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G W Feierabend ^^ G G U Unterhaltungs-Beilage der Sächsischen Volkszeitung Nr. 16 Sonntag den 17, April I9>0 3. Sonntag nach Oster». Evangelium: Noch eine kleine Weile. Johannes 16, 16—22. Tie Zeit eilt und mit ihr das Leben und mit dem Leben eilen wir der Entscheidung entgegen, der großen Entschei dung am Throne Gottes. Kurz ist die Zeit der Aussaat, ewig die Zeit der Ernte und diese ewige Ernte wird dadurch bedingt, wie wir die kurze Zeit der Aussaat nützen. Können wir das Leben ernster, würdiger, gewissenhafter auffassen als in diesem Hinblicke? Gewiß nicht — und so lange wird diese Auffassung ihren heilvollen Einfluß bewähren, als des Erlösers Wort uns gegenwärtig ist. Nur eine kleine Weile, so werdet ihr mich nicht mehr sehen und wieder eine kleine Weile, so werdet ihr mich wieder sehen, denn ich gehe zum Vater. Dieses Wort ist eine Mahnung für die Vereitelten und wie groß ist ihre Zahl, zumal in diesen Tagen. Sie folgen nicht klaren Vorstellungen, sondern dunklen Gefüh len. Sie handeln nicht nach überlegter Wahl, sondern aus sinnlichem Drange. Sie ordnen ihre Tätigkeit nicht nach höheren Gesetzen, sondern Bedürfnis und Gewohnheit. Leidenschaft und Beispiel entscheiden bei ihnen. So ist es dann immer und überall nicht auf ein würdiges, höheres, überirdisches Ziel abgesehen, sondern lediglich auf das, was ihre irdische Neigung fordert, bei der sie dahin gehen, wo hin die Sinnlichkeit sie zieht, und wobei sie an eitle Außen dinge sich verlieren. Ter eine will Ehren und Ansehen, sie sind sein Höchstes, er weiht diesem dürftigen Schatten bilde die Kräfte seines Lebens. Ter andere sucht Geld und Güter und müht sich darum ab und sorgt und sammelt und ringt, als gälte cs, damit den Himmel zu erkaufen. Wieder cin anderer hascht nach Vergnügen und sinnlichem Behagen und tändelt und schwärmt und schwelgt, als sei der Geist des Körpers Sklave nud nur da, dessen Genüssen zu dienen. Noch ein anderer findet seine Freude und seinen Stolz in des Körpers Schönheit und in dem. tvas diese hcrvorhebt und geltend macht, um die Flitter der Eitelkeit dreht sich sein Denken und Trachten. Bei solchem Wesen kann denn nun freilich das Leben sich nicht adeln und erheben und des Geistes Freiheit sich nicht entwickeln, es werden Leiden schaften genährt, nicht bezähmt, Fesseln getragen, nicht ge löst, des Menschen Balm führt in die Tiefe, nicht in die Höbe, wo, nach des Apostels Wort in der Heiligung des Geistes die Seligkeit sich entwickelt, s ü r d i e u n s G o t t e r s ch a f f e n u n d b e r u f e u h a t. Was mahnt uns, in diesem eitlen sinnlichen Streben anzu halten und mit Ernst zu bedenken, daß wir auf diesen! Wege nicht zum Ziele gelaugen? Des Heilandes Wort: Nur eine kleine Weile und die Ehren der Welt sind dahin und die Besitztümer der Erde haben keinen Wert mehr und die Freudenlaute des sinnlichen Lebens verstummen und die Schönheit des Körpers welkt und aller Erdentand, um den wir uns so sehr gemüht, erscheint uns ebenso kleinlich und armselig, als er uns wichtig und wertvoll war. Und wieder eine kleine Weile und wir sind da, wo nur eine Ehrenkrone gilt, die Ehrenkrone, die Wahrheit und Tugend flechten, da, wo nur e i n Besitztum bleibt, das Besitztum eines reinen Herzens und eines kind lich frommen Gemütes; da, wo nur eine Freude Bestand , hat, die Freude ans dem heiligen Geiste, da, wo nur eine i Schönheit in ihrem Strahlenglanze leuchtet, die Gottselig- ! keit, welche die Verheißung hat dieses und des ewigen Lebens. Wie anders wird uns dann ! unser Erdendascin erscheinen, mit welchen Gefühlen werden ! wir dann zurückblicken auf die Spielwerke unserer Eitel keit, wenn im Lichte der Verklärung das Leben in seiner Würde und Bedeutsamkeit vor uns stehen wird. Dorthin versetzt euch im Geiste, ihr Vereitelten, und will die Welt mit ihrem Wesen euch irre machen, dann sagt euch: Nur noch eine kleine Weile und die Welt vergeht mit ihrer Lust, die aber den Willen Gottes tun, bleiben in Ewigkeit. Die Indenbuche. Ein Sittengcmälde aus dem gebirgigten Westfalen von Annette Fretin von Droste-Hülshoff. Nachdruck verboten. wo ist die siand so zart, daß ohne Irren Sie sondern mag beschränkten lsirnes wirren. So fest, daß ohne Zittern sie den Stein Wag schleudern auf ein arm verkümmert Sein? wer wagt es, eitlen Blutes Drang zu messen, Zu wägen jedes Wort, das unvergessen In junge Brust die zähen wurzeln trieb, Des Vorurteils geheimen Seclendieb? Du Glücklicher, geboren und gehegt Im lichten Raum, von frommer ksand gepflegt. Leg' hin die wagschal', — nimmer dir erlaubt! Laß ruhn den Stein — er trifft dein eignes ksaupt! — Friedrich Mergel, geboren 1738, war der Sohn eines sogenannten Halbmeiers oder Grundeigentümers geringer Klasse im Torfe B., das, so schlecht gebaut und rauchig es sein mag, doch das Auge jedes Reisenden fesselt durch die überaus malerische Schönheit seiner Lage in der grünen Waldschlucht eines bedeutenden und geschichtlich merk würdigen Gebirges. Das Ländchen, dem es angehörte, war damals einer jener abgeschlossenen Erdwinkel ohne Fabriken und Handel, ohne Heerstraßen, wo noch ein fremdes Gesicht Aufsehen erregte, und eine Reise von dreißig Meilen selbst den Vornehmeren zum Ulysses seiner Gegend machte — kurz, ein Fleck, wie es deren sonst so viele in Deutschland gab, mit all den Mängeln und Tugenden, all der Originalität und Beschränktheit, wie sie nur in solchen Zuständen gedeihen. Unter höwck einfachen und häufig unzulänglichen Ge setzen waren die Begriffe der Einwohner von Recht und Unrecht einigermaßen in Verwirrung geraten, oder viel mehr es hatte sich neben dem gesetzlichen ein zweites Recht gebildet, ein Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohn heit und der durch Vernachlässigung entstandenen Ver jährung. Tie Gutsbesitzer, denen die niedrige Gerichts barkeit znstand, straften und belohnten nach ihrer, in den meisten Fällen redlichen Einsicht; der Untergebene tat, was ihm ausführbar und mit einem etwas weiteren Gewissen verträglich schien, und nur dem Verlierenden siel es zu- weilen ein, in alten staubigten Urkunden nachzuschlagen. — Es ist schwer, jene Zeit unparteiisch ins Auge zu fassen; sie ist seit ihrem Verschwinden entweder hochmütig getadelt oder albern gelobt worden, da den, der sie erlebte, zu viel