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Hier auf Madeira nun lernte ich ein reizendes ! junges Mädchen kennen, mit dem ich innig befreundet > wurde. Wir waren einander wie Schwestern zugetan, und ich glaube fast, ich hätte sie Euch mitgebracht nach meinem lieben, schönen Rom. wenn sie nicht — armes, armes Ding! — Plötzlich erkrankt und nach mehrwöchigem, schwerem Leiden gestern gestorben wäre. Ich pflegte sie Tag und Nacht; all meine Gedanken gehörten ihr; ich vergaß sogar — bitte, sei nicht böse, lieber Onkel! — die „ewige Roma" und Dich und Orlando für einige Zeit. Alle Mihe war vergebens. Sie ist tot und ich - fühle mich so fürchterlich allein und verlassen. Das nächste Schiss geht erst in vierzehn Tagen ab. Bitte, bitte, lieber Onkel, komme sobald wie möglich, und nimm mich mit Dir nach unserer schönen Heimat! Ach. ich bin so unendlich traurig! Wenn ich in das liebe, noch im Tode schöne Antlitz meiner Freundin sehe, wie sie gleich einer Braut ganz in Weiß gekleidet in ihrem Sarge liegt — denke nur, sie hieß gerade so wie ich: „Angelina" oder vielmehr „Angela", aber das ist ja ganz dasselbe! — so kommen mir in meiner Einsamkeit ganz schreckliche Gedanken — — Grüße Orlando vielmals von mir und laß nicht zu lange aus Deine Ankunft warten Deine treu-ergebene Nichte Angelina Morgano." Schweigend faltet Orlando Conti den Brief zusammen und legt ihn wieder auf den Tisch. „Nun?" fragt Oberst Gardini ein wenig verwundert. „Ich werde natürlich reisen, wenn Sie es wünschen, Onkel Ernesto." „Selbstverständlich. Und ich werde dich begleiten. Der Gedanke, das Mädchen in Funchal allein zu wissen, quält mich." „Ich verstehe nicht recht erwidert Orlando ernst, indem er den Brief zusammenfalret und dem Oberst znriick- gibt — „Angelina war während des ganzen letzten Jahres allein, lieber Onkel — seit dem Tode ihres Vaters! lind nun plötzlich diese Angst vor dem Alleinsein! ' „Ganz recht, ganz recht! Aber Angelina war schon als Kind ein bischen erzentrisch, und ihr Vater, mein armer Schwager, hat sie noch mehr darin bestärkt, indem er ihr jeden Willen ließ. Auch dürfen wir nicht vergessen, daß sie vielfache Millionärin ist. mein Junge. In seinem letzten Brief, kurz vor seinem Tode, hat mein Schwager mir seine ganzen Verhältnisse klar gelegt. Er betonte auch, daß seine Tochter seine einzige Erbin sei. Da muß der zukünftige Gatte schon ein wenig aufmerksam und rück- sichtsvoll sein." Orlando ist noch ernster geworden. „Ich möchte um nichts in der Welt, daß man denkt, ich wolle Angelina um ihres Geldes willen Gutmütig lacht der Oberst ans. „Nun. nun! Nur nicht gleich emporfahren! Selbst, wenn du die Kleine noch so sehr liebst — die goldne Ein fassung schadet der Perle gewiß nichts! . . . Kannst du bis heute abend für die Abreise fertig sein?" „Gewiß. lieber Onkel!" „Morgen früh geht gerade ein Schiff von Neapel nach Madeira ab. Wir müssen mit dem Nachtschnellzng nach Neapel fahren. Telegraphiere Angelina sofort unsere dem- nächstige Ankunft! Kleines dummes Mädchen! Sich monate lang auf der Insel zu verstecken, anstatt sogleich herzn- kommen. Siebt ihr ganz ähnlich!" „Ja. cs sieht ihr ganz ähnlich!" wiederholt Orlando gedankenvoll. „Aber gerade um ihrer Originalität willen liebe ich sie." Und er greift zum Hut, um bei dem nächsten Postamt an Angelina Morgano ein Telegramm abznschicken. das seine und des Onkels baldige Ankunft ans Madeira meldet. Ans der blnmennmrankten Terrasse der „Villa Merce des" in Funchal steht eine schlanke, ganz weißgekleidete Mädchengestalt. Eifrig spät sie. die Augen mit der Hand beschattend, hinaus aus den Ozean. Doch nichts ist sichtbar. Wie ein ungeheurer, unend licher Spiegel liegt das Meer zu ihren Füßen. . . . Sie späht nnd späht — vergebens. Ihre Unruhe wächst. . . . Sie greift zum Fernrohr nnd sucht den Horizont ab — lange, lange — — Endlich — ha. taucht dort hinten nicht ein schwarzer Punkt ans? Sie guckt nnd guckt — so angestrengt, daß es vor ihren Augen zu flimmern beginnt. . . . Und richtig! Der schwarze Punkt am Horizont ver- größert sich. ... Er nimmt Gestalt an — nnd Farbe — — Mit hochgeröteten Wangen legt Angela das Fernrohr fort und zieht ein Telegramm ans der Tasche. Während sie die wenigen Worte nochmals überfliegt, zuckt es wie Triumph über ihre Züge. „Ja, alles geht nach Wunsch. Onkel nnd Bräutigam kommen selbst, um mich zu holen. Arme kleine Angelina! Wenn du wüßtest, wie nahe dir dein Orlando ist!" Mit raschen Schritten eilt sie ins Wohnzimmer. Die Chaiselongue, auf der die Kranke so oft geruht, ist leer. Dafür sitzt am Fenster, tief hineingcdrückt in einen Fantenil, Frau Robinson im schwarzen Tranergewand. „Mutter?" „Ja. Angela." „Was machst du?" „Nichts. Mein Kopf ist ganz wüst. Ich kann kaum meine Gedanken sammeln." Angela zieht langsam einen Stuhl heran nnd setzt sich neben die Mutter. „Liebe Mutter!" „Ja. mein Kind!" „Hör' zu!" „Tu sagst immerfort: „Hör' zu! hör' zu! . . ." ES macht mich ganz nervös!" erwidert die kleine Dame mit weinerlicher Stimme. „Was hast du denn schon wieder?" „Das Schiff ist bereits in Sicht, welches mir Oberst Gardini — wollt' sagen Onkel Ernesto — znführt — Onkel Ernesto Gardini und meinen — Bräutigam!" Frau Robinson ist sehr bleich. Ihre Hände zittern. „Und du bringst es übers Herz, sie hier zu empfangen — hier, wo die arme Angelina —" „Pst. Mutter!" flüstert Angela, indem sie rasch Türen und Fenster schließt. „Vorsicht ist stets am Platze. . . . So! Jetzt können wir reden. Siehst du: kein Mensch weiß um unser Geheimnis. Niemand war bei Angelinas Ableben zugegen, außer uns beiden. Und als eine Stunde später der Arzt kam — ein fremder Arzt, Mutter, der Angelina nie vorher gesehen hatte — da stellte er den Totenschein ans ans den Namen, den wir ihm angaben. .. . Bist du ganz bei der Sache. Mutter?" „Ja, ja. Rede nur! Aber schnell!" entgegnet Frau Robinson gepreßt, während ihre Finger nervös mit dem ! Taschentuch spielen. Angela wartet noch rinige Augenblicke, um die Auf merksamkeit der Mutter völlig zu konzentrieren. Dann sagt sie langsam »nd mit Nachdruck: „Noch im Laufe dieser Woche erhältst du von mir sünfzigtansend Franken zu deiner freien Verfügung. Ich bin reich nnd werde es so einzurichten wissen, daß mir das Geld bis dahin zur Verfügung steht. Damit mutzt du zu frieden sein; denn später kann ich nichts mehr für dich tun. Unsere Wege scheiden sich von nun ab. Ich bin Angelina Morgano. nnd du bist Frau Robinson. Oberst Gardini ist mein Onkel und der schöne Orlando — mein Bräutigam. Beim Anspacken des Koffers der armen Angelina habe ich ihr Tagebuch gefunden. Es gibt mir Ausschluß über vieles . und erleichtert mein Spiel. . . . Ha, ein Geräusch!"