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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 11.04.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-04-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188504119
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850411
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850411
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-04
- Tag 1885-04-11
-
Monat
1885-04
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 11.04.1885
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VMM Unterhalt „ugS-Blatt zum „Chemnitzer Anzeiger". wirkliche Lebeck ist anders, als dos im Drama, und doch, Halle ihr Schicksal nicht vielleicht mit jenem in der Tragödie Ähnlichkeit? Rein, nein, nein! er kam, er hielt sein Wort, er meinte es ehrlich. Ein Wagen hielt draußen an der kleinen EingangSthür und der Erwartete trat eilig durch dieselbe in den Park Sie athmete hoch aus und preßte die Hand gegen das stürmende Herz — nun war ihr Schicksal entschieden. „Habe ich Dich warten lassen, mein süßeS Lieb?" sagte er zärtlich, seine» Arm um die noch zitternde Gestalt legend. Sie schmiegte sich an ihn; wie sie sich seines Schutzes bedürftig und gestärkt, erhoben durch seine Gegenwart fühlte. „Ich dachte schon, Du hieltest mir nicht Dein Wort." „Närrchen", antwortete er mit zärtlichem Vorwurf, beglückt sich fühlend, durch ihre Hingebung. „Es ließ sich nicht alles so glatt abmachen, wie ich es dachte. Aber nun ist alles bestens besorgt. Hast Du nun Vertrauen zu mir?" „Ja, ja, wirst Du eS auch niemals täuschen, hast Du auch den ganzen Ernst des Gelübdes, daß Du mir in kurzer Zeit oblegen wirst, überdacht ?" fragte sie, die scheinen Augen mit ernstem Blick auf ihn gerichtet. „Natürlich", sagte er leichthin. Sie fühlte sich durch seinen Ton »erletzt.I „Noch ist eS Zeit, zurückzutrcten", sagte sie mit dringendem Ton. Gr sah sie an, von ihrer sinnigen, ernsten Schönheit berauscht, und wollte sie trunkenen Blickes an seine Brust ziehen. Aber Elise trat mit der ganzen Würde ihre- Mädchenstolzes zurück. „Nicht so, ich bitte Dich!" „Liebst Du «ich denn nicht wehr?" sagte er mit zärtlichem Borwurf, „wäre eS Dir denn recht, wenn ich so kühl vor den — hm — vor den Traualtar träte, als gälte es der Hochzeit 'eines An deren? Meine Natur ist eine jähe, leidenschaftliche, ich will nichts wissen von der mondscheinsüchtigen Liebe, die keine wahre Liebe ist. Lieber die ganze Erdenseligkeit in einem kurzen vollen Zuge erschöpfen, als in homöopathischen Dosen tropfenweise genießen, mag nachher kommen was da will." Sie nahm mit einem Erröthen seinen Arm. „Komm", sagte sie leise. „Ja, komm", entgegnete er übermüthig, „zum Glück, zum Wonne traum, zum Paradies! Sieh, dort oben blinkt der Liebesstern, die BenuS, ein bedeutsames Zeichen! Frau Venus, ich bete Dich an!" „Es wurde ihr fast unheimlich unter seiner geräuschvollen Heiter keit, die etwas ForcirteS hatte, ihr inniges Gemüth konnte diese Art nicht als die rechte erkennen. Sie fühlte sich traurig dadurch gestimmt. Draußen hielt ein Wagen, der geschlossen war und nicht zum Gute gehörte. Der Kutscher war in einen Mantel gehüllt und blieb auf dem Bocke fitzen, er sprach kein Wort, und seine Züge waren in der immer mehr zunehmende» Dunkelheit nicht zu erkennen. Der junge Graf half seiner Braut beim Einsteigen und zog den Schlag zu. Sie setzte sich in eine Ecke des Wagens und sprach nur selten «in Wort, desto mehr ihr Gefährte, den sie beinahe im Verdacht hatte, daß er vorher starken Wein getrunken habe. Die Fahrt dauerte lange, Wohl an zwei Stunden, obgleich die Pferde in scharfem Trabe liefen. Als der Wagen endlich hielt, war es vollständig Nacht, und ein prächtiger Sternenhimmel spannte sich über die stille Gegend. Sie lehnte sich zitternd auf seinen Arm, nachdem sie ausgestiegen Ware». „Wo sind wir?" fragte sie. „Es ist bester, Du erfährst es jetzt nicht", sagte er zärtlich bittend. „Du hast mir die Arrangements vollständig überlasten und es liegt in der Natur der Sache, daß dieselben augenblicklich möglichst ver schwiegen bleiben." „Weiß der Prediger die Zeit unserer Ankunft?" „Ja, man erwartet uns." Vor ihnen lag ein einzelnes Gebäude, von dem Elise nur schwach die Umriste unterscheiden konnte, es war vollständig dunkel und schien ein Stück abseits von einem Dorfe zu liegen. Ihr Fuß zögerte aus der Schwelle — es war so düster, so vereinsamt, so still ringsum. Nur aus der Ferne klang das dumpfe Bellen eines Hofhunde« ; in nächster Nähe kein Laut, kein Licht — nur dort oben die leuchtende Ewigkeit. Als sie eintraten, fiel ein schwacher Lichtschein durch die Spalte der Thür, sie wurde gleich hinter ihnen von Jemanden wieder ver schlossen. Nur in der Mitte der kleinen Kirche, an einem einfachen Altar, brannte ein Licht und ein zweites wurde eben angesteckt. Nur der allernächste Umkreis wurde dadurch schwach erhellt. „Noch ein Wort", sagte der Graf stehen bleibend, „der Prediger, der uns ein großes Opfer bringt, hat sich nur unter der Bedingung zu dem Akt verstanden, daß er nichts weiter als die übliche Formel zu sprechen habe, und jeder persönliche Verkehr ausgeschlossen bleibt; auch mit den Zeugen habe ich es so verabredet." „Das ist aber seltsam", sagte Elise betroffen. „Im Gegentheil", antwortete er mit sicherem, überlegenen Tone „ich finde es ganz in der Ordnung. Die Eheschließung wird ord nungsmäßig ins Kirchenbuch eingetragen und Du erhälst eine Ab schrift davon, wie Du es wünschtest, aber in diesem Augenblicke kann der Prediger, den zu gewinnen es überhaupt sehr schwer hielt, nicht anders, als die größte Diskretion beanspruchen. Würde die Sache bekannt, ehe ich meine Mutter dafür gewonnen habe, so könnte es leicht eine» öffentlichen Skandal geben, der unbedingt die Absetzung des Mannes nach sich führen, wahrscheinlich auch mir meine Stellung kosten würde. Du wirst das einsehen und Dich mit der einfachen Zeremonie begnügen." Sie wollte noch etwas erwiedern, aber er zog ihren Arm fester in den seinen und führte sie zum Altar. Hier legte Elise Ihren Hut und Paletot ab, nahm den Kranz aus seiner Umhüllung und setzte ihn sich auf, ein kleiner Taschenspiegel leistete dabei nur sehr nothdürftigen Dienst. Dann trat das Paar an den Altar heran, wo der Prediger im Ornate sich unterdessen aufgestellt hatte, während die Zeugen, zwei Herren, nach einem kurzen Gruße sich hinter dem Paar plazirten Es war eine sehr seltsame Trauung. „Und so frage ich Dich denn' u. s. w sprach der Prediger die übliche Trauformel, und «in kräftiges Ja des jungen Offiziers und ein leises gepreßtes des Mädchens beschlossen den nächtlichen Bund Zwei einfache Ringe, ohne jedes Abzeichen, hatte der Graf mitge bracht und dieselben fanden ihren entsprechenden Platz. Dann verließ das Paar, nachdem der Gras den Zeugen und dem Priester seinen Dank ausgesprochen und mit der Zuverficht schloß daß er und seine Frau recht bald dieselben zu einer offiziellen Familien frier bei sich sehen würden, die Kirche. (Fortsetzung folgt.) Fürst Bismarck. »eVerrNlStter zum fiebztsfte« «rrurt»1«ge. Vou Prof. vr. Adalbert Horawitz. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) IV. Wohl hatte Bismarck die Nation in den Sattel gehoben, aber von ielbft lernte sie das Reiten nicht; er mußte auch ihr Rittmeister werden. Und er hatte eS da mit recht störrischen und ungeschickten Leuten zu thun, eS war Arbeit vollauf auch für den versuchten und erprobten Mann! Wer damals sanguinisch eine baldige Erweiterung des Norddeutschen Bundes erwartete, sah sich in seinen Hoffnungen getäuscht; stärker als je schienen die Gegner der unionistischen Richtung zu widerstreben, selbst die drei Sessionen des Zollparlaments brachten keine Resultate in der Einigungsfrage. — Eine» Trost freilich mochte man in dem Erfolge der BiSmarck'schen Politik Frankreichs Prätevsiouen gegenüber ersehen, das, wie bekannt, sowohl die Lunm- burger Frage aufwarf, als sich auch in die Angelegenheit Nord chleswigS einmengte. Kein Dorf, kein Kleefeld wird vom deutschen Gebiete abgetreten! Dar war stets die Antwort des deutschen Staats mannes. der unter vielen anderen hochwichtigen politischen und wirth- chastlicken Reformen das großartige Projekt der Gotthard-Bahn durch seine energische Haltung zur Verwirklichung brachte. Zur Er haltung von den nicht leichten Aufgaben und Kämpfen zog sich — denn seine angegriffene» Nerven verlangten dies gebieterisch — der Kanzler des norddeutschen Bundes ad und zu nach Hinterpommern m sein Schloß Varzin zurück. Und hier lebt der Mann der großen europäischen Epopöe seiner ihm so sehr nöthigen erfrischenden Idylle. Auch in Bismarck ist die deutsche Zweiseelennatur — der Mann, der nicht rasten und ruhen kann, besten Wille die Welt bewegt, hat die innigste Sehnsucht nach einem der Natur hingegebeuen Stillleben, nnig mit der ewig gleichen heiligen Natur? Aber wie sich Sulla als Exdiktator in dem kleinen Landstädtchen, in das er sich zurück zog, eine neue Thätigkeit schuf, in der er wiederum der Große, Siegreiche war, so war der Lenker des Norddeutschen Bundes in Varzin der Meister der Natur geworden, auf dessen Machtgebiet Forste entstanden und unwirthliche Gegenden lohnenden Ertrag liefern mußten Ob er nun hinausritt in die beglückende Stille der Wälder und die Würzige, kräftige Luft einsog, oder ob er, im Herbste noch immer ans seinem geliebten Landsitze weilend, am mächtigen Kamin, die Pfeife in der Hand, den wackeren „Sultan" zu Füßen, von der Vergangenheit träumen oder Zukuuftspläne in seiuem Geiste gestalten mochte, Eines blieb stets unverrückl sein höchstes Lebens- element - das war der kategorische Imperativ, den der Weise von igsberg. den Immanuel Kant ihm zur Richtschnur des Lebens gemacht. Die Pflicht war cs, welche ihn gar oft bei entscheidenden Verhandlungen rasch nach Berlin eilen ließ; die Pflicht erhielt ihn inmitten der scheinbaren ländlichen Zurückgezogenheit stets io Dienst Ernster, verantwortungsvoller, als je sollte sie im Juni 1870 an ihn herantreten. Es waren die Tage, in denen das Kaiserreich, d«s nicht der Friede war, die alte Politik Frankreich» gegen Deutschland, die Politik gewissenlosester Frivolität und Ereberungssucht aufzu- nebmen sich veranlaß! sah. Man weiß, welche Keckheit der damalige französische Botschafter Benedetti, welche Verlogenheit die französischen Minister entwickelten, wie König Wilhelm dem aufdringlichen Send ling Frankreichs künden ließ, er habe ihm weiter nichts mehr zu sagen. Die Folge war die Kriegserklärung, welche man um jeden Preis haben mußte, um sie der Krümle narion zu ihrer Beruhigung hinzuwerfen. Die Erklärung, welche nach dieser leichtsinnigsten politischen Handlung des Kaiserreiches von Seite Preußens an die Kabinette Europas erging, ist aus Bismarcks Feder; eine edlere, mannhaftere Sprache ist selten in einem diplomatischen Aktenstücke gesprochen worden; gerne erinnert man sich auch heute wieder dieser maßvollen, so ganz von deutscher Art durchdrungenen Worte. Jubelnd, mit Gefühlen, wie die Väter in de» Befreiungskriegen, zog Alldeutschland in den Kampf Nicht vermessene Sicgesgewißheit erfüllte die Herzen; man wußte, daß man einem harten Strauß entgegengehe; Viele besorgten, daß die deutschen Truppen den Prätorianern des Kaiserreiches nicht gewachsen sein würden. Da erweckte der großherzige Entschluß des edlen Königs von Baiern, welcher Süddeutschland einer nationalen Politik wiedcrgab, frohe Hoffnung Zu Ende war cs ja nun mit der schmachvollen Unter würfigkeit des Südens — Napoleon 111 hatte nur das Süddeutsch land deS Rheinbundes vor sich, seine Austastung war, Gott sei ge dankt, eine falsche. Gebieterisch forderten die süddeutschen Stämme den ^Anschluß an Preußens Heer. Baiern, Würtemberger und Badenser thaten in trefflicher Weise ihre nationale Pflicht, wie Bis marck gar oft freudig anerkannte Wie früher, so zog auch 1870, dieses Mal zur gewaltigsten Entscheidung, der deutsche Staatsmann mit in-den Krieg. Wie er einst gegenüber dem Drohen volks- verrätherischer Minister im Süden, die mit einer neuen Vereinigung mit Frankreich gedroht hatten, jenes berühmte Wort aussprach: „Der Appell an die Furcht findet kein Echo in deutschen Herzen," so ist er furchtlos und ohne Zagen hineingeritten ins feindliche Land. Und wahrlich, wer die lange Reihe von Gefahren betrachtet, die er un versehrt durchgemacht, wird sagen müssen: hier wird das Walten einer höheren Macht, das Wallen der Vorsehung auch dem schwächsten Auge ersichtlich. Nichts Anderes als Gottvertrauen war es, das den Kanzler auf seinen waghalsigen Wanderungen und Ritten durch feindliche Städte und durch das allüberall von Franctircurs besetzte Land als sicherster Trost und sicherster Schutz begleitete. Ja! dieser herrliche Besitz des Menschen, die echte Religiosität, der tief im Ge- müthe, nicht in Aeußerlichkeiten wurzelnde Glaube feiten den großen Staatsmann, das machtvolle Genie in diesen Stunden, wie in den bangen Tagen, als er seine beiden geliebten Söhne im Kampfe wußte, als ihm der eine schwerverwundet ins Haus getragen wurde, als täglich Nachrichten von dem Tode von Freunden und Bekannten kamen. Dieser Glaube aber war cs auch, der den Tausenden und Abertausenden Stärkung und Erquickung in den bangen Minuten bot, in denen sich die Seele hoffnungsvoll und getröstet von dem zer schmetterten blutigen Körper trennte. Der letzte Laut der bleichen Lippen war bei de» meisten der deutschen Soldaten ein ergebungs volles Gebet, ein Segevsspruch oder eine Ode für die daheim Ge bliebenen. Wohl ein anderes Bild, als das des verzweifelnden Gottesleugners, für den mit dem Tode Alles zu Ende ist, dessen letzter Lebensadern zugleich mit dem Fluche entweicht, daß er so jung schon sterben müsse. — Doch genug von diesen Reminiscenzen an Gespräche, die ich in jener unvergleichlichen Zeit mit deutschen Offizieren im Elsaß hatte — begleiten wir den „eisernen Kanzler" auf seinem Zuge gegen Paris. Den eisernen Kanzler — nie mehr verdient er diesen Namen, als in diesem Feldzüge, in dem seine Konsequenz und Unerschütlerlichkeit unsere Bewunderung erregt. Nirgends finde ich den Vergleich mit Luther so am Platze, als in dieser großen Epoche; nirgends mag man mehr erkennen, daß beide Männer in ihren Vorzügen und — Fehlern derselben Art ent stammen. Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß Beide in ihrem innersten Wesen den Romanen ganz unverständlich bleiben müssen. Es fehlt ihnen ganz jenes Theaterpathos, jene hochstrebende Aus druck-weise, jene Berechnung ihrer Worte für die Kritik der Zeit genosten und das Urtheil des Geschichtsschreibers, das etwa Ludwig XIV., das Napoleon I. so oft an den Tag legten. Das ist der Gang, die Redeweise, welche auch anderen Menschen eigen ist, kein Schreiten auf dem Kothurn; der Ausdiuck des Gedankens, der Empfindung, einfach, grobkörnig oft, ja derb, aber immer passend Und inmitten all der tausendfachen Gefahren von außen und der Zweifel im Innern köstliche Ruhe und prächtigen Humor, als ob man im tiefste» Frieden lebte. Nichts unrichtiger, als anzunehmcn, daß Bismarck's Wirken in jenem Kriege ein ungehemmtes gewesen wäre; an Aerger und Hemmnissen fehlie eS ihm nicht; oft hatte er. sich über die Militärs, über gewisse Fürstlichkeiten und über die! Schonung hoher Damen für das „Babel" an der Seine zu beklagen; oft seufzte er darnach, seine Gedanken frischweg durchführen zu dürfen; es kam sogar dazu, daß er seine Entlastung nehmen wollte. Wohl wirkte dabei auch die übermenschliche Anstrengung mit, die sogar die riesenhafte Natur des Kanzler« angriff. Nicht die körperlichen Strapazen, die er leicht ertrug, die er drückende geistige Arbeit war es, die seinen leidenden Nerven gefährlich ward. Am 16. August waren die Söhne Bismarck's bei Mars-la-Tour im heftigsten Kampfe gewesen, „der ältere hatte nicht weniger als drei Schüsse bekommen, einen durch das Bruststück des Rockes, einen auf die Uhr und einen durch das Fleisch des Oberschenkels." Mit Stolz erzählte der Kanzler, der am Abende sorgenvoll über das Schlachtfeld geritten, um nach sein » Söhnen zu spähen, sein Sohn Wilhelm habe einen Kameraden, der am Beine verwundet war, mit kräftigem Arme aus dem Getümmel herausgezogen, ihn aof's Pferd genommen und so gerettet. Doch Bismarck mußte seine Söhne wieder von sich lasten; der verwundete Herbert wurde in die Heimath transvortirt, Gras Wilhelm — noch immer nicht Offizier, „so wenig Protektion herrscht bei uns", sagte der Kanzler — zog mit seiner Schwadron weiter gegen den Feind In der Begleitung des König« war auch Bismarck bei all' den großen Kämpfen zugegen, die den Weg in das Innere Frankreichs eröffnten; neben seinem Könige iah er die Entscheidung von Sedan. Der Brief, den er über diese Schlacht an seine Frau richtete, ward von FranctircurS aufgefangen und dann von den französischen Zeitungen Publizirt. Er bespricht darin sein Zusammentreffen mit Napoleon III. „Ich ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser im offene» Wagen mit drei Adjutanten .... Ich saß ab, grüßte ihn ebenso höflich, wie in dtn Tuilerien und fragte nach seinen Befehlen." Er schilderte dann die weiteren Umstände bis zu der Unterredung, die zwischen ihnen in dem ärmlichen Arbeiterhause stattfand, und schrieb: „In einer Kammer von zehn Fuß Gevierte mit einem fichtenen Tische und zwei Binsenstühlrn saßen wir eine Stunde, die Andere» waren unten. Ein gewaltiger Kontrast mit unserem letzten Beisammensein 1867 in den Tuilerien. Unsere Unterhaltung war schwierig, wen« ich nicht Dinge berühren wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedcrgeworfenen schmerzlich berühren mußten." Eben dieser Zartsinn des sonst so energischen Mannes veranlaßte ihn auch, da« Harte, das in den Kapitulationsbedingungen lag. Napoleon III. lieber durch Moltke sagen zu lesten. lieber den Erfolg von Sedan äußert sich Bismarck mit den Worten: „Es ist ein weltgeschichtliche« Er» cigniß, ein Sieg, für den wir Gott dem Herrn in Demuth danken wollen, und der den Krieg entscheidet, wenn wir auch letzteren gegen das kaiscrlose Frankreich noch sortführen müssen." Die Behandlung Fnmkreichs, besten grausame Kriegführung durch die Franctircurs, besten Verwilderung unter dem leidenschaftlichen Haste gegen die „fremden Barbaren" den deutschen Soldaten so arg mitspielte, war Bismarck nicht zweifelhaft. So arg der böse Wille nicht bloS Einzelner, sondern der ganzen Nation hervortrat ebenso gründlich mußte dafür gesorgt werden, daß Frankreich keinen erfolgreichen Revanchekrieg mehr führen könne. Der Zielpunkt all' der Unter handlungen, die Bismarck jetzt und später mit Jules Favre und Thiers führte, der Grundgedanke aller diplomatischen Schriftstücke mußte die Erlangung von Sicherheiten gegen Frankreichs böse Absichten sein. Zu genau kannte der deutsche Staatsmann die Vergangen eit, um nicht zu wissen, was die Politik d.r Gallier gegen Deutschland stets bedeutete — diesen brutalen Mißhandlungen sollt - endlich einmal ein Ende gemacht werden. All' die Drohungen, all' den sentimen talen Appell a» die deutsche Großmuth, all' den Regungen der Neutralen gegenüber blieb Bismarck fest bei seiner Absicht, dir Deutschland geraubten Lande wieder heimzubringen, Frankreich aber seinen Stachel zu nehmen. Seine Politik hegt keine Rachegedanken, sie fragt sich nur: wie nehme ich am besten und fruchtbarsten den Vortheil meines Volkes wahr. „Gemüthliche Regungen haben auf dem Gebiete der politischen Berechnung so wenig Bürgenecht als auf dem de» Handelns." Das war der Standpunkt, den Bismarck, Favre und ThierS gegenüber cinuahm. Wie rauh mußte ihnen der Mann erscheinen, der für die Vorstellung, daß Paris, die Stadt der Städte, die heilige Stadt geschont werden müsse, der für die ihm «öffnete Perspektive einer geistigen Verbrüderung der Nationen nur trockene Abweisung hatte und sich ungemein ungehalten zeigte, daß man mit dem Bom bardement von Paris so lange zögerte. Einen „bar-burk aimudle" nannte ihn Thiers, viel treffender waren die Bemerkungen JuleS Favrc's über den deutschen Staatsmann, mit dem er so oft und in so erschütternden Momenten zu verhandeln hatte. Favre schreibt vou ihm: „Die große Gewalt, die er ausübt, flößt ihm weder Hochmuth noch Täuschungen ein, aber er hält daran fest. — Ich habe ihn vou einer Schonungslosigkeit und von einer Nachsicht kennen gelerut, die mir unerklärlich sind — er hat mich niemals hintergangen!" Un möglich und auch unnöthig wäre es, hier die Geschichte der Waffen stillstands- und Friedensverhandlungen vor Paris darzustellen, nur das Eine muß man sich vor Augen halten, daß neben den Verhand lungen mit der unfaßbaren Regierung Frankreichs, die mit den Re gierungen Süddeutschlands und den Neutralen einhergingen; daß die Gefahren des Partikularismus, so wie jene der Einmischung anderer Staaten abgehalten werden mußten, um die Frucht der Opfer und Anstrengungen vollauf zu gewinnen. Es war eine staatsmännische Arbeit ersten Ranges, sie schloß aber solche Qualitäten in sich, wie sie sich nur in Bismarck vereint finden. Schon konnte man den Fall von Paris, den endlichen Frieden voraussehcn, da ward endlich der Schlußstein zur deutschen Einheit gelegt durch den Abschluß Bismarck'« mit Baiern. Der Kanzler fühlte selbst, was dieser bedeute. Es war am Abend des 23. November 1870, gegen 10 Uhr. da trat Bismarck „mit freundlichster Miene" in da» Zimmer der Räthe, die noch bei Tische saßen, und sagte bewegt: „Run wäre der bairische Vertrag fertig und unterzeichnet. Die deutsche Einheit ist gemacht und der Kaiser auch." — Am 18. Januar 1871 aber wurde im Spiegelsaale zu Versailles das neue deutsche Kaiserlhum verkündigt. Im Prunk saale des alten Erbfeindes, mitten unter den Standbildern sein« Eroberer, inmitten der deutschen Fürsten las Bismarck mit weithin« tönender Stimme die Urkunde der Neubegründung deS deutsche« Kaiserthums vor. Es waren wuchtige Worte, welche da erklangen, ernst und feierlich ward der Vergangenheit, in bescheidenem Vertrauen der Zukunft gedacht. In ganz Deutschland wiederhallten diele Worte— die Nation hatte, was sie so lange fruchtlos erstrebt. Treffend drückte Heinrich von Treitschke die allgemeine Stimmung aus, wenn « schrieb: „Dos Vaterland, vor Kurzem noch ein leerer Schall, ist jetzt eine ernste, heilige Wahrheit!" Gewiß, alle Faltoren hatten ihre Schuldigkeit gethan! Selten hatte Deutschland eine jo große Zeit erlebt; tapsere Gesinnung uvb Opfcrfreudigkeit, welche 1813 bereits Wunder geleistet, erfüllten nun das ganze Land. Und wie das Land, so that Jeder in den sieg reichen Heeren seine Pflicht. Was Roo»'s Organisationen, wa« Moltke's Strategie geleistet, was des greisen Heldenkaisers tapfere« Beharren geschaffen, kündet die Geschichte. Daß aber diese kostbare Arbeit die Glieder der Nation zum Ziele führte, daß der Erfolg ft unverkümmert war und diesmal nicht durch die Feder der Diplomaten verdorben, sondern durch das Genie eines nationalen Staatsmannes völlig benützt ward, das ist und bleibt das unsterbliche Verdienst Bismarck's. (Fortsetzung folgt.) Verantwortlicher Redakteur Franz Götze in Chimiitz. — Druck und Verlag von Alexander Miede in Chemnitz.
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