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Viertes Blatt Ar.3«1 Dienstag, 0eu 28.Dezember 1926 Dresdner Weihnachten Vor» LUrvä krökl. sRachdrrut verboten» Das schönste aller christlichrn Feste wird zwar Überall in deutschen Landen mit grober Herzlichkeit gefeiert, aber so manche Gegend, manche Stadt, ja sogar manche ländliche Orte haben dabei ihre Besonderheiten. Es bestehen hier und da Brauche und alther gebrachte Gepflogenheiten, die auf die Ge biete von Volks- und Heimattunde Hinwei sen. Um nur etwas davon zu erwähnen, sei an das mitternächtige Turmsingen in Schneeberg im Erzgebirge erinnert.' Im Lärmen und Hasten der Großstädte kommen Weihnachtspoesie und weihnachtlicher Stimmunaszauber immer mehr ins Hinter treffen. So Minen manche und haben un recht. Glücklicherweise. Gerade in unserer sächsischen Landeshauptstadt wird Weihnach ten recht stimmungsvoll begangen, und jeder mann kann an einer der großen Veranstai- tun gen teiknehmen, wenn ihm Weihnachten nicht lediglich eine Gelegenheit zum Schen ken und zu leiblichen Genüssen bedeutet. Die letzteren brauchen deswegen keineswegs zu kurz zu kommen, zumal Dresden in der Her stellung der Festgebäcke eine führende Stel lung einnimmt. Wer hätte nicht schon den Dresdner Christstolle« rühmen hören? Die Backkunst aller Haus frauen in Ehren, Und es sei gern zugegeben, daß man auch anderswo gut bäckt, aber der Dresdner Weihnachtsstollen erfreut sich nun eben schon seit langen Jahren eines be- sonders guten Rufes. Ms Deutschland noch Kolonien besah, sind Dresdner Christstollen, sorgsam in luftdicht abgeschlossene Blech- behälter verpackt, nach allen Erdtellen ver sandt worden und auf den entferntesten deut schen Posten weit drinnen in Südafrika ah man zu Weihnachten das lieblich duftende Gebäck aus der deutschen Heimat. Zur Dresdner Weihnachtsstimmung gehört nun allerdings noch vieles andere, als etwa nur die Befriedigung von Gaumengelüften. So etwa knapp zwei Wochen vor dem Feste gibt's drüben in der Neustadt, im ehemaligen IÜgerhof hinter dem Finanzministerium, et was ganz Besonderes: Weihnächte« im Lanbesmufen» für Sachfische Volkskunst! Diese Veranstaltungen des Museumsgrvm ders, des weitbekannten Hofrats Professor Seyffert, werden kaum im ganzen Sachsen kande ihresgleichen haben. In die traulichen erzgcbirgischen, vogtländischen und Lausitzer Bauemstuben, in all die mit den Wahr- -eichen sächsischen Volkstums ausgestatteten Räume ist der Weihnachtsmann gekommen. An den alten schönen holzgeschm'tzten Krip pen und den sich drehenden Pyramiden, an oen buntbemalten vielarmigen Leuchtern aus Gröhväterzeiten und den harzduftenden, ll^bevoll geschmückten Tannen flammen Hunderte von Lichtern auf und der Anfang eines Liedes kommt uns dabei zu Sinn: ,»Wle's daheim war!" In all den festlich ausgemrtzten Stuben sieht's aus. als wenn gerad: der Feiertagsbesuch emtr^ffen müßte. (Lin Mann -aut in LT Jahren eine Kirche Ja Lew Dorfe venezzarw in der Nähe von Bologna ist jetzt eine Kirche etngeweiht war- -ek, die von einem einzigen Maurer auS dem Dorfe erbaut worben ist. da die Gemeinde zu arm war. größer« Mittel für den Bau aufzu- wenden- Der Maurer, der t-tzt OK Jahr alt Ist. hat die zweite Hälfte seines Leben» saft aaSfchlietzlich mit dieser Arbeit ausgefüllt. Und an Besuch fehlt's nun auch in den Ta gen vor und nach Weihnachten diesem herr lichen Museum nicht. Line frohgestimmte Menge, zusammengesetzt aus allen Beoöl- kerungsschichtcn, durchflute^ die weiten Räu me und staut sich oben im ersten Stock. Etwa noch nicht durchwärmte Herzen heizt Professor Seyffert, wohl eine der populär- sten Persönlichkeiten Sachsens, mit ein paar trefflichen Worten gründlich ein, und dann tritt ein Sängerpaar auf ein kleines Podium und singt zur Laute einige alte Weisen. Oder eine Schar fröhlicher Kinder, brennen de Kerzen tragend, zieht in den Saal ein, und man höxt die ewig-schönen Weihnachts- lieder, die uns mit einem Male das eigene Kinderland wieder heraufzaubern. Dann wieder ein frohes Wort Seyfferts, und der Alltag ist bald vergessen. Weihnachtliche Stimmung erfüllt die im Lichterglanz schim mernden Säle und sogar ein alter bärbeißi ger hölzerner Nußknacker in der Ecke lacht mit. Reichlich eine Woche vor Weihnachten nimmt der altberühmte Striezelmarkt — auch ein bodenständiges Dresdner Weih nachtswahrzeichen — seinen Anfang. Auch anderwärts wird Christmarkt abgehalten, aber der Dresdner ist eine Sache für sich, eine traditionsreiche Einrichtung, an der das moderne Zeitalter nicht zu rütteln ver mochte. Auf dem Neumarkt, überragt von Meister Bährs gewaltigem Kuppelbau der Frauenkirche, tut sich eine Büdenstadt auf und biedere gemütliche Leute preisen hier ihre soliden Waren an. Neben Brauch barem fehlen auch nicht die nöligen Lecke reien und an Straßenecken und Budennischen werden Hampelmänner und „Pflaumentof fel" von frierenden Kindern ausgeboten. Hier und da fehlen auch nicht jene Stände, an denen Ausschreier „neueste Neuigkeiten" und „Schlager der künftigen Leipziger Messe^ an das Publikum zu bringen ver suchen. Das äußere Bild des Striezelmarktes hat allerdings an Stimmungswert einge büßt, seit die Budenreihen elektrisches Licht haben, womit ein ziemlicher Aufwand getrie ben wird. Früher war es das warme Licht der Kerzen und der trauliche Schein der Oellampen. die dem Striezelmarkt so etwas Anheimelndes verliehen. Ein Gang über diesen Christmarkt gehört für jeden Einhei mischen zum vorweihnachtlichen Programm, und als es noch Könige in Sachsen gab, versäumten auch diese nie, mit Begleitung einmal diese „Weihnachtsmesse der kleinen Geschäftsleute" zu besuchen. In diesem Iahr wird erstmalig ein neuer schöner Brauch geübt. Unmittelbar vor dem Bismarckdenkmal an verkehrsreichster Stelle hat der Verband für Iugendbilf« den „Christbaum für alle" aufgerichtet, eine riesige, mit elektrischem Licht reich ausgestattete Tanne. Ihr Glanz soll vornehmlich denen ins Her; strahlen, denen daheim keine liebe Hand ein Bäum chen anzuzünden vermag. Während der gan zen Adventszeit erglühte allabendlich der Baum und Gesangoereme erfreuten hier die Vorübergehenden mit der Darbietung aller Weihnachtslieder. Dabei war Gelegenheit geboten, dem Werke der Iugendhilfe Spen den zuzuführen. Endlich naht der 24. Dezember —- der heilige Abend —. Er wird wie kein anderes christliches Fest in Dresden kirchlich unter riesiger Anteilnahme begangen. Gewiß fin den auch anderwärts Vesper- und Metten gottesdienste statt, und gibt vielleicht kaum etwas Schöneres, als wenn droben in den tiefverschneiten Dörfern des Erzgebirges sich die Einwohner in ihren alten Kirchen ver sammeln und diese selbst mit mitgebrachten Kerzen und bunten Laternen erleuchten. Aber in Dresden sind es am heiligen Abend vier kirchliche Feiern, die an Volkstümlichkeit und Eigenart ihresgleichen suchen und die eine anspruchslose Schilderung wohl ver dienen. Da ist's zunächst die Christvesper i« der Frauenkirche. Hier versammeln sich alljährlich am Helligen Abend Tausende und füllen bis hoch hinauf die vielen Galerien des weiten Runds. Selbst die logenartigen Betstübchen vergangener Dresdner Patriziergeschlechter sind bis auf das letzte verfügbare Plätzchen gefüllt, und auch der Altarplatz, auf dem mächtige Tan- nenbäume mit ungezählten Lichtern aufge- stellt sind, ist so dicht besetzt, daß der amtie rende Geistlich« nur mit Mühe bis zum Lesepult schreite, kann. Sobald das Geläute verstummt ist, liegt erwartungsvolle tiefe Stille auf dem men- schengefüllten Raum, und dann vernimmt die andächtig« Menge hoch aus dec Kuppel herab und wie von Engelsstimmen gesungen, Luthers herrlichen WeihnaAschoral: „Dom Himmel hoch, da komm' ich her". Dieser geradezu berühmt gewvrbeue Kuppelgesang hat etwas ungemein Feierliches und Stim mungsvolles in sich und verfehlt nie seine Wirkung. 2m Übrigen verläuft dieser Gott tesdienst in althergebrachter Weise. Zwischen Lithurgie und Eoangelienverlesung hört man von der festlichen Chorempore auch alte, we niger bekannte Weihnachtslieder, und am Schlutz wird unter dem Brausen der pracht- vollen, mit einem Glocken'piel au gestatteten Silbermemnschen Orgel von der etwa 5000 Personen zählenden Festgemeinde „O du fröhliche" angestimmt. Eine nicht minder starke Beteiligung fin det zur gleichen Stunde die Christvefper t« der Lreuzkirche. In diesem mächtigen, im Innern vornehm ausgestatteten Gotteshaus ist ebenfalls Imme vor Beginn kein Plätzchen mehr zu haben, selbst die beiden großen Sakristeien sind dicht gefüllt. Der Altarplatz erstrahlt in einem Meer von Kerzenlicht. Diese Weih- nachtsfeier hat noch einen besonderen An ziehungspunkt in ihrem gesanglichen Teil. Dresdens berühmter Sreuzchor singt hier und es mag kaum etwas Herz andringenderes geben, als von diesem stimm lich wunderbar zusammengesetzten und glän zend disziplinierten Gesangskörper, der auf eine Tradition von Jahrhunderten zurück blicken kann, unsere ewig schönen Weihnachts lieder oder eine der Bachschm Christmotetten zu vernehmen. Wenn dann die Menschen masten wieder aus den Portalen Herausquellen, dann setzt nochmals das volle Geläute der Kreuzglocken ein und kündet mit erzenen Stimmen das Weihnachtswunder Von Bethlehem. Die Menge auf dem Kirchvlatz verläuft sich aber nicht, denn ein alter Weihnachtsbrauch folgt noch Die Sreuzschüler nehmen, umgeben von Fackellicht, mitten un ter den hier harrenden Tausenden Aufstel lung und singen unter Leitung ihres Chor- präfekten noch einige Weihnachtslieder. Zwi schen den Gesängen aber erklingen von einem Bläserchor hoch vom Turm herab die Cho räle und Lieder, die soeben von der Ge meinde im Gotteshause gesungen wurden. Das ist auch etwas ungemein Schönes und man vergißt dabei völlig, daß nur ein paar Straßen entfernt und dicht dabei am Alt- markt der Großstadtverkehr braust. Und noch einmal füllt sich die altehrwür dige Kreuzkirche bis auf den letzten Platz, diesmal aber zu einer gänzlich ungewohnten Zeit, nämlich gegen Mittemacht. Am hei ligen Abend schließen in Dresden alle Gast wirtschaften bereits 8 Uhr in der richtigen Erkenntnis, daß die Angestellten des Gast wirtsgewerbes auch wie ihre Mitmenschen einen Anspruch auf den Christabend haben. Ueberdies ist ja Weihnachten ein Familien fest, und auch das stattliche Heer der Jung gesellen und die sonst alleinstehenden Per- sonen werden gewiß einen Kreis haben, in dem sie das Weihnachtssest verbringen. Hell strahlen die erleuchteten Fenster der Kreuz kirche in die Nacht hinaus und die Glocken rufen zum weihnachtlichen Mittersachtsaottesdienft bar Gast, wirtsaugestellte». Diese vom Oberkonsistorialrat Superinten dent DDr. Költzsch getroffene Einrichtung erfreut sich seit Jahren stets einer riesigen Beteiligung. Die vielen Männer und Frauen, denen infolge ihrer Berufstätigkeit es nicht oder nur selten möglich ist, zur üb lichen Zeit das Gotteshaus aufzusuchen, be grüßen mit Freuden diese außergewöhnliche kirchliche Veranstaltung, und deren Urheber versteht es ja dank seiner hinreißenden Be redsamkeit, aller Herzen und Sinne auf höhere Dinge zu lenken und gerade dies« Ge meinde weihnachtlich zu stimmen. Endlich ist noch der Christmette i» der Katholische» Hofkirch« zu gedenken. In ihrem Verlauf hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert. Eine nach Tausenden zählende Menge füllt um die Mitternachtsstunde den stolzen Barockbau am Schloßplatze, in den Gängen stehen die Menschen wie di« Mauern und auch die breiten Emporen sind bis auf den letzten Platz besetzt Die eigentliche Thristmette be steht in den dafür oorgeschriebenen Gebeten und Wechselgesänaen zwischen Priester und Chor. Ist dieser Teil des Gottesdienstes be- endet, dann ziehen unter brausendem Orgel- spiel Geistliche und Ministranten ein, und es beginnt nun in der heiligen Nacht das feier liche Hochamt, für das eine besonders geeig nete Messekomposition gewählt wird. Ka pellknaben und Kirchenchor vereinen sich mi einem Teile der Staatskapelle zu einer wun dervollen Musikaufführung. Diese, sowie die heilige Handlung am Altar und die Entfal tung kirchlicher Pracht inmitten eines über irdisch erscheinenden Lichterglanzes gestalten (Lin Grammophon fo laut wie TO Musiker Zwei Berliner, ein Schlosser und ein Tischler, haben ein neuartiges Grammophon erfunden, welches durch die Zuführung eines Gemische- pon Luft und zerstäubtem Oel «tuen so starke» Ton hervorbringt, daß man ein Militär- orchester von 20 Mann zu hören glaubt. diese Christnachtsfeier zu einem Erlebnis, dessen Eindruck sich auch die der katholischen Kirch« Fernstehenden nicht entziehen können. Nach all dem hier Geschilderten darf wohl behauptet werden, daß das „Dresdner Weih- nachten" viel Eigenartiges für Geist und Gemül in sich schließt, und es sei noch dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß allerwärts darauf gesehen wird, die religiösen und künstlerischen, aber au die oolks- und hei matkundlichen Werte deutscher Weihnachts feiern zu erhalten. Irandfunk Dresden-Leipzig Mittwoch, de» !S. Dezember 1828. Wirischaftsruudfnnk. 10.lv: WirtschastSnachrichten: Woll- u Baum- wollpreise. 2.45: do , Baumwolle. Landwirtichafl, Berliner Del Notiz. 8.25: do, Berliner Devisen amrlrch. Berliner Produktenbörse amtlich. 4F0: WirtschastSnachrichten: Wiederholung 2.45 und 3.25 Ubr und die lausenden Pro duktenbörsen. Berliner Butter. Berliner Metalle amtlich. Berliner Schrön. 4,10: do. Fortsetzung für Baumwolle, Lon doner Metalle amtlich und Landwirtschaft. SM: WirtschastSnachrichten: Leyte Notierun gen. Rurrdfmtk für Uuterbaltnug und Lclc-r»»». 10.05: BerkehrSfunk. Wetterdienst und Lchnee- bericht. 10,20: Bekanntgabe deS Tagesprogramm-. 10L5: Vas die Zeitung bringt. 11.45: Wetterdienst und -Voraussage »Deutsch und Esperantos und SchneeberichL. 12.00: MittagSmustk. l2l»: Nauener Zeitzeichen. 1.15: Presse- und Börsenbericht. S/v—4/v: Deutsche Welle, Berlin 8,00: Prof. Dr. Amsel und Oberschullehrer Westermann: EinheitSkurzschrift für An fänger. Ober-Studien-Direktor Dr. Buchenau: Der deutsche Idealismus in der Prima. 4M—6M: Nachmittagskonzert der Dresdner Ruudfunkhauskapelle. SXL-0.20: MorstkursuS. 0,20—6,30: Arbeitsmarktbericht de- Sächsische» LandeSamteS für Arbeitsvermittlung. 6,30—7M: Deutsche Welle, Berlin. Studienrat Friebel und Lektor Manu: Englisch für Fortgeschrittene. 7M—7M: Professor Dr. Muller-Lenhartz: Stoffwechsel und Ernähung -er Milchkuh. 7^0—8,00: Dr. Tatter-Osterholz: Tie Jagd mit Veizvögeln. 8M: Wettervoraussage, Schnoebericht und Zeitangabe. Gleichzeitig« Uebertragung auf den Deutschland- sender, Welle 1300: 8L0: Kleine Künstlerspiele. Mitwirkend«: Ger- trud« Bauer lGesangf, Karl Ekert fsüddcut- scher Humors, Gustav Hermann (Heiteres) und das Leipzig« Rundfunkorchester. iO/V: Pressebericht und Sportfunk. 10,15—12^0: Tanzmusik.