Volltext Seite (XML)
Gchlästr durch sehr beängstigende Lraumgebilde beunruhigt. Dunkle, unheimliche Gestalten zogen vorüber, und Margarethe, die ihm erschien, wich Wit einem Antlitz von tiefer Trauer in unabsehbare Ferne zurück. Stephan athmete tief auf, al- er erwachend erkannte, daß eS nur ein böser Traum gewesen. Er verrichtete sein Morgengebet und dankte seinem himmlischen Vater, daß er ihn und auch sein Mütterlein wiederum ein Jahr gesund und wohl erhalten, als ihn ein frischer Luftzug, der vom Fenster herwehte anzeigte, daß er den emen Fensterflügel am Abend zuvor zu schließen vergessen hatte. Wahrscheinlich, dachte Stephan, ist er nur angelehnt gewesen und der Morgenwind hat ihn aufgestoßen. Doch was liegt da für ein rother Gegenstand auf dem einen Fensterbrett? Erstaunt reibt sich Stephan wiederholt die Augen. Er ist doch überzeugt, daß er nicht mchr träumt. Endlich steht er auf, um die ungewöhnte Erscheinung näher in's Auge zu fassen — aber, Wunder über Wunder, es ist ein frischer Blumen strauß in ein rothseidenes Tuch geschlagen. Also aller Wahr scheinlichkeit nach eine Geburtstagsgabe? Aber wer ist der Geber? Sollte Mutter Gertrud — ? Stephan schüttelte mit dem Kops; wie lieb seine Mutter ihn hatte, war sie doch keineswegs eine so poetische Natur, daß sie ihren Sohn zum Geburtstage hätte mit Blumen beschenken sollen. Auch war ihre Kasse nicht der art bestellt, seidne Tücher zu kaufen. Das konnte nur von reichen Leuten kommen. Aber wer waren diese reichen Leute? Stephan überflog im Geiste den ganzen Kreis seiner Bekannten und Bekanntinnen. Da durchzuate ein Gedanke verklärend seine Seele. Es war nicht anders, er mochte sinnen so viel er wollte. Es war nur Eine, von der diese Blumenspende kommen konnte. Hatte sie ihn nicht bereits vor einem Jahre mit einem Geburts tagssträußchen erfreut? Hatte sie nicht noch gestern von seinem . Geburtstage gesprochen? Aber dieses seidne Luch, welch' reiche Gabe; was konnte ihr der arme Stephan dafür wieder bieten, der nicht einmal ein Sträußchen mehr dem Gemüsekörbchen bei legen durste? Aber welch' ein Wagniß, trotz dem strengen Ver bote des Vaters? Und welche Stunde hatte sie gewählt, unbe merkt den Strauß in das Fenster zu legen? Entweder den späten Abend oder das erste Morgengrauen. Mit freudezitternder Hand langte Stephan nach den Blumen, deren zarte Häupter er leise mit den Lippen berührte. Dann schaute er hinaus in den Garten. Die Thür, die nach der Dorfgasse führte, war nur angelehnt. Sie selbst war nie ver schlossen. Aber weder von dem Strauße, noch viel weniger von dem seidnen Luche durfte Mutter Gertrud etwas wissen. Ihr war ja ebenfalls nicht unbekannt, daß ihr bester Gemüsekunde, der Adlerwirth, seiner Lochter jedweden Umgang mit ihrem Sohne auf das Strengste untersagt hatte. Nachdem Stephan das seidne Luch, in dessen einer Ecke ein M., das von Arabesken in Form eines Täubchens umschlungen, 'kunstreich gestickt war, wiederholt geküßt hatte, faltete er es sorg fältig zusammen und verbarg es unter Papieren in einem Fache seines Schreibepultes, während er die Blumen in ein Glas mit frischem Wasser stellte, das er in einer Mauerplanke vermittelst eines Vorhanges verdeckte. „Es ist blvs für den heutigen Geburtstag," sprach er zu sich, „wo die Mutter fragen könnte; -morgen kann ich mir den Strauß ja selbst gepflückt haben." Von jetzt war Stephans Bestreben einzig darauf gerichtet, eine Gelegenheit zu erspähen, mit Margarethe einmal unbelaüscht, wenn auch nur auf Augenblicke, zusammen zu "kommen, um ihr für das prächtige Geburtstagsgeschenk den . Dank seines Herzens auszusprechen. Aber -diese Gelegenheit wollte sich immer nickt finden, wie oft er auch den Fußpfad einschlug, der unmittelbar an des AdlerwirtHS großem Garten vorbekführte, in der Hoffnung, die Ersehnte daselbst eiUMal zu treffen. Herr v. Steinau und Doctor Neidhardt. Herr von Steinau hieß der Besitzer des Ritterguts, zu dem das Dorf Erlau, in welchem unsere Begebenheit spielt, patri- monialgerichtlich gehörte. Rach ehrenvollem Staatsdienste war Steinau in den Privatstand zmückgetrettn und hatte die «Dwirth- fchaftung feine- sehr anmuthig gelogenen Gute- selbst -übernommen. Er war ein^ebmso juristisch befähigter wie aufgeklärter und humaner Mann. Weit weniger konnte, waS dir letztere Eigenschaft betraf, dies von dem Doctor Neidhardt gesagt werden, einem Manne, der wegen feiner Hab- und.Herrschsucht, so wie seiner Strenge, keineswegs zu den beliebten Persönlichkeiten gehörte. Steinau hatte diesen Mann von dem früheren Besitzer als Gericht-Hatter überkommen und war schon verschiedene Male WkllenS ge wesen, dem Unliebsamen zu kündigen, hätte rr nicht immer Rücksicht auf dessen zahlreiche Familie genommen. Auch Stephan und seine alte Mutter hatten von dem hart herzigen Manne schon viel zu leiden gehabt. In Folge der nicht zum Besten von Stepban's verstorbenem Vater geführ ten Wirtschaft war das kleine Besitzthum dermaßen mit Schulden belastet, daß es bei allem Fleißr Frau Gertrud wie ihrem Sohne oft sehr schwer wurde, die fälligen Zinsen für die auf dem Grundstück ruhende Hypothek zu beschaffen. Da war es denn Doctor Neidhardt, an welchen der Zinsbetrag zu entrichten, der von keiner Nachsicht wußte, sobald die Zahlung nicht auf das Pünktlichste geleistet wurde, und sofort mit Auspfändung und Zwangsversteigerung drohte. Einmal stand erstere so nahe, daß Herr v. Steinau, der davon Kenntniß erhielt, begütigend einschreiten mußte. Bei dieser Gelegenheit lernte er den jungen Stephan persönlich kennen, dessen offenes, treuherziges Antlitz ihm Vertrauen emflößte und ein wohlwollendes Interesse für den jungen Mann erweckte. Dieser Antheilnahme war es auch zuzuschreiben, wenn Neidhardt von jetzt ab mit mehr Rücksicht nahme und schonender mit Stephan und dessen Mutter verfuhr. Da Stephan bereits in der Schule sich durch Sittlichkeit und Fleiß ausgezeichnet, so waren seine Kenntnisse nicht unerfreulich. Namentlich schrieb er eine sehr saubere Handschrift. Das ver anlaßte Herrn v. Steinau dem jungen Mann nicht nur durch Reinschrift von Manustripten einen Extraverdienst zu -verschaffen, sondern ihm durch den eignen Hauslehrer noch einige Unterrichts stunden zu seiner weitern Ausbildung ertheilen zu lassen. Ja sogar für eine, für Stephan's Verhältnisse nicht uneinträgliche Anstellung in einer gerichtlichen Expedition der Nachbarstadt hatte er Sorge getragen. Aber der gute Sohn vermochte es nicht über das Herz rzu bringen, seine alte Mutter zu verlassen, die außer ihm m der Welt ganz allein stand. Wie zugethan indeß Herr v. Steinau dem Stephan war, eine um so auffälligere Abneigung zeigte er gegen den schwarzen Konrad, dessen Ausschweifungen ihn wiederholt in heftigsten Zorn versetzt hatten. Er war daher ebenfalls froh, als er vernahm, daß Konrad sein Glück in Amerika versuchen «olle. Als würdiger Handlanger und Helfershelfer stand dem strengen Gerichtshalter sein ^Gerichtsfrohn, Namens Hilsebein, zur Seite. Dieser Mensch -war -ein Spürgenie, wie sich Neidhardt kein 'besseres wünschen konnte. Er setzte seinem Principal über Alles in Kenntniß, was er irgendwie in der Familie des Guts herrn, wie auch in denen der Dorfbewohner aufzuspüren ver mochte. Dabei war er ebenso habgierig wie brutal, und nur die Furcht vor Herm v. Steinau hielt ihn ab, daß er sein Wesen nicht noch rücksichtsloser trieb. Namentlich war durch die Daüsendthalerbelohnrmg, welche auf die-Entdeckung des Mörders in Friedewalde gesetzt war und die -seiner Habsucht ganz -ge waltig ^in die Augen rstach, seine Spürsucht auf »das Außer ordentlichste angefacht worden. Es fehlte -nicht viel, daß er mit Gewalt in chie Wohnungen der Dorfbewohner gedrungen wäre und nach den geraubten Werthgegenständen Haussuchung gehalten hätte. Jede -Brieftasche, die er zu Gesicht bekam, war ihm verdächtig; jeder lederne Beutel, jedes ^kleine -Futteral nahmen seine ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch. Aber trotz aller dieser Bemühungen war es ihm nicht gelungen, auch nur die leiseste Spur den geraubten Gegenstände ausfindig zu machen. (Fortsetzung folgt.)