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werde wohl höchsten- ein Deficit von 34'/, Mill. M. ausweifen. Ist diese Angabe richtig, so kann fie nur auf einem versehen de- baierischen Minister» beruhen. Denn der Fehlbetrag beträgt nach dem inzwischen im B"nde»rath etngegangenen Etatsgesetz 80,2 Mill. Mark. Vielleicht sagte aber Frhr. v. Riedel nur, daß es dem BundeSrath möglicher Weise gelingen werde, diese Summe durch Abstriche auf 34 Mill. Mark herabzu' mindern. — Wie bereit» kur» gemeldet, hat der Finanz ausschuß der baierischen Kammer den Antrag deS CentrumSabgeordneten vr. Heim, die Zulassung von Israeliten zum Richterstande zu beschränken, abgelehnt. ör. Heim führte aus, daß die Verfassung durch diesen Antrag nicht verletzt werde, da e» kein Recht auf An« fiellung gebe. Die christliche Bevölkerung habe schwere Bedenken gegen den jüdischen Beamten, eS werde schwer empfunden, wenn ein Christ vor einem Juden einen Eid leisten solle. Da» vertrauen zur Rechtspflege werde durch Anstellung jüdischer Richter gefährdet. Der Justiz- Minister erklärte dagegen, rS sei ein Recht der Krone, die Beamten anzustellen. ES seien vorhanden 3 israelitische Räche am OberlandeSgericht, 13 LandgerichtSräthe, 15 Amtsrichter, 10 Staatsanwälte, 3 landgerichtliche Sekre täre, 4 amt-gerichtliche Sekretäre, 3 Notare (50 Rechts anwälte und Rechtspraktikanten, die noch im StaatS- dienerverzeichniß geführt werden), also 51 jüdische Justtzbeamte. Er weise auf die Bestimmung deS ReichSgesetzeS vom 3 Juli 1869 hin, worin die Gleich berechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staats bürgerlicher Beziehung ausgesprochen sei. Er könne sich daher nicht darauf einlaffen, nach einem bestimmten Procentsatz vorzugehen. UebrigenS würden jüdische Beamte in solchen Bezirken nicht angestrllt, wo die VolkSstimmung entgegen stehe. In der Regel seien tue jüdischen Richter sehr befähigte Leute, die der Justiz verwaltung niemals Schwierigkeiten machten. Gebe man dem Anträge statt, so werde man künftig vielleicht auch bei den Protestanten das procentuale Verhältniß fordern. Am vergangenen Sonntag fand in München die Einweihungsfeier des Neubaues der Reichsbank hauptstelle statt. Gelegentlich eines aus diesem Anlässe veranstalteten KellersesteS legte der Vorstand der oberbaierischen Handels- und Gewerbekammer Kommerzienrath Wcidert die großen Verdienste der Reichsbank nicht nur um Handel und Industrie, sondern auch um die Landwirthschast und das ländliche Kredit wesen in längerer Rede dar, die mit einem Hoch auf den Präsidenten Koch schloß. Präsident Koch betonte in seiner Erwiederung, daß man sich heute nur schwer ein Bild machen könne von den mißlichen Zuständen, welche vor 1870 auf dem Gebiete des deutschen Noten- wesens und dcS deutschen Geldmarktes herrschten. Jetzt sei erwiesen, daß die ReichSbank auch in schwierigen Zeiten ein fester Rückhalt sei und dies habe sich auch bei der Krisis dieses Jahres gezeigt, denn die Reichsbank habe wesentlich zu deren Abschwächung beigrtragen. Indem Redner darauf hinwieS, daß die durch die Krisis bewirkte Hemmung eines allzu schnellen Aufschwunges und allzu großen Erweiterungstriebes mit zu hohem Kredite vielleicht sogar.gut sei, gab er zugleich der Hoffnung Ausdruck, daß sie bald überwunden sein werde. Bezüglich der landwirthschaftlichen Wechsel gehe die Retchsbank weiter als jede andere; gegen den Vorwurf, als ob die Reichsbank nicht genügend für die Landwirthe sorge, brauche er sich daher nicht zu verlheidigen. Ein mehrere Monate andauernder Konflikt der Bremer Kriegervereine mit dem Vorsitzenden des deutschen KriegerbundeS General v. Spitz hat nun feinen vollständigen, für alle Betheiligten befriedigenden Abschluß gefunden. Der Konflikt war bekanntlich da durch entstanden, daß die Bremer KriegervereinSvor- stände eine scharfe Resolution gegen eine Rede de- GeneralS v. Spitz angenommen hatten, in der dieser nach Ansicht der Kriegervereine den bekannten Angriff eines Geistesgestörten auf den Kaiser in Bremen als ein bewußte» Attentat hingestellt hatte. Die Bremer Beretn-vorstände haben jetzt eine vom deutschen Krieger bunde geforderte Erklärung abgegeben, in welcher fie ihre Ausstellungen und Bemerkungen über die Rede des Generals zurücknehmen und fie bedauern, da eine ruhige und unbefangene Erwägung der Rede fie zu der Ueberzeuaung geführt habe, daß ihre Voraussetzung, General v. Spitz habe in seiner Rede der Stadt Bremen Vorwürfe gemacht, eine irrige und daß ihre Kritik der Rede gegenstandslos war. In den Zeitungen war vor einigen Tagen die Rede davon, daß in Baden zwei neue Männerklöster errichtet werden sollen und eS wurden an diese Nach richt die üblichen Schlußfolgerungen geknüpft. Wie jetzt die «Bad. LandeSztg.* meldet, wird die badische Regierung zur Zett keine Niederlassung von Männer klöstern genehmigen. Nm Montag Vormittag fanden gleichzeitig acht Versammlungen von Arbeitslosen Berlin» statt. Die Tagesordnung lautete überall: «Die gegen wärtige Krise, die Arbeitslosigkeit und wie ist Abhilfe möglich?* ES sprachen dazu verschiedene socialdemo- krattsche Abgeordnete. Die Gesammtzahl der Besucher wird auf rund 10,000 Personen geschätzt, unter, denen sich auch Frauen befanden. In allen Versammlungen wurden Beschlüsse gefaßt, die der Regierung und dem Ober-Bürgermeister überreicht werden sollen. Am 18. November wurde in Schierstein eine Dewetbüste enthüllt, wobei eS zu einem furcht baren Tumulte kam. Der Festredner, der freirelt- giöse Prediger der Stadt Wiesbaden, namens Welcker, nannte den deutsch-französischen Krieg im Jahre 1870 einen Raubzug und die Einverleibung von Nassau in Preußen im Jahre 1866 einen Diebstahl. Kaum hatte der Redner diese- gesagt, entstand ein ungeheurer Lärm; eS ertönten «Pfui*- und „Schluß*-Rufe, welche in Tätlichkeiten auSzuarten drohten und erst nach- ließen, als ein Komitömttglied die Rednertribüne be trat und entschieden gegen diese Ausführungen protestirte. Hierauf wurde ein Kaiserhoch ausgebracht und die Nationalhymne gesungen. Oesterreich-Ungarn. Die im Abgeordneten hause immer näher rückende parlamentarische Krise führte, wie das Wiener »Fremdenblatt* mittheilt, zu dem Versuche, eine Aussprache zwischen den Vertretern der deutschen und der czechtschen Parteien herbei zu führen. Deutsche und Czechen sollen zu einer Ver ständigung kommen über die Bedingungen, unter welchen fie bereit sind, der Erledigung deS StaatSvoranschlageS, der Bewilligung deS BudgettS, kein Hinderniß zu be reiten. In parlamentarischen Kreisen glaubt man, daß im Falle des Zustandekommen« einer Vereinbarung die unveränderte Annahme des Voranschlages, in dem be kanntlich einige den Czechen sehr werthvollen Posten enthalten sind, keiner weiteren Schwierigkeit begegnen werde und daß vielleicht durch daS Zusammenwirken bei der Budgetlberathung jene Stimmung erzeugt werde, die auch die Lösung anderer schwierigerer Fragen ermöglichen wird. Wie sich die Czechen zu den Vorschlägen verhalten werden, ist noch ungewiß. Doch verlautet auS czechtschen Abgeordnetenkretsen, daß auch dort die Geneigtheit, zu einer Einigung zu gelangen, vorherrscht und daß man sich keinesfalls von vorn herein auf einen ablehnenden Standpunkt zu stellen beabsichtige. Die Einführung der inneren czechtschen Amtssprache und die Errichtung einer czechischen Uni versität in Mähren werden von den Czechen noch immer in den Vordergrund gestellt. Kaiser Franz Joseph ist über das Stocken der Arbeiten des Reich-- ratheS sehr ungehalten und äußerte soeben: «Die parla mentarische Lage ist wieder sehr ernst; das geht so nicht weiter. ES ist zum Verzweifeln. Vielen Abge ordneten fehlt guter Wille und Courage. Das muß anders werden, denn so geht es unmöglich weiter!* Die „Neue Freie Presse* verzeichnet das in parlamentarischen Kreisen austauchende Gerücht, daß die Auflösung des österreichischen Abgeordneten hauses zu gewärtigen sei, fall- da- Hau- wegen Weigerung der Czechen, das Budgett zu Stande kommen zu lassen, geschloffen werden müßte. Im ungarischen Abgeordnetenhause äußerte im verlaufe der Adreßdebatte Ministerpräsident von Szell betreff- der zoll, und handel-politischen Ver einbarung mit Oesterreich, er Halle die Nach thelle eine» selbstständigen Zollgebiet- für Ungarn nicht für so groß, daß Ungarn fich Oesterreich be. dingung-los ergeben oder schlechte Bedingungen an nehmen müsse. Durch Zolltrennung würde Oesterreich mehr verlieren al» Ungarn, die österreichische Industrie würde vom ungarischen Markte sür immer verdrängt werden. Allerdings werde auch Ungarn in Mitleiden schaft gezogen werden. Daher wäre eS sür beide Theile vorthellhast, e» nicht zum Aeußersten kommen zu lassen. Für den Dreibund trat Ministerpräsident v. Szell mit einer wuchtigen Rede im ungarischen Abgeordneten haus- ein, worin er ausführte: «Auf den Herrn Ab geordneten (gemeint ist da- dreibundfeindliche Mitglied der klerikalen BolkSpartet Stefan Rakowsky) wirkt die Betonung deS innigen Verhältnisses zu den Bundes genossen wie ein rotheS Tuch. Er bäumt fich förmlich dagegen auf und obwohl er auch für Italien nicht schwärmt, ist eS besonder» Deutschland, daS seinen Sympathien ferne steht. Ich erkläre nun, daß diese« innige Bündntß mit Deutschland und Italien im Interesse der Monarchie und Ungarns gelegen ist, wie dieser Bund andererseits ein große- Interesse Deutschlands und Italiens bildet. Rakowsky hat vorgebracht, daß Preußen stets die Habsburger und deren Monarchie befehdet habe. Diese Behauptung ist anachronistisch. Der Krieg von 1870 hat die Situation völlig verändert. Die Haltung unsere- weisen großen Monarchen, seine nur vom Pflichtgefühl und von Liebe zu seinen Völkern erfüllte Stellungnahme, die Gründung de- deutschen Reiches, alles dies sind geschichtliche Thatsachen, welche die preußischen Bestrebungen auf ein ganz anderes Gebiet verlegt und die preußische und deutsche Politik durchaus umgewandelt haben. Die Persönlichkeiten, welche Deutschlands Politik heute lenken, find viel zu bedeutend — und unter diese gehört in erster Reihe der große deutsche Kaiser —, als daß fie jene über wundenen Traditionen auSgraben sollten. UeberdieS hat daS Bündniß einen solchen Charakter, daß eS ein vollkommen gute- Einvernehmen mit den anderen Mächten nicht auSschlteßt, daß England, obzwar es dem Bündnisse nicht betgetreten ist und der dort herrschen den Tradition gemäß auch nicht bettreten wird, sich dennoch an das Bündniß anlehnt. Das Bündniß er möglicht ferner, daß bezüglich jener Interessen, welche der Dreibund auf dem Balkan nicht deckt, wir behusS Erhaltung der internationalen Ruhe und aus der Grund, läge der freien Entwickelung der Balkanstaaten mit Rußland einvernehmlich zusammengehen können. Wa den Vorwurf betrifft, daß wir wegen deS Dreibünde- rüsten, so ist dies unrichtig. Denn unsere Sicherheit liegt in erster Reihe in unserer Wehrkraft. Was den alldeutschen Verband betrifft, ferner was die Behauptung bezüglich des Gustav Adolf-Vereins und des Echul- vereinS betrifft, so bin ich dem Abgeordneten Rakowsky verbunden, daß er mir Gelegenheit zu zwei Bemerkungen gegeben hat. Erstens, falls ich wahrnehmen würde, daß ein pangermanischer Verein hier gegen den ungarischen Staat oder gegen die Monarchie, gegen die Integrität des Landes oder die politische Einheit der ungarischen Nation Agitation betreibt, so werde ich dem unter allen Umständen entgegentreten. Und wir werden nicht ge statten, daß die hier lebenden deutsch sprechenden Staats bürger, welche treue Söhne deS Vaterlandes find, durch Agitatoren — kommen sie nun auS Deutschland oder anderswoher — in ihrer Treue erschüttert werden. Die zweite Bemerkung ist die, daß jene Bestrebungen, welche die alldeutschen Vereine zu verbreiten bemüht sind — ich spreche da- aus Grund authentischer Informationen auS —, seitens der leitenden Kreise Deutschlands keinerlei Geld. Novelle von M. Böhme. (Nachdruck verboten.) Der alte Konsistorialrath Preetzmann saß auf dem Balkon feiner Billa in Leipzig-Gohl S und lauschte an dächtig den reichen, wundervollen Akkorden einer Händel'ichen Komposition, die seine jüngste Tochter Helene in vollendetem Spiel dem Flügel entlockte. Der alte Herr war rin eifriger Musikenthusiast; seiner Tochter zu Liebe, die schon als Kind eine ungewöhn liche musikalische B-gabung entwickelte und die da» Konservatorium befucden wollte, hatte er nach seiner P.nsionirung seinen Wohnsitz nach Leipzig verlegt, wo er auf seinem kleinen idyllischen Besitzthum nun feine Tage zu beschließen gedachte. Soeben verrauschten die vollen majestätischen Akkorde der Schlußkadenz. Nach einer Werle wurde der Flügel geschloffen m d Helene trat au» dem Musik- zimmer zu dem Bater auf den Balkon hinau-. ES war ein herrlicher Spätnachmittag im Juli. Die Sonne lag warm und still, wie schlafend, auf dem grünen Sammetrafen de- sorgfältig gepflegten Vor garten-. Muntere Vogelstiwmchen erfüllten die goldig flimmernde Sowmerluft und ganze Wolken füßer Rosen- und Refedendüfte wehten aut den Blumenbeeten unten zum Balkon hinauf. „Ich meine, so schön wie ia di sem Jahre hätten die Rosen noch gar nicht geblüht!* sagte Helene und bog sich etwa» über da» eiserne Giller de» von einer ^rau<oth gestreiften P rfievne überschatteten Balkon». „Schade, daß die Mutter da- nicht mehr steht! Wie würde sie sich über die Pracht gefreut haben!* „Ich dachte vorhin dasselbe*, entgegnete der alte Herr wehmüthig. „Wenn wir die Mutter noch hätten, wüßte ich überhaupt nicht, was unS noch zu einem vollkommenen Glück fehlte. Etwa« muß immer zu wünschen übrig bleiben und irgend ein Mangel und ein Leid muß rmmer sein, damit uns der Abschied der maleinst nicht gar zu schwer sällt. Die Welt ist so wunderschön —* Helene nickte und während sie unverwandt auf die duftende Fluth der Rosendlüthe und in die Fülle de» fröhlichen, duftenden Grün» zu ihren Füken blickte, ging ein seltsame- Gefühl durch ihre Seele, irgend ein unbekannte», wehmüthige» Ahnen, daß die köstliche, friedvolle, behagliche Gegenwart nur ein Stadium sei, dem eine andere, weniger ruhige, weniger glückliche Zukunst solge; aber die Empfiudung war zu unklar, al- daß sie sie m Worte kleiden konnte. In diesem Augenblicke trat da- Dienstmädchen herzu und brachte eine Karte. „Frau Adelheid Schützel-Warren, Stift-dame*, las der Konsistorialrath. „Kennst Du die Dame, Lenchen?* Helene schüttelte den Kopf. „Ich höre den Namen zum ersten Mal.* „Vielleicht eine Dame, die uns Grüße von Propst Reede überbringt — Du erinnerst Dich wohl seiner, er hat un» oft in L besucht. Er ist Patron de» adligen Damenstift» in L.* — „So wird rS sein*, sagte Helene, „Du hast die Dame doch in den Sa^on geführt, Gufiel* DaS Mädchen bejahte. Helene band die große schwarze HauSschürze ab und schickte sich an, zu gehen. „Kommst Du mit, Vater?* „Gleich! Geh' nur voran, Kind.* Inmitten de» zur ebenen Erde belegenen Empfang- zimwerS erhob sich bei HelevenS Eintritt eine ältere, schwarz gekleidete Dame und eilte mit auSgestreckten Händen auf sie zu. „Mein l'ebeS, gnädige» Fräulein, verzeihen Sie, daß ich Sie zu einer so ungewöhnlichen Stunde über- falle und wahrscheinlich sogar störe*, ries sie. „Seit einem halben Jahre bin ich, dem Vorsatz nach, täglich auf dem Weg zu Ihnen, um Ihnen die mir auf getragenen Grütze von —* sie nannte die Namen einiger auswärtiger Bekannten der Familie Preetz mann — „zu überbringen. Ja, ich wollte längst zu Ihnen kommen, aber Sie glauben nicht, liebes Fcäu- lew, wie schwerfällig und beinahe menschenscheu man Wird, wenn man, wie ich, durch traurige Ereignisse und herbe Ersahrungen gezwungen wird, längere Zeit auf jeden Verkehr zu verzichten . . . .* Bei diesen Worten führte die StiftSdame ihr stark parsümirte» Taschentuch an die Augen. „Auch heute wurde mein Entschluß, Sie aufzusuchen, eigentlich nur durch einen Zufall herbeigeführt. Ich hatte hier in Gohli» zu thun und wie ich an Ihrer Villa vorübergehe, höre ich ein meiste, haste» Klavierspiel. Die Komposition — e» war doch Beethoven —* „Händel!* berichtigte Helene. (Fortsetzung folgt.)