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87 t AZI stenS 50 Jahre seiner Familie angehörte (sogen, alter Grund besitz), oder durch besondere Festsetzungen immer nur auf den Mannesstamm vererbt wird (sogen, befestigter Grundbesitz), Ma gistratspersonen der größeren (vom König hierzu ernannten) Städte (jetzt 36), Vertreter der sechs Landesuniversitäten, Ver treter der durch großen Grundbesitz ausgezeichneten und vom König, mit dem Vorschlagsrecht begnadigten Familien, Vertreter der Stifter Brandenburg, Merseburg und Naumburg. Die kraft besonderer Eigenschaften — al- Rittergutsbesitzer, Bürgermeister, Universitätspröfessoren — Berufenen, verlieren ihren Sitz im Herrenhause, trotz der verfassungsmäßig garantirten Lebenslänglich- Hit, mit dem Aufhören jener Eigenschaften. Durch einen Pairs- schub, durch beliebige Ernennung von Vertrauensmännern kann der König die Mehrheit im Herrcnhause beliebig umgestalten. » Gegenüber diesen Bestimmungen über das Herrenhaus und vollends gegenüber Dem, waS das Herrenhaus in den zehn Jahren semes Bestehens geleistet und verhindert hat, gegenüber der unsäglichen Unpopularität, die es auf sich geladen, erscheint es gänzlich ungerechtfertigt, die Erfahrung, welche z. B. wir in Sachsen mit der ersten Kammer gemacht, vergleichend anzuwenden. Man braucht durchaus nicht einverstanden mit Alledem zu sein, was unsre erste Kammer in dem Dritteljahrhundert ihres Bestehens ge wesen und gethan und muß doch zugeben, daß eine solche Zusammen setzung, eine solche reine Negation, ein so offenbarer Hohn gegen alle Volksregungen hier nicht zu finden ist. Es gab Zeilen und Fragen, in denen die erste sächsische Kammer den Forderungen der Humani tät noch reiner Rechnung trug, als die zweite Kammer. Namentlich ist es bekannt, daß unsre erste Kammer in der ersten Hälfte ihrer Thätigkeit, als noch Männer wie Prinz Johann, Ober hofprediger v. Ammon, vr. Großmann, die Vertreter der Universität Professor Krug, Domherr Günther u. s. w. an ihr Antheil nahmen, 'den Vorzug gründlicher, wie geistvoller Berichte und Verhandlungen genoß. Niemals hat sie sich zu solcher Feindseligkeit gegen die Verfassung hergegeben, wie das preußische Herrenhaus. Es soll das keme Lobrednerei gegen die erste Kammer sein, deren Zusammensetzung, so lange die hohe Aristokratie vorherrscht und die Intelligenz als solche in ihr nicht zur Vertretung ge langt, Mancherlei zu wünschen übrig läßt; wohl aber soll damit dargethan werden, daß die Art und Weise des Herrenhauses kein nothwendiger Ausfluß deS Zweikammernsystems ist. Allerdings aiebt es kerne geschicktere Beweisführung gegen dies System, im Sinne der Sophisten, als den Hinwels auf das Herrenhaus. Es sieht fast so aus, als habe ein neckischer Dämon den Rath gebern der Krone das Recept zum Herrenhause lediglich deshalb mitgetheilt, um dem Volke das Zweikammersystem zu verleiden. Schon in der Zusammensetzung liegt der Fehler. In Preußen nehmen die Prinzen am Herrenhause nur Theil kraft königlicher Einberufung, in Sachsen sind sie geborene Mitglieder der ersten Kammer. Die königliche Einberufung derselben ist dort noch nicht erfolgt, entweder aus persönlicher Abneigung gegen das Verfaffungsleben, oder auS solcher gegen daS Herrenhaus. In Sachsen ist die Mitgliederzahl eine bestimmt geordnete, in Preußen eine unbestimmte. Ein Pairsschub wäre bei uns undenkbar. Die Hauptsache aber ist der Geist. Wir haben gewiß mallch ghelstolzes, bürgerfeindliches Element. Aber die Verfassung ist denn doch überall in Fleisch und Blut übergegangen, an ihr zu rütteln (wir nehmen die unselige Zeit von 1d51 aus) wagt Nle- mand. Unsere erste Kammer steht auf dem Boden der Ver fassung, den das Herrenhaus zu unterwühlen sucht. „ Zu andern Artikeln der preußischen Verfassungsurkunde fehlt eS zur Zeit noch an den entsprechenden AuSführungsaesetzen, so daß sie Messern ohne Klinge gleichen. Nach Art. 6 rst die Be schlagnahme von Briefen und Papieren nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet das Gesetz, welches diese letzteren anordnet, fehlt. Artikel 9 bestimmt, daß das Ei- aeythum unverletzlich ist und nur auS Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fallen wenigstens vor läufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden kann. Ein Expropriationsgesetz fehlt, wie denn § 31 der sächsischen Verfaffungsurkunde dlesen Prunkt gründlicher behandelt.-7 Art. 12 der preußischen Verfass ung enthält klar und deutlich die Gewährleistung freier ReligionS übung, die bürgerliche und staatsbürgerliche Vollberechtigung Aller ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses — aber an der Ausführung fehlt noch viel. Das im Art. 15 den ReligionS- gesellschasten gewährte Selfgovernment fehlt der evangelischen Kirche noch immer. Art. 17 stellt die bedingungsweise Aufhe bung des Kirchenpatronats durch Gesetz in Aussicht. Dies Ge setz fehlt noch immer. Art. 18 hebt das Ernennungs-, VorschlagS- Wahl- und Bestätigungsrecht kirchlicher Stellen durch den Staat auf — und kommt m der evangelischen Kirche noch immer nicht zur Anwendung. Art. 19 ordnet die Einführung der Civil- ehe nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes an — dies Gesetz fehlt und scheitert an dem Widerstande des auf die Verfassung gepfropften Herrenhauses. Art. 21 bis 25 enthalten höchst frei sinnige Bestimmungen über den Unterricht/ dessen Ertheilung Jedem freisteht, der seino sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung nachgewiesen. Die Unterrichts- und Erziehungsan stalten, öffentliche wie private, stehen danach unter Aufsicht der Staatsbehörde, die öffentlichen Lehrer sind Staatsdiener. Die confessionellen Verhältnisse sind bei Errichtung der öffentlichen Volksschule möglichst zu berücksichtigen. Den religiösen Unter richt in der Volksschule leiten die betreffenden RelkgionSgesell- schaften. Die äußeren Angelegenheiten der Volksschule leitet die Gemeinde, der Staat stellt unter Betheiligung der Gemeinde die Lehrer an. Die Mittel für die Volksschulen werden von der Ge meinde, im Fall Unvermögens aushilfsweise vom Staate aufge bracht. Der Staat gewährleistet den Volksschullehrern ein festes, den Localverhältnissen angemessenes Einkommen. Der Unterricht in der öffentlichen Volksschule ist unentgeltlich. — Diese schönen Grund sätze haben nur einen Mangel — das Gesetz, daS nach Art. 26 das ganze Unterrichtswesen regeln soll und bis zu, dessen Erlaß es nach Art. 112 bei dem Bisherigen bewendet! Nach Art. 34 ind alle Preußen wehrpflichtig. Den Umfang und die Art die- er Pflicht bestimmt das Gesetz. — Im vorigen Jahre wurde eine Erweiterung der Wehrpflicht ohne Gesetz angestrebt. Art. 40 sichert die Aufhebung des LehnsverbandeS bei vorhandenen Lehen durch gesetzliche Anordnung. — Das Recht des Lehnsherrn ist aufgehoben, das der Erbberechtigten und Anwärter noch immer nicht. Zum Art. 61 fehlt das Gesetz über die Falle der Ver antwortlichkeit der Minister, über das Verfahren und über die Strafen, wie solches eben jetzt von den Abgeordneten Schultze- Delitzsch und Genossen dem Abgeordnetenhause vorgelegt ist. — Art. 88 der Verfassungsurkunde, welche den Richtern die An nahme anderer besoldeter Staatsämter untersagt, ist seit dem ZO.^Aprit 1856 aufgehoben. Die gegenwärtig am meisten in Frage kommenden Ver fassungsbestimmungen sind folgende in Bezug auf das Budget. Finanzgesetzentwürfe und Staatshaushalts-Etats werden zu erst dem Hause der Abgeordneten vorgelegt. Letztere werden von dem Herrenhause im Ganzen angenommen oder abgelehnt (Art. 62). Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat ge bracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt (Art. 99). Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, soweit sie^in den Staatshaushaltsetat ausgenommen, oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden (Art. 100). Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterho ben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden. Der seit 1859 wieder an der Wahl und den Debatten theil nehmenden Linken, die unter dem Namen der Fortschrittspartei Liberale und Demokraten vereinigt, ist der schwere Beruf gewor den, diese so höchst mangelhafte Verfassung auSzubauen. Möge ihr dies gelingen, möge die augenblicklich über die Verfassungs- reunde in Preußen hereingebrocheue Prüfung, die der Verfassung elbst Gefahr droht, den gegenthsiligen Erfolg einer Kräftigung und Belebung der Verfassung herbeiführen, damit sie nicht fürder ein Stück Papier sei, das sich zwischen Fürst und Volk drängt, sondern ein schützendes Band, das Beide vereinigt. Dresden, dm 12. März. , — Gutem Vernehmen nach ist die vielbesprochene Streitfrage wegen Errichtung einer zweiten GaSbereitungS-Anstalt von dem k. Ministerium deS Innern dkhin entschieden worden, daß der Erbauung