Volltext Seite (XML)
Brertes Blatt 16 Donnerstag, den ^9. Januar ^9SS Die Reform »er Geselligkeit Unterredung mit dem Vorsitzenden des Vereins „Volkswohl ' Direktor Otto Viktor Vöhmert, Dresden bisher eine Geist und Gemüt bildende Ge selligkeit Unter den Mitgliedern -u pflegen und die Aufführung von Theaterstücken durch Berufsschauspteler planmäßig zu organisieren. Heute zählen wir noch rund 6000 Mitglieder, in seiner größten Blütezeit aber konnte der Bon Otto Gebaldt. -Aie Weihnachtszeit erinnert einen jeden daran, daß er berufen ist, seinen Mitmen schen Freude zu bereiten und ihnen in Liebe »» dienen. Die Sehnsucht nach solchem Lie- beSdienst ist wett verbreitet, aber trotzdem sehen wir ganze Volksklassen mit Groll und Bibliothek wurden angelegt. Es folgte die Gründung eines dramatischen Klubs und die Eröffnung des Heideparks mit eigenem Volks- heim. Immer neue Heime entstanden im Laufe der Jahre und die Unterhaltungs- und Verein zirka 14 000 Mitglieder anführen." Auf meine Frage, ob Kriegsjahre und Inflation den Verein nicht erheblich geschä digt und in seiner Existenz bedroht hätten, erwiderte mir Direktor Böhmert: „Wir haben uns durch die schwerste Zeit hindurch ge kämpft. DaS ansehnliche Vermögen ist zwar Mißtrauen gegeneinander erfüllt und durch politische und soziale Gegensätze getrennt. Gibt es denn kein Mittel, um die Kluft -wi schen reich und arm, hoch und niedrig zu überbrücken? ES wird Sonntags in den Kirchen die frohe Botschaft verkündigt, daß vor Gott kein Ansehen der Person gilt, daß wir alle Brüder sind, daß Frieden aus Erden und Wohlgefallen unter den Menschen herr schen soll; aber in den sechs Wochentagen sehlt es an Stätten, in denen jeder aus dem Volke seine brüderliche Gesinnung betätigen und als Förderer des Volkswohls für Bil dung. Gesittung und edle Geselligkeit wirken kann." Mit diesen Worten, die heute noch Geltung haben, beginnt ein Aufruf, den der neue Vor stand des am 7. Dezember 1888 im Saale deS Armenamtes gegründeten Vereins „VolkS- wohl" veröffentlicht hat. In liebenswürdiger Bereitwilligkeit schil dert mir der Sohn des Gründers, des ver storbenen Professors v. Böhmert, der Ver lagsbuchhändler Otto Viktor Böhmert, derzeitiger Vorsitzender des Volkswohls, den Werdegang dieses segensreichen Vereins. „DaS Ziel, alle Volkskreise zusammenzu schließen in besonderen Klubs, Heime zu grün den, Vorträge und Unterhaltung zu bieten weitesten Schichten des Volkes, war der An laß zur Gründung des Vereins „Volkswohl". Von allen Seiten, namentlich aber dank der großherzigen Unterstützung führender Man- ner, wie Fabrikbesitzer Friedrich Siemens, Kommerzienrat Gottlieb Traugott Bienert, von Henden und Max Krenkel floßen dem jungen Verein große Summen zu, so daß er sich schnell entwickeln konnte. Sieben Heime sind heute unter seiner Leitung entstanden, der schöne Heidepark, das Naturtheater, eine reichhaltige Bibliothek." Am 14. Februar 1889 wurde daS erste Volksheim in der Maternistraße eröffnet. Seine Räume erwiesen sich aber bald als zu klein und es wurde 1. Oktober 1891 nach der Gärtnerstraße 3 verlegt. Wichtiger aber war das zweite Heim auf der Wasserstraße, das man am 10. April 1889 eröffnete. ES war der sogenannte Paulinengarten, früher ein Besitz der Prinzessin Pauline von Schleswig. Holstein. Für 188 000 Mark gekauft, zum glei chen Kaufpreis an den Stadtrat zu Dresden abgetreten, wurde eS dem Verein von diesem mietweise überlassen. Hier wurden nun in seinem großen Park Kinderspiele, Sänger wanderabende, literarisch-musikalische Unter haltungsabende und Unterrichtskurse abgehal ten. Eine eigene Vereinszeitschrift und die Belehrungsabende häuften sich. Am Schluß deS Jahres 1912 war das Vereinsvermögen auf 465 620 Mark angewachsen! »Im Jahre 1908 konnten wir den großen Volkswohlsaal der Oeffentlichkeit übergeben. Hier war es möglich, weit vollständiger als der Inflation zum Opfer gefallen, aber heute verfügen wir wieder über ein ganz schönes Kapital, das es uns ermöglicht, allen unse ren Verpflichtungen nachzukommen. Unsere Volksküchen sind zwar unsere Hauptlast, ha ben sich aber vorzüglich bewährt. Durchschnittlich 8 Millionen Mittagessen im Jahre konnten wir verabreichen. In einfachen aber behaglich eingerichteten Räumen können sich, namentlich im Winter, di« Leute aufhalten, auch ohne Verzehrungszwang, und gute Bü- cher und Zeitungen stehen ihnen zur Ver- fllgung. Die Kosten werden nicht nur ge deckt, es ergibt sich meist sogar ein lieber- schuß, der wieder entsprechend verwendet wird. Dagegen beanspruchen die Bolkswohlabende einen jährlichen Zuschuß von 80—40 000 Mk^ da sie immerhin erhebliche Kosten verursachen. Sehr beliebt und namentlich Sonntags stark besucht ist das Naturtheater. Unter der künstlerischen Leitung Richard BendeyS füh ren dort gute Schauspielkräfte Volksstücke, klassische Sachen und Lustspiele auf. Es wurde auch schon einmal „Wallensteins Lager" von Schülern sehr wirkungsvoll dargestellt. Natür lich lassen wir uns die Jugendpflege ganz besonders angelegen sein. So hat der Ver ein vom ersten Jahre seines Bestehens Mit tel und Wege gesucht, der Heranwachsenden Jugend durch gemeinnützige Einrichtungen und persönlichen Nat zu dienen. Für Mäd chen wurden entsprechende Kurse abgehalten. Sie lernten alles, was ein« künftige Frau und Mutter wissen muß. Die Knaben arbei teten im Lehrlingsheim. Im Sommer waren Wanderungen, Sport und turnerische Uebun- gen vorgesehen. Früher besaßen wir auch ein Erholungsheim in Hausdorf bei Kreischa, das aber jetzt verpachtet ist." Eine Jubt- läumsschrist, die aus Anlaß deS 25jährigen Bestehens des Vereins „Volkswohl" unter dem Titel „Die Reform der Geselligkeit" im Jahre 1914 herauSgegeüen wurde, schildert die Entstehung und Entwicklung des Ver- eins und ergänzt, auch beute noch in vielen Dingen maßgebend, die Ausführungen Direk tor Böhmerts. Unter den Mitarbeitern lin den wir da u. a. auch den Namen Dr. Paul Scheven, des einst so populären .^Vettel- Mönchs", der ja bekanntlich in einer last beispiellosen Aufopferung Tag und Nacht iür die Bedürftigen gesammelt hat. In allen bes seren Lokalen der Stadt war er eine allge mein bekannte und beliebte Erscheinung, der bis in die Mitternachtsstunde hinein in sei ner Art dem Volkswohl biente. Wenn man bedenkt, daß der Verein Volks wohl von feiten der Stadt niemals eine nen nenswerte Unterstützung in pekuniärer Be ziehung erhalten hat, so muß man die vor bildliche Arbeitskraft aller feiner Mitarbei ter besonders hoch einschätze». In der Per son ihres derzeitigen Vorsitzenden aber er freut sich der Verein eines überaus rühri gen, stets hilfsbereiten Kämpfers um daS Wohl des Volkes, dem als künstlerischer Lei ter ebenbürtig der bekannte, einst auch a« dieser Stelle von unS gewürdigte Diedrich Metelmann zur Seite steht. Wie zur Weihnachtszeit vor 44 Jahre« wütet auch heute noch, sogar heftiger denn je, der Haß der Parteien. Aber auf neutralem Boden finden sich im segenreichen Kreis de» „Volkswohls" die Gegensätze zu gemeinsamer Freude, Erholung und künstlerischem Er leben, eine Einrichtung, wie sie kaum eine zweite Stadt Deutschlands aufzuweisen bat. Der China strolch. Roman von Henrik Heller. Copyright bq Carl Duncker Verlag, Berlin W. 62. 84. Fort'epuna. Der Tautai kam dem Konsul bis zum Tore entgegen. Er war ein großer, magerer Chinese mit einem klugen Ge- sicht und scharfen Augen, deren Ausdruck an einem Mann seiner Rasse irgendwie auffiel. Gwendoline fragte sich beim ersten Anblick, ob dies wirklich ein Vottdlutchinese wäre, und suchte unwillkürlich nach den Merkmalen der weißen Rasse in seinem Gesicht. Aber darin täuschte sie sich gewal tig. W-fang war ein reinblütiger Abkömmling eines ur- alten Geschlechtes, das seit Jahrhunderten reich und mäch tig war. Er war keiner jener Beamten, denen die Mand- schudynastie den Rang gegeben hatte. Seine Vorfahren waren die Ratgeber der Kaiser aus der Tichin- und Sung- Periode gewesen. Pü-fang leitete seinen Adel von der Son ne her. und die Gedenktafeln seiner Ahnen waren zahllos. Auch er leistete dem Konsul alle jene Ehrenbezeigun gen. die das Zeremoniell vorschreibt, und Traymore er widerte ernst und höflich nach der Sitte seines eigenen Landes. „Ls schmerzt mich außerordentlich, den Empfang mel- ner erhabenen Gäste io lange hinausschieben zu müssen," begann er. und leine Stimme hätte den typisch hohen, un gleichmäßigen Klang der Chinesen, „aber mancherlei nie drige Geschäfte hielten mich in den Dörfern fest." „Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Exzellenz," gab Traymore zurück. „Es ist lange her, daß wir einander be gegnet sind." „Die Götter sind Ihnen gütig gewesen, — sie haben diese liebliche Dame wieder in Ihr Haus zurückgeführt." „Ja — me»e Richte ist sehr dankbar, daß auch sie in Ihre freundliche Einladung einbezogen wurde. Gwendo line. dies ist Seine Exzellenz der Tautai Pü-fang. — Mein Sekretär 'Marsh ist Ihnen bekannt, nicht wahr?" „Die Freude, diesen ehrenwerten Herrn kennenzulernen wurde mir bereit» vor einigen Monate«, aber dreifach glücklich macht mich der Anblick Madame Lamaires. Wol len Sie mir die hohe Ehre erweisen und in mein ärmli- ches Haus eintreten?" Die Engländer gingen über eine breite, mit Palmen- gruppen und blühenden Rhododendronsträuchern verstellte Veranda, die die Breite des ganzs Hauses einnahm, und traten in das Innere. Ein großer, niedriger Raum nahm sie auf, der ziemlich heiß war, denn die Punkha fehlte, aber dafür gab es prachtvoll geschnitzte, reich eingelegte Möbel und kostbare Elfenbeinarbeiten in Massen. „Geruhen Sie vorlieb zu nehmen," sagte der auf dicken Filzsohlen lautlos erscheinende Wu, indem er Gwendoline einen Stuhl zurechtrückte, der aus einem einzigen Zedern block herausgeschnitzt war. Sie lächelte. „Guten Tag, Mr. Wu —. Ich beneide Sie, daß Sie in solch prächtigem Hause wohnen dürfen." „Es ist das Haus meines Herrn, — aber ich bin sicher, daß dieses Lob nur der Ausdruck Ihres gütigen Herzens ist, nicht Ihrer Ueberzeugung." „Warum halten Sie uns für so anspruchsvoll?" frug Marsh, der schräg hinter Gwendoline Platz genommen hat te. „Sehen Sie die Bambusmöbel auf dem Konsulat?" „Kein totes Ding wäre imstande, die hohe Würde dieses Hauses zu verändern — sei es prächtig oder einfach," lautere die höfliche Antwort. — Lin paar in Seide gekleidete Diener betraten den Saal und brachten kleine Tische mit den Teegeräten. Die Eng länder erhielten das scharf riechende ungezuckerte Getränk in fingerhutgroßen Schalen, bemalt mit Löwen und dem kaiserlichen Drachen. — Gwendoline trank, zufrieden in ihren Stuhl zurückgelehnt, indes man die Aussichten der diesjährigen Ernte erörterte, als sie plötzlich gewahr wurde, daß sie Pü-fang scharf anschaute. Zn seine Augen kam so fort ein anderer Ausdruck, als er ihrem Blick begegnete, und das stereotype Lächeln fiel über das gelbe Gesicht wie ein Visier, dessen Festigkeit durch Jahrhunderte geprüft ist. „Durch meine Freunde hörte ich, daß Sie unser armes Kloster zu Mientaischan mit Ihrem beglückenden Besuch beehrten, Madame. Darf ich mich erknadigen, »b es Ihren Beifall faadL" „Ich empfing dort oben einen der gewaltigsten Eindrücke meines Lebens. Exzellenz." Täuschte sie sich, oder wechselten die beiden Chinese« einen schnellen Blick? „Nur äußerst selten lassen sich solch' hohe Gäste herbei, die anstrengenden Wege zu gehen, um niederen Mönchen den Anblick ihrer würdigen Person zu ermöglichen. Wohl niemals tat es eine Dame aus dem mächtigen Lande Bri tannien. Es ist begreiflich, daß Ihnen Duang-Chien. er hoben durch solche Ehre, seine Dienste zu Füßen legte." „Duang-Chien — wer ist das?" frug Gwendoline ver ständnislos. „Sollten Sie dem Oberpriester des Mientaiklosters nicht begegnet sein, Madame?" „Za — das heißt, begegnet ist viel zu viel gesagt, — sr kam in den Innenhof des Klosters, um Onkel zu begrüßen — wenigstens übersetzte unser Dolmetsch seine Worte so — „Mister Ellis, nicht wahr?" „Za," erwiderte Frau Lamaire kurz. Traymore stellte seine Tasse auf das kleine Tischchen z« seinen Füßen und räusperte sich. „Unier Dolmetsch Iao, den wir mitgenommen hatten, wurde in Kaiföng krank, — aus diesem Grunde engagierte ich Mister Ellis als Dolmetsch und muß ihm das Zeugnis geben, daß er sich sehr gut bewährte." Ellis hatte sich so vieler offenkundiger Verstöße gegen die chinesischen Gesetze schuldig gemacht, er war so oft der Gegenstand erregter und wohlberechtigter Klagen seitens der Behörde gewesen daß der Konsul jedweden Schein einer Verbindung dieses Mannes mit dem englischen A nt von vornherein richtigstellen wollte. Sonderbarerweise schien der Chinese noch nicht befriedigt — „Mister Ellis spricht unsere Sprache äußerst befriedi- gend," fuhr Pü-fang fort. „Er hat sich großen Verdienst dadurch erworben, daß er Duang-Chien von Zhren Wün schen unterrichtete." „Aber ich verstehe nicht, Exzellenz," ries Traymore unge- duldig. „von welchen Wünschen sprechen Sie denn Der Tautai wurde plötzlich ernst, er sah seine Gäste un sicher an und schwieg. Der Sekretär Wu antwortete end lich nach einem peinlichen Schweigen. (Fortsetzung folgt).