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ohne Vorsicht, damit der Baron nicht etwa Wind davon erhält. ES ist himmelschreiend!" Aber welche Mühe man sich auch gab, durch verfängliche Fragen und Quälereien aller Art dem Gefangenen Bekenntnisse zu entlocken, blieb er doch fest dabei, das betreffende Tuch auf dem Wege nach der Haidemühle bei einer steinernen Bank ge funden zu haben. Auf die Frage, warum er dasselbe nicht so fort an Gerichtsstelle abgegeben, wie das Gesetz vorschreibe, ent schuldigte er sich mit Unkenntniß dieses Gesetzes. Ferner: Warum er mit dem Tuche.so geheim gethan, daß selbst seine Mutter nichts davon erfahren? sagte er: Weil ich befürchtete, es könne der Verdacht entstehen, als habe ich das Tuch auf widerrechtliche Weise an mich gebracht. Und wenn man Stephan torquirt und mit dem Tode bedroht hätte, er würde nimmer verrathen haben, daß es Margarethe gewesen, die zu seinem Geburtstage das Luch auf das Fensterbret gelegt. Darum konnte er auch nun und nimmer glauben, wie oft man es ihm auch vorhielt, daß dieses Tuch, das er so heilig gehalten, Eigenthum des ermordeten Kaufmanns sein könne. Das Häuslein der Wittwe Gertrud war wiederholt auf das Schärfste durchsucht worden. Vom Keller bis zum Dache hatte man jeden Winkel durchspäht, selbst die Dielen hatte man auf gerissen und Garten und Laube blieben nicht verschont, aber nicht ein einziger verdächtigender Gegenstand hatte sich vorgefunden. Mutter Gertrud selbst war bereits nach dem dritten Verhöre, das trotz aller Bemühungen Neidhardt's auch nicht einen Schatten von Verdacht auf die alte Frau zu bringen vermochte, ihrer Hast entlassen worden. Nachdem sich Hilsebein überzeugt, daß auf dem Wege der Strenge und Brutalität dem Stephan nicht beizukommen, schlug er den entgegengesetzten Weg ein, machte dem Gefangenen güt liche Vorstellungen, gab ihm sein eigenes Beste zu bedenken und legte sich endlich selbst aufs Bitten. „Erwägt wohl, Stephan," begann er in mildem Tone, daß, so Ihr dem Gerichte reinen Wein einschenkt und offen bekennt, durch wen oder von wem Ihr das Tuch erhalten — denn daß Ihr es einfach gefunden haben wollt, glauben wir Euch doch nicht, weil das eine zu gewöhnliche Ausrede ist — welchen Dienst Ihr dadurch nicht blos Euch, Eurer alten Mutter, dem Ge richte, ja allen Euren Mitmenschen erzeigt. Der Herr Doctor, wie auch ich, halten Euch nicht selbst für den Mörder, aber durch Euer offenes Geständniß könnte es doch vielleicht gelingen, ihm auf die Spur zu kommen. Bedenkt ferner, welche Belohnung Euch in Aussicht gestellt ist, falls es durch Eure Beihülfe ermög licht wird, den oder die Bösewichter zu entdecken und zur ge rechten Strafe zu ziehen." Stephan blieb indeß standhaft bei seiner Aussage, das Tuch auf dem Wege nach der Haidemühle gefunden zu haben. Der Frohn wollte verzweifeln und stand schon im Begriff in den alten rauhen Ton zurückzufallen, als ihn ein Gedanke zwang, womöglich noch milder aufzutreten. Er entsann sich der zärtlichen Theilnahme, die Stephan für seine Mutter empfand; er wußte, daß den Gefangenen die jetzige Lage der alten Frau mehr schmerze, als das elgene Gefängnißleiden. Darauf baute Hilsebein seinen Plan und begann wie von ungefähr: „Gestern," begann er, „sprach ich auch Eure Mutter, Stephan; mein Gott, hat sich die arme Frau in der kurzen Zeit verändert. Sie ist kaum wiederzuerkennen, so sehr haben Kummer.und Herzeleid sie mitgenommen. Ich fürchte, wenn nicht bald eine Aenderung in Eurem Schicksal eintritt, geht sie ein." Stephan bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Der Frohn fuhr fort: „Ach, schluchzte sie, wenn nur der liebe Gott das Einzigemal meinem Sohn den guten Gedanken eingäbe, daß er eingestände, wo er das unglückselige Tuch herhat. Daß er auf keine schlechte Weise dazu gekommen, weiß ich, da kenne ich den Stephan zu gut; aber blos gefunden hat er es auch nicht, da wäre ich sicher die erste gewesen, welcher er es vorgezeigt hätte." Der Stoß war gut berechnet. In Stephan's Herzen kämpfte eS. Gleichwohl bezwang er sich und verrieth Margarethe nicht. „Gott, der Allerbarmer, stärke meine arme Mutter," seufzte N qus tiefster Seeke, „aber ich kann nicht anders." - Als auch dieser letzte Versuch, chen Gefangenen zu einem er wünschten Geständniß zu bringen, gescheitert war, legte der Krohn mit stillem Ingrimm ihm wieder die Fesseln an, die er ihm zu vor abgenommen hatte. Ein neues Jndicium. „Sag' mir Christlieb," frug Frau Marthe, eine Nachbarin Stephan's, ihren Mann, „was Dir seit gestern im Kopfe herum geht. Du mußt was haben. Theil' mir's doch mit, mir, Deiner Frau/' , Es währte eine ziemliche Pause, ehe sich Christlieb zu einer Antwort bequemte. Endlich, seine Pfeife ausklopfend, sagte er: „Hm, 's ist eine curiose Geschichte." - . „Was für eine Geschichte?" frug Frau Marthe. „Ich denk' mir, der Stephan ist nicht so gar unschuldig, wie wir glauben." „Was schwatzest Du?" „Red' was Du willst, ich weiß, was ich weiß." „Was weißt Du denn?" „Der Stephan ist während der bösen Geschichte im Friede walde ein paar Nächte nicht zu Hause gewesen. Ich kann mir im Kopf nicht gleich die Tage zurechtlegen, aber ich meine, es stimmt." „Wenn er nicht zu Hause war, wo sollte er da gewesen sein?" „Das ist's eben, was mir nicht zu Kopfe will." Christlieb theilte nun seiner Frau mit, daß er zur Zeit der Mordthat heftig an Zahnweh gelitten, daß er es im Bett nicht habe aushalten können und verschiedene Male aufgestanden sei, um einen Bittern auf den Zahn zu nehmen. Da habe er zwei mal gesehen, wie der Stephan früh vier Uhr nach Hause ge kommen. „Und gerade um die Zeit, wo der Kaufmann erschossen wurde?" frug die Frau. „Laß mich nur — ich hab' schon gerechnet. Es paßt." „Früh um Vier?" „Ja, der Hammer auf dem Thurm mochte eben ausgehoben haben." „Hat vielleicht einen Frühspaziergang gemacht?" „Es war regnerisch, da macht man keinen Frühspaziergang." „Und das ist Dir jetzt erst eingefallen?" „Weil der Doctor erpreß bekannt gemacht hat, auf Alles zu halten und zur Anzeige zu bringen, wo der Stephan zu jener Zeit gesehen worden und was er vorgenommen. Da ist mir obendrein eingefallen, daß Abends zuvor sein Licht nicht brannte, wie man gewöhnt war, da er tief in die Nacht Schreiberei trieb für den gnädigen Herrn." „Und dies willst Du Alles zur Anzeige bringen bei Gericht?" „Das ist's ja, was mich preßt," meinte Christlieb. „Der Doctor," fuhr er fort, „hat es sogar zur Pflicht gemacht gegen König und Vaterland, daß man sagen soll, was man weiß; sonst stünd' Strafe d'rauf." „Je nun," versetzte Frau Marthe, „wenn es die Sache ein mal so mit sich bringt und das Gericht es so haben will, theis es dem Hilsebein mit, was Du gesehen. Er kommt eben die Straße daher. Wirst Dich nicht in Strafe bringen wollen, wenn es heraus kommt, daß Du nichts ausgesagt." Gleichsam zu ihrer Rechtfertigung setzte sie hinzu: „Hat der Stephan keine Schuld, wie ich fest glaube, und ein gutes Gewissen, so kann ihm Deine Aussage nichts schaden. Vielleicht schickt es sich, daß sie ihm nützt, er wird sich 'rausreden." Der Frohn Hilsebein ging jetzt unter den Fenstern vorüber. „Auf ein Wort, Hilsebein," sagte Marthe das Fenster öffnend. Gleich darauf trat der Gerufene in die Stube. Das Alibi. Kaum hatte der Frohn von Christlieb vernommen) daß Stephan die verhängnißvolle Nacht außerm Hause zugebracht, als er auf Sturmesflügeln. züm Doctor Neidhardt eilte, diesem die neue wichtige Entdeckung mitzutheilen. Letzterer geriety von Neuem in Aufregung, und die beiden Männer lebten jetzt der festen Ueberzeugung, daß man der Entdeckung des Verbrechens um ein Bedeutendes näher gerückt sei. Wenn man sich auch