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Nr. 29.Donnerstag, den 9. Mär; 1893.55. Jahrgang. An das inserirende Publikum! Bei Aufgabe von kleineren Inseraten ersuchen wa die geehrte« Besteller von hier und auswärts, de« Betrag dafür (pro 1-spaltige Zeile 12 Silbe« 15 Pf.) gefälligst gleich zu entrichte« oder i« Briefmarken eiusendev zu wollen. — Die Inserate müssen am Tage vor Erscheinen dcS Blattes bis I« Uhr mittag» in unserer Expedition sein. Politische Wellschau. Deutsche» Reich. Der deutsche Kaiser wird sicb mit seiner Gemahlin auS Anlaß der am 22. April staufindenden silbernen Hochzeit deS italienischen Königs- paareS nach Rom begeben. Liese Meldung der „Agenzia Slefam" wild von der öffentlichen Meinung in Italien mit freudiger Genugthuung begrüßt; die konservativen Organe stimmen mit den liberalen Blättern darin über ein. daß dies ew neuer Beweis ist für die herzlichen Beziehungen, welche zwischen den beiden Dynastien be. stehen. Damit werden auch jene Kombinationen hin« füllig, welche von verschiedenen Seiten an die Thatsoche gell üpft wurden, daß der Kaiser Wilhelm anläßlich des 50jährigen Bisch oft jubi!äums deS Papstes einen Spicial- geiandten nach Rom entsandte; angesichts deS gespann- len Verhältnisses, welches zwischen der Kurie und der italienischen Regierung besteht, wollte man in der Aus zeichnung, die dim heiligen Vater deutscherseits zu Theil wurde, eineDemonstratiou gegen das Königthum in Italien erblicken. Wohl um zu ze«gen, wie unbegründet diese Auffassung ist, hat sich der deutsche Kaiser entschlossen, d«m italienischen KönigSpaare persönlich seine Glück, wünsche zur silbernen Hochzeit darzubringen. In Frank reich hat die Kunde von der bevorstehenden Ruse des Oberhauptes deS deutschen Reiches nach Rom großes Mißbehagen hervorgerufen; hoffte man dort doch bereit-, daß eine Erkaltung m den Beziehungen zwischen Deutsch« land und Italien eingetreten sei. Die Erkenntnrß, daß dem nicht so ist, daß vielmehr das Bündniß zwischen den beiden Staaten unerschüttert fortbesteht, wird hoffentlich die Kriegslast der Revanche - Politiker in Paris einigerwaaßen wieder kämpfen. Gelegentlich eines am Montag im Hotel „Kaiser. Hof" zu Berlin stattgefundenen Festessens des. branden burgischen Provinzial - Landtages hielt der Landrath v. Bornstedt eine politische Ansprache, welche wohl gleichsam als eine Erwiederung auf die Worte zu be« trachten ist, welche jüngst der Kaiser an jene Versammlung richtete. Der Landrath betonte u. A. : „ES wird unS heute nicht, wie in den letzten Jahren, das hohe Glück zu Theil, Se. Majestät den Kaiser und König, unseren in Ehrsu cht geliebten Markgrafen und Herrn, in unserer Mitte zu sehen und ihm Auge in Auge unsere begeisterte Huldigung darbringen zu können. Doch im Geiste steht diese allerhöchste Person klar vor unS. Se. Majestät ehrte uns jüngst durch die Anrede: „Brandenburgische Mänrer!" Mögen denn die Brandenburger sich stets als Männer in deS WortcS vollem Sinne zeigen, fest in Stürmen und Ungewttern, wie die märkische Eiche, felsenfest in der Treue gegen ihren König von Gottes Gnaden und da- hohe Haus der Hohenzollern, treu in Wort und That, treu in guten und bösen Tagen, un wandelbar treu bis zum letzten Athemzuge. Wenn irgend jemals, so gilt es jetzt die Treue zu bethätigen. Nie mals ermattend in der unablässigen Sorge für die Wohl fahrt de- Volkes, für den großen Bestand deS Reiche- Hat der erlauchte Enkel de- großen Heldenkaisers daS Bedürfniß erkannt, die herrlichste Schöpfung seines unvergeßlichen Ahnherrn, daS Gebäude de- deutschen Reiche-, vor jeder Gefahr zu sichern und die furchtbaren Verheerungen eines großen Krieges von unseren Marken fernzuhalten. Der Kaiser erläßt einen mahnenden dringenden Ruf an Alle, welche mitzuwirkrn berufen sind, damit sie sein Regiment unterstützen. Auf denn, Brandenburg, höre den Ruf Deines Kaiser und folge ihm, hilf an dem unternommenen Werke, wo und wie es Dir möglich ist, mit allen Kräften, damit daS be ruhigende Gefühl der Sicherheit jeden Deutschen fort und fort erfüllen kann." Nachdem der „Unbefangene" im „DresdnerJournal" in seinen früheren Betrachtungen eingehend die Miß. stände beleuchtet hat, welche sich zur Zeit auf socialem und politischem Gebiete bemerkbar machen, tritt er nun mehr mit Vorschlägen behufs Beseitigung dieser Miß. stände hervor. Wenn einem Uebel — so beginnt er — abgeholfen werden soll, so muß zuerst seine Quelle ver. stopft werden. In den bisherigen Betrachtungen ist gezeigt worden, wo die Quelle unserer mißlichen Zu stände liegt: remlich in der Gleichgiltigkeit gegen unsere Religion, in dem übertriebenen Freiheitsdrange, in einem undeutschen, dem AuSlande nach geahmten Partei« und Parlamentswesen und in dem allgemeinen gleichen Wahlrechte. Diese Quellen müssen verstopft werden, wenn wir wieder zu geordneten, ruhigen und gedeih lichen Verhältnissen gelangen sollen. Allerdings sieht e- gegenwärtig nicht danach aus, als ob bei der in un seren Volksvertretungen vorherrschenden Freiheittstim- mung auf Annahme solcher Gesetze zu rechnen sei. wie sie nöthig wären, um eine Beff rung unserer Zustände anzubahnen. Vor Kurzem erst antwortete mir ein Freund, gegen den ich meine Besorgniß um unsere Zu kunft aussprach: „Nur durch eine Revolution oder durch einen Krieg kann unS jetzt noch geholfen werden." So schwarz sehe ich die Dinge nicht an, so lange noch ein Funke von Hoffnung übrig ist, auf milderem Wege zum Ziele zu gelangen. Gerade jetzt scheint diese Hoffnung an AuSsickt zu gewinnen; denn in immer weiteren Kreisen bricht sich die Erkenntniß Bahn, daß eS so wie seither nicht weiter gehen dürfe. Ein Anfang zur Bcsfe- rurg zeigt- sich bereit- bei der ReicbStagSverhandlung über den socialdemokratischen ZukunftSstmt insofern, al» hier einmal für etliche Tage aller Parteiunterschied in den Hintergrund gestellt wurde und die Vertreter der verschiedensten Richtungen sich zusammenschloffen gegen die gefährlichsten Feinde de- Vaterlandes. In diesem Kampfe zogen die Angegriffenen, die sonst so hitzig av- stürmen, die Klinge ein; sie verwahrten sich dagegen, daß sie auf ungesetzlichem Wege durch einen plötzlichen, gewaltsamen Umsturz ihr Ziel erreichen wollten; nur durch eine allmählige, Schritt für Schritt sich voll ziehende Umbildung solle der socialistische Staat „hinein- wachsen" in den Staat der Gegenwart. Nun, waS auf jener Seite möglich sein toll, muß auch auf der anderen Seite möglich sein. Wie der socialistische Staat in den heutigen Staat „hin ein wachsen" kann, muß dieser doch auS seiner mißlichen Verfassung auch wieder „herau-wachsia" können. Vertrauen die Socialdemo kraten auf die Menge der Stimmen, so stützen wir uns auf die Kraft der sittlichen Ueberzeugung. Zett ist freilich nicht zu verlieren, denn je länger der jetzige Zu stand fortbesteht, umsomehr wächst un Reichstage Vie Zahl der Vertreter der minder gebildeten Klaffen, denen Zügellosigkeit für gleichbedeutend gilt mit Freiheit, die sich mit ihrer GesinnungSlüchtigkeit und Unabhängig keit brüsten, während sie willenlose Werkzeuge in der Hand ihrer verwegenen Führer sind. Heute können die Ordnungsfreunde noch die Mehrheit behaupten, wenn üe, allen Parteihaders sich entschlagend, fest zusammen stehen. In wenigen Jahren könnte eS anders sein und dann würde eS auf der abschüssigen Bahn unaufhalt sam niederwärts gehen. DaS Nothwendigste und Erste müßte also fein: eine Besserung der Bestimmungen über daS allgemeine und gleiche Wahlrecht h.rbeizuführen. ES gilt vor Allem, daß die Ungebildeten nicht das Uebergewicht gewinnen über die Geödeten und Beson nenen. Aber wie kann düS verhindert werden? Wie können wir dazu gelangen, daß der Parteigeist und dar Jagen nach der Herrschaft auS den maaßgebenden Kreisen unseres parlamentarischen Lebens wi-der schwindel? Feuilleton. Der Gerichtsthurm. Kriminal - Erzählung von L. Gothe. (15. Fortsetzung.) „Sie betonen sodann lieber Friedrich, daß Sie die Erscheinung für das Werk einer Augentäuschung halten, - da Sie sonst an Gespenster glauben müßten. Ein Wesen von Fleisch und Bein fei es auf keinen Fall gewesen, da ' Hektor sich ganz ruhig verhalten. Als die Zeit geben ' Sie die Stunde zwischen Zwei und Drei an; ich habe ! remlich zufällig wahrgenommen. daß zu dieser Zeit das Wetter bereits ouSgeiobt hatte und der Mond hell leuchtete. Auch ist nicht anzunehmen, daß meine Kousine dtn Ausgang in Sturm und Regen unternommen hätte." „Es ist wahr, die Stiefel zeigten keine Spur, daß sie gebraucht wurden, während eS regnete." „Die geschickte Einkleidung dieses Märchens über lasse ich Ihnen, mein Freund!" „Und Ihnen, Herr Justitiar, überlasse ich die Be obachtung der Wirkung, welche dasselbe auf da- Fräu lein machen wird." „Wohl, Friedrich, ich sehe, wir verstehen uns. Srün Sie überzeugt, daß meine Theilnahme für meine Kousine, trotz der zwischen un- eingetretenen Entfremdung, stark genug ist, um jede- «den erforderliche Opfer zu dringen, welches deren Wohlergehen erheischt!" „Hätte ich diese Ueberzeugung nicht ohnehin gehegt, so würde mir dieselbe der g rrze Ausdruck Ihres Wesens geben", versicherte der Wackere und drückte mir herzlich ; die Hand. „Aber zählen Sie auf mich!" Wir verpflichteten uns zum strengsten Schweigen gegen Jedermann über Johannas geheime- Thun, bis eS uns durchaus nöthig erscheine, den Onkel oder die Tante von demselben in Kenntniß zu setzen, was wir indeß vermeiden zu können hofften. ES ward mir leicht, unser Gespräch auf Johanna- Freundin, Elisabeth Werner und damit auch auf deren Bruder zu lenken, so daß es Fri drich nicht ausfallen konnte, als ich ihm erzählte, daß ich jüngst einem Menschen begegnet, der eine frappante Sehnlichkeit mit Theodor habe und ihn fragte, ob ihm dieser Doppelgänger meines derzeitigen Jnquisiten bekannt sei. Er erinnerte sich jedoch nicht, obgleich er den letzteren von Jugend auf und auch ffast die ganze Einwohnerschaft von Z. und - der näheren Umgegend kannte, eine solche Aehnlichkeit jemals wahrgenommen zu haben. Der Mann in der Kapelle mußte also, wie ich bereits vermuthet hatte, ein i Fremder fein. Die F age, wie eS einem solchen ge lungen, unbemelkt von allen Leuten, welche Johanna nahe standen, daS Herz diese- herrlichen, sonst so ruhigen und verständigen Mädchens mit ebenso unreiner wie gewaltiger Leidenschaft zu entzünden, diese Frage konnte ich mir nicht beantwortcn. ! „Meine gute Tante hegte gestern Abeud große Besorgnisse um mich wegen des schlechten Wetter-", sagte ich, als Friedrich sich zum Fortgehen anfchickte. „Sie würden mir eine Liebe erzeigen, wenn Sie der- selben beim Nachhausekommen mein völlige- Wohlbefinden melden woll en." „ES soll geschehen, Herr Justitiar." Friedrich verließ mich in der leider nicht von mir getheitten Hoffnung auf den besten Erfolg unseres gemein samen Unternehmens. Ich durfte mich j tzt meinen Gedanken hinsichtlich Johannas nicht überlassen, denn die strenge Amtspflicht nahm mich anderweitig in Anspruch. Schnell kleidete ich mich fertig an, gab MUzer d:S verabredete Zeichen mit der Glocke und begab mich in dessen Begleitung nach Nummer Fünf der oberen Zellen. Elisabetb, in der Bibel lesend, saß am Tische; sie erhob sich bei meinem Eintritte. Ich grüßte nur kurz, ohne sie zum Niedersetzen aufzufordern, rügte in scharfen Worten die Uebertretung meines Verbotes, kein Licht zu brennen und verlangte Auskunft darüber, wie sie zu der Kerze und den Zündhölzchen gelangt. Sie räumte auch mir ein, daß sie zur angegebenen Zeit Licht in der Zelle gehabt; der Schlaf habe sie geflohen und sie habe gelesen. Aber wie damals, als es sich um daS Weik, zeug gehenden, verweigerte sie auch jetzt die von mir verlangte Auskunft. Eine kleine Wachskerze und einige kleine Zündhölzchen seien ihr gegen ihren Willen zu gekommen; sie wolle an Niemand zur Verrätherin werden, wenn sie darum auch da- Schwerste erleiden müsse. „Hören Sie, Herr Melzer", wandte ich mich zu diesem, „Alles, ohne Ausnahme, was fortan von außen für Fräulein Werner kommt, sei eS aus dem Gasrhofe, oder von der Wäscherin, oder selbst auS dem Hause meiner Verwandten, von Fräulein Selbig — genug, Alles süc Fräulein Werner Eingehende Haden Sie oder Ihre Frau der schärfsten Durchsuchung zu unterwerfen und geschieht die Ablieferung nur, wenn durchaus kein Verdacht der Schmuggelei vorliegt. Ebenso wird e» n Redaktion K„4»e»-Re«ftavt II Methner Gaffe 4. »re Zetttmg erscheint Vtenftag, -»«ersta, und «annabend früh. Asaunement»- Pret»: »«e^LtjLhrl. M 1,50. A» bestehen durch tatserltchen Post- «statten und durch unsere Boten. Dei freier Lieferung in» Haus erhebt die P.'ft noch eine Ve- dühr von 25 Psg. iich fische Nacheilung Inserate werden bis Montag, Mittwoch u. Freilag Mittag angenommen und kosten: dielspalt.Zeile 15Psg. Unter Eingesandt: 30 Psg. Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmartr» Müller in Dresden. Juseraten- Aniiahmestellcnr Die Arnoldifch« Buchhandluna, Invalidendank, Haascnstkin LVogler^ Rudolf Mosse, B L. Daube « E». in Dresden, Leipzig, Frankfurt a/M., V Kohl, KesselSdorß u. f. w.