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Feierabend. Uirtrrhllltllnss-Skilagr der „Sachs. Bolkszeitung". .H» 3«. Sonntag, den 5, Juni, 1904 Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.! Roman frei nach dein Italienischen von Erich Friesen. IN, Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Schon nach einer Stunde sagt das zierliche Gesäbrt die breite Eichenaltee entlang, den, An.Hangstor zu Lustig flattern die blauen Schleier der Manchen ini Winde, wach rend -Orlando die Peitsche znw AbsMed gri.ße!^ aiif und nieder bewegt. Angela tritt zurück Non der Terrasse. Ein eigenes Ge- fiibl schnürt ibr die Brust zusammen — ein seltenes Gesicht der Angst und Schwäche. Mühsam schleppt sie sich in ibr Zimmer und sinkt dort ans die Ebaiselongne nieder. Fbre Schläfen pochen znm Zerspringen. Fbre Hände sind kalt und feucht. Ha, Lust! Luft! Sie springt wieder empor und öffnet die Fenster. Frühlingswarme, laue Lust baucht ihr entgegen. Haslig wirst sie ihren Spitzrnninhang über, setzt das rosenunirankte Hütchen auf den goldiglenchtenden Locken köpf, nimmt Handschuhe und Sonnenschirm und gebt hinunter in den Park. Eine unbegreifliche Unruhe hat sich ihrer bemächtigt. Ser Kops ist ihr ganz wirr. Planlos, ziellos eilt sie die vielfach verschlungenen Pfade entlang — immer weiter . . . immer weiter. . . . Jetzt hat sie das große eiserne Einsabrtstor erreicht. Wie mechanisch schreitet sie weiter ans der Landstraße . . . entlang der bohen Mauer, welche den Part von „Tusku lum" einschließt, vorbei an dem Eingangstor der „Villa An tigone". Doch halt, was ist das? Tas Tor steht offen? Sollte der Mieter bereits Angela denkt nicht weiter. Flammende Nöte bedeckt ihr Antliß. Wie geistesabwesend starrt sie ans das wenige- öffnete Tor und dann die Landstraße hinab, ans der soeben, umgeben von einer dichten Staubwolke, ein Automobil heransagt. Wie von einer magnetischen Kraft angezogen, bohren sich ihre Blicke in das mit rasender Eile sich nähernde Ge fährt. Fetzt ist es da — Angela zuckt zusammen — der Herr im Automobil wendet sich ein wenig nach ihr um und zieht dann rasch den Hut - - verschwunden ist daS Ganze hinter dem Eisentor gleich einer Vision. Unbeweglich starrt Angela der Staubwolke nach. „Tr. Fesea!" ringt es sich von ihren Lippen. „Tr. Fesca! Und auch er hat mich erkannt. Großer Gott!" Wie von Furien gehetzt stürzt sie nach Hanse in ihr Zimmer — und - reißt an der Glocke. „Jeanette! Schnell, schnell!" „Madame la Marquise, was ist Ihnen? Sie sehen ans wie eine Tote!" ruft das Mädchen erschrocken. „Packen Sie meine Sachen! Aber schnell! Schnell!" Tas Mädchen starrt Angela an, obne sich vom Fleck zu rühren. „Hören Sie nicht? Sie sollen packen!" Und Angela stampft mit dem Fuß den Boden. „Packen, Madame? Was packen?" „Meine Koffer. Ich reise ab." „Sie reisen ab? Wann?" „Heute noch. Fetzt gleich." „Und ich?" „Sie begleiten mich." „Madame!" Noch einmal versucht Jeanette zu widersprechen: aber eine gebieterische Bewegung ihrer Herrin läßt sie schweigen. Kopfschüttelnd gibt sie sich, ans Packen. „Welche .Kleider, Madame?" „Ganz gleich." „lind wieviel Wäsche"? „Soviel Sie wollen." „Auch Schmnckgegenstände?" „Meinetwegen. . . . Warum gucken Sie mich so an? Sie denken wohl, ich bin verückt geworden! Nahe daran ist eS auch. O mein Gott! Mein Gott!" Und sie drückt die Hände an die pochenden Schläfen. Ta nähert sich ibr Jeanette mitleidsvoll. „Madame! Liebe gute Madame! Quält sie etwas? Wollen Sie mir nicht vertrauen? Was wird der Herr Marquis sagen, wenn er nach Hause kommt und Madame ist —" Ein Schauer überläuft Angelas Körper. „Er wird einverstanden sein. Ich kann hier nicht länger bleiben: ich werde sonst wahnsinnig. Vorwärts I Weiter mit dem Packen, Jeanette! Schnell!" > Während die Zofe rasch zwei Koffer mit wahllos den reichgesüllten Schränken entnommenen, Kleidern, Wäsche stücken und andern notwendigen Gegenständen packt, setzt Angela sich an ihren Schreibtisch und wirft hastig ein paar Zeilen anss Papier. Tann schließt sie das Kuvert, schreibt die Adresse ihres Mannes darauf und trägt den Brief in sein Arbeitszimmer. Eine halbe Stunde später schon fahren Herrin und Dienerin nach Rom. . . . Tas böse Gewissen hat Angela aus ihrem Heim ver trieben. X. Als spät Abends Orlando mit Pia und Carmela nach „TnScnlnm" znrückkehrt, liegt das ganze Haus in tiefem Schlafe. Ein erkältendes Gefühl beschleicht Orlando. Sonst, wenn er einmal ohne Angela den Tag in Nom oder anderswo verbrachte, empfing ihm Abends bei seiner Rückkehr hellster Fnbel. Angela hatte sämtliche Lampen angezündet; sie selbst stand, mit ihrem süßesten Sonnenlächeln auf den frischen Lippen, ans der Terrasse und bewillkommnete ihn durch Tnchschwenken und fröhliche Zurufe. Und heute? Kein Laut, kein Lichtstrahl, kein Zeichen, daß in dem Hanse jemand den Gutsherrn erwartet. . . . Alles wie tot. Und doch jetzt öffnet sich eine Seitentür. Cm schmaler Lichtstrcif wird sichtbar und gleich daraus ein grauer Kops. „Alle Heiligen, der Herr Marchese!" gellt es erschrocken ins Haus zurück.