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wachsen, daß ihr lieber körperliche Schmerzen er duldet und die Natur verhöhnt, indem ihr euch untüchtig machet, den Zweck zu erfüllen, zu wel chem sie euch erschaffen? — Ihr zerstört die Blüthe euerer Schönheit, indem ihr sie zu pflegen meint. — Oder glaubet ihr wirklich, die Schnürbrust sei ein unschädliches Ding? Hütet euch, daß ihr euch nicht selbst betrüget! — Warum fallen so viele Mädchen in der Blüthe ihrer Lage als ein Opfer der Schwindsucht? Weil sie sich aus Eitelkeit all? zufest schnürten und tanzten. — Warum mäht die Sichel des Todes so viele Frauen, wenn die Na tur ihren Tribut von ihnen fordert und sie Müt ter werden sollen? Es sind die Folgen des Schnür leibes, der die freie Entwickelung und Ausbildung des Körpers hemmte, daß er nun seinen Endzweck nicht erfüllen kann, ohne hingeopfert zu werden. Die Schnürleiber sind euere Mörder, darum fort mit ihnen! Und ihr, Männer, wollt ihr noch langer der gefahr - und todbringenden ' Gewohnheit euerer Frauen und Töchter ruhig zusehen? Wollet ihr es noch länger dulden, daß sich dieselben dem Mo loch der Eitelkeit opfern. Auch auf euch fällt em Theil der Verantwortung, zurück, und könnt N es nicht hindern an eueren Frauen, so^ duldet es wenigstens nicht an eueren Töchtern, damit min destens das nachwachsende Geschlecht ein starkes und vernünftiges werde. _ Auch an euch, ihr Jünglinge, ist es, die Herr- fthaft der Schnürleiber zu vernichten, ihr könnt es, wenn ihr wollt. Verachtet jedes Mädchen, welches sich schnürt, als euerer Liebe unwürdig. Glaubt es mir, jedes Mädchen, welches sich schnürt, will damit einen körperlichen Makel zudecken, ent weder sie ist bucklicht oder schief, oder sie will den Mangel eines Busens verbergen, und dann, könnt ihr wissen, ob-euer Mädchen ein Herz hat? Ihr fühlet ja das Schlagen desselben nicht durch den modernen Brustharnisch; welch ein Unglück, ein herzloses Weib zu besitzen! - Möge denn die Zeit nahe sein, wo natürliche Schönheit den Sieg wieder erhält über verkrüppelte Kunst und künstliche Verkrüppelei. Gott gebe es und mache die Anschläge des Leusels zu Nichte. Amen. Lettek. Anekdoten, aus dem Leben des sächsischen Kapellmeisters Naumann. (Fortsetzung.) 4. Das lebensgefährliche Gelächter. Naumann ging eines Morgens in einer von den engen Seitengassen Venedigs ganz gelassen vor sich hin, als er dicht hinter sich: Platz, Platz da! ausrufen hörte. Er schaut zurück und erblickt einen Mann aus der unteren Klaffe des Volks, der am Hellen Tage mit einer brennenden, in seiner rechten Hand hochgehaltenen Fackel so schnell als möglich daher gelaufen kommt und unaufhörlich: Platz, Platz da! ausruft. Naumann und einige Andere machen ihm-wirklich Raum, er schießt bei ihnen vorüber; aber zehn oder zwanzig Schritte vorwärts stürzt er sammt seiner Fackel zu Boden. Naumann, noch jung, und durch dieß zwiefach drol lige Schauspiel überrascht, vergißt sich, und ein lauter Ton des Auflachens entfährt ihm. Der Hingefallene rafft sich schnell wieder em por, scheint das Lachen des Fremden nicht einmal bemerkt zu haben und beugt sich in ein Quer gäßchen hinein; Naumann verfolgt unbesorgt sei nen geraden Weg, Plötzlich ruft ihm seitwärts ein Greis in ängstlichem Tone zu: „Um Gottes willen, mein Sohn, flieh', was Du kannst!" die Bedeute ung dieser Worte nicht errathend, blickt Naumann abermals hinter sich, und siehe da, jener dahingestürzte, von ihm ausgelachte und seiner Fackel indeß ledig gewordene Mann kommt, einem Rasenden gleich, mit gezogenem Dolche hinter ihm her und ist schon nahe d'ran, ihn zu fassen. Naumolnn's Entsetzen da bei läßt sich denken; unverzüglich begiebt er sich auf die Flucht; doch sein Feind immer nur zwei oder dritthalb Schritt noch von ihm entfernt, verfolgt ihn unablässig. ' Durch einige Gassen schon dauert dieser angst volle Lauf; da besinnt sich endlich Naumann, daß der St.-Markus-Platz ihnen nahe„A und als ein geheiligter, auch von den Gesetzen hochgesicherter Ort betrachtet werde, auf welchem durchaus keine Mordthat geschehen dürfe. Dorthin richtet er daher seine Flucht und erreicht ihn, als eben seine letzte Kraft ihm zu entschwinden droht; denn kaum ist er zwei Schritte weit auf diesem Freiheits-Platze angekommen, so sinkt er odemlos zu Boden. Aber auch sein Verfolger war nun, da er ihn nicht früher einzuholen vermochte, zurückgeblieben. Naumann, als er sich wieder emporrichtete und im mer noch angstvoll umschaute, erblickte ihn nicht mehr. Dagegen sah er langsam den Greis herbei kom men, dessen Zuruf ihm das Leben gerettet hatte. Er ging zu ihm hin und dankte ihm aus voll ster Seele für seine menschenfreundliche Handlung. Dem guten Alten standen die Thränen im Auge. Er bezeigte seine aufrichtige Freude über die Er haltung unsers Landsmanns, aber er rieth ihm nun auch, wenigstens zwölf Stunden hier zu ver harren und dann nur mit größter Vorsicht durch sichere Umwege heim zu gehen; zugleich warnte er ihn, ja nicht wieder durch ein Lachen oder sonst einen unbedachtsamen Scherz den Zorn eines Ve- netianers zu reizen, und man kann leicht denken, daß Naumann diesen Rath befolgte. (Fortsetzung folgt.)