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Be-ug-gebühr Nr. 202 Sonntag, den 30. August 1908 .70 .55 ^Fernsprecher: ----- Dre-den Nr. 809. Erscheint jeden Wochentag nachmittag- 8 Uhr für den folgenden Lag. « Anzeigen-Ännahm« erfolgt bi- mittag- L Uhr. Inserate löst, die 6-geft>. Petttzeile 20 Pf., kleine Anzeigen 15Pf., die Reklamezeile 50 Pf. Für die Aufnahme an bestimmter Stelle wird keine Garantie übernommen. Annahmestellen: letzte Seite. Beilagen: «Illustriertes Unterhaltungsblatt" K «Nach Feierabend" * «Haus und Gartenwirtschaft" * «Fremden- und Kurliste". Druck und Verlag: Elbgau-Buchdruckerei und Verlag-anstalt Hermann Beyer L Co. vrerteliährlich monarlrch M. lHr M. -so liefert L22 . , -.74 - geliefert . . 2.— edition ... . „ I SO I Mchsischk IWIRs ttfskitlliiy«.»OllMMkjse Km 1 < k! Ftt ^ür äie stgl. IlmlrkauplmannrcdaNen vrerüenmmat» u. -Neurtadt, äas stgl. Amtsgericht vrerüe», jjjs die Kgl. Zuperintenäentur vreräen II, äie Kgl. ?or§1rentämter vresäen, Montrburg unck ir ale Semeinüenr Laudegarr, Lolkevitr, vobrttr. Aaedwttr, MeSerpovrttr» Horterwlir. Leadallr-Nea-rtta und Lorreba»ae. »Matisnr. Organ unä Lokal Unreiger lür Klasewitr. toschwitr, Kochwilr, (veisser Wrch. öühlau, äie cössnitrgemeinäen, Vreräen-Zttieren unä.Neugruna. Telegramm - Adresse Llbgau-refse Blasewitz. 70. Jahrg. RedaktiouSschluh r » Uhr Mittags. Oprechstuude der Nedakttou r 8-6 Uhr Nachmittag». Zuschriften in redaktionellen Angelegenheiten sind nicht an den sledakteur Persönlich, sondern ausschließlich an die Redaktion zu adressieren. Hemke EreiMt. Tas Kaiserpaar sowie der König von Sachsen sind n Straßburg cingetroffen. Für die bei dem Brande in Konstantinopel Geschä- >igten zeichnete der Kaiser 10 000 Mark. Der Kaiser beglückwünschte den Prinzregenten Luit pold von Bayern telegraphisch zu der hervorragenden Ber ufung der bayerischen Truppen bei der Kaiserparade. Fürst Bülow wird vom 17. bis 24. September wie- )er in Berlin weilen und dann nach Norderney zurück ehren. Staatssekretär Dernburg übernimmt Mitte Septem- )er seine Tienstgeschäfte wieder. An der Meldung über eine neue Militärvorlage ist ein wahres Wort. Ein Prozeß gegen Frau von Schönebeck (wegen Er mordung ihres Gatten) erfolgt nicht, da sie nach wie vor für irrsinnig gilt. In den Vereinigten Staaten haben Ueberschwem- mungen starke Verheerungen angerichtet. Ter Schaden be ziffert sich auf rund NL Mill. Doll. In Duisburg find mehrere Pockenerkrankungen vor glommen. Dem Reichskomitce für die Nationalspende an Zep- velin gehen noch täglich Hunderte von Postanweisungen zu. Wochenschau. Unter den Ser innern Politik gewidmeten Pretzerör- Immgen nimmt die Frage der Reichsfinanz ¬ reform einen mit der Annäherung an die parlamenta rische Saison immer breiter werdenden Raum ei*. Es ist dies bei der überragenden Bedeutung, die der Lösung die ses Problems für unser nationales Leben zukommt, ja auch durchaus verständlich. Leider aber läßt die Behand lung des Gegenstandes vielfach den zutreffenden Maßstab und das richtige Verständnis seiner Größe und Wichtig keit vermissen. Zwar muß anerkannt werden, daß die Notwendigkeit einer gründlichen und nachhaltigen Reform unserer Reichsfinanzen kaum noch irgendwo in Abrede ge stellt wird. Umso unerfreulicher aber wirkt die kleinliche Art, in der weite Kreise der Nation zu den etwaigen Mit teln und Wegen einer solchen Reform Stellung nehmen. Indern bald dieses, bald jenes Steuerprojekt als zu dem Reformplan der verbündeten Regierungen gehörig verkün det wird, sucht man zugleich in den davon betroffenen In teressentenkreisen eine möglichst lärmvolle Protestbeweg ung zu entfachen und hat damit auch leider nur zuviel Glück. Der wirtschaftliche Egoismus ergreift begierig den hingeworfenen Bissen und kämpft mit Feuereifer gegen das heraufbeschworene Schreckbild neuer Steuerbelastung an. Es ist dringend zu wünschen, daß dieses Treiben end lich aushören und einer würdigeren und groß zügigeren Behandlung der zurzeit bedeutungs vollsten Frage unseres nationalen Lebens Plalr machen möge. Eine weniger politisch, als vielmehr sozial und kul turell bemerkenswerte Bewegung muß bei einem Rück blick auf die vergangene Woche ins Auge gefaßt werden: der Vo i g t - R u in m c l. Dem Schuhmacher Wilhelm Voigt ist durch die Gnade des Kaisers der Rest seiner Strafe erlassen worden, die er wegen des bekannten Gau- nerstückchcns gegen das Rathaus von Köpenick, das ihm den Namen „Hauptmann von Köpenick" eingetragen hat, er halten hatte. Gewiß wird man dem Manne, der an der Schwelle des Greisenalters steht, diese Begnadigung gern gönnen, aber der geradezu unerhörte Unfug, der in gewissen Kreisen und in der Sensationspresse mit einem Manne, der wiederholt mit dem Strafgesetze in Kon- flikc gekommen ist, getrieben wird, ist im höchsten Grade widerwärtig und fordert die schärfste Kritik heraus. Man muß in der Tat glauben, unter Idioten und Irrenhäus lern zu leben, wenn man nüchternen Sinnes diesen Unfug betrachtet, der in der Bewunderung und Verherrlichung jenes Mannes getrieben wird, als sei ein siegreicher Held vom Kriegsschauplätze zurückgekehrt, und jeder gesund- empfindende Deutsche muß sich mit Entrüstung von der niedrigen Sensationslust abwenden, mir welcher der Ver such gemacht wird, den Schuhmacher Voigt zu einem Heros zu stempeln. Daß hierbei das nötige Publikum nicht ge fehlt hat, kann niemand wundernehmen, der weiß, wre der großstädtische Pöbel jederzeit bereit ist, bei einem öffent lichen Unfug die Rolle des mitwirkenden Ehors zn über nehmen. Es handelt sich da meist um Elemente, die er freulicherweise noch nicht berufen sind, die wahre Volks meinung zu vertreten, ja zur Ehre der Reichshauptstadt kann gesagt werden, daß auch ihre Bevölkerung nur iu sehr beschränktem Maße an dem widerwärtigen Treiben betei ligt gewesen ist. Gegen die Veranstalter des Unfugs aber muß der Vorwurf erhoben werden, daß sie in skruocl- loscster Weise alle Begriffe von Recht und Mo ral, auf deren Heilighaltnnq das Dasein jedes gesitteten Staatswesens beruht, mit Füßen getreten und da durch zu der Verwirrung jener Begriffe in gewissen Volks schichten beigetragen haben. Es muß nicht sowohl lächer lich, als auch widerwärtig berühren, wenn in den Schau fenstern Dresdner Postkarten- und Papierhandlungen die Bildnisse Zeppelins, den wir mit Recht seiern, mit den Ansichtskarten der Grete Beier und Wilhelm Voigts im trauten Verein ausliegen, als ob alle drei zusammenge- hörlen. Die Geschmacklosigkeit kann gar nicht krasser zur Schau gestellt werden! Unsere Diplomatie hat mit dem plötzlichen Tode des bisherigen Vertreters Deutschlands bei den Vereinigten Schuhe-MW. kin Erinnerungsblatt zu seinem 100. Geburislag (29. August 1908). Bon Friedrich Beyer. (Schluß.) Diese Abstreifung des Charakters als Produktivge- nossenschaft lag im Gedankengange Schulze-Delitzsch be gründet, der die letzteren mit Recht als den Schlußstein des Systems genossenschaftlicher Gründungen ansah, der das völlige Einlenken in den Großbetrieb unmittelbar be deutete und die Errichtung bedeutender fabrikmäßiger An lagen seitens der bis dahin unselbständigen Arbeiter zur Voraussetzung hatte. Wollte ihm aber an einer Hebung der arbeitenden Klaffen im allgemeinen, wie er sie sich vor gefaßt, liegen, so ließ sich diese weiter nur zunächst in der Richtung finden, daß er die Herbeiziehung fremder Mittel in Form von Warenkredit, wie dies in den Rohstoffver einen geschah, ausdehnte auf die Form von baren An lehnen, mit anderen Worten also auf die Dienstbar- inachung fremden Kapitals. Er empfand, daß man gerade da, wo man den Geldmarkt betritt, auf dem allerrealsten Boden der Wirklichkeit steht, wo alle Einbil dungen aufhören und die kalte Berechnung allein entschei det. Er erwog, daß dem unbemittelten Arbeiter im ge wöhnlichen Leben der Kredit sich ganz entzieht. Die Ar beitskraft besitzt zwar einen ökonomischen Wert, aber sie ist zu vielen Zufälligkeiten ausgesetzt und gilt daher nicht als Sicherheit für die Kapitalanlage. Wer garantiert den: Gläubiger dafür, daß nicht Krankheits- und Unglücksfälle, Arbeitslosigkeit usw. dazwischentreten? Vom geschäftlichen Standpunkte also geht niemand dem Arbeiter gegenüber eine Kreditbewilligung ein.5) Diesen rein geschäftlichen Standpunkt betont Schulze-Delitzsch mit um so größerem Recht, als die früher bestandenen Darlehns- und Hülfs- äflen in der Regel nur Almosen - Institute wa ren, die mit einem aus Geschenken und den unzinsbar dar- geliehenen Kapitalien und Vorschüssen einzelner wohltäti- ») Schulze-Delitzsch: Capitel zu einem deutschen Arbeiterlatechik. Leipzig 1863. ger Personen gebildeten Fonds hier und da kleine Vor schüsse an unbemittelte Gewerbetreibende gewährten uns wegen des Charakters der Mildtätigkeit und Unterstützung nur von schlechten Rückzahlcrn in Anspruch genommen, aus Scheu vor Almosen von guten Rückzahlern gemieden wurden.6) Dieses ungesunde Verhältnis erhält durch die Volksbanke n.(Vorschuß-, Kredit-, Darlehns-Vereine) auf genossenschaftlicher Grundlage sofort ein anveres Ge sicht. Der am Einzelnen gerügte Mangel der Krcdit-Un- würdigkeit wird durch die Haftung der Gesamtheit der Ver einsmitglieder behoben, da die Zufälligkeiten der Zah lungsunfähigkeit der Einzelnen schwinden. In diesen Er wägungen liegen die Grundzüge, mit denen Schulze-De litzsch die erste genossenschaftliche Volksbank, ebenfalls im Jahre 1840, in Delitzsch ins Leben rief. Hinzu trat neben der wichtigen Aufgabe, den unbemit,teltenArbeitern fremde Kapitalien zur Verfügung zu stellen, die weitere nicht we niger wichtige: die Bildung eigenen Kapitals bei ihnen auf alle Weise zu fördern. Das geschah durch die Verpflichtung der Mitglieder, mit kleinen monatlichen Bei steuern (von zweieinhalb bis zehn Silbergroschen nach dem damaligen Münzfuß) sich einen Geschäftsanteil, ein Gut haben zu erwerben, nach dessen Höhe die Dividende zur Verteilung gelangte, oder das ihnen, solange es eine be stimmte Höhe nicht erreichte, gutgeschrieben wurde. Für die Tatsache, wie schnell sich dieser plausible Gedanke der Volksbanken, ohne den man sich das wirtschaftliche Leben und Gedeihen vieler Kreise in der Jetztzeit gar nicht mehr denken kann, Bahn brach, zeugt, daß schon 1851 an die Gründung einer zweiten Volklbank in Eilenburg gedacht wurde. Dann, nachdem die Erfolge sich häuften, schritten allenhalben weitere Gründungen rapide vorwärts, zunächst in Halle, Bitterfeld, dann besonders im Königreich Sachsen. Zwanzig Jahre nach der ersten Gründung zählte man in Deutschland schon 267 Rohstoff- und über 600 Borschuß-Vereine. Während ihm die Praxis so durch ein ungeahntes «) Politisches Handbuch 2. Band. Aufblühen des gewerblichen Lebens Recht gab, blieben Schulze-Delitzsch Anfeindungen nicht erspart. Namentlich von sozialistischer Seite, und besonders von Lasallc, wurde ihm stark zugesetzt, ohne allerdings den weiteren Auf schwung seiner Unternehmungen zu hemmen. Lasalle machte ihm zum Vorwurf, er wolle „nur Rohstoff-, Kon sum-, Kredit- und dergleichen Vereine, und nicht Associatio nen zu gemeinsamer Produktion". Und nur die letzteren erkennt er als zum Ziele führend an, weil sie allein den Großbetrieb ermöglichten, zu welchem Sie neuere Industrie hindränge, während die ersteren „das ohnehin lebensfähige Handwerk kümmerlich fristeten". Lasalle's Produktivge nossenschaften sollten in i t staatlicher Unterstütz - ung gegründet werden, die Uebermacht der Kapitalisten brechen und zugleich zum vollen Sozialismus überleiten.7) Schulze-Delitzsch, der in der Genossenschaftsbewcgung wohl eine wirtschaftliche und soziale, aber keine sozialpolitische Seite erblickte, führte diese Einwände schlagend ad absur dum mit dem einfachen Hinweis darauf, daß von den 1848 und 49 in Deutschland gegründeten Produktivgenos senschaften — besonders der Schneider — fast keine mehr bestehe, sowie darauf, daß der unter den bekannten Ein wirkungen der Februarrevolution von 1848 unternom mene Versuch, den Associationen in Frankreich mit 3 Mill. Francs unter die Arme zu greifen, als gescheitert ange sehen werden müsse, da von den 56 Associationen (1863) nur noch 10 beständen. Beide, die Rohstoff-, wie die Vorschuß-Vereine, stan den zunächst nach dem Gesetz vom 4. Juli 1868 unter dem Prinzip der unbeschränkten solidarischen Haftbarkeit der Mitglieder. In der Folge vervielfältigten sich die Zwecke der Genossenschaft, insbesondere durch die Gründung von Konsum-Vereinen. Auch die Landwirtschaft trat in das sundung der wirtschaftlichen Verhältnisse, chervorgerufen durch das genossenschaftliche Prinzip, wurde auch die Ge- Genossenschaftswesen ein (Raiffeisen). Angesichts der Ge- setzgebung zu freieren Bestimmungen gedrängt. So läßt *) Victor r-threiu: Der Socialismus Freiburg i. «. 1892. 5 «ufl. p 11 ff.