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Drittes Blatt Rr. iss Areitog, de« 12. August 1SS2 M . - . - , s ' Verfassung abänderungsbediirsA Vedeutsame Reden von Papens und von Gayls zur Bersasiungsseier im Reichstag Berlin, 11. August. 1 Lange vor Beginn -er Feier war -er Sitzungssaal bis auf den letzten Platz gefüllt, -uf den Abgeordnetenbänken sah man zahl, reiche Mitglieder -es bisherigen Reichstages. Suf der Regierungsbank hatten Reichskanzler v. Papen un- -t« übrigen Reichs minister Platz genommen. In -er Diploms- tenlog« war -as Diplomatisch« KorpS mtter Führung -cS päpstlichen Nuntius Or- senigo erschienen. Auf -er Regierung-- estrade bemerkt« man auch mehrer« Minister der kommissarischen preußischen Regierung. Pünktlich um 12 Uhr erschien Reichspräsident ». Hi»de»b»rs in b«r ReichSprSfi-entenlvge, begleitet von dem Reichstag-Vizepräsidenten v. Kardorff, -er -en beurlaubten Reichs- tagSpräsi-enten Löbe vertritt. Nachdem -er Reichspräsident -i« Versammlung begrüßt hatte, nahm er -mischen -em RetchSwehrmtni- fier o. Schleicher un- Lem ReichStagSvize- Präsidenten v. Kardorff Platz. Hieraus be- gann -i« Feier mit -er Ouvertüre zu „Eg- mont*. Darauf nahm ReichSi»»e»M»ister Freiherr ». Sa,l das Wort -u seiner Festre-e, in -er er n a. ausführte: Seitdem am 11. August 191» die National- Versammlung das Verfassungswerk abschloß, sirrd 11 leidvolle Jahre verflösse», in heue« ei« Erfüllung des VorspruchS uaS nicht ge geben war. Inmitten einer ihm immer noch feindlichen Belt hat unser Volk -ie schwersten Bürden äußerer und innerer Not zu tragen. Alle Versuche, den BersassungStag zu «inem ge- »einsamen volkstümlichen Feier tag zu gestalten, find bischer fehl« geschlagen. ES genügt, offen zu bekennen, daß die Verfassung die Geister nicht einigt, sander« trennt. Wir geben uns nicht -er Hoffnung hin, diesen Tag zu einem Festtag für unser Volk wachen -u können. Wir sehe« «ch in dem 11. August keine« Feiertag, der ««ter alle« Umstände« de» gange« werde« must. Ader wir wollen diese» Tag, der» wie mau immer zur Bei, marer Verfassung stehe» mag, ei« geschicht licher Gedenktag ist nnd bleibt, de»«stt dazu benütze», um tu Gegenwart deS all» verehrten Herr« Reichspräsidenten in «Er diger Umrahmung durch klastische deutsche staust zu »userem Bolk zu spreche«. Wir wolle« keiue Feierstunde, souder« eine Stunde stiller Einkehae halte« und »us auf da» befiune», waS «nS not tut, »aS wir t«> müssen, wen« wir als Volk lebeu ««d »»sere Pflicht gegenüber deu kommende» Geschlechtern erfüllen wolle«. ES ist richtig, -aß Wirtschaftsnot auch Volks- schicksal ist un- -aß ihr« Ueberwindung «ine wesentliche Voraussetzung für Deutschlands Zukunft bleibt. Es ist aber nicht richtig, daß die Wirtschaft das Schick» sal der Nation ist. Di« unwegbaren seelischen sträft« un- Werte eines Volkes sin- an keine Formen un- Ber- fassungsurkun-en gebunden. Wer unsere Lage richtig -eutet, -er steht, -aß wir wieder an der Wende unseres Schicksals stehe». Jahrzehnte liegen hinter uns, in denen bei uns Deutschen das «ig«n« Ich im Vorder- grun-e -eS Handelns un- Denk««» stand. Mit -em Ich -es einzelnen eng verbun-en wurde die eigene Gesellschaftsklasse und ihre Herrschaftsbestrebungen stark betont. So ist jetzt u»ser Bolk i« zwei Lager zerspalte», . zwischen denen ein erbitterter Kampf um -ie Macht im Staate tobt. Wir tun gut, a«ch de» »elta«scha«liche» und politische» G««»er dis zum Beweise deS G«ge»teils al» ei»e» ehrliche« B»lISge«oste» z« be, trachte«, der da» Beste ««sereS «olles will. Vew»ßt a«Sgeschloffe» sei dagegen jeder, der ei«e» »atio»ale« de«tsche« Staat gr««dfLtzlich verleugnet. Man mag zu Einzelheiten -er Weimarer Verfassung stehen wie man will, st« ist heute der einzige «r»ud, auf de« alle ««defchadet ihrer weltanschauliche» »»d politische« Mei» «»g stehe« müsse», die eine» dextsche» Staat überhaupt dejahe». A»f diesem Gr»«d« müsse» Mr »uS si»de» >«d ha», del», de»» wir habe» kei«e« audere«, non de» a»s Mr de» Vormarsch z» einem nene« staatliche« Lede» üderha»pt autrete« kSane». Damit ist aber nicht gesagt, daß -ie Wei marer Verfassung etwas Unabänderliches wäre. Rückblicken- auf di« 18 Jahre -eS Bestehens unserer Verfassung müssen wir bekennen, daß st« ab än-erung-bedürftig ist. ES ist «icht Schul- der Verfassung allein, -aß sich in Deutschland eine Herrschaft der politische» Parteien entwickelte, bei der legislative Kontrolle «»d Exekutive immer «ehr o«rsch«»lzeu »ud die schließlich daz« zwang, sogar Maß» n«h«en deS wirtschaftliche» LedenS »«d der Fi«a»zgebar«»g mit der Ultima ratio des Artikels 48 zu regel» »»d damit eiaea Teil der Verfassung selbst außer Kraft zu setze». Unser Bolk kann sich auf -ie Dbuer -er Notwendigkeit einer BerfassungSreform, ja einer Reichsreform nicht entziehen. Je früh zeitiger und energischer diese Aufgabe an- gepackt wird, desto bester ist eS für uns. Die Resor« hat auszugehe» von einer Aenderung -eS im Artikel 22 -er Verfassung vorgeschriebenen Wahlrecht». I» -iesem Artikel wurzelt die von weitesten Kreisen schwer empfundene Herrschaft -er Parteibürokratie. Das Bolk will nicht Nummern, so»-era Persönlichkeiten wähle«. Es versteht nicht, -aß -ie Stimmen noch nicht mündiger Volksgenossen gleich gewertet wer den -en Familien -er Familienernährer und der Mütter. Dem Wahlrecht solltedie Wahlpflicht entsprechen. Regieren heißt nicht nur, -ie Forderung -er Stunde erfülle», sondern auch ein festes Ziel aus allen Gebieten -es politischen, kulturellen und wirt schaftlichen Lebens nachhaltig ansteuern. Jed« ztelbewußte Regierungspolitik ist a»f di« Dauer i» Deutschland zu« Scheiter« a« zwei Diuge« verurteilt. A« der A » o» « ymitSt der Verantwort«»« »ad a» dem Fehlen einer Instanz, die »»abhängig von Parteieinslüsten de« Ge» sa«t»,hl schädliche Parla«e«1Sbeschlüste ohne schwerwiegend« versastnngSwäßtge Reibungen anszngleiche« vermag. Ma« kann über das Kapitel deutscher Geschichte aus de» letzte» 1» Jahre» die Ueberschrist setze»: „Zeitalter der anonyme» vera»t, wortang*. Ein im Umbruch aller Werte befindliches Bolk, das unter furchtbarer Not leidet, bedarf einer rDn -en Fesseln normaler Verantwor tung mehr wie bisher befreiten, aber persSn- lich um so stärker verantwortlichen Regierung, die in «irrer ersten Kammer einen Helfer ha- ben muß, -er sie vor -en Folgen -er ob -urch Wahlrllckstchten und Stimmungen beeinflußten Parlamentsbeschlüsie schützen und -ie Stabt- lität -er Regierungspolitik zu gewährleisten vermag. Schließlich ist noch des innere» Umbaues des Reiches zu gedenken. Di« Erfahrung seit dem 11. August 1919 hat zur Genüge di« Unhaltbarkeit de» Zustandes ergeben, daß im Reich und in Preu ßen von verschiedenartig zusammengesetzten un- gerichteten Regierungen «ine verschiedene Politik auf allen Gebieten betrieben werden kann. Der mindestens zeitweilig ehrbare gnte Wille z« enger gemeinsamer Arbeit zM, schen Reich «ud Preuße» hat de» Ko»ftr»k, tionsfehler der Verfass»«« nicht anSzn» schalte« vermocht. Es haben sich deutlich trennende, nicht einigende Kräfte gezeigt, die zur Ge- wohnheit geworden, «rnste Gefahren bedeuten. Das Verhältnis zwischen Reich »nd Prem tze« muß im Sinne einer enge» Gemei», schast zwischen beiden ««gestaltet »»erde«. Das brascht keine Minderung der Selb, ftändigkeit und Eigenstaatlichkeit der bent, schen Länder z« bedeute» »»d fol sie »icht herbeiführe». I» kei»e« La»de E»r»paS ist eine so manaigsaltige, »ft geschichtlich gewordene Vielheit der Verhältnisse der Mensche«, ihrer A«scha«»ngea »nd Ge, wohnheiten festzustelle« »ie in Deutschland. Der Olympische Schwur , Die Olympischen Spiele werden stets eingeleitet durch die feierliche Leistung der Olym pischen Schwurs, den einer der bekanntesten Sportler spricht. Hier siebt man den Olym pioniken, G. E. Ealnan sAmertka), wi« er für die Sportler im überfüllten Stadion den Olympische« Et- leistet. Schematisierung und Zentral«, ierung Deutschland» vo» «Iser St«ll« au» würde sehr bald Gegenkräfte entfessel», von Lenen auf die Dauer «ine we- entliche Schwächung de» Reiche» und damit ein« Minderung der Stoßkraft -e» deutschen Volke» in seinem schweren Kamps um» Dm «t» au»gehen wür-e. Dem Reich al» der -ie »rutschen Län-er un- Gt«ll«n umfassende« taatlichen Einheit muß da» gegeben sein, wa» es al» deutscher Gesamtstaat zur Führung sei- n«S staatlichen Leben» braucht. Alle» andere oltte -en Ländern un- Stellen verbleiben. Wird da» «erhälwi» «eich-Prmrßen zweckentsprechend geregelt, so ist ei» A», wachse« der v«de»t»»g der andere» Läxder für da» Sesamtlebe» Deutsch!a»dS durch» a»» «-glich «»d festlegbar. Um -ies« Schicksalsfragen kommen Mr nicht jerum und wollen Mr uns sticht mehr herum- »rücken. U«ber -i« Einzelheiten Liefer Um- gestaltung unserer Verfassung kann man strei ten un- verschiedene Weg« suchen. Di« Kraft zur Reform gewinnen Mr nur, wenn Mr von ier Verantwortung vor Gott un- Volk tief durchdrungen find, -i« uns zwingt, -as zu tun. was Mr als richtig «rkannt habe« und wenn wir dabei nicht nach Parteivorteilen un- Nach teilen handeln, sondern nach -em Worte 9 i» marckS: „Der Staat will bobient, nicht beherrscht werden.* I« tiefer »»b schwerer »»sere Rot, je gr», ßer die Gefahr für Staat »»b Volk, desto selbstloser, opferfreudiger uud tapferer sei «user Dieue» a» Volk »ud Staat! Nach -er Re-e -e» RoichS-nneuminister», >ie mit starkem Beifall ausgenommen würbe, pielte da» Philharmonische Orchester -en t. Satz -er Sinfonie Nr. 4 in E-Moll vo» BrahmS. Im Anschluß hieran hielt Reichskanzler ». Papeu die Schlußausprache Die Re-e hat folgenden Wortlaut: Der Wert eine» großen GesetzgebungSwer- k«S bestätigt sich erst im Wandel -er Zeile». Was für -en einzelne» geschaffen wurde, ver geht, wa» über -en Ablauf -er Jah« hinweg für eine ganze Epoche lebendig ist, erweist feine Stärk« auch unter vvllig veränderten Zeitumständen. DaS Deutschland von 1982 ist ein anderes als La» vo» 1919. Die starken nationalen Kräfte, -i« jetzt zum Durchbruch gekommen find, lagen damals im verborgene» — verschütte« unter -e» Trümmern eine» furchtbaven Zusammenbruch». Der Notwendigkeit, die Gruudlage d«t, sche» Leben» »ach de» Ueberliefer»»ge» «ufere» volkStumS »ud eiuer stolze» Ge schichte »ud doch «tue« juugeu leidgetrWd* teu Geschlechte -»geweste» zu erueueru, konnte« die Gestalter »»serer Verfassung vor 1» Jahre» — al» die Ratio» sich nach ei»e« heroische» Kampse ohnegleichen in der Geschichte i« eine» Z»sta»de williger Erschöpfung befand — »icht i» »olle« Maße gerecht werde». Aber de««och hat diese versaß«», Gr»»dgeda»ke» »»- Möglich, kette», die i» die Z»k»»ft «»eise». Auf ihn«n müssen Mr -aS deutsche Haus neu bereiten. Diese Aufgab« steht fest»Meissen vor un». Gestalter dieser Z»k»»ft z» sei«, r«fen Mr h««te alle a»s, die De«tschla«b «,d sei» Volk «»ehr liebe« al» Partettoktri««. Alle, die da» ««-»tastbare, gr»,dg«wachse«e la»dS«a«»schastlsthe Eige«lebe» der Läader getr»«t sehe» wolle» „« der Wohlfahrt, Kraft »b Stärke des einige» Reiches Daß diese Erneuerung in brüderlichem Geist« geschehe, LaS fordert schon da» Grundgesetz von 1919: „DaS deutsche Volk — einig in seinen Stämmen.* Daß eS nicht nur in seinen Stäm men, sondern auch in feinen politisch«» Gruppierung«« -en Weg zur Einheit finden mdge, das ist unser Wunsch und unsere Hoffnung am heutigen Tage. Un- so bitte ich Die, Herr Reichspräsident, >md Sie, meine Damen un- Herren, mit Mr einzu stimmen in den Ruf: „DaS im Deutschen Reich geeint« -eutsche Volk, «8 leb« hoch!* Nach -er Ansprache sang die Versammlung -ie erste und dritte Strophe -eS Deutschland liede». Der Reichspräsident begab sich dann, vom ReichSwehrminist«r, dem RetchSinnenminister un- dem Reichs- tagSvizepräsidenten begleitet, auf -en ReichStagSvorplatz, um Li« Parad« -er Ehrenkompanie abzunehmen. Als Reichspräsident v. Hindenburg -ie große Wandelhalle -es Reichstages verlieb, ertönten Hochrufe. Unter den Klängen -eS Präsentiermarsches schritt -er Reichspräsident -i« Front Ler Ehrenkompanie ab. Nachdem da» Deutschlandlied verklungen war, verließ der Reichspräsident im Kraftwagen unter Hoch- rufen -er Menge, in Lie sich Rufe: „Frei heit* mischten, den Platz. Ein Parade- marsch vor R«tchSwehrminist«r von Schleicher und seinen Offizier«, schloß -ie Veranstaltung vor dem ReichStag»gebSude ab. Bei -er Abfahrt -e» ReichSwehrminister» wurden wie-er verschiedentlich „Freiheit*. Rufe ausgebracht. Die Polizei schritt gegen -te Rufenden ei» und nahm einige Fest- stellsnge« vor.