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Nr. 54. — 8. Jahrgang. Der jeden Wochentag Abend (mit Datum de« folgenden Tage») zur Versendung gelangende „Sächsische Landes-Anzriger" mit täglich einem besonderen Unter- baltungsblatt« und mit dem Extrabeiblatt Lustiges Bilderbuch kostet bei den Ausgabe- stellen monatlich 7V Psg., bei den Post-Anst. 75, Ps. (1888er Ztgs.-Preisliste Nr. K03L.) Für Abonnenten erscheint je einmal im Jahr: Sominer-Eiseiibahnfahrvlauheft für Suchst«. Kinter-Eisenbahnfahriiianheft für Sachsen. SSchsischer Miirs-Mkisstt mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen nn- Thüringen. Dienstag, 6. März 1888. «»zeieupreiSde« „««»s.Ätiber.st'q^Wrr Raum einer schmalen LorpuSzekle 1»Ps» Bevorzugte Stell» (Isvalt. P-titz-ile)S0 «. BeiWiederholunggräberAnnoncenRab Bei Bestellungen von Auswärts wolle ma» ZnsertionSbetrag (in Briefmarken) beifüge» ge 8 Silben EorpuSschrist bilden ca. 1 Zelle.) Annoncenannahme nur bis Vormittag. All«: MM M«, Buchdruckerei. Chemnitz. Theaterstrabe K (Fernsprech stelle Nr. ISS). Telegr -Adr.: LandeS-Anzeiger, Chemnitz. Mit täglich einem besonderen 4. Sächsisches Allerlei - Unterhaltungsblatt: i. Kleine Botschaft — 2. Sächsischer Erzähler — 3. Sächsische Gerichts-Zeitung 6. Jllnftrirtes UnterkaltnngSblatt — 6. Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lustiges Bilderbuch. Telegraphische Nachrichten. Vom 4. März. Posen. Die Bahnlinien Moskau-Warschau und Thorn-Posen find durch Schneeverwehungen gesperrt. Budapest. GrafKalnoky ist nach wiederholten Vorträgen beim Kaiser heute Abend nach Wien zurückgekchrt. Offiziös wird ver sichert, daß derzeit keinerlei Veranlassung zu weiteren Schritten des Wiener Kabinets in der bulgarischen Frage vorliege. Petersburg. Der „Grashdanin" behauptet, daß der Prinz Ferdinand von Koburg die Absicht hege, behufs Umstimmung Ruß lands zum orthodoxen griechisch-katholischen Glauben überzutreten; Rußland würde ihn trotzdem niemals anerkennen, da der Prinz in Wirklichkeit Bulgarien die Union bringen und cs dem Papst unter werfen wolle. — Der Finanzkrnch wendet das öffentliche Interesse von der Bnlgarenfrage ab. Die Blätter beschuldige» Berlin wegen dem Nubelsturz, wo der Krach aus Verdruß über die bessere Ord nung im russischen Budget inszcnirt worden sei. „Grashdanin" for dert die Moskauer Börse ans, den Rubel vollgültig anzunehmen. Das sei die einzige Antwort auf die unerhörte Frivolität der Ber liner Börse. Paris. Die hier eintreffenden Nachrichten aus San Remo lauten heute durchweg besser. Diedcutschc Kronprinzessin schickte ein Tele gramm nach London, in dem sie wörtlich sagt: „Die Hoffnung kehrt wieder! Gott sei Dank!" Der in Paris eingetroffcne Prinz von Wales äußerte hier, daß ärztliche Kunst und guie Pflege eine große Besserung herbcigeführt hätten. Seit mehreren Tagen weilt der in Paris ansässige englische Chirurg und Zahnarzt Evans beim Kron prinzen zur Untersuchung des Mundes und des stark angegriffenen Zahnfleisches. — Ans Tamatave, der Hauptstadt von Madagaskar, wird unterm 25. Februar ein großer Orkan gemeldet, der die halbe Stadt zerstörte. Elf Schiffe gingen verloren, darunter der franzö sische Kreuzer „Dayot". Zwanzig Personen sind uingekoniinen. Politische Rundschau. Chemnitz, den 5. März. Deutsches Reich. Unser Kaiser ist am Sonntag an einer leichten Erkaltung erkrankt, die zunächst aber nichts weiter auf sich hat. Der Kaiser fuhr nicht spazieren und erschien beim Vorbeimarsch der Wache auch nicht am Fenster, sondern verweilte um diese Zeit bei Ihrer Majestät der Kaiserin. Dje dichte Menschenmenge, welche sich eingefunden, zerstreute sich nach längerem Warten mit einem Hoch ans den Kaiser und den deutschen Kronprinzen. Der Monarch wird nährend der kalten Witterung das Zimmer hüten. — Ueber die so- gniannte Vertretung des Kaisers wird nun Folgendes bekannt gegeben: Als im vorigen Jahre scstgestellt war, der Kronprinz werde lange Zeit von Berlin fcrnbleiben, erließ der Kaiser im Einvernehmen mit seinem Sohne eine Ordre, nach welcher Prinz Wilhelm bei plötzlicher Verhinderung des Kaisers dringende Regicrungssachen im Aufträge des Monarchen unterzeichnen soll. Eine Vertretung, wie sie der Kronprinz zur Attcntatszeit ausgeübt, ist indessen nicht vorgesehen. — Das letzte Bulletin aus San Nemo lautet: San Remo, Sonntag, 4. März, 10 Uhr 50 Minuten Vormittags. Der Zustand Sr. K. K. Hoheit des deutschen Kronprinzen ist unverändert. Mackenzie, Schräder, Krause, Hovell, von Bergmann, Bramann. Danach nimmt also die Körperkraft immer noch langsam zu. Leider bleibt auch der Answurf unverändert, dessen Bekämpfung den Aerzten am meisten zu schaffen macht. Der Kronprinz kann sich weiter ans dem Balkon in frischer Luft bewegen. Der Husten ist jetzt ziemlich gering, der Appetit leidlich. Die Speisen bestehen in der Hauptsache immer noch in Flüssigkeiten. — Ueber Wien wird aus San Remo gemeldet, der deutsche Kronprinz werde baldmöglichst nach - Berlin resp. Potsdam zurück- Von Geschlecht zu Geschlecht. Erzählung von W. Widdern. Nachdruck verboten. Wie ein Dornröschcnschloß, verborgen unter uralten Eichen, hinter Weingeländen und üppig wucherndem Epheu, lag der Klostcrhof. Grau und ehrwürdig sah das stattliche Gebäude mit seiner breiten Front, deren hohe Bogenfenster noch kleine, in Blei gefaßte, mit nlterthüm- lichen Malereien verzierte Scheiben zeigten, auf das reizende, im dorischen Stil erbaute Palais des regierenden Fürsten. Vor Jahrhunderten war der Klostcrhof von Benediktinermönchen bewohnt gewesen. Als aber Doktor Martin Luthers Lehre auch in dem Duodezstaate, in welchem unsere Erzählung beginnt, Eingang fand und das Kloster bald darauf aufgehoben wurde, schenkte der damals regierende Fürst Hilmar der Zweite das mächtige Gebäude mit seinen trefflichen Wein- und Gartenanlagen der ältesten Adels familie seines Ländchcns. Fünf Generationen hindurch hatten denn auch die Grafen Rüle von Görgenstein bei ihren jeweiligen Besuchen an dem kleinen Fürstenhofe das ehemalige Kloster als Absteigequartier benutzt; dann aber trug man den letzten Görgenstein dieser Linie in die Ahnengruft. Sein Wappenschild lag zerschellt auf dem Pracht vollen Steinsarge, und der ungeheure Grundbesitz des uralten Namens fiel, da er Majorat war, einer Seitenlinie zu. Der Klosterhof in der Residenz aber und ein bedeutendes Baarvermögen blieben der jungen Wittwe, Frau Mathilde Rüle von Görgenstein, und ihren beiden kleinen Töchtern, der anscheinend unheilbar herzlcidenden und infolgedessen fast ganz gelähmten Brigitte und deren Schwesterchen Angelica. Die Gräfin veräußerte den alten Familienbesitz ihres verstorbenen Gatten auch nicht, als sie sich wieder, und zwar mit dem Justiz minister des Ländchens, Baron von Staaden, vermählte. Ja, als auch dieser nach kurzer Ehe durch den Tod von ihrer Seite ge rissen wurde, betrachtete sie den Klosterhof als ihre alleinige Heimath. Jahre — viele Jahre waren vergangen. DaS jüngste Töchter- chen Ihrer Excellenz zählte siebzehn Frühlinge, als das liebliche blonde Mädchen von der regierenden Frau Fürstin, welche die ver wittwete Gräfin mit ihrer besonderen Zuneigung beehrte, dazu ans ersehen wurde, unter dem Schutze der Frau Obcrhofmeisterin die Prinzessin Sylvia, das einzige Kind des regierenden Paares, auf einer Reise nach der Schweiz zu begleiten. Frau Mathilde gab nur widerstrebend ihre Einwilligung. Sie wagte nicht, da „Nein" zu sagen, wo Durchlaucht zu bitten geruhte, kehren. Bei dem jetzigen Wetter ist das jedenfalls unmöglich. Nach directer Meldung erschien der Kronprinz am Sonnabend wieder mit seiner ganzen Familie auf dem Balkon der Villa Zirio. Das All gemeinbefinden ist befriedigend. Der Kronprinz gebraucht jetzt beim Umhcrgehen meist einen Stock. Privatberichte der Blätter sagen zum Theil, die Nacht zum Sonntag sei nicht ganz so gut verlaufen, wie die zum Sonnabend, ohne daß sie aber direct schlecht gewesen wäre. Ueber die Untersuchungen des Professors Waldcyer ist Bestimmtes noch nicht bekannt Prinz Wilhelm reist Dienstag oder Mittwoch nach Berlin zurück. Am Sonntag war cs ziemlich windig, der Kronprinz dürfte an diesem Tage kaum das Zimmer verlassen habe». — Die neue Eisenbahnvorlage ist dem Bundesrath zugegangen. Sie beansprucht vom Reiche 18,148,000 Mk. zur Vervollständigung des Eisenbahnnetzes im Interesse der Landesvertheidigung. Zweite Geleise sollen hergestellt werden auf den Strecken Stargard i.P.-Rnhnow, Posen-Thorn, Schneidemühl-Bromberg-Laskowitz, Laskowitz-Jablonowo, Marienburg-Jlowo. Ferner sollen Kreuzungsgeleise hergcstellt und die Betriebs- und Lade-Einrichtungen auf verschiedenen Bahnhöfen ergänzt werden. — Ueber die noch für den Reichstag bestimmte Vorlage betr. den Ausbau strategischer Bahnen im Osten Deutschlands verlautet jetzt, daß sich der Betrag der neuen Forderung auf etwas über 25 Millionen Mark beläuft. Nahezu 18r/g Millionen sollen aus Reichs- Mitteln, der Rest von annähernd 7 Millionen von Preußen aufge bracht werden. Der Entwurf wird wohl heute Montag schon an den Reichstag kommen. — Im Reichstage hat der Abg. Kulemann folgenden Antrag eingebracht: Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regie rungen zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen eine durchgreifende Ermäßigung der Gerichtskostcn berbeigcführt wird, und mit der Revision des Gerichtskostengesetzcs zugleich die Gebühcen- Ordnung für Rechtsanwälte zu revidircn. — Das Project der Gründung einer Spiritnskommiisionsbank in Berlin hat sich in letzter Stunde abermals zerschlagen. Die Gene ralversammlung des Vereins der Spritfabrikantcn Deutschlands hat den Plan einstimmig verworfen, da er in der vorliegenden Fassung nicht geeignet sei, den gehofften Nutzen für das Spiritnsgewerbe her beizuführen. — Eine scharfe Note gegen die Schweiz bringt die „Nordd. Allg. Ztg." Während des Carncvals in Basel ist nämlich folgendes Gedicht unter dem Titel „Vive la France" vcrtheilt und laut be- klascht worden: „In China isch d'r galt Fluß dort iber d' Ufer ge loste und zwei Millionen sind derbei elendiglich versöffe. Wie mainsch, wär's nit e prächti Sach', wenn au in Ditschland so 'ne Bach mit sine Wassermaffe ecfauye tyar oie gu»z^ s-r-.ssv l- --- s>y vu.v g bunt, wie die's dort mache, es gut nit lang, so must es krache, den» aber sakremänt, isch's fertig mit dem Regimänt. D' Elsässer do im Nachbarland, die knächte sic, cs ischt e' Schand. Die Cercles, Clubs und Svcietes, die spränge sic, s' git kann meh. Und was französisch stoht am Hus, das kratze d' Schwvbe wüthig us. Statt „Coiffeur" heißt's jetzt lut Beschluß: „Haupthaar- und Läusephysikus". „Nempart des Allcmands" wird an jetzt als „Schwabenwall" dort übersetzt. Der Schnäbel,, dä Patriot, entgeht dem Kerker nur mit Noth. Si Sohn, mainaidig couraschirt, dä wird vor's Strafgericht hi citirt. Warum? Will die Beide 's Vaterland ehre und sich an die Schwabe nit groß kehre. Und mit der Gränzg'schicht isch's ganz glich, die Wächter in dem ditsche Rich, d'r Kauffma und Konsorte, die geh'» nur us uss's Morde; die schieße ibere Grenzestai trotz Völkerrecht, ganz einerlai. Isch das Kultur, wo das florirt? Ger mania, Du bisch blamirt. Wie kennt's bim Aid au anderst si, als Schurkerei und Infamie, wenn Pottchambrc und andri Knote d' Lit intrigiere no der Note; und sonige Korsorte, die trage Ehrc orde! Es geht nur no e kurzi Wil, 's brncht jetze mager nimme und das um so weniger, als sie schon einen früheren, freilich indirekt ausgesprochenen Wunsch der hohen Frau abschläglich beschicken hatte. Damals handelte es sich darum, Angelica in den unmittelbaren Dienst der Fürstin zu ziehen. In Luzern war cs nun, wo ein junger vornehmer Spanier, Al fons» Marento della Monte Barben, durch einen Zufall Anschluß an die kleine fürstliche Reisegesellschaft erhielt. Mit dem ersten Blick in die blauen Augen Angclicas hatte das Herz des jungen Süd länders Feuer gefangen. Seine vornehme, fremdländische Er scheinung aber, sein reicher Geist und eine hinreißende Liebenswürdig keit eroberten ihm auch schnell die keusche, unentwcihte Seele der jungen Deutschen, welche zum ersten Male aus der kleinen Fürsten residenz, die sie ihre Heimath nannte, in die große Welt getreten war. Mit der huldvollen Erlaubniß Prinzessin Sylvia's und der nicht ganz gern gewährte» greisen Obcrhosmeisterin, Gräfin Stahlberg, be gleitete Herr von Marento die Damen während ihrer Heimreise. In der Residenz des Dnodezländchens angekommen, machte er sofort ihrer Excellenz der Frau von Staaden seine Aufwartung, und schon nach Berlauf von wenigen Tagen bewarb sich der vornehme Spanier in aller Form um die Hand der kleinen Angelica, Comtcsse Rüle von Görgenstein. Selbst das Fürstenpaar und Prinzessin Sylvia protegirten den Fremdling, über dessen Vergangenheit und Herkunft man sich auf das Genaueste informirt hatte. So wußte Frau Mathilde keinen Grund, den Bewerber zuriickzuweisen. Alfvnso hatte ja versprochen, sich auch in Deutschland ankaufen zu wollen und nur alljährlich einige Monate auf seinen Besitzungen in Spanien zu leben. Er beabsichtigte, einen bedeutenden Grundbesitz in der Nähe der Residenz zu erwerben, jedoch erst, nachdem er ein ganzes Jahr mit seiner Gemahlin auf Reisen zugebracht haben würde. Angelica von Görgcnstein wurde seitens der vornehmen Gesell schüft viel beneidet. Sie selbst schwamm in einem Meer von Wonne; die Baronin aber erschien wie umgcwandelt; seit ihr blondes Töch terchen nicht mehr ihr allein gehörte, war es, als wenn sie von heim licher Sorge gemartert würde. So verging die kurze Zeit, welche zwischen der Verlobung und dem festgesetzten Hochzeitstage lag, unter den verschiedenartigsten Empfindungen für die Bewohner des Klostcrhofes. Marento halte seine schöne Braut inzwischen nur auf wenige Wochen verlassen, um in der Heimath die nothwendigcn Papiere für seine Vermählung zu beschaffen. Eine elterliche Erlaubniß hatte er nicht einzuholen, da sei» Vater gestorben und die Mutter, als ge schiedene Frau desselben, keine Rechte an den Sohn besaß. — viel, so iberläuft halt's Mäß; dann, Schwobe, gibt's uf's Gesäß! Dann geht's us Eure Keste k War z'letzt lacht, lacht am beste." Die „Nord. Ztg." bemerkt zu diesem Machwerk: Wir möchten unsere Nachbarn darauf aufmerksam machen, daß, ganz abgesehen davon, daß Anstandsgefühl allein schon genügen sollte, um die öffentliche Verbreitung derartiger Infamien zu verhindern, doch auch noch andere Betrachtungen anzustellen wären, um dem blödsinnigen Jubel darüber Einhalt zu gebieten. Mit einem jeden Privilegium sind Verpflichtungen verbunden. Die Neutralität, deren sich die Schweiz erfreut und die von keiner Macht Europa's in wohlwollenderer Weise bei jeder Ge legenheit anerkannt worden ist, als gerade von Deutschland, legt der Schweiz die Verpflichtung auf, alle Provokationen gegen das Aus land zu vermeiden. Leider haben die Ereignisse der letzten Zeit be wiesen, daß es in der Schweiz Kreise giebt, welche sich der inter nationalen Verpflichtung ihres Landes nicht bewußt sind. Wir wollen (offen, daß die schweizerische Regierung einschreiten wird, um den jenigen das Spiel zu verderben, welche die Beziehungen der Schweiz zu Deutschland auf jede Weise stören möchcn. Frankreich. Wilson hat jetzt offiziell Berufung gegen seine Verurtheilung zu zwei Jahren Gefängniß eingelegt. Sein Schwieger vater Grevy meint, er werde durchdringen. Andere Leute glauben es nicht. — Das Journal „Figaro" meldet, daß General Boulanger vom Kricgsminister Logerot empfangen wurde und diesem befriedigende Darlegungen über die Wahlaffaire gegeben habe. Damit sei die Sache abgethan. — Bei dem 6. Jäger-Regiment zu Pferde, welches in Garnison zu Saint Mihiel liegt, fehlte bei der vorgestrigen Reveille der größte Theil der Schwadron. Nachforschungen ergaben, daß die Mannschaften sich nach Commercy begeben hatten, um dort Klage über die Strenge des Schwadronschefs bei dem Brigadegeneral zu führen. Die Meuterer wurden auf halbem Wege eingeholt und vor läufig internirt. Eine strenge Untersuchung ist eingeleitet. Italien. Papst Leo XIII. hat am zehnten Jahrestage seiner Krönung wieder sehr entschiedene Klage über die italienische Regier ung geführt, die dem heiligen Stuhle nicht nur Rom vorenthalte, sondern ihn noch fortwährend angrcife. Minister Crispi's „Riforma" bringt darauf eine scharfe Entgegnung. Am Sonnabend fand zur Feier des Krönungstages in der sixtinischen Kapelle des Vatikan- eine feicrlische Messe statt, welcher der Papst, die Kardinale, die fremden Vertreter und der römische Adel beiwohnten. Auf dem Wege, welchen der Papst zur Kapelle nahm, bildete eine große Menschenmenge, darunter die deutschen Pilger, Spalier. Letztere wurden am Sonntag nochmals vom Papste empfangen und treten nun die Rückreise an. — Die Ausschreitungen der brodlosen Arbeiter in Rom haben sich wiederholt, trotzdem Regierung und Magistrat die die Vcrthcilung von Nahrungsmitteln angeordnet, denn die armen Leute quält thatsächlich der Hunger. Ministerpräsident Crispi erkärte auch in der Kammer, bei Bestrafung der Unruhestörer solle mit mög lichster Milde vorgcgangen werden. — Aus Maffauah wird gemeldet, daß der zu den Italienern übergetretene abessynische Häuptling Debeb wieder von diesen abgefallen ist. An einen Angriff der italienischen Truppen durch den König Johannes ist vor der Hand nicht zu denken. Der König ist in Asmara und überlegt sich die kitzliche Sache erst noch einmal. England. Graf Herbert Bismarck wird demnächst von Dublin nach Deutschland zurückreisen. Er ist in der irischen Hauptstadt der Gegenstand ehrenvoller Auszeichnungen gewesen. ' Rußland. In den baltischen Provinzen hat ein kirchlicher Er laß des fanatischen Oberprokurators PobedonoSzew allgemeinen Unwillen erregt. Der Erlaß nennt den deutschen Adel und die deutschen Geist lichen „historische Widersacher der allgemeinen Ruhe". Die Balten wollen sich beim Zaren beschweren, aber das wird nichts helfen, da der Erlaß von Alexander III. genehmigt ist. — Die Finanznoth In der großen Halle im Erdgeschoß des Klosters, in welcher vor Jahrhunderten ehrwürdige Mönche ihre einfachen Mahlzeiten ein- nahmen, herrschte an einem prachtvollen Maiabend die übermüthigste Fröhlichkeit. Eine distinguirte, theilweise maskirte Gesellschaft, unter der Prinzessin Sylvia nicht fehlte, bewegte sich in dem prachtvoll ge schmückten Raume und seinen kleineren Ncbengemächern. Es galt, den Polterabend der Verlobten so festlich als möglich zu begehen. Von seinem erhöhten Platze — über sich einen Baldachin von rothem Seidenstoff, um sich die entzückendsten Gewächse einer südlichen Flora, — saß das junge Paar und lauschte den zahlreichen Ovationen, welche ihm heute auf die verschiedenste Weise dargebracht wurden. Aber endlich hatte auch die letzte (Überraschung ihr Ende erreicht. Die vor nehme Gesellschaft drängte nun, von der Brautmutter dazu animirt, hinaus in de» weitläufigen Garten, der heute mit unzähligen bunten Lampions geschmückt war, dazwischen glühten bengalische Flammen in allen möglichen Farben und beleuchteten das bewegte Treiben auf den kiesbcdcckten, muschelbcgrenzten Gängen des mächtigen Terrains. Auch das Brautpaar hatte sich nach kurzer Unterredung mit Frau von Staaden, deren bleiches Antlitz und vom Weinen geröthete Augen lider Marento peinlich befremdeten, aus dem Saale entfernt. Aber ihr Weg führte sie nicht in das Freie; sie wendeten sich zuerst nach dem Theil des alten Klostcrgebändes, in welchem die Wohnräumc der Familie lagen. Arm in Arm traten sie hier in ein mittelgroßes, luftdurchströmtes Gemach, das auf den ersten Blick fast den Eindruck eines künstlichen Gartens machte, so verschwenderisch war dieser Raum mit Treibhauspflanzen aller Art decorirt. In einer großen Epheulaube auf breitem Ruhebett aber lag eine zarte, weißgekleidete Mädchengcstalt. „Gitta, liebe arme Gitta!" rief Angelica jetzt und eilte auf die Chaiselongue zu, während ihr der Verlobte langsamer folgte. Jetzt umschlang die blühend schöne Braut den Hals der Ruhenden und flüsterte mit vor Bewegung zitternder Stimme: „Gitta, es war so schön, so wunderschön! Alle, die Freundinnen, die Bekannten, ja selbst Prinzessin Sylvia thaten ihr Bestes, um uns Freude und Ucbcr- raschung zu bereiten! Aber — o, Gitta, Gitta!" unterbrach sic sich, und die kleinen Weißen Hände glitten kosend über den dunklen Scheitel der Liegenden, aus deren weichen, rührend lieblichen Zügen momentan nicht nur ein tiefes körperliches Leiden sprach, sondern auch eine seltsame Angst und Spannung. „O, Gitta, ich konnte mich aber doch nicht von Herzen belustige»! Nicht bloS der Gedanke, daß meine arme Schwester während des allgemeinen Festjubels allein und verlassen auf ihrem Schmerzenslager ruht, nahm mip die gute Laune.