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Sächsische Vorszeitung leltgramm-ttdr.: Vorfzeitung werden. 67. Jahrgang Dresden, Sonnabend, den I. Juli 1905. Nr. 150 Bezugsbedingungen: vi« „Vvrfzrtum," rrjch«ka j«d«H w«ch«»tag »Lchmtit«g, I Uhr mit d«m Datum d« f»l-end»n »a^a. vt» vrptqr-rdülfr txirüzt l^O Marl mrrlrtjthrlich otxr t>0 PI» für je-«n Mouat vt« ,Vvrfr«ttm»g- ist zu lxzielM durch di« kais«rUch«n p»ftamst«V«n, di« canddri«strä,«r «ad durch uas«r« Vvtr» v«i srri«r ti«f«runa iu» l)aui «rh«dt di« paft »och di« Sujt«Uun,»4kdiU>r vo» 4» Pt» Anzeigen-Preise: vu «t«k»alti,< S«U« Id Vf», uut«r „«ng«s«M- «0 pfa Uni«iorn>annat,m« «rfvl-t bi» mittaD» 12 Uhr. — »uuah»«st«ll«u stich: Uus«, »richäft»st«a«. a«i« rcktzM, Sach« Nr. «, Inoalid«udanl, Kaafrustrin »voulrc, Nud Moß«, ». Q Vaud« » La. tu Letpziu Zraukfurt a. E; L NohlI» Nrlsrltdorr: Hugo Müchleriu ttdtztch«». droda, Dtto VtNrtch tu »««udart, hu»» «ych tu crudut»-N«»attra, t»«tlZ»Uau tu wch«b«M, Ltd. Grimm tu Vrr»d«u.Ivdt6«H, Zrtidrich Truchrrt tu Loifrdaud«, Dtto Nuraii, tu Lotta. Ma, Zeurich tu cafchmt» Telephon: Dressen, Nr. 3916. Anzeiger für Stadt und Land mit der Beilage: Illustrierter Sonntags-Blatt" Amtsblatt für die Ugl.Amtshauptmannschasten Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für das Rgl. Amtsgericht Dresden, die Ngl. Zorstrentämter vresden, Nloritzburg, Tharandt und die Gemeinden Gberlößnitz und Radebeul. über Bord geworfen worden. Die Mannschaften drohen- die Stadt zu beschießen, falls sie zur Verantwortung gezogen werden sollten. Ueber die Meuterei auf dem Panzerschiff „Fürst Potemkin" wird weiter gemeldet: Dienstag abend traf der besagte Panzer in Odessa ein. Alsbald verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß die Besatzung ihre Vorgesetzten niedergemetzelt hatte, um einen Matrosen zu rächen, der, weil er Klage über schlechte Nahrung im Namen der ganzen Besatzung geführt hätte, getötet worden sei. Ferner wurde gesagt, der Leichnam sei auf der neuen Mole ausgestellt und die Matrosen ließen die Behörden nicht herankommen und drohten, ihnen Widerstand zu leisten. Tausende von Menschen strömten alsdann nach dem Teil des HafenS, wo der Leichnam deS Matrosen Omeltschuk vom obengenannten Panzer, der aus Sewastopol mit zwei Torpedobooten angekommen war, lag. Auf der Brust des Verstorbenen war ein Zettel angebracht, mit der von der gesamten Besatzung abgegebenen Erklärung, daß Omeltschuk für die Wahrheit gestorben sei, indem er dem Offizier sagte, daß man den Leuten schlechte Nahrung gebe. DaS Publikum warf fortwährend Geld spenden in die am Kopfende des Toten aufgestellte Büchse, um das nötige Geld für seine Beerdigung zu sammeln Unter vielen Lesarten über daS Borgefallene herrscht die vor. daß ein Offizier, welchem Omeltschuk meldete, daß die Mannschaft schlechte Suppe erhalten habe, ihn hurch einen Revolverschuß getötet habe. Die gesamte Mannschaft überfiel erst ihn, dann den Kapitän und ertränkte ihn mit seinen Offizieren, ausgenommen acht, welche sich mit den Matrosen verbündet hatten. In Odessa angrkommen, brachten die Matrosen die Leiche Omeltschuks in einem Boot an Land und teilten den Behörden mit, daß sie, falls man sie zu verhaften versuchte, auf die Urheber des Versuchs schießen würden. Eine rote Flagge wurde wiederholt an Bord deS Panzer schiffes gehißt, dessen Besatzung sich nach und nach auf alle Boote und Dampfer begab und die Arbeiter zwang, die Arbeit einzustellen. Die Kohlenzieher lieferten der Mannschaft des Panzerschiffes, welche Omeltschuk ein feierliches Begräbnis bereiten will, Nahrungsmittel. Man erwartete Mittwoch abend das Schwarze Meer- Geschwader. Die Erregung der Menge ist ungeheuer. Ein verkleideter Grenzwächter wurde an der Leiche Omeltschuks getötet. Der Bürgermeister der Stadt ist nach Moskau abgereist. Er richtete an die Bürger Odessas ein Telegramm, in welchem er sie bat, sich zu beruhigen und die Ruhestörungen einzustellen. Seit Donnerstag abend 10 Uhr brennen die Packhäuser am Hafen, der Pöbel schleppt die Waren fort und die Verluste betragen viele Millionen. Dichter Rauch hüllt die Stadt ein. Gestern abend ist am Katharinenplatz in der Nähe des Richelieudenkmals eine Bombe zur Explosion ge bracht woroen, wodurch zwei Personen getötet worden sind. Während der Nacht kamen im Hafen einige Explosionen vor, welche die erbittersten Zusammenstöße zwischen den Truppen und der Volksmenge hervorriefen. Die Toten werden nach Hunderten gezählt, die Kranken häuser sind uns Verwundeten überfüllt, die ärztliche Hilfe ist ungenügend. Die Läden sind geschloffen, der Verkehr stockt, die Hauptstraßen sind durch Truppen abgesperrt. Biele Leute verlassen die Stadt. An den Zusammenstößen mit den Truppen beteiligten sich die Matrosen des „KnjäS Potemkin". Die Leiche de» Matrosen Omeltschuk liegt noch immer am Hafen; die Matrosen fordern, daß dem Getöteten militärische Ehren erwiesen werden. In der vorletzten Nacht meuterten in Libau die Matrosen deS örtlichen Kommando-; sie erbrachen da-. Zeughaus, eigneten sich Gewehre an und schossen auf die Wohnungen der Marineoffiziere. Noch in der Nacht erhielt die Artillerie der Garnison Befehl, nach dem Hafen abzurücken, gestern früh wurden Kosaken und ein Infanterie-Regiment dorthin berufen. Spanien. In Barcelona erkrankte ein Ge- richtSarzt und einige Tage später ein Dienstmädchen unter peftverdächtigen Erscheinungen, nachdem der Arzt die Autopsie einer Leiche vorgenommen hatte. Die Behörde ergriff alle Vorsichtsmaßregeln. Das Mädchen ist bereit» gestorben. Der Zustand deS Arzte» ist hoffnungslos. Amerika. Aus New Bork wird gemeldet, daß skandalöse Vorgänge in Verbindung mit dem Baue deS Panamakanals entdeckt worden sind. Ts scheint, daß gewisse hochstehende amerikanische Persön- apolitische Weltschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hörte gestern an Bord der „Hohenzollern" vor Kiel Vorträge und wohnte nachmittags mit der Kaiserin einem Gartenfest beim Prinzen und der Prinzessin Heinrich bei. Die Kaiserin hat ihre dankbare Anerkennung über die sachgemäße Organisation deS Rettungsdienstes während der Vermählungstage und über die Leistungen der einzelnen Organe und jedes Mitgliedes zum Ausdruck bringen lassen. Der BundeSrat hielt gestern seine vorletzte Sitzung vor der Sommervertagung ab und wird zur voraussichtlich letzten am nächsten Montag zusammen treten. Bon einer ersten Lesung der Finanzrefvrm- vorsch läge des Staatssekretärs im Reichsschatzamt noch vor der Sommervertagung kann schon um deswillen nicht die Rede sein, weil ihre bestimmte Formulierung, wenn sie überhaupt schon bewirkt, jedenfalls als BundeS- ratsvorlage noch nicht eingegangen ist. Wie schon unlängst mitgeteilt, wird vor dem Auseinandergehen des Bundesrates in die Sommerferien höchstens eine ver trauliche vorläufige Aussprache über Ziel und Richtung der Vorschläge stattfinden, welche in Frage stehen. Die Marokko-Konferenz soll nun gesichert sein. Gestern vormittag empfing der Reichskanzler den französischen Botschafter Bihourd, der längere Zeit beim Fürsten Bülow verweilte. Der Botschafter über brachte im Auftrage seiner Regierung eine Mitteilung, die man als einen weiteren bedeutsamen Schritt zur ^Beilegung der in der Marokkofrage noch schwebenden Meinungsverschiedenheiten betrachten darf. Von zu verlässiger Seite verlautet weiter, daß der Minister präsident Rouvier, der durch neuerliche Unterredungen mit dem deutschen Botschafter Fürst Radolin die sor- melle Ueberzeugung gewann, daß Deutschland die be rechtigten Interessen Frankreichs in Marokko in keiner Weise beeinträchtigen wolle, den lebhaftesten Wunsch hege, die Marokkofrage sobald als möglich erledigt zu sehen. Auf die Einladung zur Marokkokonferenz hat Dänemark dem Sultan geantwortet, daß es an der Kon ferenz teilnehme, vorausgesetzt, daß alle beteiligten Groß- möchte auf derselben vertreten seien. Gestern mittag wurde in München die Große Ausstellung der Deutschen LandwirtschastS- Gesellschaft in Gegenwart des Prinz-Regenten, sämt licher Prinzen und Prinzessinnen des bayerischen Königs hauses, des diplomatischen Korps, der Minister und zahlreicher Landwirte eröffnet. Prinz Ludwig von Bayern hielt eine längere Rede. Sodann folgte die Vorführung zunächst von Remonten und Milstärpferden, dann von bespannter Artillerie, sowie von anderen Pferden. Prachtvolles Wetter begünstigte die Feier. DaS Kriegsministerium hat den Unteroffizieren, Gefreiten und Gemeinen der füdwest afrikanischen Schutztruppe und des Marine-Expeditionskorps, welche in einer Stärke von 60 Mann kürzlich in Hamburg gelandet sind, je einen Erholungsurlaub von vier bis sechs Wochen bewilligt, welchen sie auf Kosten des Vereins vom „Roten Kreuz" in deutschen Bade- und Kurorten verleben werden. Ein Teil der Leute muß indessen vorläufig auf den Urlaub verzichten, da mehrere Mann als krank in das Garnisonlazarett zu Berlin bezw. Altona untergebracht werden mußten. Auch mehrere Private haben sich erboten, die Unterhaltung»- kosten für derartige Kuren zu tragen. O-sterreich-Ungarn. In der ungarischen Ort- ' ^reg kam e» zu einem Zusammenstoß ausständigen Feldarbeitern und Gen- > armen. Letztere mußten von der Waffe Gebrauch machen Zwei Personen wurden schwer verletzt, von denen eine alsbald starb. 56 Arbeiter wurden verhaftet. Auf dem Gute des Erzherzogs Friedrich streiken 1000 Feldarbeiter. Rußland. Wie ein Schauerroman klingen die ausführlichen telegraphischen Nachrichten über die zuerst mit berechtigten Zweifeln aufgenommenen ersten Gerüchte von der Meuterei auf dem rufnschen Kriegsschiffe „KnjäS Potemkin". Sie zeigen, daß sich daS russische Staat-Wesen in einem chaotischen Zustande der Auflösung befindet Die SoldatendiSziplin hört auf, die einzelnen Teile der Wehrmacht kämpfen gegeneinander. Der ,,KnjäS Potemkin" und ein Tor pedoboot sind Dienstag abend in Odessa angrkommen. Alle Offiziere sind auf See ermordet und ihre Leichen Das VteaeOe. Der Präsident deS Reichsgerichts, Frhr.v. Secken dorfs, ist zum Präsidenten des Kaiserlichen DiSziplinarhofeS in Leipzig ernannt worden. In München wurde am Donnerstag die Aus stellung der Deutschen LandwirtschaftSgesell- . schäft in Gegenwart de- Prinz-Regenten durch eine Rede deS Prinzen Ludwig eröffnet. Wie aus Fez berichtet wird, hat der deutsche Gesandte Graf Tattenbach neuerdings wieder ver sichert, daß Deutschland für die Unabhängigkeit Marokkos einstehe. Das Oberhofmarschallamt in Wien hat die Kuratel über die Prinzessin Luise von Kob urg aufgehoben. Das Panzerschiff „Fürst Potemkin", an dessen Bord die meuternde Mannschaft fast alle Offiziere getötet hat, liegt noch im Hafen von Odessa. In der Stadt finden Srraßenkämpfe statt Von der sozialdemokratischen Moral. Unsere Sozialdemokratie nimmt für sich grund sätzlich eine höhere Moral in Anspruch, als die An gehörigen anderer Parteien sie besitzen sollen. Hier da- ünverderbte arbeitende Volk, dort die verrotteten, in Lüsten verlotterten Kapitalisten. Nun, zum Sündigen gehört immerhin Geld, und von einem der einfluß reichsten Arbeiterführer, der eben die für solche üblen Dinge nötiHtzn Milliönchen besitzt, werden mehr als pikante Geschichten erzählt. Nein, nicht Geschichten erzählt: die Fakta sind gelegentlich einer gerichtlichen Untersuchung einwandsfrei festgestellt. Da daS aber die Gefolgschaft dieses biederen Genossen mit dem Millionärsgeldsack in keiner Weise stört, ja, sie nach wie vor dabei bleibt, zu behaupten, daß die Sozialisten moralisch höher ständen, als ihre Parteigegner, so ist vielleicht nicht unangebracht, besonders krasse Fülle von Unmoral, in denen geschworene Sozialistenhäuptlinge die handelnden Personen sind, einmal etwas niedriger zu hängen. Von sozialdemokratischer Seite geschieht das gleiche ja auch in Bezug auf bestimmte Gesellschafts klassen, wie z. B. Geistliche und Offiziere. Benimmt einer von ihnen sich unnütz, so wird gleich verallgemeinert und der ganze Stand verantwortlich gemacht. Und da nun der Sozialismus international und sich im allgemeinen überall gleich ist, bleibt auch das Tun und Lassen ausländischer Sozialisten zu berücksichtigen. So seien denn für heute ein paar neuere Fälle registriert, welche die roten Genossen jenseits der Alpen angehen. Erstens Unsittlichkeit. Ganz vor kurzem wurde der Bürgermeister von Acquanegra am Chiese namens Dio- miro Bendoni, ein enragierter Sozialist, wegen schwerer sittlicher Verfehlungen seitens der Regierung seiner Stellung enthoben und zur gerichtlichen Verantwortung gezogen. Und dabei ist man auf italienischem Boden in solchen Dingen strafbar duldsam. Zweitens der Anstand. Der Dresdner Parteitag mit seinen lieblichen gegenseitigen Schimpfreden, an denen ein Thersites seine Freude gehabt haben würde, ist noch unvergessen. Auch seitdem ist in deutschen sozialdemokratischen Versammlungen manches Wort ge fallen, das man in Knigges „Umgang mit Menschen" vergeblich sucht. Aber handgreiflich untereinander sind unsere Sozialdemokraten doch noch nicht geworden. Dafür haben ihuen die italienischen Genossen jetzt ein Vorbild geliefert. Auch sonst, und zwar in Berug auf schäft Felsö-Jreg kam den Revisionismus, ist der in Rede stehende Vorgang zwischen 150 auSstänt lehrreich. Ende Mai wurde aus Ferrara telegraphisch d gemeldet: „In dieser Nacht wurde nach zwej tumultu ösen Sitzungstaaen der Sozialistonkongreß geschlossen. ES kam zu heftigen Strritszrnen und Faustschlägen. Die Reformisten (unseren Revisionisten entsprechend) wurden besiegt. Die revolutionären Kongreßmitglieder rissen die Leitung der Barlei an sich." Drittens die Ehrlichkeit Bor einiger Zeit er öffneten dir Sozialisten von BreScia mit mühsam zu- sammengebrachtem Kapital einen Konsumverein. Die Kaffengeschäfte wurden einem „sehr intelligenten jungen Mann" namen» Mazruccelli anvertraut. Ende Mai war er plötzlich verschwunden und die Revision der Kaffe ergab einen Fehlbettag von etlichen tausend Lire. Können die Genoffen da wirklich noch sagen: „Seht wir Roten sind doch bessere Menschen?"