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Mofte, Tele-ramm-Kdr.: vorfzeitung Dresden. 67. Jahrgang. Nr. 11. Dresden. Sonnabend, den 14. Januar 1905. Bezugsbedingungen: IN« .vorf^itung- erscheint jede» Wochentag nachmittag, v Uhr mU dem Datum de» folgende» ka-e» Vie vezug^ebühr betrügt i« Mark vierteljährlich oder t>0 pfg. für jeden Monat vt« .vorfzeitung- ist zu deztehen durch di» kaiserlichen Postanstalten, di« Landdriefträger und durch unsere Voten Sei freier Lieferung tnr yaur erhebt dir poft noch di« Lustellung^jebühr von 4» pfg. Anzeigen - Preise: Vie einspaltig« Seil« » pfg, unter .Lingesandt' 40 Pia. Anzeigen, linnahm, erfolgt bi» mittag. <b. L. Daube t Lo. in Leipzig, Frankfurt a. M.; «.UohltnU-ss«l^>orf; ksugoMvchlertnNötzschen. broda, Vit» Diltnch in ch«»end«rf, Hugo Vpitzin Leubnitz-lleuostra, tmil Nollou in Serkomttz, Uud- Vrinnn in Drr,den wolfnttz, Zriedrich Teilchen in Lossebaud«, Uetnh. woith« in Moritzburg. Otto Uunath in Lotta, Max Zeurtch in Loschwitz. Telephon: Dresden, Kmt II. Nr. 875 Anzeiger für Stadt und Land mit der Vellage: „Illustrierter Sonntags-Blatt" Amtsblatt für die Agl. Amtshauptmannschasten Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für das Ngl. Amtsgericht Dresden, die Agl. Zorstrentämter Dresden, Moritzburg, Tharandt und die Gemeinde Gberlößnitz . ..ulv. u. ....»> -Ni", l-c »Mv vv- .,rtch)7>i- um SöGsche vsrtzeitung Das Neueste. Die zweite Beratung der Kanalvorlage im preußischen Abgeordnetenhause wird wegen Krankheit des Ministers v. Budde nächste Woche noch nicht statt finden können. Die Konferenz zur Vorberatung einer Deutschen Eisenbahnbetriebsmittel-Gemeinsckaft hat am Dienstag ihre Sitzungen vorläufig beendet. Die Vor beratung der Einzelfragen wurde einem Unterausschuß übertragen. In der Budgetkommission des Reichstages erklärten es gestern Redner aller Parteien für unbedingt notwendig, daß der Reichskanzler für die Ausgaben für die südafrikanische Expedition Indemnität nachsuche. Im Ruhrkohlengcbiet befanden sich am Mitt, woch etwa 50 Zechen mit rund 85,O(.O Arbeitern im A usstande. General Trotha berichtet über drei neue er folgreiche Gefechte gegen die Witbois in der Nähe von Gochas. Der Feind ist nach Osten, der englischen Grenze zu, geflohen. Vom Schaho werden vereinzelte Kämpfe der Russen gegen den rechten Flügel der Japaner ge meldet. Die Vorgänge im Ruhrkohlenrevier. Die Hoffnungen auf eine ruhige Entwickelung der Ausstandsbewegung, die nach und nach das ganze Ruhr revier ergriffen hat, schwinden immer mehr und mehr. Die Führer der verschiedenen Verbände besitzen nicht die Macht, die Massen zurückzuhalten; wie ein Rausch ist es über die sonst so besonnenen Leute gekommen, und zu Tausenden und Abertausenden verweigern sie die Arbeit. So nähern wir uns mit jeder Stunde dem Generalstreik, dessen verderbliche Folgen auch für die Arbeiterschaft sich sehr bald fühlbar machen würden. Die augenblickliche Lage wird deutlich gekenn zeichnet durch folgendes Privattelegramm: Die Ent scheidung des gestrigen Delegiertentages der Bergarbeiter, die spät abends zu erwarten war, scheint bereits über holt zu sein. Die Streikbewegung ist schon als all gemeine zu bezeichnen und wächst stündlich. Schuld daran trägt zweifellos die sozialdemokratische Revier- presse, welche die Masse in Brandartikeln zum Lohn kampf aufruft. Dank ihrem Einflüsse beginnen denn auch bereits die überall taaenden Belegschaftsversamm lungen Forderungen zu stellen, die weit über das Maß des Rechtlichen hinausgehen. So fordert man Lohner höhungen bis zu 2b vom Hundert. Von folgenden Zechen werden neue Ausstände gemeldet: im westlichen Revier Alstaden und Graf Moltke. Eine Viertelstunde von der letzteren liegt die fiskalische Grube Gladbeck, und man ist gespannt, ob auch deren Belegschaft vom Streikfieber befallen wird. Im östlichen Revier streiken heute auch Karoline, Nordstern, Rofenblumen- delle, Adolf von Hansemann, Kaiser Friedrich. Im übrigen laufen fortgesetzt neue Meldungen ein. Alstaden ist bis jetzt die einzige streikende Hibernia- Zeche. Auch die Haltung der Ausständigen wird bös artiger. Wie gestern auf »Felicitas* wurden heute auf „Dorstfeld I" Arbeitswillige von fremden Arbeitern der Zeche ferngehalten. Indessen treffen GendarmentranS- porte aus dem Osten ein. Den Bergschülern ist bei Strafe der Entlassung von der Schule die Beteiligung am Streik untersagt. Als Folge des Streiks planen bereit- Hüttenwerke Arbeiterentlassungen, und im Klein handel steigen die Kohlenpreise. Der ÄuSstand hat also schon in das Wittener Revier übergegriffen und auf die gewaltigen Hibernia- Zechen. Tue Belegschaft von Reu-Iserlohn bei Langen dreer hatte gestern beschlossen, sich mit den Streikenden der Zeche Bruchstraße solidarisch zu erklären, jedoch weiterzuarbriten. Trotzdem ist heute die Frühschicht nickt eingefahren. Aus Bruchstraße besagt ein neuer Anschlag, daß die Ausständigen entlasten seien, und daß ihnen sechs Schichtlöhne al- Schadenersatz embehalten würden. Im Dortmunder Kreise streikt heute nur die Belegschaft der Zeche Helene, im Bochumer Stadtkreise dagegen hat sich nach polizeilichen Meldungen die Lage etwas gebessert ; dort sind auf allen Zechen die Morgen schichten eingefahren bis auf Friederike und Prinz- Regent. Wo immer Soldaten 'oder Seeleute meutern, hält man mit Recht nicht sie allein, sondern auch ihre Offiziere für verantwortlich. Es scheint, daß im Ruhr revier auf der Kommandobrücke und dem Achterdeck mehr gesündigt ward, als vor dem Mast. Gewiß darf, von ihnen ungestraft, unter 300,000 Bergleuten heute der Agitator dreist Stimme und Haupt erheben. Gewiß predigt er nicht immer tauben Ohren. Aber das frucht bare Feld, das er fand, ward nicht allein von ihm ge pflügt und für seine giftige Saat bestellt. Angehörige aller politischen Parteien, die seit Jahren im Ruhr revier leben, versichern, daß die Klagen der Bergleute nicht unberechtigte sind. Wer das Innere eines Bergwerks betreten, heißt es in einem Reisebriefe aus dem Ruhrgebiete, und allein gesehen hat, wie dort Gerüste aufgebaut werden, wird verstehen, daß mit der Zunahme des Durchmessers der Kohlenader die Betriebskosten sinken. Also praktisch ist das Stillegen von Zechen, und unter Umständen wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn nicht dort, wo die Hochöfen verschüttet werden, auch wieder der Berg mann abwandern müßte. Ist er Italiener, Pole oder Galizier, so ist das leicht geschehen. Er reicht seiner Frau das rote Kopftuch mit gelben Streife', bindet dem Ferkel einen Strick um den Hals, nimmt die Henne unter den Arm und ist reisefertig, denn er wohnt stets zur Miete. Meist ist er sogar Junggeselle und hat zur Wanderung nur den Strumpf voll deutscher Spargroschen einzustecken, die einst ein fremdes Land und Volk bereichern werden. Anders ist das Bild, wenn der eingeborene Sohn der roten Erde sich von seiner Scholle losreißen muß, um anderwärts Arbeit zu suchen. Dann ist Hausrat da, ererbt wie die Scholle. Eine Frau weint, die Kinder fragen: Warum? Das Anwesen wird veräußert und nur ein Spottgeld dafür bezahlt. Wer soll sich hier ankaufen, wo nun die Zeche still liegt, Bäcker, Fleischer und Kleinhändler jeder Art den Laden schließen, wo durch die allgemeine Abwande rung der Bergleute, die ihrem Beruf anderwärts ob liegen müssen, Grund und Boden entwertet sind? Wieder kommt der Proletarier aus fremdem Land. Aus dem Strumpf zieht er die Groschen, die er bei der Arbeit als Gehilfe von Bergleuten verdiente. Als Junggeselle konnte er ja vom Lohn sparen, während der westfälische Bergmann den seinen ausgab. um dem Könige künftige Soldaten und Mütter, die neue liefern werden, heranzufüttern. Der Fremdling ersteht für einen Bettelpfennig sechs einstige BergmannSgärten, bewirtschaftet sie und wird wohlhabend, der Sohn der Scholle zum Proletarier! Politische Weltsctrau. Deutsches Reich. Der Kaiser empfing gestern vormittag den Oberleutnant Lebedefs vom Kais. Russ. Jnf.-Reg. Wiborg und den Kais. Ruff. Botschafts- Sekretär van der Vliet, und hörte die Borträge des Generalleutnants v. Beseler Das Frühstück nahm Se. Majestät bei dem General-Intendanten v. Hülsen ein. Vor einigen Tagen erkrankte die Großherzogin Karoline von Sachsen-Weimar an Influenza. Ihr Zustand verschlimmerte sich seit vorgestern insofern, al- sich eine bisher leicht verlaufene Lungen und. Rippenfellentzündung hinzugesellte. Die Temperatur schwankt zwischen 38 und 40 Grad. Die vorletzte Nacht war etwas ruhiger, doch war die zweite Hälfte durch Husten mehr als früher gestört. Seit vorgestern abend muß der Großherzog wegen Jnfluenzaerkrankung eben falls da- Bett hüten. Generalleutnant Graf Wilhelm von Moltke, der Kommandeur der 2t). Division in Hannover, ist Mittwoch morgen an den Folgen deS kürzlich erlittenen Schlaganfalles gestorben. Graf Wilhelm von Moltke war ein BruderSsohn des verstorbenen Generalfeld marschall-. Die Entscheidung Über die Erneuerung der österreichischen Handelsverträge mit Deutsch land ist in unmittelbare Nähe gerückt Die Gegen vorschläge der deutschen Regierung in der Ange legenheit der Beterinärfragr, welche den von Oester reich-Ungarn gestellten Forderungen nach Anschauung Deutschlands mehr entgegenzukommen scheinen, sind von den aus Berlin in Wien eingetroffenen Bertrogsunter- händlern, den SektionschefS Grafen Auersperg und Freiherrn v. Beckh übernommen worden. Die Zentrumsfraktion des Reichstags hat in ihrer gestrigen Fraktionssitzung beschlossen, folgende Anträge zum Etat der Post- und Telegraphen verwaltung einzubringen: I. Der Reichstag wolle beschließen, den Herrn Reichskanzler zu ersuchen: 1. Die Sonntagsruhe durch Einstellung des Geld-, Nachnahme-, Drucksachen- und Päckereiverkehrs an Sonn- uud Fest tagen, sowie durch Verkürzung der Schalterstunden für den Päckereiverkehr an den Vorabenden dieser Tage in erhöhtem Maße durchzuführen; 2. für die mittleren und unteren Beamten der Reichspost- und Telegraphen verwaltung die wöchentliche Maximalarbeitszeit weiter zu beschränken; 3. in der Statistik der Reichspost- und Telegraphenverwaltung eingehende Mitteilungen über die Verhältnisse der Postbeamten in den Kolonien und über das außerhalb des Beamtenverhältnisses stehende Personal der Reich-post- und Telegraphenverwaltung zu machen. II. Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, den gemeinnützigen Arbeitsnachweisen in bestimmten (Morgen-)Stunden die Benutzung der Fernsprechein richtungen gegen mäßige Vergütung zu ermöglichen. Bei der gestrigen Reichstags-Ersatzwahl im Kreise Calbe-AfcherSleben erhielten Placke (nat.-lib.) 11,300, Rahardt (Mittelstandskandidat) 7940, Albrecht (Soz.) 18,700 und Or. Fleischer (Zentrum) 400 Stimmen. Es hat also Stichwahl zwischen Placke und Albrecht stattzufinden. Der „D».ily Mail" zufolge wird im Londoner Westend zur Förderung freundschaftlicher Be ziehungen zwischen Deutschland und England die Gründung eines englisch-deutschen Klubs angestrebt. Zustimmungsschreiben sollen u. a. vom Herzog von Connaught, Premierminister Balfour, dem Kriegsminister, dem Marineminister, Lord Rosebery, Spencer und Campbell Bannerman vorliegen. Aus dem Ruhrkohlengebiet ist weiter zu melden, daß gestern die Zahl der Ausständigen auf rund 85,000 geschätzt wurde. Die Entscheidung über den General streik steht nahe bevor. Die Aroeiterverbände wollen einheitliche Forderungen ausarbeiten und dem bergbau lichen Verein vorlegen Am 17. d. M. soll der General streik proklamiert werden, wenn man die Forderungen ablehnt. Der bergbauliche Verein beschloß gestern, auf die Forderungen unter keinen Umständen einzugehen, selbst wenn der Streik Hunderte von Millionen kosten sollte. Die christlichen Bergarbeiter sind gegen den Generalstreik. Im ganzen streikt die Belegschaft von 70 Zechen. Aus dem Osten Deutschlands sind größere Truppenteile und Gendarmerie einqetroffen. Gestern wurden in Dortmund 15 Waggons Gensdarmeriepferde verladen. Nach Meldung Generals von Trotha hat Major von der Heyde am 10. Januar den Vormarsch nach dem unteren Sturmfeld—Omurambafluß mit 82 Gewehren und 2 Geschützen begonnen. Vierte Kompagnie Feld regiments 1 von Abteilung Estorfs bricht am 12. Januar auf, um das Gelände zwischen Eisebfluß und Sturm feld—Omurambafluß zu säubern. Zacharias Heraus, Kapitän der HereroS zn Otjimbingue (110 Kuometer westlich Windhuk), hat sich mit einigen Begleitern dem Major von Estorfs in Owinaua-Naua ergeben. Seine Leute sollen wegen großer Ermüdung erst in einigen Tagen dort eintreffen. — Inzwischen ist die kange Verlustliste aus dem Gefechte bei GroßnabaS eingegangen. Italien. Gestern nachmittag 3'/, Uhr fand auf dem prächtig geschmückten und von einer überaus großen Menge gefüllten Platze Francesco Crispi in Neapel die Enthüllung des Standbildes CriSpiS statt. Derselben wohnten der Graf von Turin, die Minister Orlando und Majorans, der deutsche Generalkonsul in Neapel, viele Senatoren und Deputierte und Vertreter von Behörden und Vereinen bei. Unter Vortrag von patriotischen Weisen durch mehrere Kapellen erfolgte die Enthüllung. Das Publikum brach darauf in enthu siastische Hochrufe aus. Der Graf von Turin war, wo er sich blicken ließ, Gegenstand herzlicher Kundgebungen. Der Entschluß des Kaiser- Wilhelm, sich bei ven Fest lichkeiten vertreten zu lassen, rief in ganz Italien ein sehr lebhafte- Gefühl von Sympathie und Dankbarkeit