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Sächsischer Landes-Anzeiger : 03.06.1886
- Erscheinungsdatum
- 1886-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188606032
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18860603
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18860603
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1886
-
Monat
1886-06
- Tag 1886-06-03
-
Monat
1886-06
-
Jahr
1886
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 03.06.1886
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Nr. 127-, — 6. Jahrgang. Die jede» Mochcniag Abends (mit dem Datum des folgenden Tages) zur Ver sendung gelangende unparteiische Zeitung „Sächsischer Landes-Anzeiger" mit dem Beiblatte- „Tägliches Unterhaltungsblatt" und dem Humor« tisch-illustr- Sonntagsblatt „Lustiges Bilderbuch" kostet monatlich nur --- 'slisteNr.Ä 60 Pfg. (Postzeitungs-PreiSÜste Nr-4633.) Tägliches Unterhaltungsblatt. Beiblatt Mm Sächsischen Lanbes-An^eiger. »Wiede'ö Verlag, Chemnitz. Jnsertionsprcis im „SSchs.LandeS-Anzeiger": Raum einer schmalen Corpuszeile lä Pfg.; Bei Wiederholung groberAnnoncen Rabatt. Bei Bestellungen von Auswärts wolle man JnsertionSbetrag (In Briefmarken) beifügen <le 8 Silben CorpuSschcift bilden ca. 1 Zeile). Dergroßen Austagewegen könnenAimoncea nur bis Vormittag angenominen werden- Berlareite Ehre. Roma» von W. Höffer. Fortsetzung. Nachdruck verboten- ,WaS hälfe eS aber auch, wen« sich der Dieb ermitteln ließe?" setzte er nach einer Pause seufzend hinzu. «Gar nichts, denn sobald die Thatsache selbst entdeckt wird, ist eS mit meiner Anstellung für immer vorbei, lind in weniger als drei Monaten hätte ich das Decket in der Tasche gehabt, hätte ich Heimchen können!" Eine längere Pause folgte diesem schmerzlichen Ausruf, rin Schweigen, dar so deutlich spricht: Jede Tröstung wäre leeres Wortgcklingel. «Glaubst Du wirklich, daß durch das Bekanntwerden der Dieb stahls Deine Carriöre ernstlich gefährdet sein könnte, Walter?" fragte der junge Arzt. «Total ruivirt! Ich bekäme die Anstellung nie, mein Bester! Ich bin ein „Springer", also den eingefleischten Bureaukraten allein schon aus diesem Grunde ein Dom im Auge — die Regierung hat hat den Leutnant, welcher Schulden halber seinen Abschied nehmen mußte den «Herrn Baron" noch dazu, ohne viele Vorreden dem Präsidenten unserer Provinz als civilversorgungSberechtigt auf den Hals gepackt, und der Postdirector erhielt die Anweisung, ihn so rasch als möglich zu placiren auf Kosten so und so vieler strebsamer Jüng linge natürlich, die seit ihrem sechSzehuten Jahre gebüffelt und gehofft haben, um «un den Aristokraten, den verhaßten «Leutnant" sich vor- angestcllt zu sehen. Dergleichen macht böses Blut; schon um meiner Turnüre, meines Namens willen hassen mich die Meisten — das alle» wäre aber noch zu ertragen", fügte er bei, «wenn nicht eben die Entdeckung deS Diebstahls ganz unbedingt zur Untersuchung führen müßte. Und was wird alsdann die Folge sein, Julius? — O, ich könnte wahnfinnig werden allein bei dem Gedanken daran! Ich habe Schulden, ich handelte leichtfinnig, meine Antecedentien scheinen nur allzu geeignet, um die Consequenz deS Diebstahls herbeizuführen! — Läßt sich das nicht etwa an den Fingern herzählen wie das Einmaleins? — Der edle Herr lebte von jeher auf großem Fuße, pflegte noble Passionen, unterschrieb Wechsel, und als die gewöhnten kleinen Mittelchen nicht mehr verfingen, da genirte eS ihn auch keineswegs, die Banknoten, wo er sie fand, mit gewohnter Eleganz in das Portefeuille zu verfügen." Der Postbeamte war aufgesprungen, zitternd, aschbleich; große Thränen liefen über sein zuckendes Gesicht berab. «Hörst Du das Geheul, Julius? — Ich sage Dir, so kommt es, so muß es kommen, nnd dann —" Doctvr Hartmann legte beruhigend die Hand auf den Arm des Erregten. «Sill, Walter!" sagte er. „Du übertreibst." Aber trotz dieser Versicherung konnte er doch nicht umhin, di Logik des Anderen richtig zu nennen. Der Schein war gegen ihn er fühlte eS tief im erschütterten Herzen. «Aber wie in aller Welt wäre das Fehlende herbeizuschaffen?" fragte er nach längerer Pause. «Ich habe es nicht — das weißt Du." Der Postbeamte schüttelte den Kopf. «Es giebt unter meinen sämmtlichen College» nur einen, dem ich ohne Furcht vor Berrath das unselige Beheimniß anvertrauen dürfte", versetzte er mit unsicherer Stimme, noch ganz beherrscht von der furchtbare» Auflegung jenes Gedankens. «Nur einen, und der versieht heute für mich den Dienst — morgen Mittag muß ich einem Höfliche Leute. Tine kulturgeschichtliche Plauderei von Pederzani-Weber. Nachdruck verboten. Was ist Höflichkeit? Diese Frage hat di« Denker aller Jahr hunderte z« allerlei geistreichen, bunten Gedanken angeregt. Und am zutreffendsten schildert wohl der Philosoph Schopenhauer ihr Wese«, wenn er sagt: „Höflichkeit ist Klugheit. Wie das Wachs, von Natur hart und spröde, durch ein wenig Wärme so geschmeidig wird, daß es jede beliebige Gestalt annimmt, so kann man selbst störrische und feindselige Menschen durch etwas Höflichkeit biegsam und gefällig wachen. Somit ist die Höflichkeit dem Mensche«, was die Wärme dem Wachs . . . Unhöflichkeit dagegen ist — Dummheit. Sich mittelst ihrer Feinde schaffen, scheint wir ebenso als Raserei, wie wenn Jemand sein Haus in Brand steckt." »Ich gestehe «S zu", fährt der Philosoph fort, «daß die Höflich keit oft «ine schwere Aufgabe ist. Sie verlangt nämlich, daß wir unsere Achtung Menschen bezeugen, welche diese gar nicht verdienen; daß wir ihnen einen lebhaften Autheil heucheln, wo wir innerlich froh find, keinen für sie zu fühlen. Darum ist Höflichkeit, die sich Nichts vergirbt und mit Stolz vereinigt geboten wird, ein Meisterstück." Schopenhauer hat mit diesen Worte« das uralte Sprüchwort de» BolkeS: „Dem Höflichen gehört die Welt", Prächtig illustrirt. Ohne Höflichkeit giebt eS keinen geselligen Verkehr, keine Gesell schaft uud keinen Erfolg in der Welt. Da» natürliche und ursprüngliche Gefühl, das die Menschen im Kampf um dar Dasein einander eutgegrnbringe«, ist das der Ab neigung, deS Neide» und der versteckten Feindschaft. Jeder fühlt den Drang, sich vor und über Allen geltend z« machen und sein Licht in den Vordergrund zu stellen. Da» erzeugt aber Widerspruch und stört den Frieden. DI« Höflichkeit dagegen ist die Hülle, hinter der wir die Härten unserer Eigenart verbergen. Sie ist eine «zweite Auflage" der Nächstenliebe, die verhindert, daß Andere an unserem selbstsüchtigen Wesen wie au Dornenhecke» sich verletzen. Die Höflichkeit ist übrigens für den, der in Gesellschaft und Staat etwas werden will, da», wa» Segel uud Ruder für den Schiffer find. Ohne Höflichkeit giebt eS kein Borwärt-kommen in der Welt. Die» ist auch die Ueberzeuguug de» große« Cicero gewesen: «In meine» recht harten Kämpfen", schrieb er, «habe ich einen großen Theil de» glücklichen Erfolges den sogenannten Tugenden zweiter Ordnung (Ivviores virtutes), der Höflichkeit, das ist dem Wunsch nnd Streben, den Leuten angenehm zu sein, zu verdanken." Heutzntage ist di« Höflichkeit eine internationale Tugend ge worden, deren Uebung un» schon ln de» Kinderschuhen so tüchtig »in gedrillt worden ist, daß wir ihre Gebräuche üben, ohne viel darüber nachzudenke». L» giebt heute viel mehr höfliche, als unhöfliche Leute; da» heißt: man grüßt nnd beschenkt sich gegenseitig mit hunderterlei Leichen der Achtung, Theilnahme und Freude, ohne sich viel oder irgend Etwa» dabei zu denken. Wir haben die Sprache «ud Gesten der Höflichkeit von unseren Vorfahren überkommen und sinnen nicht viel darüber nach, welche Bedeutung sie haben. Da» populärste Zeichen der Höflichkeit ist der Gruß, zwischen Männern de» HutabnehmenS. Bei de« Völkern der Vorzeit mußt« Ist bi» was Anderen die Kaffe überliefern — morgen Mittag, Julius! dahin da» Geld nicht zur Stelle, so bin ich verloren." Hartmann fixirte plötzlich seinen Blick. «Du hegst irgend eine Hoffnung, Waller. — Sage mir, ist es?" Drr Andere wandte sich ab. «Vielleicht «ln Verbrechen, Julius! — Ich selber kann e» kaum anders nennen; aber dcch — der gefällige Mann, welcher die tausend Thaler auf drei Monate und gegen zehn Procent Zinsen herleiht, ist bereits gefunden, nur fehlt noch der Bürge bei der Sache freilich. Wenn Du — ich nieine —" Hartmann trat zurück. «Ich, Walter?" „Du!" bestätigte der Andere. «Wenigstens giebt eS für mich nur diese einzige Hoffnung. Julius. Ich —" «Aber Mensch, die, ganze Stadt weiß, daß ich ohne Ver- mögen bin!" „Einerlei!" rief, vielleicht von diesem Schimmer einer Aussicht schon neu belebt, der junge Baron. «Es ist einerlei, Julius! Der Halsabschneider ist mit Deiner Unterschrift zufrieden, und immerhin bist Du der Erbe Deiner Tantel" «Die aber doch mit ihren fünfzig Jahren ganz gut noch leben kann, bis wir selbst das halbe Hundert zurückgelegt haben, Walter. Ueberdies existirt, wie ich bestimmt weiß, auch zur Zeit noch kein Testament, das mich zum Erben ernennt. — Es ist» wie ich Dir sage, Walter" fügte er hinzu. Der Andere sah starr hinaus auf den Hof. „In drei Monaten wäre ich angestellt", wiederholte er. „Dann könnte man schon leichter Geld erlangen — ich will mein Leben versichern. — Daß ich die Police nicht verlassen würde, traust Du mir ja zu." Hartmann ging ihm nach und legte ihm die Hand auf seine Schulter. «Walter", sagte er, «bist Du hergekommeu, um mich zu bitten?" Der Postbeamte nickte. „Ich konnte nicht anders» Julius, ich — bin verzweifelt. O bedenke eS, bedenke es — sie werden mich einen Dieb nennen!" Er warf ungestüm beide Arme um den Nacken des Freunde». «Julius, rette mich! — Ich habe als halberwachsener, junger Mensch Schulden gemacht, ich war leichtsinnig — jetzt rächt sich die Vergangenheit an meinem Leben selbst — ich kann dem schmählichen Verdacht nicht entrinnen; ich bin ein Dieb, weil eS Leute giebt, die von mir Gelder zu fordern haben I Vielleicht glaubst Du selbst —" «Unsinn, Walter, Unsinn! Du weißt, daß ich das Schlimme erst glaube, wenn eS vollständig bewiesen ist. Aber bleiben wir bei der Sache! Läßt sich annehmen, daß der betreffende Geldmann im Nothfalle prolongiren würde?" Der Baron lächelte. «Diese Sorte prolongirt bis in die Ewigkeit hinein, sobald nur die Zinsen regelmäßig bezahlt werden", versetzte er. «Hast Du denn nie mit ihren Vertretern unterhandelt, Julius?" Ein schönes Roth überflog da» Gesicht de» jungen MedicinrrS; er hob die Hand, als wolle er diesen Gedanke« zurückweisen. «Nie, Walter!" sagte er. «Auch nicht als Student? — Ich meine, daß Dir Fräulein Haberland, Deine schätzbare Taute, doch sicherlich Deinen Monats- Wechsel nicht allzu reichlich bemessen haben wird?" Hartmann lächelte «Es ging an", versetzte er ausweichend, „und überdies gab ich Stunden aller Art, aber —" der Besiegte dem Sieger zum Zeichen der Unterwerfung die Waffen, Rüstung «ud Kleider au-liefern «ud hüllenlos vor ihm erscheinen. Die Stämme an der Westküste von Amerika reißen sich noch heute die Kleider vom Leibe, wenn sie einer Standesperson oder einem Fremden begegnen. Mit diesem Zeichen will der Grüßende ansdrücken, daß er seine« Gegenüber sich als Sklaven betrachtet. Im Verlause der Zeiten begnügte« sich die höflichen Leuten damit, daß sie, statt die Kleider anszuziehen, so oft sie Jemanden begrüße» wollten, den Gürtel, der ihr« Lenden umschloß, lösten. Da auch diese Grußart zu umständlich wurde, begnügten sie später sich mit einem Griff nach der Kopfbedeckung, durch den sie diese rasch vom Haupt nah«en. Die symbolische Bedeutung eine» einfache« Gruße» mit abgezogenem Hut besagt also nicht» anderes, al»: «Ich bin Dero Sklave." Im Orient, wo da» Entblößen de» Kopfe» durch religiöse Satzungen verboten war und ist. und in Europa, wo in der zweite« Hälfte de» 17. Jahr hunderts die Perrücken in die Mode kamen, wandelte man den Gruß mittelst der Kopsbedeckung in den der Kopfneigung um. Das Winken mit dem Kopf, da» als die mindestartige Sprache der Höflichkeit erscheint, hat in kulturgeschichtlicher Beziehung eine noch seltsamere Bedeutung. Es ist nicht» als der letzte Nest jene- Akte», durch den sich der SNave, wie der Hund vor dem Herrn, der ihn Prügelt«, zu den Füßen seine» Besitzer» schmiegte und krümmte. Der berühmte Reisende Livingstone fand in Central Afrika einen Bolkrstam«, dessen Mitglieder sich, so oft sie ihm oder einem Würden- Wäger begegneten, Platt auf die Erde vor seinen Füße» Hinwarfe» und ihre Schenkel mit den Fäusten schlugen. Dieser Doppelgruß drückte sowohl die Unterwürfigkeit al- die Freude au», die der Tropen sohn über di« Begegnung empfand. Aus dem Nirderwerseu enstand da» Knieebeugen, wie eS vor zwei nnd drei Jahrhunderten im eivilifirte« Europa die Herren de» Adels vor den Königen von Frankreich uud Spanien übten, im Mittelalter beugten die Männer in Deutschland ihr« Knie« zum Gruße vor den miunighvldeu Frauen. Die Neuzeit hat diese demüthige Be- grüßung, daS Kriechen zu Füßen Derjenigen, dem «au begegnet, in ein einfaches, wehr oder minder tiefe» Neigen deS Kopfe» verwandelt. Die Völler der arischen Raffe bezeugten ihre Verehrung gegen die Begegnenden, statt durch dm Fußfall und Kniebeugen, durch de» Kuß, den sie auf Fuß und Hand drückten. Dl« Entstehung de» Kusses wird vielfach erzählt ; al» Zeichen der Begrüßung ist er der symbolische Ausdruck des Willen», einander mit Mund und Hand, Wort und Werk dienstbar zu sein. Die Araber grüßen sich heute, wie einst da» Volk J-rael mit: „8el»w slöiüum", wobei der Begrüßende, der im Rang Geringere, di« linke Hand auf dir Brust legt. Und der Gegengruß auf diese«: «Sei gegrüßt", lautet: «Llsikum es selum: Mit Dir sei Friede." Die Gleichgestellten küßten sich bei« Gruß die Waugen. Die klassischen Culturvölker, die Griechen nnd Römer, verbannten den Kuß als Zeichen der Höflichkeit aus dem öffentliche« Leben und wollten, daß er seitdem das Symbol der Liebe unter Verwandten sein solle. .Sie führten den Händedruck rin und begleiteten ihn durch ein warme»: „Odnirs" und ,,Lve" oder „V»Io" beim Abschied. Der Kuß als Grußzeichen hat sich iu de« Zeiten deS Mittel- alter» in Deutschland erhalten. Die Fra« de» Ritter» oder Bürger» empfing ihre« Gast mit dem Worte: „Willkommen" oder «Gott Huld' «Ja, ja, das gräßliche Aber! — Ich weiß eS. Natürlich könnte ich selbst, und wenn es bis zum Hungern käme, die Prolongation»- gebühren bezahlen, so viel habe ich ja — nur Dein Name —" Hartmann unterdrückte da» Widerstreben, welche» ihn innerlich beherrschte; seine HerzenSgüte verbot ihm, iu diesem kritischen Fall zuerst an sich selbst zu denken. «Gieb her!" sagte er freundlich. „Ich will dm Wechsel uutev- schreiben." Walter wurde bald roth, bald blaß. «Du guter Junge!" stammelte er. „Mein bester, einziger Freund! — O, ich will Dir ewig danken!" Er mußte da» Resultat seine» heutigen Besuche» mit ziemlicher Sicherheit vorausgesehen haben, denn das Blanquet lag bereit» auS- gefertkgt im Portefeuille, wenige Sekunden später war e» unterschriebe» und uun aus dem Nichts ein Etwas geworden — ein Etwa» sogar, das unter Umständen Leben und Tod beherrscht, da» Ehr« und Existenz im Zeitraum von Stunden ans immer vernichtet. Hartmann konnte sich beim Anblick seine» Namens auf diese« Papier doch einer leisen Beklemmung nicht erwehren. Hatte er ganz recht gehandelt? Aber doch, ja, ganz recht, indem er zunächst Mensch war und als Freund den Freund anS gefahrdrohender Situation befreite. «Nun hole Dir da» Geld!" sagte er herzlich. „Du und ich, wir tragen die Sache gemeinschaftlich und — legen vielleicht schon von heute an Groschen in ein besondere» Fach, um so die tausend Thaler zusammenzubringen." Walters Hände zitterten. «Ich sollte diesen Wechsel zerreißen und mich, anstatt Dir Ver pflichtungen aufzubürdeo, bei der Postdirection selbst denuncireu", murmelte er. „Ich habe das unverschlossene Dienstzimmer während der GeschästSstunden verlassen und so dem Diebstahl Vorschub geleistet — mein Gott, wie mich die Reue quält!" Hartmann tröstete lächelnd den Erregten und schob immer wieder in seine bitteren Selbstauklageu zurückfiel, mit Gewalt zur Thür hinan». Walter drückte ihm wohl zwanzig Mal die Hand. «Finde ich den Dieb", sagte er im Fortgehen, er soll seinen Schurkenstreich bereuen!" Der Doetor hob lächelnd den Finger. «Keine Uebereilung, Walter! Erst müßte der Verdacht durch mehr als blofe, zufällige Anwesenheit bestätigt sein." Der Postbeamte schüttelte den Kopf. «Ich bin meiner Sache jetzt, nachdem Du de« Gedanken einmal erweckt hast, vollkommen sicher!" rief er. «Blick und Stellung» die schnelle Frage nach einer unbekannten Persönlichkeit, da» sorgfältige Festhalten des Thürdrückers — Alles ist mir Beweis de» Diebstahl». Das schlaue Gesicht mit den tiefliegende« Augen lebt bi» zu de» kleinsten Einzelheiten in meinem Gedächtniß — ich finde den Patron — verlaß Dich darauf, Julius!" Noch ein kurzer, inniger Dank — dann ging er fort, und der Doctvr schloß sein Besuchzimmer. ES war wieder einmal kein Patient gekommen. Merkwürdig, daß doch auch der redlichste Eifer so oft im Leben ohne Belohuüngbleibt! Heimlich seufzend stieg er die Treppe hinauf und grüßte oben freundlich ein junges Müschen, das mit einem Korb duftender Wäsche über den Flur ging. „Soll ich Ihnen trage« helfen, Fräulein Herbst?" Die Angeredete erröthete Plötzlich. „Behüte, Herr Doc'or!" rief sie schnell. «Um deS Himmelt Willen nicht! Aber giebt es heut« keine Instrumente zu putzen?" ihn, al» er endlich fast «wahrhaftig. Euch" uud reichte ihm die Wange zum Kuß, eine Sitte, welche bei den flavlschen Völkern noch heute iu Gebrauch ist. Die Antwort war eine leicht« Kniebeuguug de» Gegrüßten, zu der er ein: «Gott Vergelt den Gruß" sprach. Die moderne Zeit hat inzwischen den «höflichen Leuten" Äne Grenze gezogen, welche den Süden vom Norden scheidet. In de» Ländern de» Orient» ist, ebenso wie im Süden, die Höflichkeit in ihren Aeußerungen noch sehr überschwänglich. Wenn sich heut« zwü Chinesen auf der Straße begegnen, so verlassen sie ihre TragseM und beginnen ein Gespräch. DI« Höflichkeit befiehlt, daß Derjenige, der zurrst grüßt, überartig und der Ander« iu seiner Antwort über« bescheiden sein muß. EI» französischer Missionär hat mir de» Inhalt eines solchen Grußduett» in folgende« Skizze mitgetheilt: Der erste Chinese: «Wie geht «» meinem berühmten uud glor reichen Freunde und Land»mann?" Der zweite Chinese: «Mei» verächtlicher Balg befindet sich durchaus nicht schlecht." Der erst« Chinese: «Wo liegt Ihr Palast?" Der zweite Chinese: «Mein Hnndeloch liegt am Kundungoplatz.» , Der erste Chinese: «Ist Ihre liebe Familie zahlreich?" Der zweite Chinese: «Ich habe fünf elende Mißgeburten i» meiner Hütte " Der erste Chinese: «Ist die Gesundheit Ihrer lieblichen nnd schönen Frau zufriedenstellend?" De» zweite Chinese: «Da» scheußliche Weib platzt vor Ge sundheit —" Im Süden von Europa, in de« romanischen Länder«, küßt heute ein höflicher Manu Fra« nnd Mädchen die Hand, zum Zeichen, daß er ihnen in Ritter- und Minnrdienst zu eigen sein will. — Im Norden von Europa dagegen erweist man sich die best« äußere Höflichkeit durch einen — kräftigen Händedruck. Der Philosoph Fenerbach nennt ihn die «Blüthe der Artigkeit" und meint, daß «der Schwerpunkt diese» Händedruckes in der — Gesinnung liege." Ei» Zeichen der Höflichkeit ist seit Jahrtansrnden unverändert geblieb« uud wird immer nnd ewig al» da» süßeste Symbol eine» höfliche» Herzen» gepriesen. SS ist die» der heimliche Gruß an» schöne« Frauenauge. Seine Sprache bedarf keiner Deutnng; er beglückt un» durch einen einzigen Blick unsäglich mehr, als alle Arußernngen da «höflichen Leute" aus der ganzen Welt. Aus «Rvnst und Le-e«. — Der litterarisch« Nachlaß Leopold v. Ranke» ist sehr umfangreich. Ende diese» Jahre» erscheint der siebent« Band der „Weltgeschichte", nach Form nnd Inhalt von Rank« allein her« rührend, uud für die nachfolgenden Bände ist so viel Material vor handen, daß ihr Erscheinen al» gesichert angesehen werde« darf. Auch sonst noch umfaßt der wissenschaftlich« Nachlaß Ranke'sch« Manuskripts deren Fertigstellung zum Druck in sichere« Händen liegt, denn vo» den gelehrten Mitarbeitern Ranke'» stand mit ihm vr. Wiedeman» seit bO Jahren in ununterbrochenem persönlichem und wissenschaftliche» Verkehr. Wiedeman« ist deshalb auch Derjenige, der die etwa 30,000 Bände umfassende Bibliothek Ranke'» gena« kennt, wa» für 'die nachfolgenden Arbeite» von besonderer Wichtigkeit ist. - Z
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