich Dich schauen, ohne daß eS -uffällt — und Du mich auch." Stephan lebte im dritten Himmel. Er schaute in das Blumen licht der schönen Augen, aus welchen das selige Geständniß der Liebe leuchtete. Margarethe, nachdem sie sich von Neuem umge sehen, ob kein Lauscher in der Nähe, hatte jetzt noch Vielerlei zu fragen und Stephan, den heute die Zeit nicht drängte, wandelte himmelselig an ihrer Seite eine lange Strecke zurück. Nachdem er auf Verschiedenes gewiffentlich Auskunft gegeben, drückte auch ihm eine Frage das Herz fast ab. Wie sehr er von der Ueber- zeugung durchdrungen war, daß der GeburtstaaSstrauß vom schwarzen Conrad herrühre, wollte er doch, es koste, was es wolle, Gewißheit aus ihrem Munde haben. Er faßte sich daher ein Herz. „Grethel," begann er stockend, „aber Du mußt's nicht bös nehmen, ich hätt' auch eine rechte Frag' an Dich." „Na, da frag?" „Hast' mir nicht am letzten Geburtstag ein Sträußel aufs Fenster gelegt?" Das Mädchen blickte verwundert und fragend auf, dann er widerte eS traurig und kopfschüttelnd: „Das ging vorm Jahre noch — aber Heuer, wo mir der Vater auf Schritt und Tritt nachfleht — auch war ich den Tag vor und an Deinem Ge burtstag bei der Pathe in der Stadt." Stephan mußte fich Mühe geben, seine innere Bewegung zu verbergen und sagte daher so gleichgültig wie er vermochte: „Da ist'S mein Mütterle g'wesen, die mir hat ein' Freud' machen wollen." Zugleich fuhr er fort: „Hast' nicht gehört, ob der Conrad bald wieder kommt? Dein Vater ist mit dem Alten gut Freund." Unmuthig über diese Frage antwortete Grethchen: „Was weist ich, was kümmert mich der Conrad?" „Ich wünscht' er käm' recht bald —." Margarethe, die diese Worte für Spott nahm, schaute ernst und strafend auf: „WaS schwätzest Du? Willst mich auch kränken?" „Das verhüt' der grundgütige Gott," betheuerte Stephan, „daß ich Dich kränken sollt', 's war so ein Gedanke, weiß selbst nicht wie er kam." Ein in der Ferne vernehmbares Frachtfuhrwerk machte der Unterredung ein Ende. Margarethe, die mit ihren scharfen Augen das Geschirr erkannte, sagte: 's ist der Krausen-August, der in Ringethal Kohlen geladen, ich sprach ihn vorhin. Der darf uns hier nicht sehen. Da giebt's Gered'. Schleich' Dich in den Wald, ich geh' meines Wegs. Geh' mit Gott, Stephan." Damit reichte sie ihm rhre Hand zum Abschied, die Stephan von Neuem an's Herz drückte. Das Mqdchen, überwältigt von ihrem Gefühl, sagte in seltsam wehmüthigem Tone: „Ach, wenn ich doch recht, recht arm wäre." „Wie sprichst Du, Grethel?" „Ich meint', daß wir uns da nicht so weit auseinander stünden." „Mein gutes, liebes Grethel!" rief der überglückliche Bursche, der den Sinn der Rede nur zu gut verstanden hatte, und strich mit der Hand leise über die Augen deS Mädchens, wo eine Lhräne hervorgetreten war — „sieh, mein Grethel, der liebe Gott hat's einmal nicht anders haben wollen, der muß eS doch besser wisst n, wie s gut ist. Sieh', ich bin schon seelen vergnügt, wenn ich Dich manchmal Sonntags in der Kirch' schauen darf. Wenn auch Dein Vater nicht will,, daß wir zusammen kommen — daß wir uns schau'n in der Kirch', da hat der liebe Gott gewiß nichts dawider." Das Fuhrwerk kam näher. Noch ein Händedruck und Stephan Verschwand im nahen Unterholz, während Margarethe, sich wieder holt umschauend, ihren Weg nach Erlau fortsetzte. . Diese unverhoffte Unterredung, welche Beiden wie ein Ge schenk deS Himmels erschien, war ein Sonnenblick in ihrem bis her so getrübten Leben. Ein Brief aus Amerika. Stephan, dessen stille Liebe zu Margarethe seinem väterlichen Freunde, dem Baron, längst kein Geheimniß mehr war, hielt es für seine Pflicht, seinen Wohlthäter auch von der Begegnung im Walde und dem Geständniß des Mädchens, daß der Strauß nicht von ihm herrühre, in Kenntniß zu setzen. Der Verdacht gegen Conrad ward dadurch nur um so größer, doch nahm auch hier wieder der Gutsherr Gelegenheit, Stephan vor der . Hand noch ein fortgesetztes Schweigen zur unerläßlichen Pflicht zu machen. Der Winter kam. Mehr und mehr trat der Mord im Friede walde in den Hintergrund der Vergessenheit, und auch vom schwarzen Conrad, da er nichts von sich vernehmen ließ, war so gut wie keine Rede mehr. In das eintönige Dorfleben brachte blos das Weihnachtsfest einige Bewegung. Namentlich gab es viel zu reden, daß dies mal auch Stephan und seine Mutter auf das Schloß geladen worden, wo sie eine sehr reichliche Bescheerung vorfanden, wa- früher nicht der Kall gewesen war. Herr von Steinau hatte es, seit er Stephan näher kennen gelernt, am heiligen Abende sonst mit einigen Kleinigkeiten bewenden lassen, die er durch einen Diener in dessen Wohnung schickte. Das Jahr ging zu Ende und auch die beiden ersten Monate des folgenden verliefen in derselben Einförmigkeit. Kein Ereigniß von irgend welcher Bedeutung bewegte die Gemüther. Da — es war in den ersten Tagen , des März — durch lief plötzlich das Gerücht das Dorf: der schwarze Konrad habe auS Amerika geschrieben. Bald war auch der Inhalt des Briefes kein Geheimniß mehr. Er lautete für den Absender außerordent lich günstig. Konrad hatte daS kleine Kapital, welches ihm sein Vater mitgegeben, so günstig angelegt und damit so glücklich spekulirt, daß er im Verlauf von einem halben Jahre zum wohl habenden Manne geworden. Er hatte darum auch seinen früheren Vorsatz, in Kalifornien Gold zu graben, aufgegeben und stand im Begriff mit dem Erworbenen in die Heimath zurückzukehren, um sich daselbst ein mäßiges Gut zu kaufen oder ein größeres zu pachten. Binnen ungefähr sechs Wochen hatte er seine Ankunft ln Aussicht gestellt. Die Stimmung, die durch Conrad's Brief unter den Dorfbewohnern hervorgebracht worden, war anfänglich eine ziemlich getheilte. Während Viele den bisherigen Taugenichts wegen seines fabelhaften Glückes beneideten, bereuten Andere, nicht auch einen lukrativen Abstecher nach Amerika gewagt zu haben, und wieder Andere fürchteten, daß der schwarze Conrad, zumal er jetzt wohlhabend geworden, sein früheres wüstes Leben nur in um so größerem Maße fortsetzen werde. Seiner Ankunft ward daher mchr eben mit freudigem Gefühle entgegen gesehen, «eil . man aus Erfahrung wußte, daß Niemand vor seinen heimtückischen Streichen sicher war. Auch die armen Schwalben bedauerte man, daß der Schwalbentödter wiederkomme, welchen Titel Conrad bereits früher erhalten, da eS bekanntlich zu seinen LieblingSbe- lustigungen gehörte, diese friedlichen Thierchen im Fluge zu schießen. Am schmerzlichsten aber war die in Aussicht gestellte Rückkehr des schwarzen Conrad unstreitig für die arme Margarethe. Das Mädchen gedachte mit Schrecken der peinlichen Stunden, die ihm durch die unerträglichen Huldigungen eines ihr in tiefster Seele verhaßten Menschen bevorstanden; zumal jetzt, wo er als wohl habender Mann auftreten konnte. Ihr heißer Wünsch war daher immer gewesen, daß er nimmer in die Heimath zurückkehren möge. Sie begriff aber auch gar nicht, wie den nächsten Sonntag der Stephan in der Kirche so Wohlgemuth, ja, wenn sie nicht Alle- täuschte, sogar heiter d'reinschauen konnte, da er doch wissen mußte, daß in dem schwarzen Conrad auch ihm ein gefährlicher Feind zurückkehre. Nur vier Personen waren eS, die mit großer Befriedigung Conrad's Ankunft entgegen sahen. DaS waren erstens sein Vater, der alte Striegler, welcher in der frohen Hoffnung lebte, daß sein Sohn, nachdem er zu so ansehnlichem Vermögen gelangt, sein frühere- unstäteS und wüste- Leben aufgebin und an der Seite eines ersehnten WeibeS ein anderer Mensch werden würde, alsdann der Adlerwirth, der in dem Heimkehrenden einen wohlhabenden Schwiegersohn begrüßte, und endlich Herr von Steinau und Stephan,