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399 nichts dagegen einwenden könnte. Wegen der Rubrik „Insgemein" werde ich Dir ein ander Mal genü gende Auskunft geben. Im Uebrigen geht es jetzt hübsch munter bei uns zu; Venn der Winter mit seinen langen Aben den bringt Vergnügen für Hoch und Niedrig, für Alt und Jang. Dagegen sind wir bis jetzt noch ohne Schaustellungen und dergl., welche sich um diese Zeit cinzustellen pflegen, um die Winterabende zu kürzen Dagegen hat uns neben einem berühm ten Virtuosen auch ein „reisender Kaffeekocher" be sucht, der seine Künste erst für schweres Geld, dann für sechszehn gute Groschen zeigte; das rei zende Tirol sandte uns nicht nur seine Jodler und Sanger, sondern auch seine Hühneraugen-Opera- teurs. Diese Leute könnten übrigens bei Euch im Gebirge gute Geschäfte machen, denn Ihr wißt es leider nur zu gut, wo Euch der Schuh drückt. An Magnetiseurs fehlt es uns auch nicht, und meiner jungen Nachbarin, welcher ihr gichtischer Ehemann das Zipperlein beigebracht haben soll, bekommt das Streichen recht gut. Du siehst, bei uns in der Residenz blüht der Weizen für Jeder mann; wer nur recht viel Geschrei macht, der kann auch hier etwas prositiren. Komme nur einmal zu mir, lieber Vetter, und ich will Dir's haarklein beweisen, daß das alte Sprüchwort: „die Welt will betrogen sein," nirgends mehr Geltung hat als in einer großen Stadt; wer die Backen recht voll nimmt, schwimmt oben auf, und die Solidi tät muß am Ende froh sein, tritt ihr der Meister Prahlhans nur auf die Füße und wirft er sie nicht ganz über den Hausen. Doch, Lajütmli sat von diesem unerfreulichen Kapitel! Im Publicum cursirt jetzt ein Gerücht, das hoffentlich nicht mehr sein wird als eben ein Ge rücht. Es heißt, man beabsichtige auch bei uns, wie in einem benachbarten Staate, eine strengere Sonntagsfeier einzusüdren. Es versteht sich von selbst, daß die Gesetzgebung in dieser Beziehung blos auf die äußeren Formen einwirken kann, und ich will hier nicht untersuchen, ob durch derartige Maßregeln die wahre gottinnige Frömmigkeit oder die verächtliche und heuchlerische Frömmelei, der gesunde religiöse Sinn oder der scheinheilige pha risäische Pietismus mehr gefördert werde." Wer aber den religiösen und kirchlichen Sinn der Dresdener kennt,,der wird derartige Vorkehr ungen mindestens für entbehrlich und am aller wenigsten für nothwendig halten. Es mag wohl sein, daß der kalte und nüchterne Verstandesglaube, zum Theil begünstigt durch den neueren Schulun terricht, sich weiter Bahn bricht, als eigentlich zu wünschen ist; aber in der Masse des Volks ist die wahre innige Religiosität, die freilich nicht im bloßen Beten und Singen, sondern vielmehr in einem rei nen, untadelhaften Wandel besteht, durchaus nicht erkaltet. Man darf nur unsere Kirchen besuchen, und man wird sich überzeugen, daß dieses Urtheil nicht unbegründet sei. Und hört man bei uns, daß der Sonntag durch grobe, rohe Excesse entweiht wird, wie es wohl in anderen großen Städten der Fall sein mag? Was bleibt übrigens dem armen Arbeiter, dem redlichen Handwerker zur Erholung für seine Mühe und Arbeit? Die wenigen Stun den des Sonntags sind seine einzige Erholung; ein unschuldiges Vergnügen entschädigt ihn für die ganze mühselige Woche. Und nun ziehe man end lich eine Parallele zwischen den Vergnügungen der Armen und denen der Reichen! Welcher Unter schied! Die Macht des Geldes zieht der Sünde ein glanzendes Gewand an, und sie schreitet mit frecher Stirn einher in den flimmernden Prunk sälen, ohne daß man ihre Schritte hemmt oder ihren wahren Namen zu nennen wagt; nur wenn sie sich in ihrer ärmlichen nackten Gestalt zeigt, fällt, sie der Nemesis anheim! Genug! ich-wollte Dir nur Launiges melden und bin auf ein ernstes Kapitel gekommen; doch, Du wirst mir dieß schon verzeihen; denn, wem vas Herz voll ist, dem gehet der Mund über! Wenn Du aber hörst, daß Deinen Nachbarn mc^ne Briefe gefallen, so sollst Du im neuen Jahre mehr vernehmen von Deinem treuen Vetter Hilarius Eusebius. O e r t l i ch e S. In der Sitzung der Stadtverordneten vom 8. Decbr. wurde es bitter getadelt, daß die Vertheil- ung der Wahllisten so sehr verzögert worden sei. An jenem Tage war nämlich mehren Wählern das betreffende Verzeichniß noch nicht zugegangen, wäh rend an demselben Tage schon die Einreichung der Wahlzettel begonnen hat, so daß sogar der Fall vorkam, daß ein zur Wahldeputation gewählter Bürger bei derselben erschien, ohne daß ihm vor her eine Wahlliste eingehändigt worden wäre. Ein solches Verfahren muß nothwendig nachtheilig auf das Ergebnifi der Wahlen wirken, insbeson dere, da der gewerbthatige Wähler kurz vor dem Feste sehr beschäftigt ist. Die Wahl muß also entweder in voller Hast geschehen, oder ganz unterbleiben; in ersterem Falle wirv es dem Wähler unmöglich, die Tüchtigsten seiner Mit bürger herauszusuchen, und im zweiten steht zu be fürchten, daß die nöthige Zahl der Stimmzettel nicht einlaufe und die an und für sich sehr kost spielige Wahl am Ende gar wiederholt wer den müsse. Warum ist man daher bei der Wich tigkeit dieser Angelegenheit nicht auf eine zeitigere Verkeilung der Wahllisten bedacht gewesen? — Einer der Herren Stadtverordneten schloß seine gerechte Rüge mit den Worten: „Es kann nir gends so zugehen wie in Dresden!"