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Wie leben -Le Japaner? von Dr. Erwin Strauit. Wieder einmal stehen die Japaner im Mit telpunkt der Weltpvlitik: zu den Krisenerschei nungen in Nordamerika und Len trostlosen Zu ständen in Europa gesellt sich -er ungeheure Konflikt in -er Mandschurei, -er die beiden gelben Nassen, Chinesen und Japaner, als er bitterte Feinde zeigt. Die Chinesen kämpfen um Erhaltung -er ihnen einmal gewährten PrtvUegien, -ie Japaner suchen im weiten mandschurischen Land Möglichkeiten zu einem dringen- notwendig gewordenen Ausbau ihres Kolonialbesitzes. Sie sind dazu gezwungen, ob sie wollen oder nicht. Denn die Bevölke rung ihres Landes vermehrt sich von Jahr zu Jahr in geradezu erschreckendem Maste und selbst solche Naturereignisse wie Lie dort immer auftretenden Erdbeben svon denen das größte in letzter Zeit, die Katastrophe vom 1. Septem ber 1923, wobei ganz Yokohama und ein gro. ßer Teil von Tokyo vernichtet wurden, 99 831 Menschen den Tod brachte und weitere 43 47ü dauernd vermißt bltebens können nicht ver hindern, daß die Japaner auf ihren Inseln keinen Platz und keine Arbeit finden, auch wenn sie noch so bescheiden leben. Etwa sech zig Millionen Menschen bevölkern gegenwär tig das im allgemeinen äußerst arme, gebirgige und im Boden ziemlich kärgliche Land der „goldenen Chrysanthcmumblüte", während ein halbes Jahrhundert friihcr kaum die Hälfte lo viele Leute an den gleichen Orten hausten und — ebenfalls schon arm waren. Will man Hungersnöten und Revolten »orbengen, must man von Japan aus Kolonisatiou betreibe«. Und da die früher erlaubte Auswanderung nach Kalifornien und Australien unterbunde-r ist, die Südsceinscln und Philippinen keine Menschen mehr aufzunchmen vermögen, io müssen die Japaner aus das asiatische Festland. Korea haben sie sich l^on ergattert, nun be- nötigen sie die wichtigsten Stützpunkte in -er Mandschurei, um dort an den Quellen der für ihre heimische Industrie so nötigen Rohmate rialien Arbeitssiedlungcn ihrer überzähligen Landsleute zu schassen. Falsch wäre cs jedoch auzunchmen, daß die Japaner irgendwelche Eroberungssucht aus bloßer Machtgier beherrschte. Japan hat seit dem Weltkrieg sogar schon öfter empfindlich? Einbußen seiner äußeren Macht erlitten, vor allem auf der Abrüstungskonferenz von Washington (November 1921 bis Februar 1922), wo es die unbedingte Unterstützung Eng lands bei einem Konflikt im Stillen Ozean ver-. lor und überdies noch in eine Verringerung seiner Kriegsflotte einzuwilligen genötigt wurde. Darum ist das, was es jetzt so unnach giebig zeigt, nichts anderes als -ie Not. Ja pan braucht Kohle, Erze, Rohprodukte und Be schäftigung für seine Menschen. Dabei ist der Japaner als Einzelperson und für sich selber von unendlicher Anspruchslosig keit. Er ist so bescheiden, daß ein Europäer gar nicht zu verstehen vermag, wie man unter derartigen Verhältnissen überhaupt uoch exi stieren kann. Nicht bloß daS Essen ist so pri mitiv: die berühmte Schale Neis, mit ein we nig gesalzenem Pflaumensaft übergossen, so daß das Ganze blutrot aussieht, genügt ihm für den ganze» Tag lein Stückchen Fleisch vergönnt man sich nur zu den allerhöchsten Festtagen, beiläufig zwei bis dreimal im Jahr), er kennt aber auch keinen Luxus der Garderobe, trägt keine Schuhe aus Leder, sondern nur ganz billige Holzsandalen, keine genähten Kleider, sondern nur einzelne, mit einigen großen Stichen zusammengehaltcne Lappen, Lie er vor dem Waschen auseinandernimmt und dann wieder zusammenstcckt. Der einfache Bauer auf dem Lande begnügt sich bei seiner Arbeit mit einem Lendcnschurz und einem Strvhhut gegen die Sonne. A«ch die Frauen tragen nur ein einziges Kleidungsstück auf dem Leib, den großen Mantel mit der Schleife auf dem Rücken und meist besitzen sie auch nicht viel mehr. Muß ein Japaner von einem Ort zu einem anderen reisen, so packt! er seine ganze Habe in ein Tuch, das er als! Bündel über die Achsel schwingt. Er benützt nicht einmal gern -ie Eisenbahn, sondern geht lieber zu Fuß und wandert so etwa 190 km den Tag. Sind seine Kleider oder seine Schuhe ruiniert, wirft er sie weg und erwirbt einen ebenso billigen Ersatz um weniges Geld. Auch das echte japanische Haus zeigt -ie allgemeine Armut der Bevölkerung, die sich freilich im Lause der Zeit zu einer stolzen Entsagungsgcste verfeinert hat: ein Häuschen zu erbauen, dauert nur drei bis vier Tage. Eine Unterkellerung kennt man nicht, vier Haupt„mauern" aus Strohgeflecht, das man mit Lehm bewirft, werden ausgestellt, darüber stülpt man ein Strohdach. Den Boden belegt man mit eng aneinander schließenden Matten, alt Zwischenwände benützt man Rahmen aus Bambusstäbchcn, so daß sie gleichzeitig als Fenster dienen können, wenn man sie mit durchsichtigem Papier beklebt oder als ver schiebbare Shojis (Zwischenwände), wenn das Papier undurchsichtig ist. An der „Fusuma" (Außenwand) bringt man bisweilen einen kleinen Schmuck an, der ist aber auch alles. Sonst gibt eS im Hause nur noch ein niedri ge» Tischchen und ein paar Truhen. In jene legt man die Holzklötze, die unsere europäischen Polster ersetzen, einige Laken und die für die Teezeremonie nötigen Gegenstände. In einer Ecke steht, von allen Insassen des Hauses ver ehrt, der Altar -er Hausgötter. Auch sic sind hescheidcn und klein, wie alles in dieser Um gebung. Oefen sind in den meisten Haushal- ten vollständig unbekannt. Der echte Japaner vermeidet auch im Winter die Wärme, um sich nicht zu verweichlichen. Und es ist ein altes Gesetz, Las früher einmal sogar Lie Söhne der mächtigen Samurais befolgen mußten: „Wenn deine Hände vor Kälte steif geworden sind, tauche sie in Eiswafser, um sie wieder gelenkig zu machen. Wenn deine Füße erfrieren, so tummle Lich mit nackten Beinen im Schnee das wird Lich erwärmen.* Und eS ist in der Tat möglich, daß bei einer derart eingeschränkten Lebenshaltung un- geringen Kost, die keinem Europäer zur Erhaltung seines Daseins genügen würde, die Japaner selber sich zu äußerst kräftigen und widerstandsfähigen Menschen ausbilden. Dir ärztliche Wissenschaft wies sogar nach, daß die Japaner in dcn letzten Jahrzehnten im all gemeinen etwas größer geworden seien. Un) sic behaupten allen Ernstes, diese Zunahme ihrer Körpergröße um vier bis fünf Zent» meter sei auf den ungeheuren Willen -er klei nen Leute zursickzusühren, -ie eS sich mit fast fanatische Inbrunst in den Kopf gesetzt hätten länger als bisher zu wachsen, um hinter der iveißen Rasse nicht zurückzustehen. Dieser Kraft -er Ve neinung allen Dingen -es leiblichen Wohles gegenüber, die sämt lichen Japanern innewohnt, steht eine «ugehenre Ausdauer uud Gier in der Erriuguug höchster geistiger Oualttäteu zur Seite. Alle Japaner, die aus ihren -ürk- tigen Verhältnissen nur ein wenig herauSzu- kommen in -er Lage sind, suchen sich in den besten Schulen zu bilden. Sie lernen englisch, sranzvstsch und deutsch, sie sind ausgezeichnete Mathematiker und, schon durch eine Jahrhun derte alte Tradition, hervorragende Wund ärzte. Wenn man bedenkt, Laß das japanische Volk nach seiner gigantischen Abspcrrungs- periode vom Beginn des 17. bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts, während der es keinem Europäer (mit Ausnahme einiger holländi scher Handelsleute) erlaubt war, japanischen Boden zu betreten und auch kein Japaner nach Jycmitsus Gesetz unter Androhung der Todes strafe seine Heimat verlassen durfte, in einer Zeitspanne von nicht mehr als drei Jahrzehn ten sich die ganze europäische Technik und Zi Japanische Holzschnitzerkunst In -er Nähe von Nagoya in Japan wurde eine Holzstatue des „Großen Buddha" einer elfköpiigeu Kwanuon, feierlich enthii.lt. Kadoi-san, einer der berühmt sten Bildschnitzer Japans, schuf dieses Riesenstaudbild in fünfjähriger Arbeit. Ter Kiuisi ler uirö feine Gehilfen trugen bei der Ar.eit nach althergebrachtem Ritus die Klei düng des Tempyostils. Mit Ausnahme des Körpers, bei dem Kadoi-sau die Unter stützung einiger Gesellen hatte, schuf er das ganze aus „Hinoki" bestehende Wert allein. Tas Haupt der Rieseustatue wird von zehn Buddha-Köpfen gekrönt. Der Künstler bei der Schnitzarbeit in seiner Werkstatt vilisation in seinen obersten Schichten a»e^ nete, dann muß man diese Leistung tatsächlich als ein Weltwunder bezeichnen. Freilich wurde nicht alles Europäische, lvas die Japaner sich eroberten, wirklich ihr innerer Besitz. So ist Las Verhältnis -er gelben Rasse zu unserer Musik kein seelisch verwandtes und auch unsere Philosophie berührt sich nur in wenigen Punk- ten mit -er -es Asiaten. Darum wir- auch der Europäer den Japaner nie ganz erkeu- nen. Die Berührungspunkte, die diese beide» Rassen miteinander haben, liegen an der Ober- fläche Les Menschlichen. Unser Herz un- ihr „Kokoro* l-as sowohl Herz, als auch Ein», Geist, Mut, Gefühl, innere Neigung un- Entschluß bedeutet), sind allzu verschieden, ihre Anschauungsweise durch Jahrhundert« alte Tradition von Grun- aus anders als unsere, die ihrerseits wieder auf einer ganz an-eren Ueberlieferung ruht. Wir sehen den Tod als etwas Dunkles, dem Japaner bedeutet er nichts. Wir verurteilen dcn Selbstmor), der Japaner fordert das Harakiri zum Zeichen großen Schmerzes. Wir glauben an den positi- ven Wert Les Lebens, der Japaner leugnet ihn. Wir schätzen eine gewisse ästhetische Um gebung um uns, -er Japaner empfindet ei» derartiges Streben als „Sibui*, als Schalheit. Der höchste adlige Japaner zeichnet sich brson- ders dadurch aus, daß er arm ist un- aus Geld vcrzichtet, bei uns sind die Besitzenden die Tonangebenden. Darum ist es auch schwer, ein Urteil über japanisches Denken und Fühlen zu geben. Man wird diesem Volke am ehesten dann gerecht, wenn man es aus seiner Landschaft, aus seiner Geschichte und aus seinen altüberlieferten, noch nicht durch europäischen Einfluß umgcmo- deltcn Lebensgewohnheiten zu beurteilen sucht. Japans Seele bleibt dem Europäer stets ein Rätsel und an dieses Nicht-Berstehen-Können soll man auch dann denken, wenn es anschei nend bloß politische Fragen, wie etwa den mandschurischen Konflikt, -er uns augenblick lich so sehr bewegt, in irgendeiner Weise zu cntschci-en gilt. Km « M MIM.. I Als Ausgleich: das Steckenpferd. Befriedigung im Beruf — — das ist nicht jedem beschieden. Wie oft hört man ihn doch, den klagenden Ausspruch: „Mein Beruf ist schrecklich!" Das sagen zum Beispiel viele, di« sich — vielleicht aus wirtschaftlichem Zwang, vielleicht auch aus Unüberlegtheit — verlei ten ließen, ohne längere Ausbildung irgend eine mechanische Arbeit zu übernehmen, die in diesem Beruf verhältnismäßig rasch den er sehnten Verdienst fanden, aber nach Jahren einsehen mußten, daß die stupide Tätigkeit im Grunde geistiger Mor) ist. Heute ist ein Um satteln oft nicht mehr möglich. Und mit ge wissem Neid blickt die nun schon seit lang«« Jahren Berufstätige auf jene jungen Bcruis- anwärterinncn, die das Berufsleben noch vor sich haben, denen sich noch die Möglichkeit bie tet, sich als Lebensberuf eine Arbeit zu wäh len, die ihnen zusagt, Freude macht und Be friedigung gewährt. Wie viele gibt es, die heute den jungen Menschenkindern zurufen möchten: Laßt euch warnen! Berus muh Lebensinhalt sein, sonst wird er zur Qual! Wie nun aber, wenn das Unglück einmal ge schehen ist? Was tun, wenn man Ta« für Tag eingespannt ist in eine geistlose, geisttötende Tätigkeit, die den Menschen aufzurciben droht? Da umß ein Gegengewicht geschaffen werden, das durch Anregung un) Freude einen Aus gleich bietet. Es wäre falsch, diesen Ausgleich von Vergnügungen allein zu erhoffen, die .zwar dazu dienen können, uns für einige Stunden zu zerstreuen und abzulenkcn, die aber niemals die innere Leere des Menschen auszufüllen geeignet sind. Un) diese Leere muß ausgefüllt werden, wenn wir nicht Ge- fahr lausen wollen, uns zur reinen Maschine zu entwickeln, zu einem hohlen Mechanismus ohne Geist und Inhalt. Was kann uns nun ein solches Gegen gewicht bieten? Ich möchte da allen raten: Schafft euch ein Steckenpferd! Irgendeine Liebhaberei, an der der Mensch sich freuen, arbeiten und sich bereichern kann! In jedem Menschen fast schlummert zum wenigsten ein Talent, eine Begabung, man muß sie nur erkennen. Der eine hat vielleicht Freude an der Musik. Da heißt es nicht nur -en Laut sprecher anstellen, sondern selbst ausüben. Dar aus allein kann wahre Freude und Verstehen erwachsen. Oder: Bücher. Bücher können wahre Freunde, werben. Aus ihnen erstehen Welten. Aber man muß Bücher zu wählen wissen. Wenn sie uns helfen sollen, unserem Leben Inhalt zu geben, uns reicher zu machen, so müssen es auch Werke sein, die Inhalt haben, die -en Geist anregen zu eigener Arbeit. Das A und O aber liegt Larin, offenen Auges durch die Welt zu gehen, und zwar nicht nur -ie Schattenseite -öS Daseins zu sehen, sondern auch — um ein bilderreiches Wort zu gebrauchen — die Blumen am Wege. Die Freude ist immer da, man muß sie nur fin den. Sie lebt auch heute in unserer schwere» und sorgenreichen Zeit. Ein ermüdender un inhaltloser Beruf sollte uns Anlaß sein, so- bald seine Schattenstunden hinter uns liegen, die Buntheit dieses Lebens um so intensiver in uns aufzunehmen, aus diesem Strudel, der an uns vorüberrauscht, das zu schöpfen, wat uns helfen kann: die Erkenntnis, baß der große Ausgleich de» Lebens immer zur Hand ist, wenn wir ihn wahrhaft suchen — -aß je-em Menschen die Mögll bkcit gegeben ist, au» sich kclbst heraus sich z" incr ganzen Persönlich keit zn entwickeln! Lore En-elhar-t.