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alles gesehen, was er enthielt, als ich ihn öffnete. Sie war nunmehr überzeugt, daß sich das Zigarrenetui, in dem ich, wie sie wußte, die Diamanten verwahrte, in der Umhänge, lasche befand, die ich trug, und plante vermutlich von da ab, wie sie ihrer habhaft werden könne. In sichtbarer Aufregung vergaß sie die Rolle der vor nehmen Dame weiter zu spielen, gab ihre liebenswürdige Herablassung auf, brach ihrerseits die Unterhaltung ab und beantwortete meine gelegentlichen Aeußerungen nur aufs Geratewohl und in gereiztem Tone. Ohne Zweifel war sie ganz in ihren Plan vertieft. Wir näherten uns schon dem Ende unserer Fahrt und die Schnelligkeit des Eilzuges ließ ihr nur noch wenig Zeit zum Handeln übrig. Trotzdem ich keinen Argwohn hatte, konnte ich doch nicht umhin, zu bemerken, daß es mit ihr nicht ganz geheuer war. Ich glaube wirklich, sie würde mir, noch che wir Marseille erreichten, ein Messer in die Brust gestoßen und mich auf die Schienen geworfen haben, hätte ich ihr nicht in meiner Dummheit selbst die Gelegenheit geboten, auf die sie lauerte. Ta ich glaubte, die lange Reise habe sie ermüdet, äußerte ich, daß die Fahrt recht anstrengend sei, und fragte, ob ich ihr nicht einen Schluck Kognak anbicten dürfe. Erst schüttelte sie den Kopf, aber plötzlich besann sie sich und sagte mit leuchtenden Augen: Ja, bitte, wenn Sie so freundlich sein wollen! Ter Kognak war in meiner Umhängetasche, die ich nach vorn zog und mit dem Daumen auf die Feder drückte. Es ist nur zu viel Mühe, sie jedemal zu verschließen, weil ich mein Billett und den Fahrplan darin habe und sie häufig öffnen muß. Daß ich die Tasche am Riemen trug, hatte sich bis jetzt als genügender Schutz bewährt. Ich kann mir vor stellen, welche Befriedigung und zugleich welche Qual die Frau empfunden haben mag, als sie sah, daß sich die Tasche ohne Schlüssel öffnen ließ. So lange wir über das Gebirge fuhren, hatte ich mei nen Ueberzieher angehabt, weil mich fröstelte; aber nachdem die Lampen angesteckt waren, wurde es heiß und dumpfig im Coupck Ich stand auf, hob den Riemen über den Kopf, legte die Tasche neben mich auf den Sitz und zog den Ueber zieher aus. Daß dies leichtsinnig von mir war, kann ich nicht finden, da ich nur die Hand nach der Tasche auszu strecken brauchte: auch wäre nichts geschehen, wenn nicht der Zug im selben Augenblicke in Arles ungehalten hätte. Daß wir gerade auf der Station ankamen, als ich die Tasche abgenommen hatte, verschaffte der Prinzessin Zichy die Mög lichkeit. den geplanten Diebstahl auszuführen. Es versteht sich von selbst, daß sie die Gelegenheit ge schickt benutzte. Ter Zug, der in rasendem Laufe im Bahn hofe einfuhr, hielt mit einem plötzlichen Ruck. Ich hatte so eben den Ueberzieher ins Netz geworfen und die Hand nach der Tasche ansgestreckt, im nächsten Moment würde ich sie umgehängt haben. Aber da riß die Prinzessin auf einmal die Wagentür auf, rief hinaus und winkte mit beiden Hän den. Natalie, schrie sie, Natalie, hier bin ich. Komme her, so komm doch! In höchster Aufregung wandte sic sich zu mir. „Es ist meine Jungfer, die mich sucht," rief sie. „Eben ist sie am Wagen vorbeigegangcn, ohne mich zu sehen. O lütte, eilen Sie ihr nach, bringen Sie sie her!" Tie Prin zessin deutete noch immer auf den Bahnsteig und winkte mir mit der anderen Hand. Das muß ich sagen, die Frau ver steht es, sich Gehorsam zu erzwingen, wenn sie Befehle er teilt; es liegt etwas im Ton ihrer Stimme, das keinen Auf schub duldet. So sprang ich denn hinaus, um ihr den Willen zu tun und kam gleich wieder zurückgeslürzt mit der Frage, wie die Jungfer aussähe. Ganz schwarz gekleidet, rief sie, die Conpchür verstel lend. Sie hat einen Tamenhut auf." In den drei Minuten, während der Zug in Arles hielt, bin ich wobl mehr als zwanzig Frauenzimmern nachgelaufen mit der Frage: Sind Sie Natalie?" Vermutlich hielten sie mich für übergeschnappt, sonst wären sie mir wohl mit den Schirmen zu Leibe gegangen oder hätten mich von der Po lizei festnehmen lassen. Als ich wieder in den Wagen sprang, saß die Prinzessin an ihrem alten Platze, aber ihre Augen strahlten vor Freude. Sie legte die Hand fast zärtlich auf meinen Arm und sagte in lebhafter Erregung: Sie sind wirklich sehr gütig. Es tut mir leid, daß ich Sie unnütz bemüht habe. Ich versicherte, daß sämtliche Frauen auf dem Bahn- steige schwarz gekleidet gewesen seien; darüber lachte sie hell auf und fuhr fort zu lachen, bis ihr Atem plötzlich so schnell ging, daß ich glaubte, sie wäre einer Ohnmacht nahe. Die letzte halbe Stunde der Fahrt muß wahrhaft schreck lich für sie gewesen sein. Das Zigarrenetui hatte sie zwar in Sicherheit gebracht, aber sie selbst war in großer Gefahr. Wenn ich die Tasche im letzten Moment noch öffnete und das Etui vermißte, so mußte ich sicher sein, daß sie es ge- stöhlen hatte. Gerade in dem Augenblicke, als sie einstieg, hatte ich die Diamanten in die Ledertasche gesteckt und außer uns beiden war seitdem kein Mensch in dem Coup6 ge wesen. Entweder war sic bei unserer Ankunft in Marseille um zwanzigtausend Pfund reicher als bei der Abfahrt von Paris, oder sie wanderte ins Gefängnis. Dieser Lage der Dinge mußte sie sich vollkommen bewußt sein und ihr See lenzustand während der letzten halben Stunde kann wirklich nicht beneidenswert genannt werden. Es war die reine Hölle. — Ich sah, daß etwas mit ihr los sein müßte und dachte sogar in meiner Unschuld, ob nicht der Kognak zu stark ge wesen wäre. Denn plötzlich begann sie die lebhafteste Unter haltung zu führen, sie bewunderte alles, was ich sagte, lachte und überschüttete mich mit Fragen, so daß ich keine Zeit be hielt. an etwas anderes zu denken. Sobald ich mich rührre, stockte ihr Redefluß, dann beugte sie sich vor und beobachtete mich, wie die Katze ein Mauseloch. Ich begriff nicht, wie ich ihre Gesellschaft hatte angenehm finden können. Mit einer Irrsinnigen eingeschlossen zu sein, wäre mir lieber gewesen. Zum Glück machte ich keinen Versuch, die Ledertasche zu öff nen; ich mag gar nicht daran denken, was sie sonst getan hätte. Ta ich mir aber den Riemen wieder fest umgeschnallt hatte und den Inhalt nicht untersuchte, kam ich heil und lebendig nach Marseille. Als wir in den Bahnhof einfuh- ren, schüttelte sie mir noch die Hand und sagte, mich katzen artig anlächelnd: Sie glauben gar nicht, für wie viel ich Ihnen zu danken habe! Das heißt doch die Frechheit weit getrieben. Ich wollte ihr noch einen Wagen besorgen, aber sie sagte, sie müsse sich nach Natalie umsehen und hoffe, mich im Hotel wieder zu begrüßerr. So fuhr ich denn allein ab, neu gierig, wer sie Wohl sein möchte, und ob nicht vielleicht Na- > talie ihre Wärterin wäre. Ter Zug nach Nizza ging erst in einigen Stunden ab, und da ich mir die Stadt ansehen wollte, hielt ich es für das beste, die Diamanten unterdessen im Kassenschranke des Hotels in Verwahrung zu geben. Auf meinem Zimmer an gekommen, verschloß ich die Tür, legte das Ledertäschchen aut den Tisch und öffnete es. Zuerst fühlte ich nur oberflächlich nach dem Zigarrenetui; dann steckte ich die Hand tiefer hin ein und kramte in den Sachen herum, ohne das Gesuchte zu finden. Es lief mir kalt den Rücken hinunter, ich empfand j eine gewisse Leere in der Magengrube, dann stieg mir alles ' Blut zu Kopfe und ich war wie in Schweiß gebadet. Sei ! doch kein Tor, sagte ich zu mir, meine Lippen mit der Zunge i befeuchtend, nimm dich zusammen, hole die Dinge eins nach ! dem anderen heraus. Natürlich ist es da, es muß ja da sein! > Nimm dich zusammen und sei kein Tummkopf! So versuchte ich mich zur Ruhe zu zwingen und begann ! sorgfältig Stück für Stück herauszunehmen, aber bald cr- : trug ich das nicht länger und leerte den ganzen Inhalt auf > das Bett aus. Doch die Diamanten waren nicht darunter. ! Nun wüblte ick in den Sachen, riß die Hüllen ab, warf sic j durcheinander und ordnete sie von neuem, aber es nutzte ! alles nichts — das Zigarrenetui war fort. Ich packte auch ; den Handkoffer aus und streute meine Habseligkeiten auf dem Boden umher, obgleich es ganz vergebens war^ da zu