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sächsische vorszeitung Bezugsbedingungen: m- «ich«»«» l,»„ w*ch,»t«, »ochmtttWG» » Uhr mV d«M v«d»m d« so>D«»d«« Lele-nmnn^idr.: vorfzeitsng Vierden. Anzeiger für Stadt und Land mit der Beilage: „Illustriertes 5onntagr-vlatt" Amtsblatt für die Kgl. Nmtshauptmannschasten Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für das Ngl. Amtsgericht Dresden, die Ügl. Forstrentämter Dresden, Moritzburg, Tharandt und die Gemeinde Gberlößnitz Anzeigen-Preise: LUephon: vrerden, Nr. 3916. 42. Dresden, Sonntag, den 19. Februar 1905. 67. Jahrgang. Dos -tenefte. Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten von Budde ist vom Kaiser zur Teilnahme ander Mittelmeersahrt eingeladrn worden. Die sieben Handelsverträge wurden gestern in der Reichstagslommisfiou angenommen. Prinz Friedrich Leopold ist in ZarSkoie Eelo eingelroffrn und vom Zaren am Bahnhofe empfangen worden. Die Marine-Attaches v. Gilgenheimb und de Luverville sind, wie sich jetzt herausstellt, von chinesischen Dschunkenführern ermordet worden. Oesterreich-Ungarn hat seinen Handelsver trag mit Rußland gekündigt. Die zerschmetterten Gliedmaßen des Groß fürsten Sergius sind vorläufig in dar Palais Nikolaus ll. in Moskau gebracht worden. In Petersburg sind 28,000 Arbeiter, die acht großen Fabriken angehören, in den Aus stand ge treten. Rschklänge zum Streik im Ruhrgebiet. Es erscheint heute beinahe verwunderlich, wie wenig üier die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Streiks in der Presse und auch von Politikern gesprochen wird und wie man geflissentlich vermeidet, aus den vor liegenden Tatsachen Schlüffe für die Zukunft zu ziehen. Ist es Furcht, ist es Blindheit? ES müssen sich doch jedem die verschiedensten Fragen von ernster Bedeutung sofort aufdrängen. Zuerst die Kostenfrage. Bei längerer Dauer muß der Streik dem Nationalvermögen euren Verlust von 100 Millionen M. bringen. Die Marseiller Handels kammer rechnete für den Marseiller Hafenstreik, der 47 Tage dauerte, einen Verlust von 98 Millionen Frank aus, fügte aber hinzu, daß ein großer Teil der Verluste außer Rechnung bleiben müsse und der Schaden viel größer^ wäre. Was bedeuten aber die Marseiller Kämpfe gegen diesen Streik, an dem beinahe 200,000 Arbeiter beteiligt sind! Sobald die Kohlennot wirklich eintritt, werden neben den Streikern mindestens ebensoviel Ar beiter gezwungen, zu feiern. Fabriken und Bäckereien, Brauereien, Brennereien und Ziegeleien werden zum Stillstand gezwungen, selbst die Haushaltungen geraten in größte Not. Die wichtigste Frage ist, welche politische Gefahren dieser Streik uns zeigt. Zweimal hunderttausend Ar beiter legen plötzlich die Arbeit nieder, gewillt, Hunger und Not zu ertragen, nur um ihren Willen durchzu setzen. Eine so überraschende, allgemeine ArbeitSnieoer- legung ist nur durch die fortgesetzte Agitation und straffe Organisation der Arbeiterverbände zu erklären. Es muß durch lange Zeit gewühlt und gehetzt worden sein, um die Leute zur Arbeitsniederlegung zu bewegen. Und dies ist die Schattenseite der von vielen über Gebühr gelobten Gewerkschaften. Ueber die englischen Gewerk schaften wird heute mancher Tadel laut; die Macht haberei und Herrschsucht ihrer Führer hat zahllose Streiks verschuldet, den Niedergang gewisser Industrien verur sacht, mit welchen England einst an erster Stelle stand. Heute sind diese Industrien auf Deutschland und Amerika übergegangen. Aber die englischen Gewerkschafter sind loyale Leute, die sich nur um ihre gewerklichen Fragen kümmern; unsere Gewerkschaften haben jedoch politische Interessen. Und zwar ist der größere Teil sozialdemokratisch, d. h. er gehört einer Partei an, die den Umsturz der bestehenden Staatsordnung auf ihre Fahne geschrieben bat. ES ist ein LieblinaSgedanke der Sozialdemokratie, durch einen Bergleute ein Land wirtschaftlich und politisch machtlos zu machen und so von der bestehenden Gesell schaft das zu erzwingen, was ihr durch Ueberredung Streik der fcyaft das zu erzwingen, was ihr durch Ueberredung oder die blanke Waffe nicht abgenommen werden könnte. Unbedingt spielen daher beim Streik an der Ruhr politische Motive eine große Rolle Warum brach der Streik zugleich mit den Unruhen im Rachbarreiche aus? Warum nicht schon früher? Warum brachen zu gleicher Zeit Streiks in belgischen und französischen Kohlen revieren aus und warum streiken die Leute auch in zu Befürchtungen wegen der Südpolare Eharcot vorhanden, vr. Charcot habe den vro Woche. Der christliche Gewerkverein hat seine AuS- fchußmitglieder auf den 26. Februar zu mehreren Be zirkskonferenzen berufen, auf denen die Laae nach dem Streik besprochen werden soll. Wie nachträglich be kannt wird, hat die Leitung der Verbände schon am 2. Februar den Vertrauensleuten mitaeteilt, daß der Streik wegen Mangels an Mitteln beendet werden müsse. O-sterreied-Ungarn. Die gestrige Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses fand einen vorzeitigen Schluß infolge der Demission des Präsidenten Vetter. Abgeordneter Sternberg sprach wegen der gestrigen Jusultierung der tschechischen Jour nalisten in eigener Sache, wobei ihm vom Präsidenten das Wort entzogen wurde. Bei dem Appell an das Hau» entschied diese» gegen den Präsidenten; Deutsche und Polen gingen von der Ansicht aus, daß Stern berg Gelegenheit haben müsse, seine Handlung zu er klären. Daraufhin erfolgte der Rücktritt de» Präsidenten. Für die gestrige erste Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses äußerte sich ein lebhaftes Interesse. Eine nach Hunderten zählende Menge sammelte sich vor dem Parlament an und begrüßte die oppositionellen Abgeordneten mit Eljenrufen. Alle Galerien sind dicht besetzt. Unter den Anwesenden be findet sich auch eine Anzahl tschechischer Abgeordneter. Das Haus bietet ein ganz verändertes Bild. Die Opposition zieht sich weit dis in die rechte Mitte hinein. Die stark zusammengeschmolzene liberale Partei besetzte in sehr gedrückter Stimmung den rechten Flügel des Hauses. Nachdem MadapaSz als Alterspräsident den Vorsitz übernommen hatte, eEärte er unter dem dröh nenden Beifall der Opposition, daß alles, was Präsi dent, Regierung und Mehrheit im alten Reichstag unter der Verletzung der Gesetze und Satzungen getan haben, ungültig sei, so daß er sich an die alte Hausordnung halte werde. Er erklärte dann, daß der Reichstag morgen durch ein königliches Handschreiben eröffnet werden wird. Graf Andraffy begibt sich heute abend nach Wien. Frankreich. DaS Marineministerium ver öffentlicht eine Rote, welche besagt, eS sei kein Grund zu Befürchtungen wegen der Südpolarexpedition Eharcot vorhanden. 6r. Charcot habe den Fall, daß er weder auf der Dezeptionsinsel noch auf oer Insel Wiencke Aufenthalt nehmen werde, vorausgesehen, und seine Rückkehr erst für 1905 in Aussicht genommen. Rußland. Die schreckliche Tat in Moskau der, wie gestern bereits telegraphisch gemeldet, der Groß fürst SergiuS zum Opfer siel, ist ein Produkt der unheimlichen Gärung in diesem Lande. Und wenn auch der offiziöse Telegraph noch so oft versicherte, daß „alle» ruhig" sei, e» gab viele Anzeichen dafür, daß da» Feuer unter der Asche weiter glimmte. Da die Regierung sich gegen die Bestrebungen, die für Ruß land eine Verfassung oder wenigsten» durchgreifende politische Reformen verlangen, völlig ablehnend verhält, und da keine Aussicht vorhanden ist, auf friedlichem Wege die Einführung einer Verfassung zu erreichen, so scheint nun die revolutionäre Partei die Parole auszu geben, durch den .Terror", d. h. durch den politischen Mord den Widerstand der Regierung und der Vertreter der Reaktion zu brechen. Die revolutionäre Propa ganda hat sich als ihr nächstes Opfer den Großfürsten SergiuS erkoren, der allgemein als einer der ent schlossensten Vorkämpfer der Reaktion gilt. Ueber die Tat selbst liegen noch folgende Einzelheiten vor: Freitag nachmittag 3 Uhr passierte Großfürst SergiuS in Moskau, zu Wagen vom NikolauS-Palaste kommend, den Senatsplatz. Hinter der Equipage fuhren zwei Droschken. Als die Kutsche sich dem Justizpalast näherte, kam ihr ein Schlitten mit zwei Männern in Zivil kleidung entgegen; der eine trug einen Arbeiteranzug. Am Justizpalast ließ der Schlitten die Equipage vor beifahren. In diesem Augenblick wurde eine Bombe unter die Kutsche geschleudert. Die Explosion war so heftig, daß alle Fensterscheiben im Justizpalast zer splitterten. Der Wagen wurde völlig zertrümmert: die Pferde liefen davon. Die Volksmenge auf dem Platze sammelte die Holztrümmerstücke und Stoffreste auf. Der Großfürst war sofort tot. Der Kopf und die Beine waren vom Rumpf getrennt, die Kleider zerrissen. Der Kutfcher, der schwere Brandwunden erhalten hatte, starb auf dem Wege zum Krankenhaus. Auf dem politische Weltscha«. Deutsedes Reieb. Der Kaiser unternahm gestern früh den gewohnten Spaziergang im Tiergarten und besuchte später den Reichskanzler Grafen Bülow. Prinz Friedrich Leopold von Preußen reist nicht nach dem Kriegsschauplatz, wie unter Berufung auf eine „erste Quelle" versichert wird Der Prinz tritt eine größere Reise an, die ihn auch nach Peking führen wird. In Petersburg, wo er gestern eintraf und vom Zaren empfangen wurde, wird er sich eine Reihe von Tagen aufhalten, sich aber nicht nach dem Kriegsschauplatz in der Mandschurei begeben. Die HandelSvertragSkommission des Reichs tag- hat gestern sämtliche sieben Handelsverträge der Reihe nach mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und des Abg. Gothein l freis. Vgg.) angenommen. Die Abgeordneten Kämpf (steif. Vp ) und Wolff (wirtsch. Vgg.) stimmten für die Verträge. Einige Zentrumsaogeordnete stimmten teils für, teils gegen einzelne Verträge. — Für die an den Handelsvertragsverhandlungen beteiligt gewesenen Be amten sind Ordensverleihungen und sonstige Auszeich nungen in Aussicht genommen. In parlamentarischen Kreisen zweifelt man nicht, daß sämtliche Handelsverträge noch in diesem Monat zur Verabschiedung gelangen. Die Dauer der zweiten und dritten Lesung im Plenum veranschlagt man auf nur wenige Sitzungen, in der Annahme, daß eine eingehendere Beratung, wie sie in der Kommission stattfindet, dann nicht mehr beliebt werden wird. Der Einwand einer überstürzten Erledigung läßt sich dies mal nicht geltend machen. Die Schlußabstimmung wird auch diesmal eine namentliche sein und bei voraus sichtlich vollbesetztem Hause stattfinden. Die Stichwahl im Reichstagswahlkreise Hof findet am nächsten Donnerstag, den 23 Februar, statt. Der Bund der Landwirte hat die Parole auS- gegeben, für den freisinnigen Kandidaten vr. Goller einzutreten. Ob der Gesetzentwurf über den Versicherungs vertrag, durch den die Rechte der Versicherungsnehmer und die der Versicherungsgesellschaften auf eine reichs gesetzliche Grundlage gesetzt werden sollen, dem Reichs tag noch in der laufenden Session zugehen wird, ist völlig unsicher. Der Reichstag ist mit Aufgaben der maßen überlastet und verwendet auf die Durchberatung von Vorlagen, wie beispielsweise die zur Entlastung deS Reichsgerichts, in der Kommissionsinstanz so über lange Zeit, daß es zwecklos erscheint, ihm eine Vorlage wie die über den Versicherungsvertrag zugehen zu lasten, solange keine andere Aussicht besteyt, als daß sie mit machen sonstigen schönen Dingen zu den deaux restss der Session gehören werden. Die mit der Erwerbsunfähigkeit verbundene Krankheit löst da- Arbeitsverhältnis nicht von selbst, sondern gibt nur dem Arbeitgeber das Recht zur Entlassung; will er davon Gebrauch machen, so muß er dies dem Arbeiter erklären. Aber auch wenn daS Arbeitsverhältnis gelöst wird, bleibt doch die Pflicht mitgliedschaft während des Bezuges der Krankenunter stützung bestehen und die im 8 27 des Kranken- versichfrungsaesetzeS vorgesehene Frist beginnt erst vom Ende dieses Bezuges ab zu laufen. Rachwehen des Bergarbeiterstreiks im Ruhrgebiet. Die Siebenerkommission befaßte sich am Freitag mit der Frage der Unterstützuna der Gemäß- reaelten, deren Zahl noch nicht festgestellt ist. Es wurde beschlossen, daß jeder Verband auS eigenen Mitteln seine gemaßregelten Mitglieder unterstützen soll. Die Höhe oer Unterstützung beträgt überall 12 und 10 M. Niederscblesien? Wenn man sich auch noch so sehr für die Kohlenarbeiter interessiert, so muß man sich doch klar machen, welche große Gefahr für Deutschland da durch entsteht, daß heutigen TageS Leute, die Gegner unseres Staatswesens und seiyer Einrichtungen sind, die unverantwortlichen Führer und Berater der Gewerk schaften bilden und eine staatsfeindliche Macht im Lande darstelleu. WaS sie heute noch nicht vermag, das kann die Sozialdemokratie in späterer Zeit mit besserem Er folge wiederholen und Industrie, Handel, Landwirtschaft, Verkehr und Flotte durch einen gelungenen Generalstreik lahm legen.