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„Sie kleidet sich um; haben Sie die Gute, einen Augen blick zu warten." „Gut, ich werde ihr zehn Minuten Zeit geben," und er zog seine Uhr heraus. „Äe, mein Herr, sind mein Gefangener." „Ich finde das ganz in der Ordnung," entgegnete mit frecher Stirn der Baron. „Der Schein spricht gegen mich, ob gleich ich selbst das Opfer einer Kabale bm." Der Beamte drehte ihm den Rücken; er sah wieder nach seiner Uhr. „Die Zeit ist um," sagte er und zugleich trat er an die vorerwähnte Seitenthüre, klopfte an dieselbe und rief mit lauter Stimme: „Frau Gräfin!" Llleö blieb stumm. „Frau Gräfin, ich muß bitten —" Keine Antwort. „Kommen Sie," sagte der Director zu dem Major, „un ter splchen Umständen hört alle Rücksicht auf." Entschlossen schritt er auf die Thüre zu, stieß dieselbe auf, blieb aber sogleich erstaunt stehen. Die Gräfin lag in einem Lehnsessel und schien zu schlummern. Der Polizeibeamte trat zwei Schritt näher. „Frau Gräfin," rief er, und ergriff deren Arm. , ,' Mer steif, ohne Leben sank derselbe herab. „Sie ist todt," murmelte der Director — „ihre Hand ist starr." In diesem Augenblick stieß der Major an eine kleine Phiole, welche; zünden Füßen der Verschiedenen lag. ^Hier finden wir den Schlüssel zu diesem Geheimniß, sagte er, „Sie hat Gift genommen," ergänzte der Beamte, „dies unterliegt keinem Zweifel." Als Gervais das schreckliche Ende von Eugenie Maillard erfuhr, theilte er dem Major mit, in welchen Verhältnissen er früher LU derselben gestanden hatte. „Da Sie mein Schwiegersohn werden," schloß er, „so mögen Sie darüber entscheiden, ob Leontine erfahren soll, wer ihr das Leben gegeben hat." „Niemals! Sie mag bei dem Glauben bleiben, daß ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist." / Gervais umarmte seinen künftigen Eidam. „Ich habe diese Antwort erwartet," sagte er, „wollten wir dem armen Kinde die Wahrheit enthüllen, so würden wir ihm für das ganze Le ben einen Stachel in das Herz bohren." „Gut." Und die beiden Männer drückten sich nochmals die Hände. Vier Wochen später feierte Herr von Sternheim mit Leon tine seine Hochzeit und begab sich dann mit seiner jungen Gattin und mit seinem Schwiegervater nach Paris. Hortense war während ihrer Untersuchungshaft im Gefäng- niß gestorben. Herr von Hohenthurm saß seine Strafzeit ab und ver- sHvand dann. Bekannte wollten ihn später ziemlich abgelebt in verschiedenen Bädern am Roulette gesehen haben. Das Ge rücht behauptet, er habe zuletzt in Homburg als Croupier sein Leben gefristet. La Force ging nach Amerika. Da er sich eine hübsche Summe erspart hatte, so gelangte er zu der Ueberzeugung, daß es vortheilhafter sei, die Verbrecherlaufbahn zu schließen und ein ehrliches Leben zu beginnen. Er ließ sich in einer neu begrün deten Stadt im Westen als Gastwirth nieder und wurde zuletzt ein Frömmler. So auffallende Erscheinungen treten bei der menschlichen Natur hervor. Dies hinderte jedoch den braven La Force nicht, so vielen Branntwein wie möglich zu verkaufen, denn, sagte er sehr salbungsvoll, was in den Mund hineingeht, sündigt nicht, wohl aber, was hinausgeht. DaS Haus, in welchem, die Gräfin von Wolkenstein ihrer verbrecherischen Laufbahn durch Gist ein Ende gemacht hatte, wurde ^on keinem d^x Erben, in Anspruch genommen. Ver ödet stand es da und absichtlich ließ man eS verfallen; man hoffte, daß im Laufe der Zeit unter den Prammern desselben aM die Erinnerung an dessen ehemalige Besitzerin begraben werden würde. Aber im Munde des Volkes erhielten sich noch lange die wunderbarsten Erzählungen über die „b-se.»Gräfin?/ Einige der Landleute wollten sie jogar in finsterer Nacht, bei Sturm und Regen, in langen Trauergewändern, mit aufgelö stem Haar und die Hände ringend, auf der FreitWpe haben sitzen sehen. Allgemein war das öde Gebäude, durch dessen zerbrochene Fensterscheiben jetzt der Wind pfiff, als das „ver lassene Haus" in der Umgegend bekannt und verspätete sich ein Wanderer bei der Heimkehr, so eilte er schnellen Schrittes an demselben vorüber, oder machte lieber einen Umweg, um es nur nicht zu berühren. Die Landtagswahlen. Mittelst Verordnung vom 8. d. M. ist die Vornahme von Ergänzungswahlen zu dem bevorstehenden ordentlichen Landtage angeordnet und sind auch bereits die hierzu erforderlichen Re- gierungscommiffare ernannt. Wie bekannt, wird der Landtag noch im Laufe dieses Jahres einberufen, da nach tz 115 der Verf.-Urkunde die Krist hierzu eine dreijährige ist. Die bevorstehenden Ergänzungswahlen gewinnen nun ein besonderes Interesse dadurch, daß hierbei zum ersten Male seit Wiederaufhebung des provisorischen Wahlgesetzes vom 15. No vember 1848, welches bekanntlich durch Wiedereinberufung der alten Stände mittelst Bekanntmachung vom 3. Juni 1850 that- sächlich, durch das mit diesen Ständen vereinbarte Gesetz vom 15. August 1850 aber in gesetzlicher Form außer Kraft gesetzt wurde, den Wahlen wieder ein etwas freierer Spielraum ge währt wird. Jenes Gesetz vom 15. August 1850 entsprach der Bekannt machung vom 3. Juni nicht allenthalben. Diese hatte die Ein berufung der alten Stände zur Berathung und Beschlußfassung über ein neues Wahlgesetz angeordnet. Die einberufeven Stände hielten aber ein neues Wahlgesetz für überflüssig und vereinbarten eben deßhalb mit der Regierung jenes Gesetz, dessen erster Para graph die provisorischen Gesetze von 1848 aufhebt, während der zweite Paragraph „bis zu der definitiven Revision der Ver fassungsurkunde vom 4. September 1831 und der Vereinbarung über ein definitives Wahlgesetz" die älteren Wahlgesetze wieder in Kraft setzt. Dabei hatte es zehn Jahre lang sein Bewenden und H gerieth völlig in Vergessenheit, daß eine definitive Revision hA Verfassung und Feststellung des Wahlgesetzes in Aussicht, W stellt war. Die Presse aber ließ es nicht an fortwährenden Rahnungen um Wahlreform fehlen und diese Blätter dürfen es auS- sprechen, daß sie unter den ersten waren, die das dringende Erforderniß einer Abänderung des Wahlgesetzes darlegten. Nach fruchtlosem Versuche auf vorletztem Landtage, gelang es auf dem letzten den Abgeordneten Jungnickel und Genossen einerseits und Oehmichen-Choren und Genossen andererseits, durch ihre Anträge auf Wahlreform die Regierung zur endlichen Vor legung eines dahin zielenden Gesetzentwurfs zu bewegen, der nun gesetzliche Kraft erlangt hat. Es waren drei Wege möglich. Entweder — und dahin strebte eine kleine Anzahl Extremer — Wiederinkraftsetzung des provi sorischen Wahlgesetzes von 1848 und Vereinbarung eines defini tiven Wahlgesetzes mit den hiernach Einzuberufendin. Dies wäre eine Wiederholung des Schrittes von 1850, eine Reactivirung, nur nach anderer Richtung, gewesen. WaS aber ein Jahrzehnt unangefochten Rechtens gewesen, daS läßt sich nicht so ohne Weiteres auSstreichen aus den Tafeln der Geschichte. Mag astch dem Ursprung ein RechtSmangel anhaften, die Zeit hat ihn gesüyüt. Der zweite Weg, den auch diese Blätter anempfahlen, wqr der, daß die Kammern den sehr freisinnigen Entwurf eines Wahl gesetzes, den die Regierung dem Landtage 18^/^ vorgelegt und den dieser aus Liebe zum Alten gar nicht berieth, nunmehr adoptiren sollten. Auch dieser Weg wurde nicht eingeschlagen,- Htatt dessen erhielt man ein neues Wahlgesetz, das mdeß nur assmälig ln's Leben zu treten bestimmt ist. Denn e? enthäsi dies Wahlgesetz vorn 19. October 1861 in tz 87 die Anordnung: daß dasselbe nur für alle künftig anzuordnenden Neuwahlen sofort in Wirk-