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MMWWWM Nr. 187. — 8. Jahrgang. Der jeden Wochentag Abend (mit Dawm de» folgenden Tage») zur Versendung gelangende „SlichsischcLaiides-Anzeiger" mit täglich einem besonderen Unier- baltungSblatt» und mit dem Extrabeibla:! Luftiges Bilderbuch kostet bei de» Ausgabe stellen monatlich70Psg., bei den Post-Aust. ?b Ps. (1888er Ztgs.-Preisliste Nr. Mst.) Für Abonnenten erscheint je ciunial im Jahr: Sommer-Etseiibaluifabrplanheft für Lliäii,». «inter.Eiski,bad»s,ihrvlünbest für Lachse». Mislr. Aalend» de» SSchsischen Saudboren- Illustririe-JahresbuchdtS Lander-Anzeiger». Sächsischer §>»li>cs-A«iki-kk mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen und Thüringen. Sonntag, 12. August 1888. -- >. rn^lge«l>rr«Sdrs.,eächs. S„de->«»,eierr»'r Raum einer schmalen Larvu-zeil« UiPfz. Vevonugt» Stelle (lsvalt. PetitzeileM «. BeiWiederholrmg großer Annoncen Rabats, Bei Bestellungen von Auswärt» wolle ma» Bnchbruckerri. Cliemnitz. Theaterstrab« b (Fernsprechstelle Rr. ISS). Telegr -Adr.: LandeS-Anzeiger, Thenmitz. Mit täglich einem besonderen 4. Sächsisches Allerlei - Unterbaltnngsblatt: i. Kleine Botschaft — 2. Sächsischer Grzähler — 3. Sächsische Gerichts-Zeitung 5 Iilnftrirtes Unterhaltungsblatt — 6 Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lustiges Bilderbuch. Telegraphische Nachrichten. Vom 10. August. Wien. Zum Bundcsfest des deutschen Radfahrerbundes sind Uber 1200 Theilnehmer aus dem Auslande eingetroffen. — König Milan ist von Veldes, wo er drei Wochen zu Verbleibs» beabsichtigte, bereits heute nach Toblach abgereist. Sofia. Eine Räuberbande hob bei dem Kloster von Rylo einen Photographen und seinen Gehilfen auf. Jedenfalls übertreibend, spricht man sogar von der Gefangennahme von mehr als 30 Leuten. London. Die „Morning Post" verzeichnet ein Gerücht, wo nach das Pariser konservative Komitee einen Delcgirten nach Eng land sandte, um vom Grafen von Paris Instruktionen für eine etwaige prompte Aktion in der gegenwärtigen Krise cinzuholen. Paris, 11. August 12^ Uhr. Die Generalversammlung der Unternehmer für Erd- und Pflasterarbeitcn beschloß einstimmig, den Vorschlag der städtischen Commission für Regelung der Lohnfrage zurückzuweisen und die Bcrathung der übrigen Fragen auf morgen zu verschieben. — Das „Journal officiel" veröffentlichte ein Dekret hetr. Bildung eines neuen (21). Regiments reitender Jäger. Politische Rimdschau. . Chemnitz» den 11. August. Deutsches Reich. Der Kaiser reist nicht nach dem Reichs land. Gegenüber den in der Presse verbreiteten Nachrichten über einen bevorstehenden Besuch des Kaisers in Straßburg und Metz verlautet aus bestunterrichtetcn Kreisen, daß eine derartige Absicht nicht besteht. — Wie die in Hamburg erscheinende „Reform" bestimmt er fährt, wird der Kaiser zu den Mitte Oktober gelegentlich des Zoll- anschluffes statlfindenden Eröffnungsfeierlichkeiten in Begleitung des Fürsten Bismarck in Hamburg eintreffen. Der Aufenthalt ist auf 2 Tage berechnet. — Ueber das Befinden der Kaiserin Victoria ist Freitag Vor mittag folgendes Bulletin ausgegeben: „Ihre Majestät die Kaiserin und Königin haben gestern mehrere Stunden außerhalb des Bettes zugebracht und befinden Allerhöchstsich vollkommen wohl. Die Ent wickelung des jungen Prinzen schreitet in erfreulicher Weise vor. Weitere Bulletins werden nicht ausgcgeben. gez. Olshausen. Ebmeier." — Zum Kaifermanöver wird bekanntlich auch beim 3. Armee korps eine Kavalleriedivision, wie man hört, unter dem Kommando des Kommandeurs der Reitschule in Hannover, General von Krosigk, formirt, und es werden zu diesem Zweck noch 2 Regimenter von anderen Armeekorps hcrangezvgen, nämlich das 5. Kürassier-Regiment (Garnisonen Lissa, Guhrau und Bojenowo) vom 5. Armeekorps und das 10. Hnsaren-Regiment (Garnison Stendal) vom 4. Armeekorps; beide legen den Weg nach Berlin in Tagemärschen zurück. Aus den 8 Kavallerie-Regimentern werden 3 Brigaden gebildet, und zwar die Kürajsierbrigade von Trcskoiv (Kommandeur der 5. Kavallerie brigade) aus den Kürassier-Regimentern 56, die Ulanen-Brigade Frhr. von Esebeck (Kommandeur der 6. Kavallerie-Brigade) aus de» Ulanen Regimentern 3 und 11, und die Husaren-Brigade Hann von Weyhern (Kommandeur der 7. Kavalleriebrigade, 4. Armeekorps) aus den Husaren-Regimentern 3 und 10. Die Dragoner-Regimenter 2 und 12 werden den beiden Infanteriedivisionen zugetheilt. Auch das Eisenbahnregiment wird größtentheils im Verbände des 3. Armee korps an den Manövern theilnehmen. — In Halle a. d. S. ist ein Kartell zwischen Konservativen und Nationalliberalcn noch nicht abgeschlossen worden. Es haben bisher nur Besprechungen unter den Leitern der betreffenden Wahl vereine stattgefunde», welche als Kandidaten die Herren Professor Friedberg unv den freikonservativen Oberbürgermeister a. D. von Boß in Aussicht genommen haben. In den Höllengrund. Novelle von Reinhold Ortmann. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Es war eigentlich nichts Besonders darin, nichts, das sie nicht schon früher in derselben oder in besserer Gestalt anderswo gesehen hätte, nur in der freundlichen Zusammenstellung, in der geschickten, heitere» Anordnung des Ganzen und in der blinkenden Sauberkeit, die jeden einzelnen Gegenstand auszcichncte, lag ein eigener Reiz, eine anheimelnde Traulichkeit und Wärme, die keinem einzigen der stolzen Räume in ihrem eigenen Vaterhause eigen war. Durch eine geöffnete Thür konnte die Comteffe auch einen Blick in das Nebenzimmer werfen. Sie sah nur einen großen, wenig modernen Schreibtisch und mehrere hohe, altväterische Schränke, die von oben bis unten mit Büchern gefüllt waren. Auch hier zeugte alles von promptester Ordnung, und mitten auf dem Schreibtisch stand eine große, mit Blumen gefüllte Vase, über welche eben die Sonne ein Bündel ihrer goldigen Strahlen warf. Sonst herrschte da drinnen nur eine matte, angenehme Helligkeit, denn das dichte Laubwerk einer breitästigen Kastanie wehrte dem Lichte den vollen Zutritt. „Wie hübsch ist es bei Ihnen!" konnte sich Elfriede nicht ent halte» zu sagen. „Ich bin doch zu Lebzeiten des Pastors Reichordt mehr als einmal im Pfarrhanse gewesen, aber da kam mir alles eng und niedrig und dumpfig vor. Es ist, als wenn es nicht mehr dieselben Räume wären." Ihre offene und zutrauliche Art mochte der alten Frau wohl- thnn, denn sie lächelte ein wenig geschmeichelt. „Das macht, er mußte alles von bezahlten Händen Herrichten lassen," meinlc sie. „Der Arme hatte ja niemanden um sich als eine Wirthschafterin, und wo eine Wohnung traulich und gemüthlich werden soll, da muß es die Liebe sein, welche sie geschmückt hat." „Und Sie haben Ihren Sohn gewiß sehr lieb?" Es war eine thörichte Frage, welche Elfriede selber verdroß, sobald sic sie ausgesprochen. Sie meinte, die Erinnerung an Roi den müsse ihr mit einem Mal den ganzen Zauber dieses Ortes verleiden, und doch mußte sie sich, wenn sic auirichtig sein sollte, gestehen, daß sie während all' dieser Zeit an ihn gedacht hatte. Frau Rohden aber sah sie mit einer Art von freundlichem Erstaunen an. — Aus Berliner diplomatischen Kreisen verlautet, daß die ge plante Reise des Königs von Belgien nach England einen bestimmten politischen Zweck verfolge. Man weiß, wie sehr sich der König für die mittelafrikanischen Verhältnisse inleressirt, die wesentlich durch seine Bemühungen auf der Berliner Kongokonferenz geregelt wurden. Seitdem sind in den dortigen Besitzverhältnisse» mehrfach Verschieb ungen eingetreten, die eine erneute Regelung seitens der Unterzeichner der Kongvakte wünschenswcrth erscheinen lassen. Der König beab sichtigt deshalb, bei den maßgebenden Persönlichkeiten Englands auf eine abermalige Einberufung einer afrikanischen Konferenz hinzn- wirken. Inwieweit die bethciligten Mächte bereit sind, in dieser Hinsicht entgegcnzukommcn, bleibt abzuwarten. Auch die bevorstehende Reise des deutschen Afrikareisenden Wißmann steht mit den afrika nischen Plänen des Königs von Belgien in Zusammenhang. Italien. Für Kaiser Wilhelm von Deutschland wird für dessen Besuch in Rom der Palazzo di Via venti Settembre im Ouirinal hcrgerichtet. Sein Gefolge wird in den Hotels Bristol und Ouirinal placirt. Die Stadt veranstaltet zu Ehren des Kaisers einen Empfangs abend auf dem Capitol, eine Regatta auf dem Tiber, eine Girandola auf dem Monte Pincio. Forum und Colosseum werden illuminirt. Der Kaiser besucht auch Neapel und Pompeji. Wahrscheinlich wird König Humbert schon in den nächsten Monaten den Besuch des Kaisers in Berlin erwidern. — Der „Osservatore Romano" erklärt Nach richten italienischer Blätter, der Papst sei leidend, für unbegründet. Frankreich. Das französische auswärtige Ministerium schlägt Italien gegenüber wegen der Maffauah-Affaire einen sehr gereizten Ton an, obwohl Italien in Massauah nichts Anderes verübte, als Frankreich in Tunis. Herr Goblet aber spricht folgendermaßen: „Wenn das Verfahren der italienischen Regierung, welches in dieser Angelegenheit eingeschlagen worden ist, zur einfachen Beseitigung der Kapitulationen und unserer früheren Rechte in Massauah führen sollte, so würde uns nur übrig bleiben, von der neuen Art des Vorgehens und von dem für die Zukunft aufgestellten Prinzip Akt zu nehmen, wonach die Kapitulationen mit vollem Recht und ohne Verhandlungen und ohne Einvernehmen mit de» Mächten in einem Lande, in welchem eine europäische Verwaltung eingerichtet wird, ihre Wirksamkeit verlieren. Wir haben das römische Kabinct hiervon benachrichtigt und behalten uns vor, daraus diejenigen Konsequenzen zu ziehen, welche uns unser Interesse in solchen Gebieten, wo wir uns auf Grund regelrechter Erwerbstitel festgesetzt haben, vorschreiben wird." Mit den „regelrechten Erwerbstiteln" Frankreichs sicht es denn doch verzweifelt windig ans. — Die Streikunruhen gehen zu Ende. Das energische Auftreten der Pvlizei und die Verhaftung mehrerer Anarchistcn-Agitatvren haben gewirkt. Die Erdarbeiter scheinen des Streikes immer überdrüssiger, und auch aus der Provinz lauten die Nachrichten beruhigend. Es ist kein Zweifel, daß einige Hauptwühler, nm das Ansehen der Regierung zn schädigen, aus bvttlangistischen und bonapartistische» Fonds mit Geld versehen sind. Das am Donnerstag verschlossene Thor der Arbeitsbörse in Paris ist Freitag wieder geöffnet, ebenso die Bareans; der Versammlungs saal bleibt geschlossen und wird militärisch bewacht. Hin und wider gab es in den Straßen noch einige» Spektakel, aber die rücksichtslose Energie der Polizei vertrieb die Excedenten bald. Ein Thcil der Erdarbeiter arbeitet wieder. 15 Streikende, darunter zwei Belgier und ein Deutscher, wurden zu Gefängnißstrafen von zwei Wochen bis zu zwei Monaten verurtheilt. — In Tvnkin soll ein Mobilisirnngs- versnch der Flotte vom 20. bis 30. August vorgenommen werden. — In Bac-Nin in Toiikin ist ein bedenklicher Aufstand der Ein geborenen ausgcbrochen. Drei französische Militärposten sind von den Rebellen anfgehobcn. England. Von den Flottenmanövern wird berichtet, daß die Angriffsflvttc wesentliche Vvrthcile errungen hat. Wäre das Manöver Ernst gewesen, Alt-England wäre verloren. — Der Abgeordnete O'Kclly hat Wege» AufrcizungderBevölkerung 4 Mon.Gefängniß e,halten Orient. Heute Sonnabend ist cs ein Jahr, daß Prinz Ferdinand von Coburg den Boden Bulgariens betreten hat. Groß, thaten hat er allerdings nicht vollbracht, aber immenses Glück hat er gehabt. Vielleicht hält er es noch ein zweites Jahr aus. — Die Türkei macht neue Schwierigkeiten gegen die Eröffnung der Bahn strecke nach Koiistantinopel. Es wird wohl nur die serbisch-bulgarische Linie eröffnet werden. Sächsisches. — Das Ministerium des Innern giebt bekannt, daß das Reich- gcsetz über die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und fvrstwirthschaftlichcn Betrieben beschäftigten Personen gleichzeitig mit dem einschlagenden sächsischen Laudesgesetz am 1. Januar 1880 in Kraft tritt. — Heute vor 18 Jahren überschritt der größte Theil de- 12. Armeecorps nach ziemlich beschwerlichen Märschen durch die Nheinpfalz hinter dem bayrischen Dorfe Habkirchen die französische Grenze. Schon 3 Tage zuvor, am 8. August, als die sächsischen Truppen unter strömenden Regen vor Homburg bivouakirten, erließ Kaiser Wilhelm, welcher mit dem großen Hauptquartier in Homburg selbst verweilte, nachstehenden denkwürdigen Armeebefehl: „Soldaten I Die Verfolgung des nach blutigen Kämpfen zurückgcdrängten Feindes hat bereits eine» großen Theil unserer Armee über die Grenze ge führt. Mehrere Corps werden heute und morgen den französischen Boden betreten. Ich erwarte, daß die Manneszucht, durch welche ihr euch bisher ansgezeichnet habt, sich auch besonders ans feind lichem Gebiete bewähren werde. Wir führen nicht Krieg gegen die friedlichen Bewohner des Landes; es ist vielmehr die Pflicht jedes ehrliebenden Soldaten, das Privateigenthum zu schützen und nicht zn dulden, daß der gute Ruf unseres Heeres auch nur durch einzelne Beispiele von Zuchtlosigkeit angetastet werde. Ich baue auf den guten Geist, der die Armee beseelt, zugleich aber auch auf die Strenge und Umsicht aller Führer, gez. Wilhelm." — Dresden, 11. August. Kronprinz Victor Emanuel von Italien besichtigte gestern Vormittag unter Führung des Kriegs- ministers Graf v. Fabrice die Albertstadt, nachdem zuvor der Jäger kaserne ein Besuch abgestattet worden war. Der italienische Thron erbe sprach sammt seinen Begleitern, unter welchen sich auch der italienische Botschafter am Berliner Hofe, Graf Launay, befand, seine hohe Befriedigung über das Gesehene aus. Halb 10 Uhr erschien Se. Königl. Hoheit in der Kaserne des Leibgrenadier-Regiments Nr. 100 und ward Hierselbst von Prinz Georg begrüßt und nach dem hinter der Kaserne liegenden Exercierplatz geleitet, auf welchem das 1. Bataillon des vorgenannten Regiments in Parade aufgestellt worden war. Nach erfolgter Abnahme der Parade führte das Bataillon eine Reihe Detail-Exercitien, zum Theil in Feuer, aus und formirte sich zum Schluß zum Parademarsch, dessen exacte Ausführ ung der militärischen Begleitung des Kronprinzen ganz besonders zu gefallen schien. Alsdann nahm der hohe Gast die KasernementS in Augenschein. Der jugendliche Kronprinz, ebenso seine Begleitung, war in Civil erschienen und folgte mit großem Interesse den gelungenen militärischen Darbietungen. Gegen Mittag empfing Se. Königl. Hoheit im Victoriahotel den Besuch des hiesigen italienischen Bice- konsuls Arnstädt und des Secretärs Prof. Locella, sich mit den beiden Herren eingehend über die Verhältnisse der in Dresden wohnenden Italiener erkundigend. Nach Einnahme des Diners im Victoriahotel ward dem Johannen»! ein längerer Besuch zu Theil und später der Zoologische Garten mit seinem reichen Thierbestand besichtigt. — In der Nähe von Tharandt verunglückte ein 12jähriges Mädchen, indem es von einer hohen Felswand herabstürzte. Das bedauernswerthe Kind hatte mit noch einer Gespielin Beeren suchend den steilen Berg erklettert, als plötzlich beim Anfassen eines Strauches ihm eine Haselnatter in das Gesicht sprang. Erschreckt hierdurch trat „Ich habe uieinande» auf der Welt als ihn," sagte sie, „und ich wünsche mir nichts Anderes, als daß ich bis an meinen Tod bei ihm bleiben darf! All' das Edle und Gute, das ich einst in meinem Vater und meinem Gatten lieble, in ihm finde ich es ja wieder. Sein goldenes Herz ersetzt mir in meinem Atter alles, was ich mit meiner Jugend für immer verloren glaubte." Wie innig das klang, und bei aller Einfachheit wie tief und wahr empfunden! — Nun ja, sie ist seine Mutter, dachte Elfriedc, Vid er wird sich ihr gegenüber wohl von einer besseren Seite zeigen! Und laut erwiderte sie, um — wie sie meinte — das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen: „Aber im Allgemeinen fühlen Sie sich hier doch gewiß recht unbehaglich? Sie werden es ja kaum vermeiven können, mit diesen rohen Leuten ans dem Dorfe und aus der Fabrik in Berührung zu kommen?" „Ich bin von ihrer Roheit noch nie belästigt worden," sagte die alte Frau mit einem kleinen Kopfschütteln. „Und ich denke, als die Mutter ihres Pfarrers bi» ich davor auch ein für allemal ge schützt! Sie alle lieben ihn ja von Herzen, und ich bin gewiß, daß auch der Schlimmste von ihnen jederzeit zu seinem und meinem Schutze bereit sein würde!" „Sie lieben ihn?" fragte Elfriede erstaunt. „Und Pastor Neichardt sagte immer, daß er im Dünken nicht gern allein über die Dorfstraße gehen möchte!" „Wenn er das gesagt hat, liebes Kind, so ist es ein trauriges Wort aus dem Munde eines Seelsorgers. Mein Bernhard könnte jeden dieser armen Leute bitten, seinen letzten Groschen und sein letztes Stück Brod mit ihm zu theilen, und keiner würde cs ihm verweigern! Wohl sind sie auch ihm anfänglich mißtrauisch und hier und da sogar mit feindseligem Trotz entgegcngekommc», aber mit der Kraft seiner Liebe und mit der Wahrhaftigkeit seiner Worte und Thaten hat er ihr Mißtrauen besiegt und ihren Trotz gebrochen. Er hat nicht gewartet, bis sie zu ihm kamen, und ich glaube selbst, daß er da sehr lange hätte vergeblich warten können, — nein, er selber hat sie ausgesucht in ihren armen Hütte», in ihrem Elend und Unglück. Ohne sic »m ihre Einwilligung zn fragen, ist er ihr Freund geworden, ein Freund in-it Rath und That, »nd wenn es auch nicht die Art dieser Leute sein mag, mit vielen überschwänglichen Worten zn danken, so darf ich's doch mit gerechtem Stolze sagen, daß heute in ganz Rothenfeld nicht ein einziger ist, der in Noth und Bedrüng- niß seine Schritte nicht zuerst voll hoffnungsvollen Vertrauens nach dem Pfarrhanse lenkte!" Die Comteffe wurde mit einem Male sehr still. Sie schaute vor sich nieder auf die weiß gescheuerten Dielen und nur mit verschämter Scheu streifte ihr Blick noch einmal den alt modischen Schreibtisch mit der sonnenbeschienenen Blumenvase auf der abgenutzten Platte. Welch' ein rührendes Verhältniß mußte zwischen dieser Mutter und ihrem Sohne bestehen, wenn sie daran dachte, seine Arbeitsstätte mit frischen Blumen zu schmücken, und wenn ihre milden Angen so stolz aufleuchten konnten, da sie von ihm und seinem gesegneten Wirken sprach! Und auch des Pastors eigene Worte klangen in ihrem Herzen wider. „Soll ich es als den End zweck meines Daseins ansehcn, mich für die unsinnigen Launen eines Kindes zn opfern?" hatte er gesagt, als sie ihn in tollem Ucbermuth aufgesocdert, ihren Beschützer zu machen. Und sie hatte das nach allem, was ma» sie bisher über die Ritterlichkeit des Mannes gegen das Weib gelehrt, für eine Aeußcrung verächtlicher Feigheit gehalten. Ja, sie bemühte sich auch jetzt noch, es dafür zu nehmen, denn sie war ja ausgewachsen und erzogen in dieser Anschauungs weise, die selbst ihrem rauhen und in seiner Jägerleidcuschaft halb verwilderten Vater als das oberste aller Gesetze galt. AVer es regte sich doch ein mächtiger Zweifel in ihrem Herzen, ob jenes Gesetz wirklich für alle Menschen und unter allen Verhältnissen bindend sei. Hatte dieser Pfarrer nicht in Wahrheit Höheres und Besseres zu ver richten, als mit seinem eigenen Leben das eines leichtfertigen, wag halsigen Mädchens zu beschütze»? Das Blut stieg ihr heiß in die Schläfe», und der Kopf schmerzte sie von Neuem. Sie wußte nicht mehr, war es Aerger über den Pfarrer oder war cs Beschämung über ihr eigenes Beginnen, das sie empfand, — nur das Eine wußte sie, daß sie sich bedrückt, gepeinigt, unglücklich fühle, und daß sie sich am liebsten an die Brust dieser al tcn Frau geworfen hätte, um sich recht von Herzen anszuweinen Aber da rollte draußen aus dem Kieswege ein Wagen bcran und sie erkannte den gleichmäßigen Hufschlag der wohlgcjchulicn Pferde. „Das ist der Papa!" tagte sic mit einem tiefe» Anfathmcn, und sie hatte kaum ausgesprochen, als Graf Recke bereits nngestnm die Thür des Gemaches a»sriß. Sein Gesicht war gerölhct, aber als er Elsriede erblickte, blitzte die Helle Freude in seinen Augen auf. Fortsetzung folgt. Hierzu „Lustiges Bilderbuch" für die Leparat-Nbonncuteu desselben.