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Sächsischer Landes-Anzeiger : 01.07.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188807010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18880701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18880701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1888
-
Monat
1888-07
- Tag 1888-07-01
-
Monat
1888-07
-
Jahr
1888
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 01.07.1888
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>ö> ,, > > MILM u >7 WWWM Stande, alle Völker der Erde zur innigsten Gemeinschaft zu verbinden, die großartige Idee eines ewigen Friedens zu verwirklichen, und jeder Mensch, der als ein Glied jener großen Kette, wirkt, hat ein Recht, stolz zu sein. So sehr auch ich die Kunst liebe und so hoch ich insbesondere die Musik verehre, treibe ich sie doch nur zu meiner Erholung, und preise meinen Schöpfer, daß ich sie nicht zum Brod- erwerbe zu treiben brauche; denn die Kunst soll nur das Leben ver schönern. Den nothwendigen Dingen des Lebens muß sie nachstehen. Das ist meine Ansicht!" Anna wcir nach einem Blick auf die Uhr schweigend äufgestanden und an den Spiegel getreten. Hier fügte sie rasch ihr reiches Haar zu jenen einfachen Scheiteln, die ihr ein beinahe unschönes Ansehen gaben, und warf dann ein großes Umschkägetnch über, das ihre schlanke Gestalt vollständig einhüllte. Kaum war sie damit zu Stande gekommen, als die Nebenthür hastig aufgerissen wurde. Die blonde Violinistin rauschte in voller Toilette in das Zimmer und wandte sich, ohne die geringste Rücksicht auf den Gast zu nehmen, mit der Frage an die Harfnerin: „Bist Du fertig, Anna?" „Ich komme sogleich!" gab die Gefragte zurück. Werner sah ein, daß er nunmehr vollkommen überflüssig war. Wäre er weniger mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, dann hätte er wahrnehmeu müssen, wie Anna ihn durch den Spiegel verstohlen aber aufmerksam betrachtete. Während Anna's Gefährtin das Zimmer verließ, erhob er sich langsam, aber in seiner ganzen Haltung gab sich das Gepräge eines festen Entschlusses zu erkennen. „So leben Sie denn recht wohl, Fräulein Zriny I" sagte er, sich gewaltsam zum Lächeln zwingend, „und möge Ihnen die Göttin des Glückes so hold, wie die Muse der Tonkunst sein!" Sie hatte sich ihm wieder voll zugewandt. „Das heißt also, wir werden uns nie Wiedersehen?" fragte sie mit einem Blick, der sein Blut von Neuem in Wallung brachte. Dennoch erwiderte er in so festem Tone, als cs ihm möglich war: „Nie!" „Dann leben auch Sie wohl, Herr Werner!" sagte sie ruhig und mit innigem Ausdruck. „Ich wünsche nicht erst, daß Sie glück lich werden mögen, weil ich weiß, Sie werden es sein, ohne meinen Wunsch. Leben Sie Wohl, und bewahren Sie mir ein freundliches Andenken." 3. Mit dem festen Entschlüsse, nie wieder hierher zurückzukehren, verließ Werner das Haus; aber erst auf der Straße athmete er frei auf und bemühte sich, seiner gedrückten Stimmung Herr zu werden. „Nein!" rief er so laut, daß einige Vorübergehende stehen blieben und ihm kopfschüttelnd nachschaute», „um den Preis meiner Ehre will ich sie nicht! Könnte ich mich wohl selbst achte», wenn ich einem vagabondirenden Mädchen zu Liebe alle Fäden zerrisse, die mich mit einer achtungswertheu Gesell chaft verknüpfe», alle Verhält nisse zerstörte, die mich zu einem tüchtigen, nützlichen Mitglied« der Handclswelt machen? Und doch," tönte es ihm, „sie ist so sinn berückend, .... gar zu verführerisch, .... aber als Bettelmusikant durch die Welt ziehen? niminermehr!" Unter solchen widerstreitenden Empfindungen erreichte er seine Wohnung und da der Abend inzwischen hereingckommen war, zündete er ei» Licht an, steckte eine Cigarre in Brand, warf sich auf das Sopha, nahm eine Zeitung zur Hand und versuchte zu lesen; aber was ihn sonst mit dem lebhaftesten Interesse erfüllt hatte, ließ ihn beute kalt und gleichgültig. Nur als beim raschen Umwenden des Blattes sein Auge wie zufällig auf das Inserat fiel, welches auf die Vorträge des „Violinvirtuosen" Brandey, sowie seine Tochter und Nichte aufmerksam machte, überflog er gierig die Zeilen. - „Am Donnerstag, den 16. dss. Mts., letztes Auftreten," las er vor sich hin. Mil großer, fetter Schrift waren die Worte gedruckt: „Solo-Phantasien auf der Harfe über einige böhmische Nationalliedcr, vorgctragen von der Virtuvsiu Anna Zriny." Er dachte einige Minuten nach, dann warf er einen Blick auf die Uhr: „Donnerstag, das wäre übermorgen!" flüsterte er vor sich hin; „aber es ist das alte verbrauchte Mittel der Reklame." „Sic werden auch am Freitag noch hier sein „auf allgemeines Verlangen" und so weitcr, und ob die unwiderruflich letzte Vor- s.clluug ans Samstag ist, fragt sich auch noch; wir kennen das!" Ungeachtet seines festen Entschlusses, die Künstlerin nie wieder zu sehen, ertappte er sich doch bereits in der nächsten Minute auf dem Gedanken, daß es nicht schaden könne, wenn er sich an dem heutigen Abend noch ein wenig zerstreue. Und wo konnte er besser Unterhaltung finden, als in dem Bendler'schen Kaffeehause, wo so viele seiner Bekannten und Freunde verkehrten? Hastig fuhr er in seinen Ucbcrziehcr, nahm den Hut und lenkte dem wohlbekannte» Vergnüguugslvkal entgegen. Als er in den Saal trat, fand er bereits alle Plätze besetzt Das Konzert hatte bereits vor einer halben Stunde begonnen, und ckaum fand er noch an einem kleinen Ecktisch Unterkommen. Doch Mar ihm dies gerade recht. Er befand sich hier vollkommen nnge- stört und konnte sich ohne jede Belästigung seinen Betrachtungen überlasten. Sein Auge überwachte eifersüchtig jeden Blick, jede Be wegung der Virtuos!», aber er fand auch heule an ihrem Wese» nichts, was sie einer besonderen Aufmerksamkeit eines unbefangenen Beobachters hätte Werth erscheinen lassen. Ihr Blick war mit ge wohnter Starrheit auf das vor ihr liegende Notenblatt gesenkt. Ihre Finger griffen melancholisch, dabei aber so präcis in die Saite», als betrachte sie es als ein Verbrechen, im Geringsten gegen die Intentionen des Komponisten zu verstoßen. Gegen 10 Uhr war das Konzert beendet. Werner verließ das Lokal mit bewölkter Stirn, unzufrieden mit sich und der ganzen Wclt. Sein Kopf brannte in Fiebcrgluth, und das verstörte Auge verrieth nur zu deutlich den Kampf seiner Seele. Seine Unruhe verminderte sich auch während der folgenden Tage nicht. Mit größerer Ungeduld als je sehnte er den Abend herbei »nd bereits eine Stunde vor dem Beginn des Konzerts war er an seinem Platze. Der Donnerstag Abend, an welchem nach der An kündigung in den Blätter» die Musikgcsellschast zum letzten Male austreten wellte, entschied über sein Schicksal. Nie hatte er Anna so strahlend im Glanze ihrer Schönheit gesehen, als an diesem Abend. Ga »z im Gegensätze zu ihrer früheren unscheinbaren Toilette erschien sie Heulein einem zwar einfachen, aber nach geschmackvollem Schnitt gear beiteten Mullkleide, das ihren prächtigen Wuchs auf's Vvrthcilhastcstc hervorhob. Ihre üppige», schwarzen Locken wursen durch ein ein faches Band zurückgehalicn, und als nun ihre weißen zarte» F nger, frei und festellos, keinem Zwange mehr gehorchend ihr stürmische- Spiel in die klangvollen Saiten hauchten, röchele sich ihre Wange allmählich und ihr Auge leuchtete wie im vollen Triumphe eines erreichten großen Sieges. Mit Spannung lauschte jedes Ohr dem feclenvollen Vorträge der Künstlerin. Die wilden, klagende» Melodien, welche sich durch reine, wohlklingende Accordenfvlgen hinzvgen bald in ihrer rührenden Zartheit das Herz geisterhaft bewegten, bald es mit dämonischer Gewalt erschüttern:», verfehlten ihre Wirkung nicht. Der lebhafteste Beifall wurde der Virtnvstn zu Thcil, als sie geendet, und reichlicher, als je, fiel heute die Ernte aus, wie die» auch die strahlenden Züge der Violinistin bekundete». Er hatte geglaubt, die Leidenschaft für das schöne Czechenmädcben vollständig ertödlet zu habe», aber er wußte nicht, daß diese Leidenschaft ein Vulkan war, der sich wohl auf Augenblicke unterdrücken ließ, aver nur des geringsten Anlasses bedurfte, um in voller verzehrender Kraft wieder «mporzuloder». Durch den Anblick der Virtuvsin war sie von Neuem aufgestachelt worden, und schon begann er die Möglichkeit zu erwägen, daß seine Verhältnisse doch durchaus nicht angethan waren, ihn seiner freien Entschließung in Bezug auf die Wahl seiner Gattin zu berauben. Wie leicht konnte er jedes Hinderniß beseitigen» das zwischen ihm und dem angebeteten Mädchen lag. Nur schwach noch lehnte sich sein Stolz gegen diesen Gedanken auf. Anna'S Bild beherrschte be reits in zu hohem Grade seine Seele, als daß er Einwendungen seiner Vernunft noch länger hätte Gehör geben können. Immerfort, wo er auch ging und stand, sah er die unergründlichen, tiefdunklen Augen der hochbegabten Jungfrau auf sich gerichtet, mit jenem un begreiflichen, räthselvollen Ausdruck, der eine eigenthümliche Macht auf ihn ausübte. Langsam schritt er seiner Wohnung entgegen. Er glaubte, in jedem vorübergehenden Schatten ihre schlanke, zierliche Gestalt zu erkennen, und als nach den qualvollen Aufregungen des Tages sich endlich sein Auge zu einem kurzen Schlummer schloß, zauberte die immer geschäftige Phantasie ihm ihr Bild nur noch lieblicher und reizvoller vor die Seele. Die Phantasieen auf der Harfe hatten die Schlußpiece des heutigen Concertes gebildet. Anna hatte sich sogleich, nachdem sie mit einer anmuthigen Verbeugung dem Publikum gedankt hatte, den ferneren, stürmischen Beifallsbezeugungcn durch das Verlassen der Tribüne entzogen. Die Mehrzahl der Gäste strebte den Ausgängen zu. Unter ihnen befand sich mich Werner, der nunmehr vollständig mit sich über seine nächsten Schrille iw Klaren war. Langsam und nachdenklich schlug er den Weg nach seiner Wohnung ein. „Sie ist doch wunderbar hübsch! wer hätte das gedacht?" hörte er zwei Män ner sagen, die hinter ihm her kamen und eilig vorüber schritten. Wie in der Ahnung, daß eine länger: Zögerung nur unheil bringend auf seine Liebe einwirten könne, beschleunigte Werner un willkürlich seine Schritte und erreichte in kürzester Frist seine Wohnung, wo es sein Erstes war, sich an den Schreibtisch zu setzen und die nachstehenden Zeilen auf einen'rosafarbenen Briefbogen zu werfen „Anna l Dem Zuge meines Herzens nachgcbend, benachrichtige ich Sie, daß ich mich der Bedingung unterwerfen will, welche Sie an Denjenigen stellen, dem Sie fürs Leben angehören wollen. Ich habe nicht die Kraft, Ihr Bild aus meinem Herzen zu ver drängen. Mögen Sie daraus erkennen, wie tief und wahr meine Liebe ist. Morgen Vormittag löse ich mein Verhältniß zu meinem Prin zipal. Von Mittag ab stehe ich zu Ihrer Verfügung. Haben Sie die Güte, mich morgen im Laufe des Tages zu erwarten. Es drängt mich, das Weitere mit Ihnen zu besprechen. In aufrichtiger Liebe Edmund Werner." Diesen Brief übergab er, nachdem er ihn gesiegelt und adressirt hatte, noch an demselben Abend einem Dienstmann mit dem Aufträge, ihn nach der Waldemarstraße zu tragen und dem Fräulein Zriny z» behändigen. Jetzt, wo er eine» festen Entschluß hinsichtlich seiner Zukunft gefaßt, wurde er ruhiger. Er sagte sich, daß alle äußeren Glücksverhältnisse gering seien gegen die Befriedigung, welche dem Herzen zu Theil wird, wenn es mit dem Gegenstände seiner Neigung vereint ist. Außerdem hegte er die leise Hoffnung, daß es ihm über kurz oder lang gelingen werde, die Gattin zu seinen Ansichten und Ideen zu bekehren,-sie dem ruhelosen unsteten Wanderleben zu ent wöhnen. Dann wollte er seine kaufmännische Carricre wieder aus nehmen, und gewiß mußte die Gattin eine behagliche Existenz bald dem planlosen Umherschweifen vorziehen. In diesen Gedanken legte er sich zur Ruhe und schlief zum ersten Male nach den letzten un ruhigen Nächten fest und unbelästigt durch düstere Traumbilder. Den noch trat er am nächsten Morgen mit einer gewissen Beklemmung in dus Arbeitszimmer des Prinzipals. Dieser saß bereit-, mit der Durchsicht von Werthpapieren beschäftigt, an seinem Cylinderbureau. Dem Buchhalter, der mit höflichem Gruße eintrat, nickte er freund lich zu. „Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Werner!" sagte er in seiner gewohnten gemüthlichen Weise, „was haben Sie schon so früh?" „Es ist diesmal eine persönliche Angelegenheit, welche mich zu Ihnen führt, Herr Wendling," nahm der junge Associs, welcher gerade auf-sein Ziel loszugchen beschlossen hatte, das Wort. „Ich habe die Absicht, aus Ihrem Geschäfte auszuschciden, und wünsche deshalb, mich mit Ihnen auseinander zu setzen. Verhältnisse, deren Erörterung Sie mir gütigst erlassen wollen, zwingen mich zu diesem Schritt, den ich bitte, nicht ungünstig deuten zu wollen!" Der Bankier fuhr hastig von seinen Papieren empor und starrte den Buchhalter groß an. „Sie wollen ans dem Geschäft treten?" fragte er in einem Tone, welcher zu betroffen klang, als daß man ihn für den Ausdruck einer reinen Verwunderung hätte nehmen können, „wollen uns ver lasse»? Verhältnisse halber? Was könnten das für Verhältnisse sein, mit denen Sie sogar gegenüber Ihrem alten Prinzipal, der sich Ihnen doch stets als Freund gezeigt hat »nd daher wohl Anspruch auf Ihr Vertrauen haben sollte, hinter dem Berge halten?" So fest sich auch Werner vorgenvmmen hatte, jedem Einwand des alte» Herrn mit triftige» Gründen zu begegnen, fühlte er sich doch bereits durch diese einfache Frage vollständig aus dem Sattel gehoben. Er senkte das Auge vor dem forschende» Blick des Bankiers verlegen zur Erde, während das Blut ihm in's Gesicht schoß. „Es gefällt mir nicht länger in der Residenz," stotterte er in der ersten Verwirrung," — ich — ich will mich von neuem auf Reisen begeben — mir die Wclt ein bischen ansehen — und mich demnächst in meiner Vaterstadt niederlasscn." — „Keine Ausflüchte, Werner, seien Sie offen gegen mich," unter brach ihn der Prinzipal mit Wärme. „Sie sind im Jrrthum, wenn Sie glauben, mich alten Fuchs so ohne Weiteres hinter's Licht führen zu können. Gestehen Sie es nur, die Virtuosin im Bendler'schen Kaffeehause hat Ihnen den Kopf verdreht, und nun wolle» Sie mit ihr durchgehen. Habe ich Recht?" Werner stand bestürzt, keines Wortes mächtig vor Demjenigen, der ihn mit so scharfem Bücke durchschaut hatte. Mühsam rang er nach einer passenden Antwort. „Die Virtuosin im Bendler'schen Kaffeehause? Nein, geehrter Herr! — Da sind Sie im Jrrthum!" stotterte er; „an dieses Mädchen denke ich nicht!" Der Bankier machte eine abwchrende Bewegung mit der Rechten. „Verstellen Sie sich nicht länger, lieber Werner; cs schmerzt mich.das mehr, als der große Verlust, den Sie mir durch Ihr Aus scheiden zufügen," sagte er mild. „Auch bin ich es von Ihnen nicht gewohnt. Was ich weiß, weiß ich. Ich habe Sie beobachtet und .... wie das nun so der Welt Lauf ist, es fehlte auch nicht an soge nannte» guten Freunden, die sich ein Verdienst daraus machten, Sie zu beobachten »nd mir ihre Bermnthungen znznraunen. Nun, unter solchen Umständen stellt man sich ja wohl bald das Richtige zusammen; nun bitte ich Sie, lieber Werner, hören Sie auf den Rath eines Mannes, dem Ihr Wohl am Herzen liegt. Schlagen Sie nicht eines Scheinbildes wegen Ihre Zukunft in die Brüche. Sie sind ja, wen» auch ein noch junger Mann, doch immerhin kein Kind mehr, haben doch sonst ein sicheres Urthcil und werden sich sagen können, wohin es führt, wenn man keinen Unterschied macht zwischen dem Phosphor der Leidenschaft und der milden, erwärmende» Flamme einer dauernden Herzensueigung, wie die Poeten sagen. Reißen Sie diese Giftblüthe aus I rrem Herzen, ehe sie Ihren Verstand vollends überwuchert. Wenn cs auch Anfangs blntet, die Wunde wird wieder vernarben, und ich weiß bestimmt, Sie werden später über Ihre jetzige Schwachheit lächeln." Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann in freundlichem vertraulichem Tone fort: „Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, lieber Weimer, welche Aussicht sich Ihnen in meinem Hause bietet. Sie wissen es, ich bin davon überzeugt, und wenn Sie nicht schon längst als ein Glied unserer Familie betrachtet worden sind, so lag die Schuld lediglich an Ihnen. Doch ich will Ihnen keine Vorschriften machen. Handeln Sie, wie es Ihnen gut dünkt; aber zwanzig junge Leute an Ihrer Stelle würden nicht einen Augenblick darüber im Zweifel sein, waS sie zu thun hätten." Die wohlgemeinten Worte des alten, biederen Geschäftsmann«» hatten Werner sichtlichergriffen, ihm aber auch sogleich seine gewohnte Festigkeit wieder gegeben. »Ich hoffe, Sie werden mir nicht zürnen, Herr Wendling!" sagte er in bittendem Tone. „Ich weiß recht wohl, daß Sie eS gut mit mir meinen — allein die Sache ist schlimm — ich kann einmal nicht anders, und da Sie nun doch bereits Alles errathen haben, nehme ich keinen Anstand, Ihnen zu sagen, daß ich in der That gesonnen bin, das Fräulein Zriny, die Virtuosin, wie Sie sie ja selbst nennen, zu meiner Frau zu machen. Allerdings ist es eine Leidenschaft, die mich für sie erfaßt hat, allein, ich kann eS wohl sagen, eine so tiefgehende, reine und edle Leidenschaft, daß mein Leben vollständig in ihr aufgeht. Ich habe die Ueberzeugung, daß ich mit dem Mädchen glücklich sei» werde. Sie ist rein und tugendhaft wie ein Engel. Sie hat ein lebhaftes, begeistertes Gefühl für die Kunst, für alles Schöne und Große und ist vor allen Dingen ein Charakter. Ich liebe die Charaktere, Herr Wendling!" Der Angeredete zuckte mit den Schultern. „Ich die Gemüther I" versetzte er dann ernst. „Gemüth besitzt sie auch," fuhr Werner fort-; „ich erwähnte dies erst nicht, weil ich es bei jedem nur einigermaßen häuslich erzogenen weiblichen Geschöpf voraussetze." Wieder zuckte der Banquier mit den Schultern. „Ich Wünsch» Ihnen, daß Sie sich nicht täuschen," sagte er ernst. „Wie die Sache liegt, kann ich nichts zu Ihrem Entschluß sagen. Nur machen Sie mir nicht einmal über kurz oder lang den Vorwurf, ich hätte Sie nicht gewarnt. Leid sollte es mir freilich sein, wenn Sie nicht so glücklich würden, als Sie es verdienen; denn Sie wissen, Werner, daß Ihr Vater zu meinen besten Freunden zählte und daß er mir die Sorge für Sie, seinen einzigen Sohn, vor seinem Hinscheiden gewissermaßen auf die Seele gebunden hat. Doch — ich lege Ihren weiteren Schritten nicht das geringste Hinderniß in den Weg — würde damit auch nur Oel in s Feuer gießen. Morgen wollen wir zusammen abrechnen. Bon heute ab sind Sie frei, werden ja den Kopf voll genug haben. Benachrichtigen Sie Herrn Leopold, daß er bis auf Weiteres Ihre Funktion im Contor versieht, und dann gehen Sie mit Gott. Ich wünsche Ihnen das Beste!" Er streckte seinem Buchhalter in der herzlichsten Weise die Hand entgegen, in welche dieser nicht ohne Rührung einschlug. „Meinen besten Dank, Herr Wendling, und ... . leben Sie wohl . . . Schelten Sie mich nicht undankbar. Ich habe leider Ihre Güie wenig genug verdient!" „Schon gut, lassen wir das. Sie thaten stets Ihre Schuldig keit und haben das Geschäft fördern helfen. Auch ich habe Ihnen Dank zu sagen." Mit dem Gefühl einer gewissen Leere im Herzen begab sich Werner in das Contor, wo ec diejenigen Anordnungen traf, die sein Ausscheiden unumgänglich nothwendig machte. Nach einer Stunde waren sämmtliche Leute mit ihren neuen Funktionen bekannt gemacht, und er konnte nun mit gutem Gewissen daran denken, aus dem Ge schäft, in welchem er so manches Jahr treu gewirkt, in welchem er, so zu sagen, groß geworden, scheiden. Ms er sich von seinen bis herigen Kollegen und Untergebenen in herzlichster Weise verabschiedet hatte und schon den Fuß aus dem Contor setzte, um dieses für immer zu verlassen, fiel ihm ein, daß es wohl Schuldigkeit sei, sich auch von der Familie seines Principals mit einigen freundlichen Worten zu empfehlen. Er dachte dabei mit einer gewisse» Scheu an Emmy. „Sic wird sich grämen, auf's Tiefste betrüben," murmelte er vor sich hin, und sinnend blieb er stehen, um eine paffende Ein leitung zu erfinden. Denn wenn er auch in der Familie seines Prinzipals zu jeder Zeit Zutritt hatte, wußte er gegenwärtig doch kaum, unter welchem Vorwände er in dieser Stunde, die freilich zum Besuch nicht geeignet erschien, sich cinführen sollte. Auch empfand er ein gewisses Mißbehagen in dem Gedanken, Emmy könne durch' ihren Vater bereits unterrichtet sein. Dennoch legte er entschlossen die Hand an den Klingelzug, welcher in die von der Gattin des Bankiers bewohnten Räumlichkeiten führte, und wollte eben ziehen, als die Thüre sich geräuschvoll öffnete und die Töchter des Hauffs, zum Ausgehen angekleidet, mit der Musikalienmappe in der Hand, heraustrat. Er ließ überrascht die erhobene Rechte sinken und starrte di:S Mädchen an, das ihm in seiner einfachen, aber geschmackvolle» Toi lette in diesem Augenblicke schöner als je erschien. Unwillkürlich mußte er. an die Worte des alten Bankiers denken: „Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, welche Aussicht sich Ihnen in meinem Hause bietet." Die graziöse Haltung, das frische, rosige Gesichtchen, die hinreißende Anmuth der jungen Dame übten in ihrer Gesammt- wirkung einen solchen Zander auf ihn aus, daß selbst das strahlende Bild der Virtuosin, welches die Seele deS jungen Mannes beherrschte, für eine» Moment zu erbleichen schien! denn ohne daß er sich eine Erklärung dafür geben konnte, überkam ihn mit einem Male jenes eigenthümliche Gefühl des Bedauerns, wie es Jenen ergreift, der Plötzlich etwas verlieren soll, auf das er bisher keinen hohen Werth legte, an das er aber gleichwohl durch die Bande der Liebe gefesselt ist. So mühte er sich vergeblich, eine paffende Anrede zu finden, an der cs ihm unter anderen Verhältnissen gewiß nicht gefehlt hätte. Zum Glück kam das junge Mädchen ihm zuvor. „Haben Sie heute schon Feierabend, Herr Werner, oder hat Ihnen Papa Urlaub zu einer kleinen Vergnügungsreise ertheilt?" fragte sie mit einem strahlenden Lächeln, welches ihre kleinen blendend weißen Zähne enthüllte. „Man kann weder das Eine noch das Andere sagen, Fräulein Emmy!" erwiderte er in leichter Verlegenheit; „cs sind leider seit gestern Verhältnisse eingetreten, die mich zwingen, der freundlichen Situation in Ihres Vaters Hause Valet zu sagen." Bei den letzten drei Worten hob er seinen Blick, der bisher auf dem Erdboden gehaftet hatte, empor und sah sie scharf an; aber zu seinem nicht gerade angenehmen Erstaunen nahm er wahr» daß ihre Züge ihren lachenden Ansdruck behielten, bis auf eine ganz leichte ernstere Falte, die sich um ihre Mundwinkel bildete. „Sie wollen uns verlassen?" fragte sie ruhig, fast heiter. „Sollte sie schon wissen, wie es mit dir steht?" fragte er sich, und fast wurde er noch unruhiger in seiner verletzten Eitelkeit. „Ent weder ist sie ein kleiner Teufel von Verstellungskunst, oder sie hat bis jetzt nicht das Geringste für dich gefühlt." „Ja, Fräulein Emmy," sagte er laut, beinahe trotzig» „wie ich schon das Vergnügen hatte, Ihnen zu sagen, nöthigen mich Verhält nisse, meine Stellung aufzugeben. Ich habe mich darüber gegen Ihre» Herr» Vater bereits ausgesprochen und will auch gegen Sie offen sei». Ich gehe nämlich mit dem Gedanken um, mich zu vcr- hcirathcn!" „Das war gut gegeben," frohlockte er in sich hinein, als er gewahrte, wir ein Zucken blitzschnell durch ihre Züge ging und für einen Augenblick alle Röthe ans dem kindlichen Antlitz verschwand.-
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