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Sächsischer Landes-Anzeiger : 05.02.1886
- Erscheinungsdatum
- 1886-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188602058
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18860205
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18860205
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1886
-
Monat
1886-02
- Tag 1886-02-05
-
Monat
1886-02
-
Jahr
1886
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 05.02.1886
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.'"»»' - "—' -. "H..- Tägliches Unterhaltungsblatt Mm Sächsischen Lsnbes-AnMer. Nr. SS. - - 6. Jahrgang. Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Buchdrnckerei, Chemnitz, Theaterstraße Nr. S. Freitag, 5. Februar 1886. Der Komödiant. Erzählung von Balduin Möllhausen. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „So viel ich weiß, lebt er in günstigen Verhältnissen," erklärte der Director, »ich täuschte mich nicht in ihm; er fand eine seinen Anlagen angemessene Stellung an einem Theater — nun — mindestens zweiten Ranges." Christiane sah befangen um sich. Ihre Blicke begegneten denen deS schönen, bleichen Mädchen» mit den sprechende» LebenSzügen, und als hätte sie neuen Mnth aus denselben geschöpft, hob sie freier an: „Auf eine solch« Auskunft war Herr Schlehdorn gefaßt. Allein er hält für möglich, daß sein Sohn dennoch bei Ihnen weilt, erklär- liche Scheu ihn aber bewege, seine Anwesenheit zu verheimlichen. Der Leute und der tiefbekümmerten Mutier wegen würde solches Ver fahren zu billigen sein. Dagegen verlautete, daß Sie hart gegen Noth und Mißgeschick kämpften." „Wohl Dem, der noch «neigeunützige Freunde und Angehörige besitzt," sprach der Director schmerzlich bewegt, und sein trüber Blick streifte die in sich versunkene Gestalt seiner Tochter, „er kann nie dahin gerathen» sich gänzlich vereinsamt und verlassen zu fühlen I Aber nein, der junge Mann befindet sich nicht in einer Lage, daß er genöthigt wäre, die Hülfe seiner Eltern zu suchen. Im Gegeutheil, wenn er wüßte, daß sie es nicht verschmähten, so würde er sich beeilen — et kostete ihn ja keine Opfer — die Pille Behaglichkeit der beiden Alten noch zu erhöhen." „Sie kennen seine Lage so genau," hob Christiane wieder schüchtern an, „eS klingt fast, als stände er noch in Beziehung zu Ihnen?" Hebel schaute sinnend vor sich nieder. Auf seinem Antlitz kämpfte eS sichtbar. Einige Sekunden zögerte er, dann antwortete er rauh „Nein, in keinerlei Beziehung. Was ich von ihm und über ihn weiß — nun, bei meinem unstete» Umherziehen finde ich bald hier, bald dort Gelegenheit, mir Kunde über alte Bekannte zu verschaffen." „Tr begleitete sie nicht hierher? Gehört nicht mehr zu Ihrer Gesellschaft?" fragte Christiane noch dringender. „Sie sehen, wie ich hier liege," entgegnete Hebel vorwurfsvoll, „daß ich keinen Glauben finde, ich klage nicht darüber; in meiner Stellung kann ich nichts Anderes erwarten; allein ich gebe zu erwägen, daß, wenn man mit eiligen Schritten sich der äußersten Grenze deS Lebens nähert, man kaum geneigt sein dürste, noch zu Entstellungen der Wahrheit seine Zuflucht zu nehmen. Hören Sie daher mein letztes Wort: Große Freude gewährte es mir, den Eltern des jungen Schlehdorn Gute- berichten zu können Weiteren Anforderungen zu willfahren, bin ich dagegen nicht im Stande. Ach, blicken Sie um sich und ent scheiden Sie selbst, ob dieses elende Obdach eine Stätte für einen reich begabten jungen Mann wäre." „Vertrauen Sie den Worten meines Vaters," bethciligte Julia sich nunmehr an dem Gespräch, nachdem sie so lauge mit ängstlicher Spannung gelauscht hatte, „Herr Johannes Schlehdorn verließ uns vor fünf Jahren, uud seitdem betrat er die Schwelle unserer HäuS lichkeit nicht wieder." „Wenn er sie nur betreten wollte," bemerkte die Directorin, wie zu sich selbst sprechend, und deu Sammctmautel zur Seite legend, griff sie nach einem zweifarbigen bauschigen Kleidungsstück, dessen verblichene Seidenstreifen mit schmalen Sildcriresscn eingefaßt waren, „ich würde ihm eine Rolle übergebrn, in welcher sein Talent am meisten zur Geltung gelangte," uud weiter flickte und stopfte sie, als wäre sie die Mutter eine» Rudels barsüßiger Kinder gewesen. Einen ängstlichen Blick warf Christiane auf das wunderliche Weib; einen Blick inniger Theilnahme aus Julia, uud wie unwillkür lich reichte sie ihr die Hand. „Traf ich nicht Herrn Schlehdorns Sohn," sprach sie mitleidig, „so weiß ich doch, daß es des alten MauneS Billigung findet, wenn ich sein Scherflein Jemand zuwende, der dessen bedürftig ist," und sie legte zwei Thaler vor dem erstaunten Hebel aus die Bettdecke, „außerdem darf ich! Ihnen verrathen, daß die Stadtmufici sich geeinigt haben — Alle bemitleiden Sie uud möchten Ihnen helfen — an den ersten drei Abenden bei Ihren Vorstellungen unentgeltlich zu spielen. Ich weiß es genau," fügte sie mit einem geheimuißvollen Lächeln hinzu, als sie bei Julia wie bei deren Vater ungläubigen Blicken begegnete, „denn ich selbst gehöre zu ihnen." Eine Razzia im Berliner Thiergarten. Humoreske von Emil König. ^ Nachdruck verboten. Ein Reporter der Straße. Man sage mir nicht: „es giebt keine Originale mehr!" ich kenne deren genug, und auch die schöne Residenz Berlin kann noch manches ausweisen. Unter Andern wandelte ein solches in jenem Theil der haupt städtischen Presse umher, welcher deu Klatsch pflegt und dem nichts in der Welt über einen ordentlichen Scandal geht. Es registrirte mit der Genauigkeit eines deutschen ProsessorS die Droschken- und OmnibuSgäule, welche auf offener Straße zu Fall uud Schaden kamen, und andere erschütternde Ereignisse, die sich in dem großen Babel zutrugen, und heimste dafür, sofern die Erzeugnisse seiner Feder Ausnahme fanden, fünf Pfennig pro Zeile «in. „Ein verfehlter Beruf" — würde Fürst Bismarck sagen, uud Herr von Haubeck, unser Original, ein Mann von reinstem blauem Blute, vom ältesten, noch dazu unvermischten Adel, würde antworten: „Gebt mir nur einen andern, etwa den Beruf eines Naumburger Domherrn, ich lasse eS mir schon gefallen. Der Unterschied zwischen sonst und jetzt gefällt mir ohnehin nicht! Sonst gab es nur eine Aristokratie, die Aristokratie der Geburt — jetzt ist die Aristokratie des Geistes und — deS Geldes, deS verwünschten Geldes dazu ge kommen, und ich, ein Sprößliug derer von Laubeck — uralter Adel! —, ein Aristokrat von Geburt — der einzig wahre! — muß von Zeitung zu Zeitung hausiren und hier den Verleger, einen Finanz baron, und dort deu Redacteur, einen Ritter vom Geiste, ganz ge- horsamst bitten, daß sie mir — O, ich möchte rasend werde» — sie mir, einem von Laubeck, fünf Pfennige für die Druckzeile — sie mir I einem Aristokraten von Geburt!" Der arme Herr von Laubeck I Von seiner einstigen offizierlichen Herrlichkeit war ihm nichts geblieben, „als die Ehr' uud das alternde Haupt" oder bester gesagt: das kahle Haupt; denn wenn von Laubeck einmal seine alte Fuchs- perrücke lüstete, war auf seinem Schädel auch nicht ein Haar zu ent- decken, derselbe war vielmehr so glatt, daß ihn Mirza-Schaffy darum hätte beneiden können. Dann erinnerte ein martialischer Schnauz- bart — Kategorie „Wischer" — i« dem verlebten Gesicht, uud die noch ziemlich stramme Haltung an die nun vergangene Herrlichkeit. Außerdem sprach noch eine lobenSwerthe Eigenschaft deS alten Militärs dafür, daß er, wie Ollech sagt, „aus einer der Pflanz stätte» der Blüthen der Nation hervorgegangen;" er trug nämlich stets blankgeputzte Stiefel, sein« Unaussprechlichen und sein faden- scheiniger Rock waren immerdar sauber abgebürstet und sei« alter Um jedem Dank auSzuweichcn, schritt sie so hastig auf den Aus gang zu, welche vie vierschrötige Directoriu vor ihr ausrollte, daß Julia Mühe hatte, ihr mit der Lampe zu folgen und die Treppe; hinab zu leuchten. Unten angekommen, sandte sie einen freundlichen Gruß zurück. Im Begriff, sich zu entfernen, Prallte sie beinah mit einem großen, breitschulterigen Mann zusammen, der unter dem Wage» hervorgekommen zu sein schien, und sie mit einem tiefen spöttischen Lachen begrüßte. Erschreckt wich sie aus, uud im nächsten Augenblick war sie in der Dunkelheit verschwunden. 3. Bevor Hebel Zeit gewann, sein freudiges Erstaunen über den unerwarteten Besuch auszusprechen» erdröhnten schwere Schritte auf der Treppe. Gleich darauf drängte ein großer Mann von unge wöhnlicher Körperbreite sich durch die Thüröffnung, mit geräusch-! vollem „Haah!" seine Zufriedenheit über den Temperaturwechsel offenbarend. Beim ersten Ton seiner Stimme flüchtete Julia sich wieder an die Seite ihres Vaters, wogegen die Directorin die Thür zurasselte und mit einer gewissen männlichen Vertraulichkeit dem Eintretenden die Hand reichte. „Mein Freund Williametto," redete sie ihn an, „darf ich mir erlauben, nach Ihrem welchen Befinden zu fragen?" .Viel Kälte und leere Taschen," antwortete der Hercules trotzig, und er sandte einen geringschätzigen Blick zu dem kranken Director hinüber, .giebt's nicht bald guten Verdienst, so ziehe ich meiner Wege. Ein Mann meines Schlages findet sein Brot überall." Hebel seufzte und drückte vcrzwciflungsvvll die Hand seiner Tochter. Die Frau Directorin klopfte dagegen schmeichelnd die Schulter des rohen Gesellen. „Und der Stadt möchten Sie den Anblick des schönen, welt berühmten Hercules rauben?" fragte sie, ihre ganze Seele in ihre Augen legend. Williametto, ursprünglich Wilhelm Fetter, strich selbstzufrieden seinen Schnurrbart und die mit schwarzen Stoppeln besetzten feisten Wangen und stellte sich mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen vor den Ofen. „Was kümmert mich das elende Nest?" polterte er aus tiefer Brust, „eine Schmach, vor dem Lumpengesindel überhaupt auftreten zu müssen. Aber wir wollen's versuchen; zieht die Pyramide nicht, so erkläre ich die ganze Einwohnerschaft, vom Bürgermeister bis herunter zum einfältigsten Schuhputzer, für Dummköpfe, die von Schönheit und Kraft gerade so viel Begriff haben, wie unser über lebender Rappe von 'nem Gesangbuch. Komme übrigens von dem Gaul her; wenn er den Schimmel lange überdauert, will ich zum letzten Mal meine zehn Centner gehoben haben; und was dann?" „Sie täuschen sich," versetzte Hebel besorgt, „dieser neue Schlag wird mir erspart bleiben — es wäre zu hart." „Viel traue ich ihm nicht mehr zu," entgegnete der Hercules gleichmüthig; außerdem zieht der Name Hebel nicht mehr; Director Williametto würde besser klingen. Es muß durchaus etwas ge schehen, oder die Sache nimmt ein klägliches Ende," und, wie um seine heimlichen Absichten durchschimmern zu lassen, näherte er sich Julia, seine gewaltige Hand zärtlich auf deren Haupt legend. Julia sprang empor und trat bis an das Fußende des Bettes zurück. Ihr Antlitz war todtcnbleich geworden. „Herr Wilhelm Fetter," sprach sic bebend vor Entrüstung, und sie achtete nicht der vcrzweiflungsvollen Blicke ihres Vaters, beachtete nicht ihre Stiefmutter, die sichtlich empört war über die nach ihrer Ansicht dem Hercules widerfahrene Schmach, „Herr Fetter," wieder holte sie kurz athmend, „wir befinden uns hier nicht auf der Bühne Aber auch dort werden Ihre ungerechtfertigten Vertraulichkeiten auf hören. Ich habe nicht länger Lust, in der Pyramide mitzuwirken." „Und dennoch werden Sie milwirken," versetzte der Hercules, vor Wuch mit den Zähnen knirschend, „morgen Abend balanciren Sie auf meinem Kopf, oder es soll mich nicht kümmern, wie bald Sie sammt Ihrem Vater verhungern oder in's Armenhaus wandern." „Ja, ich werde Mitwirken," antwortete Julia, beim Anblick des Directors ihre Entrüstung niederkämpfend, „ich werde sogar mein Aeußerstes aufbieten um die Zuschauer zu befriedigen; dagegen speckglänzender Cyliuder war fortwährend gestriegelt, auch seinen leider in der Mitte geborstenen Kneifer wußte er noch immer mit offizier- licher Grazie in's Auge zn klemmen. Bisweilen sahen wir den alten Edelmann mit einer Schreib- mappe unterm Arm durch die Straßen wandeln; ab uud zu auch mit einem alten, verschossenen Plaid, was denn auf eine größere Untervehmung oder, wie er sich selbst auSdrückte, eine „extraordinäre Excursion", schließen ließ. Also war dieses Exemplar der „Vertreter der Presse" beschaffen, ein „Reporter der Straße!" 2. Die Musikanteubörse. Berlin hat mancherlei Börsen. Da z. B. eine knoblauchdustende in der Burgstraße, dann wieder eine schafmistduftende auf dem neuen Viehhof, eine Börse der „ Cravatteufabrikauten" geringerer Sorte in der Leipzigerstraße, eine Börse der gewöhnlichen Bauernfänger vor dem neuen Museum an dem bekannten marmornen Waschbecken und andere mehr! Die interessanteste für Herrn von Laubeck aber war die an der neuen Wache, benamset: „Die Mufikantcnbörse." Dort war die „Quelle", der unversiegbare Born seiner Tages neuigkeiten. Wenn ein Artikel des Herrn von Laubeck^ begann: „Wie wir aus sicherster Quelle erfahren" so war dies« sicherste Quelle eben die Musikanteubörse. Leitete er aber mit den Worten ein, „wie wir ans guter Quelle berichten können," so lag diese Quelle „tief unter der Erd" — beim Budiker. Wo konnte sich Berliner Stadtklatsch übrigen» auch bester concentriren, als an der Musikanteubörse? Dort strömten sie zusammen, die Veteranen, Männer und Jüng linge der Kunst, die Jünger der heiligen Musika! Dahin kamen sie, befrackt uud unbefrackt, in Civil uud in Uni form; denn dort wählten sich die unzähligen Capellw elfter und Dirigenten ihre Violinisten, Bratschisten, Flautisten, Clarinettisten, Bassisten, und andere „isten" für den Abend oder für den andern Tag; dort engagirten sie für die verschiedenen VerguüguvgSlocale ihre Herren Posaunisten, Wald-, Tenor- und andere „Hornisten"; allda bildeten sie ihr Ensemble von „isten", wie man es eben nur auf der Musikantenbörse zusammenstellen kann: „Sie üben nicht, sie proben nicht und — eS klappt doch!" Von hier aus strahlen sie heute au» nach allen nur denkbaren Concertgärten, Tanzsalous re. und hier kommen sie morgen wieder zu sammen und zwar „reich mit der Neuigkeiten Schätzen beladen." Da gab es Ausbeute für Herrn von Laubeck. Und man kennt ja das Völkchen der Musikanten. Es ist allezeit lustig! Man kennt sie „die Musikantenkchle"; sie ist immerdar durstig. verlange ich, auf jeder anderen Stelle unbeachtet von Ihnen zu bleiben." Der Hercules zuckte die Achseln, während ei» teuflisches Grinsen sein gemeines Antlitz noch mehr entstellte. Dann schob er die beiden Fäuste in die Seitentaschen seines fadenscheinigen grünen Flauschrockes, die in schadhaften Reitstiefeln steckenden Füße so weit auseinanderstellend, wie zu einer anmaßenden Haltung erforderlich. „Und ich erkläre Ihnen," sprach er heiser vor leidenschaftlicher Erregung, „daß ich die Zeiten kommen sehe, in welchen Sie sich glücklich schätzen, von dem Hercules Williametto überhaupt beachtet zu werden." „Ich trete auf Herrn Williametto's Seite'" offenbarte die Directorin, die Flickarbeit zur Seite schleudernd, nunmehr ihren Verdruß, „zur männlichen Kraft gehört weibliche Schönheit. Meine Tochter wird es sich zur Ehre rechnen, Herrn Williametto in seinen Produktionen zu unterstützen, und zwar schon morgen. Ein guter Anfang entscheidet über Ken Erfolg der ganzen Saison!" Hebel hatte sein Gesicht der Wand zugckchrt. Er vermochte den Anblick seiner Tochter nicht zu ertragen, die bei den herzlosen Aeußerungen ihrer Stiefmutter sich nur noch mit Mühe aufrecht zu erhalten schien. Williametto zuckte wieder geringschätzig die Achseln. Anstatt aber der sich zu seiner Verbündeten aufwerfenden Directorin zu danken, starrte auf Julia, als hätte er sie mit den Blicken ver schlingen mögen. Er sann auf neue Mittel, sein Uebergewicht zu beweisen. Rach kurzem Grübeln hob er mit eigenthümlich sorglosem Ausdruck an. „Soll meine Arbeitskraft nicht erlahmen, so muß ich meinem Körper die entsprechende Pflege angedeihen lassen, und dazu ist eine Abschlagszahlung auf mein Honorar erforderlich." „Sie kennen meine Lage," seufzte der Direktor, verzweiflungsvoll zur Decke hinaufstierend, „so leid, wie es mir thut, ich kann uicht anders, ich muß Sie bis auf morgen nach der Vorstellung vertrösten." „Und bis dahin hungern?" höhnte der Hercules, keinen Blick von der entsetzt zusammenschaudernden Julia abziehend, „halloh, ohne eine Abschlagszahlung rühre ich kein Glied. Dagegen bin ich nicht unbescheiden. Ich begnüge mich mit einem Theil des Geldes, welche» die junge Person eben brachte." Nach diesem Beweise, daß er auf der Außenseite des Wagens oder vielmehr unterhalb desselben gelauscht hatte, herrschte ein Weilchen tiefes Schweigen. Sogar die Directorin stand da, als hätte sie ge glaubt, sich verhört zu haben. Dann aber trat Julia vor den Hercules hin, ihm einen Thaler reichend. „Es war ein Almosen," sprach sie ruhig, während es um ihre Lippen zuckte, als hätte sie in lautes Weinen ausbrechen mögen, „ein Almosen, dargebracht meinem Vater, um ihm wenigstens eine kleine Erquickung zu ermöglichen. Dies ist die Hälfte der ganzen Summe; vielleicht leistet das Geld Ihnen bessere Dienste, als einem Kranken." „Geld ist Geld, mag's Herkommen, woher es wolle,'' lachte der Hercules feindselig, indem er den Thaler zu sich steckte. »Wäre ich Director, ich würde meine Taschen anders gefüllt halten," und sich mit einer erhabenen Bewegung umkehrend, schritt er auf die Thüre zu. Die Directorin, nicht zufrieden, die Thür geöffnet zu haben, begleitete den Hercules die Treppe hinunter. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen, wodurch ihr Haupt in gleiche Höhe mit dem seinigen gelangte. „Sie sind in Ihrem vollen Recht, theurer Williametto," flüsterte sie, „wären Sie Director, so gestaltete sich wohl Manches anders — mein armer Hebel kann unmöglich noch lange leben, und die Julia mit ihren unerhörten Ansprüchen muß aus meinem Hause — nur einen Thaler für einen Mann Ihres Werthcs — es ist himmel schreiend —" „Für heute genügt's," meinte der Hercules, ziemlich unempfind lich gegen so viel zarte Aufmerksamkeit, „und die ersten Billets, die morgen verkauft werden, gehören mir," und den schlappen Filzhut tiefer über seine Stirn ziehend, schritt er davon. Die Directorin blickte ihm so lange nach, wie sie seine breite Gestalt in der Dunkelheit zu unterscheiden vermochte; dann lauschte sie noch ein Weilchen auf den schweren Fall seiner Füße. Oben stand unterdessen die Thür offen. Eisige Luft strömte zu dem kranken Eine entsprechende Anfeuchtung solcher Kehlen versetzt ihre Inhaber in gute Laune, macht redselig, bisweilen gar erfinderisch. Deshalb erschien von Laubeck stets mit geladener Kümmelpifiole; denn — „ohne Auslage kein Geschäft." Was ihm die Füllung der Pistole kostete, das brachten die Neuigkeiten der Freunde von der Musik hundertfältig wieder ein. — „Ah, allerunterthänigster Diener, uieiu verehrtest« Herr Lieute nant!" — redete eines schönen Tages unser» Reporter ein unifor- mirter, beschwalbennesteter Jünger der heiligen Musika an der Musik antenbörse an. — „Schade, daß ich für heute Nacht schon „gefixt" bin, sonst machte ich mir einen Hauptjux I" „Und das wäre?" fragte herablassend der sich geschmeichelt fühlende Lieutenant a. D. „I, ich habe soeben im Vertrauen, so unter der Hand, na, Sie verstehen mich, so von guten Frenuden vou der Polizei, erfahren, daß heute Nacht «ine große Razzia im Thiergarten abgehalten wird. Aber Ihr Ehrenwort, Herr Oberstlieutenant, Schwelgen I" — Dabet legte der Hautboist bezeichnend zwei Finger auf den Mund. „Mein Wort darauf, mein lieber Zauberflöte!" entgegnete von Laubeck, dem Musiker die Rechte gebend. „Was müßte da» für einen Ulk geben, Herr Hauptmann," fuhr Zauberflöte fort, „könnte mau ein Mal so mitten mang' sein, wenn die Blauen bei „Mutter Grün" all' die lustwandelnden „Männlein nud Fräulein", die Brüder der Sonne zusammenlesen, — uud wenn die auserlesene Gesellschaft daun der Polizeigewahrsam, heilig, groß, ausnimmt in deu Mutterschoß!" „Nun, beruhigen Sie sich darüber, mein lieber Herr Zauber flöte', erwiderte Laubeck. „Sie sollen bald eine eingehende Beschrei bung der Razzia aus meiner Feder erhalten. Für heute sage ich Ihnen besten Dank für die Mittheiluug und bitte Sie höflichst, diese Zeitung von mir auzunehmen. Ich weiß, Sie finden meine Artikel sofort heraus, Sie erkennen sie au der besonderen Eleganz meines Stil». Um Ihnen indessen da» Finden zu erleichtern, habe ich sie noch besonders mit drei Kreuzen und einem AusrufungSzeichen ver sehen." „Ach, meinen verbindlichsten Herr Major", sagte der Fagottist, uud verabschiedete sich dann, verschwitzt in sich hinein schmunzelnd. Auch Laubeck klemmte seinen Kneifer «in und? ging vergnügt uud stolz wie ein Spanier, vou dannen. Welche Aussicht auf Einnahme bot sich ihm! Die Beschreibung einer Razzia! Hübsch durchgeschrieben für zehn Zeitungen auf einmal! Mußt« das Zeilen geben I Zumal, wenn er die schönen, allerdings ein wenig verbrauchten Umschreibungen einzelner Worte recht oft au paffend«
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