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Nr. 66. — 8. Jahrgang. 4!er jeden Wochentag Abend (mit Datum der folgenden Tages) zur Versendung gelangende „Sächsische LliildeS-Anzciger" mit täglich einem besonderen Untcr- haltunasblatte und mit den« Extrabeiblatt Lustige» Bilderbuch kostet bei den Ausgabe stellen monatlich 70 Psg., bei den Post-Anst. Ps. (1888er Z,»»..Preisliste Nr. M5.) Für Abonnenten erscheint je einmal ini Jahr: «immer-Eisenbadufahriilaubefl für Sachsen. «inttr-LisenbabilfahrPloudeft für Sachsen. Ällustr. Kalender de« Sächsischen Laiidbaten. Illustrirter JahreSbuch des üandesilnzeigers. Mit täglich einem besonderen 4. Sächsisches Allerlei Sächsischer rnides-AnjkiM mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen nnd Thüringen. Unterhaltungsblatt: i. Kleine Botschaft — 2 Sächsischer Erzähler — 3. Sächsische GerichtS-Zeitnng b. JllnsirirteS NnterhaltnngSblatt — 6. Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lnstiges Bilderbuch. Dienstag. 20. März 1888. «»ttlgenvnlrder „Silchs. SandeS-Anzklarr»": Raum einer schmalen EorvuSzeile Iki Psg. Bevorzugte Stelle (lsvalt. Petitzeile) 80 Pf.' LeiWiederholung großer Annoncen Rabatt. Bei Bestellungen von AurwärtS wolle mau Insertiousbetrag (in Briefmarken) beisügen tje ö Silben Corpn-schrist bilden ca. 1 Zeile.) Annoncenannahnie nur bi» Bormiuag. Lick«: AlMiln Wt. Buchvrnckerei, Etiemnttz. Theaterstrabe 8 (Fernsprechstelle Nr. >88). Telegr^Adr.: Lander-Anzeiger, Chemnitz. ^ Telegraphische Nachrichten. Vom 18. März. Grünberg i. Schl Bei Saabor sind am Svnnabend zwei Weitere Oderdammbrüche erfolgt. Die Gefahr ist auf's Höchste ge stiegen ; die Ortschaft Hammer ist außerordentlich gefährdet. Die Kälte erschwert die Rettungsarbeiten. Bei Tschicherzig traten bedenkliche Eisversetzungen und eine gefahrdrohende Hochfluth ein. Rom. In Erwiderung mehrerer Anfragen, betreffend die aus wärtige Politik, verbreitete sich Crispi über Italiens Vcrhältniß zu Len Mächten. Das Bündniß mit Deutschland sei auch vom Volke gebilligt, wie die großartigen Kundgebungen für den deutschen Kaiser Leweisen. Die Freundschaft beider Nationen fand dadurch neue Be stätigung. Das Bündniß hat absolut friedliche Zwecke. Mit Frank reich sucht Italien die besten Beziehungen aufrecht zu erhalten und alle Zwischenfälle leidenschaftslos beiznlegen. In Afrika soll lediglich «ine uneinnehmbare Verthcidigungslinie geschaffen, keine Eroberung versucht werden. Die Kammer werde ihrer früheren Billigung dieser Politik nicht widersprechen wollen. Paris. Das Comitee der republikanische» Protestpartei ver sammelte sich heute bei Laguerrc und erließ ein Manifest an die Wähler der Departements ^irns Lauestes äuLstone, worin gegen die .gewaltthätjge antinationale Maßregel, welche Boulanger getroffen, Protcstirt wird. Frankreich weise jede Diktatur zurück. Der Name Boulanger's bedeute öffentliche Freiheiten, demokratische Reformen im .Innern und windevollcs Auftreten nach außen. Das Manifest schließt: „Wähler! Wollet Eure patriotischen Gesinnungen bekunden, -indem Ihr Sonntag für Boulanger stimmt!" Konstantiuopel. Ucbcreinstiinmenden Nachrichten aus Berlin, Wien und Petersburg zufolge soll der russische Vorschlag zur Ent fernung des Prinzen Ferdinand aus Bulgarien keinerlei Widerstand mehr seitens der Großmächte begegnen, freilich unter der Voraus setzung, daß die Ausführung des Planes keine europäischen Verwickel- «ngcn herbeizuführen droht. Der russische Botschafter v. Nelidow Hat der Pforte neuerdings die Absendung eines russischen und eines türkischen Commissars nach Sofia vorgeschlagen, deren Thätigkcit mit der Wahl eines neuen Fürsten aushöre» würde. Politische Rundschau. Chemnitz, den 19. März. Deutsches Reich. Kaiser Friedrich hat de» Trauertag der Beisetzung seines Vaters nunmehr leidlich überstanden. Er hat Wiederholt Nahrung zu sich genommen, hat etwas weniger gehustet mnd auch der Auswurf ist nicht erheblich gewesen. Nur nach langem Widerstreben hat er sich dem Verbote der Aerzte, der Beisetzung bei zuwohnen, gefügt. Thräneudcn Auges und tief erschüttert stand der Kaiser am Fenster, als der Leichcuzug sich durch den Park des Schlosses nach dem Mausoleum bewegte. Wie er am Morgen ans Wunsch der Aerzte spät aufgestanden, ist er am Abend auch früh zu Bett gegangen. Infolge der. gehabten Erregung war aber die Nacht .zum Sonnabend nur mittelmäßig. Der Kaiser schlief erst spät ein und stand erst kurz vor Mittag auf. . I» der Nacht trat auch ein «twas reichlicherer Schlcimauswurf ein, der besonders den Schlaf fernhielt. Im Laufe des Sonnabend befand sich der Kaiser so wohl, Laß er mit dem General von Albcdyll arbeiten und den Besuch mehrerer fürstlicher Herrschaften, darunter de» des Königs von Belgien, vor deren Abreise empfangen konnte. Die große Mehrzahl der hohen Traucrgäste hat bereits Berlin wieder verlassen, um dem kranken Kaiser keine Lasten aufzuerlegen. Die Kaiserin Victoria war am Sonnabend Nachmittag mehrere Stunden in Berlin. Die hohe Frau entwickelt in der Pflege des kranken Gemahls die denkbar höchste Sorgfalt, schon um 7 Uhr früh erscheint sic leisen Schrittes im Krankenzimmer, um nach dem Verlauf der Nacht sich zu erkundigen. Lu den ärztlichen Berathungen wird wöchentlich einmal auch Professor von Bergmann zugezogen. — Der „Reichsanzcigcr" publizirte folgcn- Von Geschlecht zu Geschlecht. Erzählung von W. Widdern. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Das junge Mädchen zuckte traurig die Achseln; Lotte Gröning mber rief mit vor Erregung fast heiserer Stimme: „Noch kein Urtheil, Frau Baronin, — ich bitte Sie! Lassen Sie uns erst auch in die anderen Schriftstücke Einblick thun. Lesen Sie, Komtesse, lesen Sie!" Das kleine, gelbe Gesicht des alten Fräuleins war mit dunkler Gluth bedeckt, in ihren Augen flammte es wie in grenzenloser, leiden schaftlicher Empörung. „Lesen Sie, Komtesse, lesen Sie!" wiederholten die bebenden Sippen. Angelica hatte nur einen Blick auf die zusammengefalteten Blätter geworfen, die sic dem dritten und letzten Couvert, das die Envelvppe des ehrsamen Glasermeisters enthielt, entnommen. Nun reichte sie die groben Papicrstückc dem Fräulein hinüber nnd sagte Leise: „Jetzt müssen Sic an meine Stelle treten, Fräulein Lotte! Das sind Briefe, die sämmtlich in italienischer Sprache geschrieben sind." Die mageren Hände der alten Jungfer faßten nach den alten Blättern. Als ihre Augen aber auf die Unterschrift derselben fielen, flog ein wunderliches Leuchten über das gefurchte Gesicht, — ihre Lippen bewegten sich, und leise nur — wie ein Hauch klang es durch das große Gemach: „Meine Mutter, — meine thcure Mutter, — dem Himmel sei Dank, ich kann Dein Andenken ehren, ich darf zu Deinen Manen — beten!" Es war ein Gewebe von rasfinirtcr Herzlosigkeit und elendestem Hvchmuth, das die alten vergilbten Blätter unseren Freundinnen vor Äugen führten. Alle diese Briefe, welche ein Menschcnaltcr und da rüber in sicherem Versteck gelegen hatten, waren von der Hand Julia Onidas geschrieben und an ihren Gatten gerichtet, als er sie gleich «ach der Taufe ihres — seines Töchterchens verlassen halte. Sie lösten endlich das finstere Räthsel, welches seinen Schatten noch auf die dritte Generation warf. Was Lotte Gröning lange geahnt, ohne jemals darüber zu sprechen, bewahrheitete sich jetzt. Graf Golo von Görgenstein hatte -Sch unter falschem Namen, dem Namen eines jungen Philologen, des Bulletin: Charlvttenbnrg, den 17. März 1868. Se. Majestät der Kaiser ist ungeachtet der Aufregung der letzten Tage, welche Schonung nothwendig machte, fieberfrei und ohne besondere Be- chwerden. Die Absonderung ist noch ziemlich reichlich, daher besteht noch Hustenreiz. Morcll Mackenzie. Wegncr. Krause. Mark Hovell. — Im Schlosse zu Charlottenburg werden in Anbetracht der an dauernden strengen Kälte die umfassendsten Vorkehrungen für eine recht gute Heizung in allen Räumen getroffen. Der Kaiser hat an- gcvrdnet, daß von jetzt ab je ein Bataillon der Berliner bezw. Spandauer Garnison zur Uebernahme des Nachtdienstes mit acht tägigem Wechsel nach Charlottenburg kommandirt werde. — Vom Sonntag wird aus Charlottenburg berichtet: Die chlimmcn Tage, welche die große Erregung des Kaisers in der Trauer- voche hervorgcrufen, scheinen vorüber zu sein. Die letzte Nacht war gut, äst ununterbrochener Schlaf bis Sonntag Morgen. Um 10 Uhr stand der Kaiser in vorzüglicher Stimmung auf und wohnte von 11—11»/4 Uhr mit der ganzen kaiserlichen Familie dem Gottesdienst in der Schtoßkapellc bei, welchen vr. Kögel abhielt, der schon im Palais der Kaiserin Augusta in Berlin gepredigt. — Seit einiger Zeit ist dem Kaiser möglich und erlaubt, verhältnißmäßig recht viel feste Speisen, besonders Geflügel, zur Erhaltung der Körperkraft zu genieße». — Die Proklamation des Kaisers ist jetzt in Berlin an allen Straßenecken öffentlich angeschlagen. Die Traucrnachricht vom Tode Kaiser Wilhelms ist entfernt. — Kaiser Friedrich hat den kommandirenden General des 4. ArmeecorpS (Provinz Sachsen), Grafen von Blumcnthal, zum General-Feldmarschall ernannt. Der Kaiser hat dem Grafen seinen eigenen Marschallstab mit der Bitte übersandt, der neue Feldmarschall möge diesen Stab so lange benutzen, bis ein eigener für ihn fertig gestellt sei. Sein Corpscommaudo behält der Feldmarschall vorläufig noch. Die hohe Beförderung ist der großen Dankbarkeit entsprungen, welche Kaiser Friedrich für diesen verdienten General hegt. Graf Blumenthal, der am 30. Juli 1810 geboren ist und als Oberst leutnant persönlicher Adjutant des Prinzen Friedrich Karl und später Chef des Stabes seines 3. Armeecorps war, hat sowohl den Krieg gegen Oesterreich, als den Krieg gegen Frankreich in der verantwort lichen Stellung als Chef des Stabes der vom Kronprinzen geführten Armeen mitgemacht, hier sich außerordentlich ausgezeichnet und als 'höchster militärischer Rathgeber des tapseren Feldherrn glänzend be währt. Kaiser Wilhelm hat seine Verdienste wiederholt anerkannt und ihn im Jahre 1883 in den Grafenstand erhoben. Seit Octvber 1872 führt er das 4. ArmeecorpS und zwar auf Erlaubniß Kaiser Wilhelms hin seit Anfang dieses Winters von Berlin aus. Nach den« Tode Kaiser Wilhelms nnd der Thronbesteigung Kaiser Friedrichs war Graf Moltke der einzige Feldmarschall. Jetzt hat er in dem Grafen Blumeuthal einen würdigen Genossen erhalten. Weiter hat der Kaiser dem General der Cavallerie Frhrn. von Schlotheim, Commandenr des 11. ArmeecorpS, den Schwarzen Adlerordcn, dem General der Cavallerie Frhrn. voimLoö, Coinmnndeur des 8. Armee corps, und dem General der Cavallerie, Chef des Militärcabinets von Albedyll das Großkreuz des Rothen Adlcrordens verliehen. — Minister von Maybach hat den Schwarzen Adlerordcn auf den ausdrücklichen Wunsch des Fürsten Bismarck erhalten. Kaiser Wilhelm wollte dem Minister den Orden zum 22. März verleihen. In der betreffenden Ordre des jetzigen Kaisers soll es deshalb auch heißen: „Einen Befehl des verstorbenen Kaisers vollziehend re." — Der Papst hat ein Kondolenzschreiben an Kaiser Friedrich gerichtet, welches neben dem tiefen Beileide an dem Heimgänge Kaiser Wilhelms die Hoffnung ausspricht, daß die Beziehungen Deutschlands zum heiligen Stuhl fortgesetzt die freundlichsten und zutrauensvolle sein werden. Der Nuntius Kardinal Galimberti in Wien wird dieses Schreiben nach Berlin überbringcn. — Die Kaiserin-Wittwe Augusta hat den schweren Tag der Beisetzung ihres Gemahls gleichfalls glücklich überwunden, ihr Be- welchcn er mit sich auf seine große Tour durch ganz Europa ge nommen, mit Julia Onida bekannt gemacht, kurz nachdem sein Reise begleiter ganz plötzlich verstorben war. Irgend eine Laune führte den jungen, sehr reiche» Aristokraten von Rom aus, wo er vor einigen Wochen Wohnung genommen, uni sich an den Kunstschätzen der Siebenhügelstadt zu berauschen, nach N. Dort traf er die schöne Julia an dem Stand einer Fruchtverkäuferin. Ihr Liebreiz blendete ihn fast. Als er es jedoch wagte, das junge Mädchen anzurcdcu ihr seine Galanterien zu sagen, gab sie kurzen Bescheid und verbat sich jede Belästigung. Golo von Görgensteiu aber hatte die Frauen stu- dirt und wußte auch, wie er dieses sittenreine, zurückhaltende Geschöpf für sich gewinnen konnte. Der Zufall kam ihm dabei Hu Hilfe. Er gestattete, daß der junge Rou«i Julia, welcher er wie ein Habicht der Taube, die seine Augen sich zum Raube erwählt, folgte, noch einen wesentlichen Dienst dadurch leistete, daß er sie vor den Unverschämt heiten einer Schaar bezechter Studenten schützte. Indem er sich für den Philologen Leo Stegmüllcr ausgab, be gleitete Graf Görgensteiu dann das geäugstigte Mädchen in einem Wagen nach B. zurück. Unter der gleichen Maske machte er auch ihrer Tante seinen Besuch. Die Signora lud ihn freundjchaftlichst zum Wiederkommen ein — und der Habicht ließ sich nicht nöthigen, seiner auser wählten Beute Schritt für Schritt, langsam aber sicher näher zu kommen. Schon wußte er ja die Angen der Taube auf sich gerichtet in einem Ausdruck, für den ein Görgensteiu, der Sohn des alten Don Juan- Geschlechts, die Lösung kannte. Wie er das Mädchen aber vermocht hatte, ohne Wissen der Tante, die seine Bewerbung doch nur wünschte, mit ihm zu gehen, anstatt in ihrer Heimath vor den Traualtar zu treten, ließ sich nicht ans den Briefen der armen Julia ersehen. Und doch holten dieselben weit aus, um dem Adressaten sein ganzes Unrecht vor die Seele zu führen. Genug, das Mädchen fügte sich Golo's Beschlüssen. Doch nur unter dem Schutz einer ehrwürdigen Matrone wollte sie ihrem Verlobten über das Meer folgen, und Golo mußte sich wirklich entschließen, eine Reisebegleiterin für sein schönes Opfer zu eugagiren. Aus großbritaunischem Boden, in einem kleinen englischen Städt chen, nahe der Küste, dessen Namen Julia nie behalten konnte, da ihre italienische Zunge seinen verzwickten Wortlaut nicht zu bewältigen vermochte, wurde die Flüchtige dem Geliebten durch Priesterhand ver bunden. Golo von Görgenstein hatte sich dazu auch der Papiere des verstorbenen Philologen Stegmüller bedient. Gleich nachdem die finden ist befriedigend. Ihre große Glaubensstärke, ihr fester Wille haben sie aufrecht erhalten; sie hat sich sogar, wie schon mitgethcilt, nicht versagen können, vom Fenster ihres Wohnzimmers auS einen heimlichen Blick auf den vorüberziehenden Sarg zu werfen, rührend unterstützt durch ihre Tochter, die Frau Großherzogin von Baden, die ihr in dieser schweren Stunde zur Seite geblieben. Bei dieser Gelegenheit sei mitgethcilt, daß das Gerücht, das Augenleiden der Großherzogin lasse Erblindung besorgen, unbegründet ist. — Die königliche Botschaft an den preußischen Landtag, welche heute Montag verlesen werden wird, spricht dem Vernehmen nach das lebhafte Bedauern Kaiser Friedrich'- aus, daß er mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand behindert sei, den Eid auf di« Ver fassung in der vorgcschriebenen Weise persönlich vor dem Landtage zu leisten. Der König stellt dem Landtage anheim, die vom Ge- sammtministerium gegengezeichnete Botschaft als vorläufiges Gelöbniß anzusehen, und verspricht, sobald sein Gesundheitszustand sich bessert, die Verfassung in der formellen Weise zu beschwören. Der Präsident des Herrenhauses wird nach Verlesung der Botschaft dem Bedauern des Hauses, daß der König nicht erscheinen könne, Ausdruck verleihen und dann die Sitzung schließen. Später wird dann zur Beantwort ung eine Adresse beschlossen werden, die indessen von politischen Erörterungen absieht. Auch im deutschen Reichstage wird heute eine Botschaft erwartet. — Im Reichstage wie im preußischen Landtage hat man sich definitiv dahin geeinigt, die zu erwartende Allerhöchste Botschaft durch eine Adresse zu erwidern. — Preußisches Abgeordnetenhaus. Das Haus nahm am Sonn abend seine Arbeiten nach den Trauertagen wieder auf und geneh migte den Rest des Kulturetats, sowie den ganzen Staathaushalt für 1888/89 in zweiter Lesung. Von allen Parteien wurde der Wunsch auf Erhöhung der Alterszulage für Volksschulleyrer ausgesprochen und Minister von Goßler glaubte für die nächste Session die Er füllung dieses Wunsches in Aussicht stellen zu können. Angenommen wurde ein Antrag des Abg. Enneccerus (natlib.), durch welchen di« Regierung ersucht wird, die Mittel für kirchliche Zwecke derart zu bemessen, daß das Mindesteinkomnien — neben freier Wohnung — der bereits fünf Jahre im Amte befindlichen Geistlichen in evange lischen Pfarreien 2400, in katholischen 1800 Mark beträgt und in zweckmäßig abgestuften Zwischenräumen für die evangelischen Geist lichen auf 3600, für die katholische» auf 2400 Mark nach 26jähriger Amtsdauer steigt. Minister von Goßler thcilte noch mit, daß Ver handlungen zwischen den deutschen Bundesstaaten wegen einheitlichen Vorgehens gegen das Gehcimmittelwesen im Gange seien. Nächste Sitzung Montag l'/z Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung beider Häuser zur Entgegennahme einer Allerhöchsten Botschaft. Daran schließt sich um 2 Uhr eine Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses. Auf der Tagesordnung stehen kleine Vorlagen. — Die diesjährigen Ersatzreserveübungen werden durch das neue Wehrgcsetz nicht unwesentlicht beeinflußt. Es werden nur drei Hebungen abgehalten, und zwar werden zur ersten zehnwöchigen 12,000 Mann, zur zweiten sechswöchigen 10,700 Mann und zur dritten vierwöchigen 10,250 Mann eingezogen. Die erste Uebung findet überall in be sonderen Compagnieen statt, ebenso auch die zweite Uebung bei der Infanterie, während bei den übrigen Truppengattungen die Uebungs- pflichtigen den vorhandenen Abtheilungen der ersten Uebung zugcsellt werden. Bei der dritten Uebung werden die Ersatzreservisten in die Linienconipagnien eingestellt, nur die der Fußartillcrie üben wieder in den Formationen der ersten Uebung. Der Beginn der ersten Uebung ist bei der Fußartillerie auf den I. September, beim Train auf den 1. Juli, bei den übrigen Waffe» auf die Herbstmvnate anzu- setzen. Die zweite Uebung ist im Allgemeinen während der letzten sechs Wochen der ersten Uebung abzuhalten. Ucber den Zeitpunkt der dritten Uebung ist Genaueres nicht bestimmt, doch findet sie den allgenieinen Bestimmungen zufolge jedenfalls in der Zeit vom Früh jahr bis zur Rekrutcneinstcllung statt. feierliche Handlung vollzogen, reisten die Neuvermählten weiter, London zu, wo sie für die ersten Wochen ihren Wohnsitz nehmen wollten. Die engagirte Reisebegleiterin aber blieb zurück, um mit dem nächsten Schiff wieder nach ihrer Heimath zurückzukehren. — Ein ganzes Jahr und darüber lebte das junge, nomadisirende Paar in Glück und Frieden. Julia hatte dem Gatte» ein Töchterchen geboren. Sonderbarerweise zeigte sich aber die Freude an dem Kinde bei dem jungen Vater nicht groß. Ja, oft hingen seine Augen so finster an dem winzigen, brünetten Gesichtchen, daß Julia ängstlich fragte: „Aber Leo, was that Dir die kleine Carlotta?" Nach solcher Scene war es auch, daß ein unglücklicher Zufall die junge Frau hinter die Geheimnisse ihres Gatten brachte. ES mußte zu furchtbaren Scenen zwischen den Eheleuten gekommen sein, denn Golo hatte die Hand gegen sein junges Weib erhoben. Dana aber verließ er heimlich das schöne, elegante Haus mit seiner pracht vollen Einrichtung in W., nahe Manchester, wo man damals domk- zilirte. Nichts weiter hatte er mit sich genommen, als die Papiere, mit denen Julia sich hätte legitimiren können. Aber ein Brief war doch zurückgeblieben, — der Brief, welcher der junge» Frau alle» verrathe». Nun wußte sie doch wenigstens, wohin sie schreiben konnte, um mit ihrer Verzweiflung den Gatten zu erreichen. Aber wenn die Aermste gehofft hatte, im Herzen des erbarmungslosen Roues, den sie jetzt auf so hoher Stufe der Gesellschaft wußte, töne auch nur eine' Saite für das unglückliche Opfer seiner sündigen Leidenschaft, so irrte sie. Graf Golo von Görgenstcin liebte Julia nicht mehr. Er hatte immer nur die gleiche Antwort auf all' die flehentlichen Bitten der Geängstigte», wieder zu ihr zurückzukehren, oder ihr doch zu gestatten, nach seiner Heimath zu kommen, damit er ihr auch seinen wahre« Namen geben könne. Er erklärte nämlich einfach, Julia hätte den Verstand verloren: er habe nie daran gedacht, sie zu seiner Gattin zu machen. Sie sei seine Geliebte gewesen, nichts mehr und nichts weniger, und wenn sie mit ihm in London und an anderen Orten als ein Ehepaar Stegmüller aufgetreten, so wäre dies verabredctermaßen geschehen, —' alles übrige beruhe auf Hallucinationen ihrerseits. Da, in bangster Herzensangst, schrieb die junge Frau an die alte Dame, welche sie auf ihrer Traufahrt begleitet. Zum Un glück für sie aber war die Matrone inMschen gestorben. Run beschloß Julia, in anderer Weis« vorzugehen, vor allen Dinge«