Volltext Seite (XML)
Inserate werden bis Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und tosten: die1spalt.Zeile15Pfg. Unter Eingesandt: 30 Pfg. Jnscratcn- Annahmestellen: Die Arnoldische Buchhandlung, Jnvalidendant, Haascnstein L Bögler, Rudols Mosse, G L. Daube L Co. in Dresden, Leipzig, Hamburg, Berlin, Frankfurt a/M. u. s. w. ächsislhk D orheilmA. Lin unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. AmtShauptmannschaften Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmann Wüller in Dresden. Expcd. u. Redaktion Dresden «Rtuftadl tl. Meißner Hasse 4. Die Zeitung erscheint Dtenftag, Dsnnerfta, und knunabend früh. Adonnemeut»- Preis: vierteljührl. M 1,5L Zu beziehen durch die kaiserlichen Post- anstalten und durch unsere Boten. Bei freier Lieferung ins HauS erhebt die Post noch eine Ge bühr von 25 Pfg. Ztr. 1V5. Sonnabend, den 6. September 1890. 52. Jahrgang. Politische Weltschau. Deutsches Reich. Bereits wiederholt ist bekannt» sich in der Presse wie im Reichstage die Frage auf geworfen worden, ob es nicht angängig erscheine, daß beim Militär die dreijährige Dienstzeit durch diezweijährige ersetzt werde. So ost aber bislang ein diesbezüglicher Vorschlag gemacht wurde, wies die Heeresverwaltung denselben noch immer kurzer Hand ab mit dem Be- ! merken, daß einer derartigen Reduktion der Dienstzeit ! aus Rücksichten auf die innere Armee«Organisation nicht zugestimmt werden könne. Nunmehr ergreift aber ein ehemaliger Militär, der verabschiedete württem- bergische Hauptmann Miller, in einer soeben erschienenen Broschüre das Wort, um für die Einführung der zweijährigen Dienstzeit eine Lanze zu brechen und alle gegen diese Maaßreqel geltend gemachten Bedenken zu zerstreuen. „Es sind mir zahlreiche Officiere aller Grade bekannt" — so führt der Verfasser u. A. aus — „welche sich principiell gegen die Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit erklären. An der Schlagfertig keit des deutschen feeres und der Wehrfähigkeit der Nation zu rütteln, fällt in diesen Kreisen sicher Niemandem ein. Eine andere Frage aber ist die: j Sind wir auf die Dauer im Stande, die alle Kräfte ! der Nation in Anspruch nehmenden und mit der Zeit i verzehrenden Lasten zu ertragen? Und doch müssen wir, angesichts des m Waffen starrenden Europas, unsere Schlagfertigkeit und Wehrfähigkeit nicht nur peinlich erhalten, sondern womöglich roch steigern. Giebt es keinen Ausweg, giebt es keine Mittel, um, unbeschadet unserer Schlagfertigkeit, die Lasten für das Friedensheer mindern, den sinkenden Nationalwohlstand heben und dadurch in sicherer Konsequenz die Wehr fähigkeit der Nation erhöhen zu können? Ich will hier einen alten, erfahrenen Officier sprechen lassen, welcher mir einst auf diese Frage erwiederte: „Ja, es ! giebt Mittel und Wege, vermöge deren man den er« > wähnten Zweck sehr leicht erreichen kann. Von einem j Manne, der mehr als 35 Jahre gedient hat, werden Sie nicht wohl voraussetzen, daß er Heereseinrichtungen bemängeln will. Ich möchte nur praktische, auf viel- j jähriger persönlicher Erfahrung basirende Andeutungen ! geben. Ich thue dies um so offener, weil das, was ich sage, auch die Ansicht vieler höherer Officiere ! in der deutschen Armee ist. Doch abgesehen davon, steht mir meine Ueberzeugung von der Richtig keit meiner Ansichten höher als die Rücksichtsnahme auf althergebrachte Einrichtungen, die nichts für sich haben, als daß sie eben althergebracht, aber darum noch lange nicht nothwendig, vielmehr schädlich oder doch wenigstens entbehrlich sind." Diese einleitenden Worte eines all ¬ gemein als sehr tüchtig anerkannten Officiers haben mir damals viel zu denken gegeben und mich in der Folge veranlaßt, alle Gründe, welche für und gegen die dreijährige Präsenz geltend gemacht werden, mit einander zu vergleichen. Ich betrachtete zunächst ein. mal auf Grund meiner eigenen Erfahrungen sowohl, als auf Grund dessen, was ich hörte und was ich nicht hörte, eine Ersatzreservekompagnie. Seit 1881 werden Ersatzreservisten in der Armee ausgebildet. Die UebungSdauer für diese Mannschaften beträgt, wie bekannt, das erste Mal zehn Wochen, im darauffolgen den Jahre sechs Wochen (früher vier) und zum Schluffe folgt eine dritte Uebung von vier Wochen. Die Kom- pagnie kommt nach zehn Wochen einer Linienkompagnie in der Ausbildung beinahe gleich. Die gesammte theoretische Instruktion vom Eide der Treue bis zum letzten Dienstzweige ist erlernt. Seine Waffe, das Gewehr, kennt der Mann gründlich, er versteht es in jeder Hinsicht zu handhaben, sowohl was die Visir anwendung, Feuerwirkung, Haltevorschrift im Schul- fchießen wie im Gefechte, einzeln wie in Massen betrifft. Er kennt den ganzen komplicirten Schloßmechanismus. Seine Ausbildung im Gefechte verschafft ihm die Kenntniß der Signale, der Benutzung des Geländes; er ist geübt, sich rasch und sicher nach gegebener An weisung „einzugraben"; er kennt alle Feuerarten, mit einem Worte: er kann sich :m Gefechte richtig ver halten. Im Felddienste stellt man an ihn dieselben Anforderungen wie an einen Liniensoldaten. Er muß im Ausklärungs- und Sicherheitsdienste, sowohl im Marsche als auf Vorposten verwendbar sein. Alles dies wird aber nicht nur von den betreffenden Mann, schäften verlangt, sondern, was weit wichtiger ist, von denselben auch geleistet. Die Kritik der Vor gesetzten nach den Schlußvorstellungen hat freilich immer etwas auszusetzen, weil man den Mannschaften in der Regel absichtlich kein ungetheiltes Lob spendet. Man erkennt wohl den Fleiß und die gute Führung derselben an, betont aber gleichzeitig, daß die Mann schaften so gut wie nichts gelernt, vielmehr trotz ihres Fleißes die Unmöglichkeit bewiesen hätten, in der ge gebenen Zeit sich daS Nöthige anzueignen. Dasselbe bekommen die Unterofficiere und Gefreiten zu hören. Anders lautet dagegen die Parole unter den Kompagnie führern. Es wird ihnen ganz offen ausgesprochen, daß die Leistungen überraschend gute gewesen seien und daß man die Kompagnie im Wesentlichen von einer Lmientruppe kaum habe unterscheiden können. Auch die Schießresultate sind oft vorzügliche, wenn man auch zugeben muß, daß die Bedingungen absolut leichter als bei der Linie sind; rela tiv gehalten sie sich aber eher schwieriger, sofern man nemlich die erwähnten Momente, welche die AuSbUdung der Ersatzreserven er schweren, in Betracht zieht. Später in die Linien- kvmpagmen eingestellte Ersatzreservisten sind oft in der Masse kaum zu erkennen und machen, trotzdem ihnen eine parademäßige Ausbildung abgeht, den Parademarsch, diesen Prüfstein für die Strammheit einer Truppe, den auch manchmal ein Dreijähriger „verknallen" läßt, mit. Nehmen wir nun statt der schwächlichen Ersatzreservisten eben so viele gänzlich fehlerfreie, waffenfähige Leute, ein gründlich ge schultes, zusammengeschweißtes, dem Kompagniechef persönlich bekanntes, von ihm peinlich ausgebildetes, an seine Intentionen gewöhntes Lehrpersonal von Unter- oificieren, dazu zwei bis drei Officiere und ein volles Jahr Ausbildungszeit für die verschiedenen Dienst zweige — welches Resultat muß dann erreicht werden? Ganz abgesehen vom Systeme der Einjährig-Freiwilligen ist auch für die Ausbildung der übrigen Mannschaften ein Zeitraum von drei Jahren nicht erforderlich; dies geht schon daraus hervor, daß eine Anzahl Soldaten bereits nach dem zweiten Dienstjahre oder viel mehr bei Anrechnung der Urlaubszeiten und der Rekrutenvakancen schon nach einem Jahre und acht Monaten entlassen wird. Geschähe dies mit dem ganzen dritten Jahrgang, d. h. fiele dieser überhaupt weg, dann hörte damit auch das System der Beurlaubung zur Disposition auf, welches so viel Erbitterung und Mißliebigkeit erzeugt und bei dem, auch die peinlichste Gewissenhaftigkeit vorausgesetzt, naturgemäße Ungleich heiten nicht zu verhindern find. Man weiß in der That nicht, was man mit den Zurückgebliebenen des dritten Jahrganges anfangen soll. Sie verbringen den ganzen dritten Winter — im Uebrigen mit sehr vielen Leuten deS zweiten Jahrganges — auf der Wache, als Burschen von Feldwebeln, Ordonnanzen und in sonstigen Sinekuren. Am Dienste haben sie keine Freude mehr; er ist ihnen gleichgiltig, langweilig, weil sie beim besten Willen nichts mehr lernen können." Der „Hamburger Korrespondent" stellte dieser Tage in einem „Zu der Kaiserbegegnung" überschriebenen Artikel Betrachtungen an, welche in der Behauptung gipfelten, die Zusammenkunft deS Kaisers Wilhelm mit dem Czaren habe den an sie geknüpften Erwartungen nicht ganz entsprochen. Das Blatt folgerte dies u. A. daraus, daß man in Petersburg ein Entgegenkommen deS deutschen Kaisers voraussetzte, von dem vernünftiger Weise keine Rede sein konnte, daß der Abschied der beiden Monarchen sehr verschieden von dem Empfange gewesen, indem die anfängliche Herzlichkeit seit dem letzten oder vorletzten Manövertage einem kühleren Verhältnisse gewichen sei. In Petersburg nehme man an, Kaiser Wilhelm habe verschiedene Vorschläge Feuilleton. DaS Kartenorakel. Von Adolph Sündermann. 1. Sylvester. In der Residenzstadt B. war noch regeS Treiben. — Obgleich Mitternacht nicht mehr fern war und der Wind wässerige Schneeflocken den hin- und hereilenden Bewohnern in das Gesicht jagte, so kümmerte sie dies doch wenig. Sie hatten es Alle eilig, denn Jeder wollte ja im Kreise guter Freunde dem nun bald scheidenden Jahre ein Lebewohl sagen und da- Neue mit einem freudigen „Willkommen" begrüßen. ES war ja heut' der 31. December 18 . . — der Sylvester abend ! Sylvester, bedeutungsvoller Klang! Erinnerung und Hoffnung — Vergangenheit und Zukunft — wie liegen so beide nahe nebeneinander am Sylvester! Wohl Allen, wenn die Erinnerung eine freudige ist, die Hoffnung ist es ja immer — wäre eS auch dieselbe, die im ver flossenen Jahre unerfüllt geblieben — wieder tritt sie und wohl stärker und gewisser im Herzen de- Menschen beim Wechsel deS großen Zeitabschnitte-, deS Jahres, auf. Nun, so eilt denn ihr Bewohner der Residem! lind bringt auch so Manchem die Erinnerung trübe Gedanken, ist die Gegenwart auch nicht geeignet, ihn zu erfreuen, möge er heute wenigsten« glücklich sein in der Hoffnung! Ein Erinnern und ein Hoffen ist ja da ganze menschliche Leben! Das große stattliche Gebäude „Zum goldnen Löwen" auf der S . . straße war glänzend erleuchtet. Luftige heitere Musik tönt uns aus der oberen Etage desselben entgegen. Eine fröhliche Gesellschaft feiert dort nach ihrem Geschmacke Sylvester. Im lustigen Reigen flattern sie da oben und im berauschenden Taumel des Vergnügens hinüber auS dem alten in'S neue Jahr. Wir durchschreiten den hohen, gewölbten Durch gang des Gebäudes und gelangen über den Hofraum zu einem kleinen Hinterhause. — Blinkt da unten nicht ein matter Lichtschimmer, gleichsam als ob er aus der Erde käme? Und so ist's auch beinahe dort unten in der Kellerwohnung, aus welcher daS Lichtlein schimmert. Steigen nur hinab! Da sitzt ein altes Mütterchen gekrümmt auf einem hölzernen Schemel am kalten eisernen Ofen und blickt trüben AugeS in daS kleine, winzige Oellämpchen, welches vor ihr auf einem gebrechlichen alten Tischchen steht. An der Wand befindet sich ein ärmliches Stroh, lager mit einigen Federbetten von zweifelhaftem AuS- sehen, ob sie auch wirklich den Namen verdienen? An der anderen Wand ist ein Brett befestigt, auf welchem sich einiges irdene- Geschirr befindet. Auf der Seite deS Gemache-, wo das Fenster angebracht ist — wenn nemlich die kleine Oeffnung der Wand, in welcher sich mehr Papier al- GlaS befindet, so genannt werden darf — stehen noch zwei gebrechliche Holzstühle und in der Ecke derselben ein Wasserkrug. Noch immer sitzt die Alte still auf ihrem Schemel, als plötzlich knurrend und schnurrend etwas Lebendiges auf ihren Schooß springt. Da- Mütterchen fuhr auS seinem Sinnen empor. „Ay, Peter, bist Du es? Du hast mich ja ordentlich erschreckt" — sagte sie, indem sie eine alte schwarze Katze zärtlich streichelte — „merkst Du was? bekommen wir heute noch Besuch? Ja, ja, ich denke, Lisette kommt schon noch, wenn eS auch schon spät sein mag." Ein Klopfen an der Thüre unterbrach diese- Gespräch. Bald darauf trat eine Frauengestalt in'S Gemach. Die Alte stand hastig auf und eilte trippelnd der Eintretenden entgegen. „Schlecht Wetter draußen, Lisette!" rief sie, „aber Du bist doch gekommen, wußte eS schon und bin auch deshalb aufgeblieben. Na, komm, komm, lege Dein Tuch ab und setze Dich." „Aber, Mutter, da« ist ja schrecklich kalt hier. Habt Ihr kein Holz mehr? Ich habe Euch ja erst " »Holz? Ja, ja, Herzchen, hab's für Dich auf gespart; aber jetzt wollen wir unS ein warmes Stübchen machen", erwiederte die Alte, indem sie sich langsam zum Ofen bewegte. „Na, laßt nur da-, Mutter" rief daS junge Mädchen — „ich werde das schon besorgen." Bald brannte ein Helles Feuer im Ofen und auf dem Tische eine hübsche gemalte Sylvesterkerze. Mutter und Tochter saßen im traulichen Gespräche nebeneinander. „Nun, Lisett", begann plötzlich die Alte, „wollen wir nicht heut' einmal die Karten fragen, ob im neuen Jahre Hochzeit sein wird?" „Nein, nein! laßt daS, Mutter!" erwiederte die Tochter, „Ihr wißt schon, daß ich von Euern Prophe