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WW Sächsische DorsMmß Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers C. Heinrich. Neustadt« Dre-dr«, in der Expedi tion, N.Mnßn. Gaffe Nr. S, zu haben. Preist 1 vierteljährlich Zu beziehen durch * alle kgl. Poft- Unffalten. Ein unterhaltendes Blatt für de» Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dietkstüg und KrntssF früh. Politische Weltschau. Deutschland. Die",stille Woche" scheint auch nach dem Osterfest noch einige Zeit in der Politik fortdauern zu wollen, denn nirgends vollziehen sich Ereignisse von hervortretender Be deutung. Unsere Aufmerksamkeit wird daher zunächst wieder den Parlamenten sich zuzuwenden haben, die unmittelbar nach dem Fest ihre Thätigkeit von Neuem aufnehmen. Indem wir, was die sächsische Ständeversammlung betrifft, auf die weiter hinten folgenden Landtagsverhandlungen verweisen, kommen wir noch mals auf das neue Gewerbegesetz zurück, womit sich der norddeutsche Reichstag wahrscheinlich im Laufe der nächsten Tage beschäftigen wird. Der Entwurf liegt jetzt gedruckt vor und stimmt seinem wesentlichen Inhalte nach mit den Angaben überein, welche bereits in Nr. 21 d. Bl. gemacht sind. Nach den Motiven be steht der Zweck des Entwurfs in der gemeinsamen Ordnung der gesetzlichen Bestimmungen über dH Befugniß zum Gewerbebetrieb auf der Grundlage der Entfesselung der wirthschaftlichm Kräfte und der Durchführung der gewerblichen Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes. Darauf beruhen: Die Aufhebung der Beschränkung gewisser Gewerbe auf die Städte, die Aufhebung des Verbots des gleichzeitigen Betriebes verschiedener Gewerbe und die Aufhebung des Jnnungs- Zwanges. Mit der letzteren Bestimmung ist zugleich die Prü fungspflicht der Handwerker beseitigt. Darüber, daß die Hanowerkerprüfungen nicht diejenigen Garantien gewähren, welche sie zu gewähren beabsichtigen, daß sie dagegen nachtheilig werden, daß sie den Handwerker zur Aufwendung von Zeit und Kosten zu einer Zeit zwingen, wo er alle seine Kapital- und Arbeitskraft auf die Gründung seiner Existenz verwenden muß, und daß sie die Noth- wendigkeit des Versuches einer, theoretisch undurchführbaren, prak tisch die Entfaltung der Gewerbethätigkeit hemmenden Abgrenzung der Arbeitsgebiete herbeiführen, dürfte es kaum noch nöthig sein, den Streit aufzunehmen, da die Bundesgesetzgebung nm der Einführung der Freizügigkeit, die, wenn sie wirksam sein soll, mit der Prüfungspflicht als lokale Vorbedingung der gewerblichen Niederlassung unvereinbar ist, die Frage bereits entschieden hat. Vorwiegend im Interesse der Freizügigkeit hat die Aufhebung der Prüfungen sogar weiter ausgedehnt werden müssen, als dies in einer großen Zahl der deutschen Gewerbe-Gesetzgebungen be reits geschehen ist. Die Durchführung der gewerblichen Freizügig keit fmdet nämlich ihre besonderen Schwierigkeiten bei den Ge werben, bei welchen die Prüfungspflicht sich nicht aus der Rück sicht auf das Fortkommen der Gewerbetreibenden, sondern daraus motivirt, daß durch ungeschickten Betrieb das Gemeinwohl ge fährdet werden kann. Es sind dies die Medizinalgewerbe, das Gewerbe der Geeschiffer und die Baugewerbe. So lange bei diesen Gewerben in jedem Staate für den Betrieb auf seinem Territorium eine Prüfung erfordert wird, besteht für sie die Freizügigkeit praktisch nicht. Es mußte daher, wo an dem Befähigungsnachweise noch festgehalten werden sollte, der Grund satz durchgeführt werden, daß der einmal geführte Befähigungs nachweis zur gewerblichen Niederlassung in jedem Lherle deS Bundesgebietes berechtige. Wreistt-ster Jahrgang, Ik. Puartat. Rückfichtlich der Medizinalpersonen konnte eine Auf hebung deS Befähigungsnachweises nicht wohl in Frage kommen, denn wenn auch theoretisch hier und da der Satz ausgesprochen sein mag, daß die Gesetzgebung bei ihnen auf einen Befähigungs nachweis füglich verzichten könne, so würde die Gesetzgebung doch in tiefen Widerspruch mit dem öffentlichen Bewußtsein und mit den berechtigten Anforderungen, welche an die Staatsgewalt im Interesse der Sorge für Leben rmd Gesundheit der Staats angehörigen gestellt werden, treten, wollte sie auf diesem Ge biete nicht in wirksamer Weise die Nothwendigkeit eines Be fähigungsnachweises aufrecht erhalten. Um einer sehr gebildeten Klasse von Gewerbetreibenden die Freizügigkeit zu gewähren, blieb daher nur der eine Weg: Prüfungen und Avprobationen von Bundeswegen einzuführen, und dabei Sorge m tragen, daß einestheils die Prüfungen nicht zu einer Förmlichkeit herab sinken, und daß anderntheilS eine unnöthige TeNtralisation des Prüftrnaswesens vermieden werde. Aus letzterer Rücksicht erschien es räthlrch, die Befugniß der Bundes-Regierungen, solche Per sonen für das eigene Staatsgebiet zu approbiren, aufrecht zu erhalten, mit der Maßgabe natürlich, daß die von einer Bundes- Behörde ausgestellte Approbation ohne Weiteres für das ganze Bundesgebiet gilt. Der Entwurf mußte aber auch die bereits approbirten Medizinalpersonen in'S Auge fassen, und kam zu dem Ergebniß, daß die Stellung derselben eS nicht gestatte, ihnen ein Recht zu versagen, welches den kiinstig zu Approbirenden ohne Weitere- zustehen wird. Andere Gesichtspunkte boten sich in Betreff der Bau- handwerker dar. Während die Seeschiffer und dieMediünal- Personen in allen Bundesstaaten prüfungspfiichtig sind, ist der Betrieb der Bauhandwerke in Oldenburg, Bremen, Hamburg und dem vormaligen Herzogthum Nassau ein freies Gewerbe. Während es zulässig ist, die Prüfungen der Seeschiffer und der Medizinal-Personen auf wenige Orte zu beschränken und dadurch die Kontrolle über die Gleichmäßigkeit des Verfahren- zu sichern, würden für die Bauhandwerker sehr zahlreiche Prüfungs-Be hörden eingerichtet werden müssen, für deren wirksame Kontrolle es an Organen fehlen würde. Wenn hiernach die Alternative sich aufdrängte, entweder auf die Freizügigkeit für diese großen Gewerbe, oder auf die Prüfung für den Betrieb derselben zu verzichten, so entschied sich der Entwurf für die Wahl deS letzteren Weges aus den sachlichen Bedenken, welche gegen eine Einrichtung fprechen, die täglich umgangen wird, die eine Garantie verheißt, ohne dieselbe zu gewähren und die durch Trennung der Verantwortlichkeit für den Bau von der that- sächlichen Leitung des Baues das Gefühl der Verantwortlichkeit bei den Personen abstumpst, von deren Gewissenhaftigkeit die Solidität des Baues abhängt. ES konnte endlich nicht unbe achtet bleiben, daß daS freie Gewerbe der Eivil-Ingenieure die verantwortungsvollsten Bauten ausführt, ohne an eine Prüfunqs- psticht gebunden zu sein. Bei denjenigen Gewerben endlich, bei welchen an der polizei- lrchen Genehmigung zum Beginn des Betriebes deshalb fest- zuhalten ist, weil durch Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden m sittlicher Hinsicht das Gemeinwohl gefährdet werden kann, treten sowohl die Rücksichten der Freizügigkeit, als auch das 30