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fischen, die sehen ihn überall. Ich aber erblicke ihn nirgends am Horizont, weder im Osten, noch im Westen, weder im Süden noch im Norden. Glauben Sie nicht, daß ich den französischen Einfluß gering schätze oder gar mißachte. Ich weiß, was man über die Be. Ziehungen Deutschlands zu Frankreich in letzter Zeit gesagt und geschrieben hat. Es liegt in den meisten dieser Auslassungen viel Dummheit und auch viel Bös, Willigkeit und vor Allem ein vollständiges Verkennen der Thatsachen. Ich habe den Schwur gethan, meinem Sohne Deutschland in derselben Gestalt zu hinterlassen, wie ich es vorgefunden. Ebenso wenig, wie mein Großvater, träume ich davon, mich in Abenteuer zu stürzen. Die französische Regierung war es, welche Deutschland im Jahre 1870 angegriffen hat. Zwanzig Jahre sind seitdem in Ruhe verflossen. Giebt es anderswo, als in meinen elsaß-lothringischen Provinzen noch Spuren von diesem großen Konflikte? Nein! Ich will den Frieden, ww meine erhabenen Ver bündeten und die Tripelalliance hat so sehr und so klar den Charakter eines Defensiv-Bündnisses, daß es unnöthig erscheint, darauf noch besonders hinzuweisen. Diese Alliance existirt, weil sie für das Wohl der Nationen und für die Sicherheit Europas nothwendig ist. Ich werde den Frieden den auswärtigen Gegnern Deutschlands wie den inneren Feinden, wenn es sein muß, mit Gewalt auferlegen. Sobald die öffentliche Ordnung gestört werden sollte, wird meine Armee ihre Pflicht thun. Im Uebrigen muß ich das Werk zu Ende führen, welches zu vollenden mein verstorbener Großvater nicht die Zeit gehabt hat." Angesichts des Umstandes, daß man in den maaßgebenden Kreisen zu Berlin und Wien mit der Absicht umgeht, das politische Bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn durch Abschluß einer Zollunion auch auf das wirthschaftliche Gebiet auszudehnen, erscheint es angebracht, einen kurzen Ueberblick über die Handelsbeziehungen der beiden Länder zu einander zu geben. Der Handelswerth der deutschen Einfuhr nach Oesterreich beziffert sich durch schnittlich auf 360 Millionen Gulden jährlich. Diese Zahl repräsentirt mehr als 60 Proc. der gesammten österreichischen Einfuhr. In der Liste der importirten Artikel springt zunächst dre große Gruppe der Textil- waaren hervor. Rohstoffe, Halbfabrikate und Fabrikate aus Wolle und Schafwolle repräsentiren allein einen Werth von mehr als 100 Millionen Gulden. An Seidenwaaren, Kleidern und Wäsche bezieht Oesterreich aus Deutschland an 1b Millionen Gulden. Betreffs aller dieser Artikel hat nun Deutschland ein wesentliche- Interesse an der Herabminderung der Zölle und hier wird zunächst der Hebel anzusetzen sein. Dann kommt die Politische Weltschau. Deutsche- Reich. Ein Pariser Journal, der „Gil BlaS", veröffentlicht eine Unterredung, welche der Kaiser Wilhelm gelegentlich seiner jüngsten Anwesenheit in Oester reich mit einer hochgestellten Persönlichkeit über Elsaß- Lothringen gepflogen hat. Nach dem genannten Blatte, welchem wir natürlich die Verantwortung für die Richtigkeit seiner Mittheilungen überlassen müssen, äußerte der Monarch wörtlich: „Ich liebe Elsaß und die Elsässer sehr; sogar ihre Starrköpfigkeit gefällt mir. Es sind echte Deutsche, sie haben alle Tugenden der germanischen Rasse. Einen Beweis dafür bildet die Thatsache, daß sie trotz ihrer 200 jährigen Annektion durch Frankreich noch heute theilweise deutsch sprechen. Man hat uns in dieser Hinsicht sehr getäuscht. Schon meinem verehrten Herrn Großvater sagte man, daß, wenn er nach Straßburg ginge, er Gefahr laufen würde, dort einem Schüler Nobiling's zu begegnen. Er reiste aber trotzdem hin, mit jenem bescheidenen Heroismus, den er in allen seinen Handlungen an den Tag legte und die Straßburger haben ihn mit Ehr- furcht empfangen. Ich weiß wohl, daß sie keinen stürmischen Enthusiasmus zeigten. Aber kann man ihnen deswegen zürnen? Ich habe die Elsässer in der Nähe gesehen und bin sicher, daß meine Regierung keine gehorsameren Unterthanen hat, als gerade in den Reichslanden. Ich weiß, daß viele Elsässer heute gute Deutsche sind und bin entschlossen, ihnen alle Stellen in der Verwaltung der Reichslande zu reserviren. Man soll in Elsaß Lothringen wissen, daß ich Frieden unter den erregten Geistern Herstellen will und daß ich nur gegen Berräther unerbittliche Strenge walten lasse. Ich habe die Pflicht, die Erbschaft meines Großvaters, welcher dem deutschen Baterlande seine natürlichen Grenzen wiedergab, zu vertheidigen; meine Armee und mein Volk zählen auf mich, daß ich sie gegen jede Beeinträchtigung schütze. Nirgends habe ich übrigens in Elsaß die Spuren jener unversöhnlichen Opposition gefunden, von der man mir so viel ge sprochen. An dem Tage, da Niemand mehr über die Gesinnung der Bevölkerung der Reichslande im Zweifel sein kann, wird der Friede auf lange Jahre in Europa gesichert sein. Der Friede! Ist er nicht das Ziel, nach dem alle Anstrengungen der modernen Politik hinstreben müssen? Haben meine glorreichen Vorfahren jemals einen anderen Ehrgeiz gekannt, als die Aufrechterhaltung des Friedens unter Wahrung der normalen Entwickelung der germanischen Idee. Mein Großvater hat große Siege errungen, ohne aber je mals die Initiative zu emem Kriege ergriffen zu haben. Wo droht nun heute der Krieg? Die im trüben Wasser wichtige Gruppe de- Eisens. Man weiß, daß mächtige Interessen mit dieser Industrie verbunden sind, welche ihren Vortherl sehr energisch zu wahren versteht. Die Vertreter der E,senbransche in Oesterreich haben erst vor wenigen Jahren eine Erhöhung des Roheisenzolles erwirkt und diese Herren werden sich daher auch jetzt mit aller Macht gegen eine Herabsetzung desselben sträuben. — Oesterreich importirt nach Deutschland Waaren im Werthe von ungefähr 400 Millionen Gulden. Davon entfallen allein auf Getreide an 45 Millionen Gulden und auf Hopfen, Hülsenfrüchte, Obst und einige Feld pflanzen 12 Millionen Gulden. Unser Nachbarstaat wird daher Zollfreiheit oder doch wesentlich ermäßigte Zölle für Getreide, Mehl, Vieh und Holz fordern und daß hiermit namentlich die deutschen Landwirthe nicht einverstanden sein werden, liegt auf der Hand. Man sieht also, der wirthschaftlichen Annäherung zwischen den beiden Ländern stehen sehr bedeutende Schwierig keiten entgegen. Seit einiger Zeit schwirren Nachrichten durch die Presse, welche von einem bevorstehenden Personenwechsel in mehreren höheren Beamtenstellen wissen wollen. Guten Erkundigungen zufolge ist jedoch davon nur Weniges wahr und dies Wenige noch dazu verfrüht. Das Gerücht, der Minister des preußischen Königshauses, v. Wedell-PieS- dorf, werde seine jetzige Stellung mit der des Ober präsidenten der Provinz Sachsen vertauschen, wird von amtlicher Seite dementirt; jedoch erhält sich die Mei nung, daß der Rücktritt des Genannten nur eine Frage der Zeit sei und voraussichtlich zum Frühjahre erfolgen werde. Völlig ohne thatsächlichen Anhalt ist aber die Meldung, daß der preußische Minister des Innern au- dem Kabinette ausscheiden wolle. Herr Herrfurth hat sich seit seinem Dienstantritte nach allen Testen hin be währt und steht daher auch bei dem Kaiser in hoher Gunst. Es liegt somit nicht der geringste Grund vor, weshalb er seiner Thätigkeit überdrüssig sein sollte. Dagegen scheint das Gerücht, der Generalstabschef Graf Waldersee werde über kurz oder lang sein höhe- militärisches Amt an einen anderen und zwar wahr- scheinlich an den Grafen Häseler abtreten, nicht so ganz aus der Luft gegriffen zu sein. Wenigstens spricht man in für gewöhnlich wohlunterrichteten Kreisen schon seit längerer Zeit von diesem zu erwartenden Ereignisse. In dem „Deutschen Wochenblatte" unterzieht der Landesdirektor Graf Witzingerode das Alters- und Jnvaliditäts-Versicherungsgesetz einer sehr eingehenden Kritik, indem er namentlich auch die Frage erörtert, ob dasselbe überhaupt praktisch durchführbar sei oder nicht. Der Verfasser gelangt schließlich zu nachstehen dem Resultate: „Die Hauptsstwierigkeiten beruhen — abgesehen von den enormen Einrichtung-« und Ber Feuilleton Auf Helgoland. Novelle von Eugen Conrad. Nachdruck verboten. (5. Fortsetzung.) „Wenn e- gefallen hat, ist mein Zweck erfüllt"' entgegnete Toni einfach, „eS fiel mir ein und ich sang eS, ohne daß ich eS eigentlich wollte." „So einfach da- Lied war, besser konnte eS nicht gefallen, doch" — Nürow neigte sich näher zu Toni »Sie wählten es aus einem anderen Grunde. Darf ich da- Motiv nicht wissen? Vertrauen Sie mir nicht?" Eine jähe Röthe ergoß sich über das Antlitz Toni's, sie senkte den Blick. „Wie sonderbar Sie fragen", flüsterte sie. „O, ich errathe, Fräulein, was geschehen", fuhr Nürow fort, der keine Sekunde den forschenden Blick von Toni abwandte „und Ihre Worte lassen erkennen, daß ich mich nicht getäuscht. Aber nehmen Sie meine Versicherung entgegen, er darf Sie nicht besitzen, Sie dürfen nicht die Gattin eine- Maler- werden . . „Herr von Nürow! Man wird aufmerksam!" rief Toni, heftig erschrocken über die leidenschaftlichen Borte de- Hreiherrn. Dieser sah sich um. „Ich werde mich bezwingen, Fräulein, ich werde schweigen — aber wir sehen uns wieder — darf ich hoffen?" Toni nickte unmerklich mit dem hocherglühten Köpfchen. Das Hinzukommen der Freifrau befreite sie aus der höchst peinlichen Situation, doch wollte es ihr nicht mehr gelingen, so Hester zu erscheinen wie vordem. Nürow begab sich hinaus auf den Balkon, die Kälte that ihm wohl, er mußte das aufgeregte Blut abkühlen. Vielleicht fünf Minuten später erschien der Professor neben ihm. Er hatte das wte-ü-töts de- Freiherrn mit Toni beobachtet und war darüber auf's Höchste auf. gebracht. Er folgte Nürow auf den Balkon, um diesem seine begangene Taktlosigkeit vorzuhalten. Nürow befand sich jedoch nicht in der Stimmung, sich mit dem Professor in einen Wortwechsel einzulassen. Was dieser ihm sagen wollte, wußte er, ihn nahmen andere gesell schaftliche Pflichten in Anspruch. Er wandte sich dem Professor zu und einige Augen blicke standen sich die beiden Männer Äug' in Auge gegenüber, Keiner sprach ein Wort, dennoch gewann Jeder die Ueberzeugung, daß einer den andern haßte — haßte um seiner selbst, um Toni's willen. Siebentes Kapitel. Der Strandläufer stand in seiner Hütte am Fenster und betrachtete aufmerksam einen kleinen goldenen Finger- reif, welcher seinem Umfange nach nur an eine Frauen hand gehören konnte. „T. T.", murmelte er nachdenklich vor sich bin, immer wieder die beiden auf der Innenfläche des Fingerringes eingravirten beiden Buchstaben betrachtend. „Die Buchstaben stimmen, T. T., wie kann da- ander- heißen, al- Toni Thalmann? Und auch der Ort, wo ich den Ring fand, läßt darauf schließen, daß er der Fremden gehört, denn an jener Stelle muß sie gelandet worden sein." Er drehte den Ring noch einige Male zwischen den Fingern herum und verbarg ihn dann sorafältig. Hierauf verließ er die Hütte und schlug den Weg nach dem Hause Meister Jörgens ein. Was er dort wollte, wußte er selber nicht, vielleicht konnte er die Fremde treffen, was ihm bis jetzt noch nicht gelungen war. Auf halbem Wege kam ihm Nina entgegen. Sie hatte einen großen Korb am Arme hängen und ging nach dem Strande. Der Strandläufer blieb stehen und wartete, Vi das Mädchen dicht an ihn herangekommen, erst dann grüßte er. Nina war so in Gedanken versunken, daß sie über seinen Gruß leicht erschrak. „Da- wollte ich nicht, Jungfer Nina", entschuldigte sich der Strandläufer, an sie herantretend. „Wenn- Euch genehm ist, begleite ich Euch. Ihr seid auf dem Wege nach dem Strande, da will ich auch hin. Wollt Ihr, so gehen wir zusammen und ich helfe Tuch, wenn Ihr'- erlaubt, Sure Arbeit fertig machen." Da- Mädchen sah ihn groß an, sie wußte äugen- scheinlich nicht, wa- sie von dem Anerbieten halten sollte. „Ich seh'", fuhr der Strandläufer gesprächig fort, „Jh- habt nicht- dagegen, also kommt." Sw gingen eine Weile schweigend neben einander her, erst als sie da- Dorf passirt hatten, brach der Strandläufer, der bis dahin seine Begleiterin scharf von der Seite fixirt, da- Schweigen. „Ihr habt Euch gewaltig verändert. Jungfer", sagte er. „Was ist Euch? Darf ich s nicht wissen?" älhsisihe VorhMmg. <§m unterhaltendes Blatt für den Bürger und Sandmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt Dienstag, dm 14. Ml ober 189ü. Mr. 121 52. Jahrgang. Inseraten« Annatzmestellrn: Die Arnoldische werden bis Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kostov: dirlspalt.Zeile ISPfg. Unter Eingesandt: 30 Pfg. Buchhandlung, Jnvalidcndank, Haasenstein L Vogler, Rudolf Mosse, Exped. U. Redakit»« Dresden-Neustadt N. Meißner »affe 4. Die Zeitung erscheint Dienst«!, Dounerfta, und Sonnabend früh. Adonnemcnts- PretS: Vierteljahr!. M. 1M Zu beziehen durch die kaiserlichen Post- anstalten und durch unsere Boten. 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