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Ich mußte lange so gelegen und da- süße Gefühl dieser Erscheinung nachempfunden haben, denn als ich endlich aufblickte, war der Mond von meinem Fenster verschwunden und weiter geeilt auf seiner nächtlichen Bahn. Aber das süße Entzücken des Herzens war mir geblieben und frohbewegt stand ich am Morgen auf, mich zu dem wichtigen Werke würdig vorzubereiten. Meine Wirthin hatte mir eben den Kaffee gebracht, da erschien auch schon der Postbote und gab einen Bries auS Steinitz für mich ab. Der Brief war vom Onkel in seiner kurzen, derben Manier. „Mein lieber Neffe! Wenn Du diesen Brief erhältst, wird wohl Dein Examen gerade vorüber sein. Er soll Dir unsere Glückwünsche zu dem glücklichen Bestehen desselben bringen. Wenn Alles vorüber ist, so komm doch gleich nach Steinitz. Ich bin jetzt so aus der Gewohnheit des Alleinseins, daß ich fürchte, mir fehlt etwas, wenn Meta fort ist. Du erinnerst Dich doch des Onkels derselben in Kopenhagen. Er hat öfters geschrieben, dann wurde er krank und an seiner Stelle schrieb sein Adoptiv-Sohn. Nun liegt er höchst gefährlich darnieder und möchte Meta noch einmal sehen. Der Adoptiv-Sohn, ein prächtiger junger Mann, ein geborner Franzose, den eigenthümliche Schicksale an den alten Kamerrath geknüpft haben, kam selbst, um Meta darum zu bitten, die den Wunsch des wahrscheinlich Sterbenden erfüllen will. Ich billige das auch, denn ich würde es ihr auch sehr übel nehmen, wenn ich einmal sterbend nach ihr verlangte und sie wollte nicht kommen. Kammerath ist ihres Vaters Bruder und ihr Onkel wie ich; so ist es erklärlich, daß er sich nach der Nichtesehnt, wie daß auch sie ihn kennen lernen, und womöglich seine Leidensstunden versüßen will. Meta reist mit dem Cousin, der auch ihr sehr zu gefallen scheint, morgen ab, Philipp soll sie begleiten. Ich fürchte, meine schönen Tage sind vorüber, denn wenn sie wiederkehrt, wird sio wohl als Braut des Adoptiv- Sohnes kommen. . . ." „Ich hatte genug — mir schwindelte und das Blatt fiel mir aus der Hand. Welche Wetterschläge, und nicht nach, sondern vor dem Examen. Solch' ein kranker Onkel in Dänemark, ein französischer Cousin, Seereise mit diesem — Aufmerksamkeit, Galanterie, Zärtlichkeit, Verlöbniß ... ach, wer weiß was noch Alles, ich begriff es nicht mehr, ich war unfähig, weiter zu denken. Ich laS den Brief weiter. Es hieß darin noch, daß, da also Meta und auch Philipp auf unbestimmte Zeit sich von Steinitz entfernten, der Onkel es um so lieber sehen würde, wenn ich so bald als möglich käme, um in seinem Hause von den Anstrengungen der Studien auszuruhen. „Schade," lautete eS am Schluffe, „daß Du den liebenswürdigen Emil nicht eher kennen lernen konntest, er hat mir ausnehmend gefallen; ich denke aber, Dir wird dieses Vergnügen noch später bevorstehen, da ich fest daran glaube, er und Meta werden ein Paar, und gewiß ein schönes und glückliches Paar . . DaS schrieb der alte Mann mit einer Ruhe und Naivetät, welche mir keinen Zweifel übrig ließ, daß er von meiner Neigung zu Meta, die der alte Philipp wohl bemerkt hatte, keine Ahnung bekommen, daß also die Liebe des Franzosen, wahrscheinlich auch von Meta's Seite erwiedert, in ziemlich offenkundiger Weise her vorgetreten sein mußte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Hätte der alte treuherzige Mann nur eine Ahnung davon ge habt, daß in Meta's Liebe und Besitz auch mein ganzes Lebens glück läge, er würde nicht so offen seine eigene Freude dargelegt haben, denn absichtlich zu quälen vermochte der gute Alte nicht. Es wurde mir also allmählig zur unumstößlichen Gewißheit: Emil und Meta hatten so gut als verlobt Steinitz verlassen, um in Kopenhagen den Segen und das Vermögen des sterben den OnkelS zu erhalten — und ich würde in Zukunft entweder Steinitz zu meiden oder ein seliges Glück daselbst mit anzusehen, haben, das mein Herz zerfleischte — während mein Leben wie ein Kirchhof mit Kreuzen und Steinen, welche die Stelle be zeichneten, wo ich die Scherben meiner Hoffnung und meines Glückes eingescharrt hatte, vor mir lag. . . . Und so mit diesem Bewußtsein sollte ich mich nun im. schwarzen Frack und mit der schneeigen Binde — und vor allen Dingen gesammelten Geistes in den Examinirsaal begeben. „V Du Mond, glattgesichtiger Bösewicht, schau Du noch einmal mit Deinem Trugantlitz durch die Spalten der Gardine, die Verwünschungen eines gebrochenen Herzen- sollen Dich wie Gespenster jagen, vor denen Du Dich eilig hinter Wolken flüch ten magst!" Ich bestand das Examen mit erster Censur — und, mir den Muth der Verzweiflung erzwingend, beschloß ich, anderen Tages nach Steinitz abzureisen. 6. Mit dem ersten Strahl der M-rgensonne hatte ich mich auf die Reise gemacht, aber durchaus nicht in rosiger Stimmung. Ich war der einzige Passagier des sich langsam vorwärts schleppen den Postwagens und wurde erst auf mich und meine Stimmung aufmerksam, als ich die vorsichtige Art und das ängstliche Ge sicht bemerkte, womit-der Postillon auf jeder neuen Station, die wir zurücklegten, die Wagenthür öffnete und zu mir herein blickte. Er schien der Ueberzeugung zu sein, daß er eitlen Ver zweifelnden führe, der nichts Geringeres vorhabe, alS sich La seinem Postwagen das Lebenslicht auszublasen, und war sicherlich, während er auf dem Bocke saß und die Pferde antrieb, jeden Augenblick darauf gefaßt, den verhängnißvollen Knall einer Pistole zu vernehmen. Hatte er dann glücklich und ohne gewalt same Unterbrechung die neue Station erreicht, so überzeugte er sich unter Aeugsten davon, daß nicht eine andere stille Todesart mich während der Fahrt dieser Welt entführt, und daß ich noch eben so ruhig und schmollend in meiner Ecke saß. . . . Freundliche Gedanken waren eS nicht, die mich umfingen. Das Bewußtsein, Meta verloren zu haben, sie als eines Andern Braut denken zu sollen, erfüllte mich mit einer Erbitterung, die eben so groß und hartnäckig, alS, wenn sich Alle- so wie ich fürchtete verhielt, ungerechtfertigt und grundlos war. Meta hatte mir niemals ein Recht auf verwegene Hoffnungen gegeben, war mir niemals anders alS freundschaftlich begegnet, wie sollte ich ihr zürnen, oder gar mit ihr rechten, daß sie einen Andern liebe, einen Andern mir vorzöge. Ist die Liebe doch eine freie Gott heit, die daS Füllhorn ihrer Gaben frei und eigensinnig spenvet, ohne zu wählen oder zu erwägen — über Würde und Verdienst, über fremdes Wünschen und Hoffen. . . . Das sagte ich mir Alles selbst ganz offen, aber gerade diese Selbsterkenntniß vermehrte meine innere Erbitterung noch, statt sie zu verjagen. AlS ich Steinitz endlich erreicht hatte und den Postwagen verließ, um auf dem gewohnten Wege durch den Wald und am Strande entlang die letzte Strecke zu Fuß zurückzulegen, fina ich an zu bereuen, daß ich überhaupt dem Wunsche de- OnkelS gefolgt und nicht in der Universitätsstadt geblieben «ar. Was wollte ich denn eigentlich in Steinitz? Was konnte ich daselbst finden? DaS seiner Sonne beraubte einsame und langweilige Strand nest und einen entzückten Onkel, der mir mit dicken Farben den Preisgesang auf meinen glücklichen Nebenbuhler vortragen würde, ohne zu ahnen, daß er mein Herz damit zerfleische. Nichts da, noch war es Zeit, mich davor zu bewahren, noch Zeit zur Umkehr. Die Post, welche mich hergebracht, trug mich auch Abend- wieder zurück; ehe Mitternacht herankam, rollte sie wieder mit mir in das Thor der Universitätsstadt ein, und ich konnte in meinem Stübchen, bei meinen Büchern und Arbeiten, den ersehnten Schmollwinkel finden, in dem mich wenigstens Niemand stören und mit Absicht oder unabsichtlich verhöhnen durfte. . . . Schon hatte ich den Schritt gewandt, um diesen meinen Plan auszuführen, als ich mich wieder besann. War denn das nicht Feigheit und Undank zugleich, wenn ich jetzt umkehrte und Steinitz vermied? Wäre ich wirklich nicht stark und Mann genug, Herr meines rebellischen Herzens zu werden, und sollte ich um seiner Thor» heit willen den Wunsch des guten alten Onkel-, meine- treuest Wohlthäters unerfüllt lassen? — Sicherlich würde er sich meinet Glückes ebenso lebhaft und aufrichtig freuen, wie des GlückeS Meta -, welche- mit dem meinigen nun einmal nicht Hand in Hand gehen sollte. Augenblicklich war er völlig vereinsamt ttnd