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! AM- § «KV NN» Telegramm - «dnfse: Lw-aupreff« BlalelMH. 6S. Jahrq. Str. 121 Dienstag, den 28. Mai 1SV7. -----Fernsprecher:----^ U»1 Dresden Nr. LOS. LA , —.74 2 — . -.70 DochkÜMgElb-Mpressk 71 m 151) 1211 iür äie Kgl. -tmlrdanplmannrcdaslen vrerae» u. kenrtiu», äa§ Kgl. n»tt-ertcdt Veerse». Mr äie Kgl. Zupenntenäenlur vresäen II, äie Kgl. lorstrentämler lyesäen, Moiilrbufg «e ltr «It «»»eliOti! Lee»«,«,. ri»«W»«. Vs-Mr, Meeewrn«. k»r«nolNl. em>»«. r»eA>«r-»e«rtt« »Nil e,riki«lls»t-vs«l» uns Im KI«««iir, l«»«iir. «»»Vitt, (vrirrrr kitt», Sükku, dir cö55nilrgemrin<len. 0-tt<Irn.8intt<n UN-I Nkugrun». Beilagen: »Jllnfkrierte« Unterhalt»»,«-lait^ 4- .Nach Aeier»de»d- * „H»»e- »»d Gaetr»»irtschafe- » ,F»e»»»«r-Si-e". Druck und «erlag: «Ibgau-Bvckidruckeret und verlop«anpolt Hermonn Beyer L Lo., Bl-sewitz; veravi».: »ilh v. «utilar, «lase»itz Nev«rtw«»schkch, » Uhr «W»K». S»rechft»»de der Redaktion: S S Uhr Nachmitt««». Ranße SkttzMe. Im Prozeß Pöplau lehnte der Reichskanzler sein Er scheinen alU Zeuge ab, da nicht angegeben sei, worüber er aussagen solle. Der Reichstagsabgeordnete Erzberger wurde unbeeidigt vernommen. Die neu ernannten Gouverneure und verschiedene an dere Beamte des Kolonjalamts werden heute vom Kaiser in Potsdam empfangen. Der Streik der Hamburger Seeleute Hal nun auch auf Bremen und Bremerhaven übergegriffen. In vielen Orten Persiens sind Aufstände und Kund gebungen gegen den Schah ins Werk gesetzt worden, weil das Parlament erklärte, es halte ihn für den Anstifter ver schiedener Unruhen. Pßichte« der Grossstädte Auf einem sozialen Kongreß zu Straßburg i. E. äußerte sich der bekannte Sozialpolitiker Professor Adolf Wagner recht abfällig über die Stadt Berlin, die er als so zial rückständig bezeichnete. Was von Berlin gesagt wurde, mag für manche andere große Stadt mehr oder minder ebenfalls zutreffen. Mit viel Geist und mit viel Sachkunde ist in Straß burg gesprochen worden. Wer die Verhandlungen mit Aufmerksamkeit verfolgt hat, der hat sich über manches be lehren können. Die wertvollste Frucht der Belehrung war vielleicht die Erkenntnis, daß auch das soziale Gebiet keine Ausnahme bildet von der allgemeinen Regel des allgemei nen Wandels. Hier so wenig wie auf irgend einem ande ren wissenschaftlichen Felde gibt es — einstweilen — eine absolute Wahrheit. Was gestern dafür galt, hat einen früher für Wahrheit gehaltenen Irrtum verdrängt, und Sinst, Wissenschaft rmd Musik Eine neue Isolde. „Tristan und Isolde" erbringt den klaren Beweis für die oft bemerkte und doch so seltsame Tatsache, daß dem schaffenden Künstler häufig sein Werk unter den Händen lvächst und in Wahrheit etwas ganz anderes wird als er beabsichtigt hat. Wenn irgend ein Künstler über seine Ziele und Absichten sich im Klaren gewesen ist, so war es Richard Wagner, und doch hat er gerade bei „Tristan und Isolde" erfahren müssen, daß der frei schaffende Genius des großen Künstlers sogar von dessen eignem Willen unabhängig wirkt. Wir wissen aus Wagners Schriften, daß der Mei ster, da er an der Möglichkeit einer würdigen Aufführung seines „Ring des Nibelungen" verzweifelte, den Theatern mit „Tristan und Isolde" ein leichter auszuführendes Werk bieten wollte. Aber wir wissen aus den Briefen an Ma thilde Wesendonck seit kurzer Zeit auch, daß Wagner dieses Werk unter den heftigsten Stürmen jener selig-unseligen Liebe zu Mathilde schuf, daß er in diesem Musikdrama fein Verhältnis zu ihr mit aller Kraft wahrer Künstlerschaft verklärte, sodaß „Tristan und Isolde" einerseits eine innere Befreiung für den Künstler bedeutete, andererseits aber im wahrsten Sinne des Wortes in jeder Note mit seinem Herz blut geschrieben ist. So wuchs denn dieses Werk, das der Tondichter als ein leicht aufführbares Stück und gleichsam als ein Intermezzo zwischen seinen großen Arbeiten be trachtet wissen wollte, ihm selbst unbewußt zu einer Riesen- fchöpfung empor, zu dem Hohenlied der leidvoll-süßen Liebe, zu einem persönlichen Bekenntnis von wunderreich ster Schönheit, zu einem Musikdrama, in welchem die Künst lerseele ihre tiefsten Tiefen enthüllt und eine Tonsprache findet, die unerreicht an Innigkeit, Feinheit, Zartheit und Kraft dasteht und für alle Zeiten als rügendes Denkmal derjenigen Musik gelten wird, welche die'feinsten Schwin gungen der Menschenseele, die geheimsten Regungen des Herzens in Tönen zu künden weiß. Dieses Werk ist gerade- die Wahrheit von gestern ist uns heute Irrtum. Nichts berechtigt uns zu der Annahme, daß das Erkenntnisvermö gen des heutigen Geschlechts das aller früheren soweit über rage, daß wir sicher sein dürften, nunmehr den Stein der Weisen gefunden zu haben. Wir haben ihn nicht gefun den, wir irren ebenso, wie es die getan haben, die vor uns gewesen sind. Die Wahrheit, die" absolute Wahrheit ist uns verschlossen. — Das klingt pessimistisch; denn man kann daraus heraushören, dgß wir zu ewigem Irren ver urteilt wären. Doch das hieße, die Dinge durch eine trübe Brille sehen. Wir sind nicht zu ewigen Irren verurteilt, sondern wir sind mit ewigem Suchen und Streben nach Wahrheit begnadet. Wir forschen nach dem letzten Grund der Dinge, und unserem Mühen bieten sich immer neue Schätze an Einsicht als Lohn., Daß jeder nächste Einsichts schatz als der schönste erscheint, ist gewiß nicht dazu angetan, uns mit Betrübnis zu erfüllen. Wir gewinnen daraus im Gegenteil immer frische Kraft, die wir im Dienste der Menschheit und ihres Fortschritts nützen. Wir leben in ücr Endlichkeit; und w^nn wir auch die Ewigkeit immer vor Augen haben sollten, so ist es doch unsere Pflicht, uns der Endlichkeit für uns und unsere Mitmenschen sorgend zu widmen. In Straßburg hat man das in geistvoller und groß zügiger Weise getan. Ein Gegenstand, der freilich fast nur gestreift wurde, ist ganz besonders angeran, anregend und fruchtbringend zu wirken. Man spricht von den Pflichten der Großstädte. Nun ist freilich der Kommunal-Sozialis- mus, eine Ergänzung des Staatssozialismus, kein neuer Gedanke. Seine Anfänge reichen weit zurück. Im Grunde ist schon jede städtische Wasserleitung eine kommunal-so ziale Einrichtung. Alle hygienischen städtischen Vorrich tungen sind es. Aber selbst die kommunal-sozialen Ein richtungen im engeren Sinne haben bereits eine beträcht liche Vergangenheit. Nur der Einwand könnte erhoben werden, daß ihnen nicht der bewußte Wille der Fürsorge für die „Enterbten", der Schaffung eines „Patrimoniums der Enterbten", wie vor Jahren Herr Professor Adolf Wagner sich ausdrückte, zum Ausgangspunkt diente. Die Städte folgten im wesentlichen dem Beispiel des Staates, an den Staatssozialismus schloß sich der Stadtsozialis mus an, an die Verstaatlichung knüpfte sich die Verstadt lichung mancher Betriebe. Jetzt aber faßt man weiteres ins Auge. Für das Beleuchtungs- und Verkehrswesen sind sehr viele Städte die größten Auftraggeber und meist auch die größten Unternehmer und Arbeitgeber geworden. Als solche sind sie für. ihre Betriebe ohne Konkurrenz, haben sie eine Monopolstellung, und dadurch sind sie den Rück sichten entrückt, die wirtschaftlich zwingende Kraft haben für jeden privaten Unternehmer. Sie können die Löhne mit einer gewissen Selbständigkeit festsetzen, können die sonstigen Arbeitsbedingungen mit größerer Freiheit be stimmen, die Arbeitszeit, die Lohnstaffel, die Ferienge währung. Es ist durchaus nicht leicht, hier das richtige Maß zu finden. Wie mannigfaltig das Aufgabengebiet ist, mag man daraus erkennen, daß eine Stadt die Löhne für ihre Arbeiter nicht nach der durchschnittlichen Arbeitsleist ung allein, sondern zugleich danach bemißt, ob der Arbeiter verheiratet ist, wieviel Kinder er hat und wie lange er be reits im Dienste der Stadt steht. Der Ausblick auf diese sozialen Aufgaben, die zur Zeit ebensoviel soziale Rätsel sind, hat in manchen Städten, vor allem in der Weltstadt Berlin, die Stadtverwaltung zurückgeschreckt. In Berlin wollen die Leiter der Stadt vom Kommunalsozialismus recht wenig wissen. Sie haben nur sehr wenige von den Betrieben, die anderwärts bereits in den städtischen Aus gaben- und Verwaltungskreis einbezogen sind, in ihre Re gie übernommen. Es bleibt nach wie vor möglichst viel dem privaten Unternehmertum überlassen, mit dem die Stadt Kontrakte schließt, ohne dabei auf die Arbeitsbeding ungen irgend welchen Einfluß sich vorzubehalten. Prof. Adolf Wagner hat deshalb die Stadt Berlin die sozial rück ständigste Stadt genannt. Der Vorwurf mag übertrieben sein — ganz ungerechtfertigt ist er sicher nicht. Schon des halb nicht, weil die Stadt Berlin als eine der reichsten Städte, und als die größte Stadt des Reichs die Pflicht hätte, bahnbrechend voranzugehen, ein nachahmenswürdi ges Beispiel zu geben, sogar hier und da ein Experiment zu machen, das beweisende Kraft nur dann hat, wenn es in großem Stile ausgeführt wird. Das hat Berlin jedenfalls nicht getan, und das wäre seine Schuldigkeit gewesen, eine Schuld der Dankbarkeit nicht bloß, sondern recht eigentlich zu ein Stück Kultur geworden: mit ihm sich auseinander setzen muß jeder Gebildete, und in seine unermeßliche Schönheit findet nur derjenige den Weg, der dies „trau rige Stück" selbst erlebt. Darin liegt aber gerade die große Schwierigkeit, welche sich den Darstellern der beiden Hauptpartieen bietet: nur die restlose Hingabe der ausführenden Künstler an ihre Aufgabe kann hier zum Ziele führen. Jede Pose, alles Theatermäßige wirkt in diesem Falle abstoßend und stim mungtötend, mit bloßem Stimmenaufwand und Bühnen routine ist es hier nicht getan, sondern nur wahre Größe der Empfindung, völlige Vertiefung in die künstlerische Aufgabe vermag allein den Anforderungen dieses Werkes gerecht zu werden. Dazu kommt noch, daß die beiden Haupt rollen von der stimmlichen Kraft und Ausdauer ihrer Ver treter so ziemlich das Höchste verlangen, was denkbar ist. Wir haben in Frau Wittich eine ständige Isolde, über deren außergewöhnliche stimmliche Eignung kein Zwei fel bestehen kann, wenn schon das innere Erleben gerade dieser Rolle nicht ihre Sache ist.^Aber man weiß, daß Frau Wittich auswärts mehr singt als in Dresden, daß sie hier oft monatelang auf dem Zettel fehlt und daß sie, wenn ihr Auftreten wirklich einmal wieder angekündiqt ist, häufig wieder absagt. Diese Umstände machen das Engagement einer neuen Kraft, welche neben Frau Wittich die Brünn- Hilden und die Isolde zu singen vermag, zu einer nicht mehr zu umgehenden Notwendigkeit, und als Bewerberin um diesen Posten stellte sich am Sonnabend als Isolde Fräulein Zoder vom Stadttheater in Zürich vor. Der Erfolg war im Ganzen hocherfreulich, denn die Gästin wußte vorn Anfang bis zum Schlüsse als selbständige Per sönlichkeit von eigner künstlerischer Auffassung die Auf merksamkeit der Hörer zu fesseln. Die Stimme des Frl. Zoder ist in der Tiefe ausgiebig und in der Höhe von echter Heroinenkraft, nur die Mittellage steht wesentlich zurück. Hier klingt der Ton resonanzlos und flach, weil er noch nicht vorgebracht wird, sondern hinten in der Kehle stecken bleibt. Dieses auffällige Zurücktreten der Mittellage wirkte zunächst befremdend; übrigens ist es möglicherweise zum Teil auf eine Indisposition der Sängerin zurückzu führen, welche im Verlaufe des Abends Töne von hoher Kraft und Schönheit fand und den schweren, etwas spröden Charakter ihres Organs besonders im zweiten Akte höchst glücklich besiegte. Jedenfalls klingt Leben und Seele in dieser Stimme. Drrstellerisch war die Leistung des Frl. Zoder hochbedeutend. Schon die wunderbar deutliche Tertaussprache, die sogar in dem leidenschaftlichen ersten Akte fast jedes Wort vernehmbar werden ließ, war ein gro ßer Vorzug. Dazu kam noch, daß die Gästin sich im ersten Akte durchaus nicht so wild und unweiblich geberdete, wie das leider meist geschieht, sondern sich weise zu mäßigen und bei allem Zorn und Hohn, bei aller Wucht der Leiden schaft doch zarte Züge anzubringen wußte. Ihr stummes Spiel nach dem Trunk aus dem vermeintlichen Liebesbecher Ivar der beste Beweis dafür, daß wir es hier mit einem sel tenen Talent zu tun haben. Auch die Gartenszene und der Liebestod wurden darstellerisch vorzüglich ausgestaltet. Alles in allem eine Leistung, die an sich schon viel war und noch mehr zu verheißen scheint. Man darf also auf die zweite Gastrolle des Frl. Zoder (Donna Anna in „Don Juan"! um so mehr gespannt sein, als zu den stimmlichen und darstellerischen Vorzügen der Gästin sich noch der einer schönen Erscheinung gesellt. Den Tristan sang und spielte Herr v. Bary ganz hervorragend. Neben ihm ragten die Herren Scheide- mantel /.Kurwenal) und Perron (Marke) hervor. Herr v. Schuch leitete die Aufführung mit dem Einsatz seiner ganzen Person und die Kgl. Kapelle spielte wunder voll. Ueber einige Mängel der Inszenierung und ihrer Abstellung werde ich mich demnächst eiizmal in einem be sonderen Aufsatze äußern. F. A. Geißler.