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Augen. Da hört sie, wie sich die Tür öffnet. Sie springt auf. „Vater! Lieber Vater!" Doch mit einem leisen Aufschrei fährt sie zurück. Nicht der Vater, sondern Sidi Assad steht vor ihr — mit einem Lackeln auf den Lippen. Und doch fällt ihr sofort auf, daß >ein Gesüht nicht die gewohnte Siegermiene, sondern einen scheuen, verlegenen Ausdruck hat und daß sein Blick den ihren meidet. Wie ein Blitz durchzuckt sie die Erkenntnis der Gefahr, in der sie sich befindet. „Wo ist mein Vater, der mich hierher rief?" fragt sie erregt, den Kopf stolz in den Nacken werfend. Mit unter würfiger Miene tritt er näher an sie heran. „Der Herr Graf ist noch nicht eingetroffen. Aber —" Sie weicht von ihm zurück. Die Röte der Empörung schießt ihr in die Augen. Nicht mehr zweifelt sie daran, daß Hinterlist sie in dieses Haus gelockt. „Suchen Sie nicht, mich zu täuschen!" ruft sie zorn bebend. „Jenes Telegramm kam von Ihnen. Mein Vater hat damit nichts zu tun. Sie bauten auf meine Un erfahrenheit. Und Sie hatten recht: das Schäfchen ließ sich in die Höhle des Wolfes locken. Aber —" und zu ihrer vollen Höhe richtet sie ihre schlanke Gestalt empor — „von dieser Minute ab bin ich nicht mehr senes dumme Schäfchen, Monsieur. Sie sind es, der mich gelehrt hat, den Menschen zu mißtrauen und an dem Manneswort zu zweifeln!" Er duckt sich, wie eine Katze, welche die zum Schlage erhobene Hand über sich sieht. Doch sofort findet er seine gewohnte Dreistigkeit wieder. „Sie schmähen mich, Gräfin Sulamith. Und dabei hat mich die beste Absicht zu diesem Schritt verleitet," sagt er feurig. „Die — beste Absicht?" Er hält es für gut. die Verachtung in ihrer Stimme zu ignorieren. „Ja. Gräfin. Ich bringe Ihnen Nachricht aus — Tripolis!" Fester faßt ihre Hand die Stuhllehne, auf die sie sich leicht stützt. Kein Wort kommt über ihre Lippen. Aber ihre weitgeöffneten Augen, das Beben des feinen Mundes ver raten ihre tödliche Spannung. Er sieht, daß er den richtigen Weg eingeschlagen hat. um ihr Interesse zu erwecken. Mit einer leichten Ver beugung deutet er auf einen Sessel und bittet sie, Platz zu nehmen. Sie schüttelt den Kopf. Stehend will sie die Nachricht empfangen, die ihrem Herzen Leben oder Tod bringt. Er zuckt die Achseln, wie um anzudeuten, daß es ihm gleich sei, ob sie stehen oder sitzen. Tann sagt er erregt: „Vergessen Sie eines nicht, Gräfin: was Sie auch hören mögen — in mir sehen Sie Ihren Sklaven. Vom ersten Augenblick an. da ich Sie sah. liebte ich Sie. Ich sagte es Jbnen schon einmal im Park des weißen Palastes. Damals waren Sie nicht so grausam wie jetzt. Dann be sannen Sie sich eines anderen. Ich versuchte, diese Liebe zu ersticken. Ich stürzte mich in einen Strudel von Ver gnügungen. Ich taumelte von Genuß zu Genuß. Vergebens. Nur um so heftiger flammte sie empor. Und diese Liebe hat sich gesteigert zur Leidensctraft. ja. fast zum Wabnsinn! Ich kann nickt mebr ohne Sie leben! Willigen Sie ein, die Meine zu werden! Ich will Sie mit allem umgeben, was Ihr Herz begebrt: denn ick bin reich, unermeßlich reich! Sagen Sie „ja". Sulamitb! Erlösen Sie mich aus dieser Liebespein!" Er ist zu ibren Füßen niedergesunken und blickt mit stehenden Augen zu ihr auf. Sulamith ist sehr bleich geworden. Sie fühlt: diese Leidenschaft ist echt, und ihrem echt weiblichen. Empfinden tut es weh, ihm Schmerz bereiten zu müssen. Vergessen ist im Moment all das Böse, ha« der Mann da vor ihr dem Vater und ihr angetan: vergessen auch die Hinterlist, mit der er sie in diese peinliche Situation brachte. Er leidet. Das ist für sie genug. „Sidi Assad —" sagt sie sanft — „Sie wissen, ich kann Ihre Liebe nicht erwidern: denn ich liebe einen anderen!" Er schnellt empor. Sein ganzes Wesen ist verändert. Haß. glühender Haß spricht aus jedem seiner Züge. „Immer jener' andere! Jener andere!" knirscht er. . Können Sie den blonden Deutschen denn nicht vergessen?" Voll Würde blickt sie ihn an. „Ich bin seine Braut und werde ihm treu sein bis zum Tode!" sagt sie mit ruhiger Würde. Hoch hat sie sich anfgerichtet. Eine Welt von Liebe und Zärtlichkeit strahlt aus den großen schwarzen Augen. Sidi Assad stöhnt auf. Welcher Liebe ist diese Frau fähig! Und diese Liebs ist nicht für ihn! Für jenen Fremdling ist sie, den er Ein letzter Hoffnungsstrahl! „Sulamith!" flüstert er, nach ihrer Hand fassend, die sie ihm rasch entzieht. „Wissen Sie denn nicht, daß jener blonde Fremdling — tot ist?" „T—t—tot? . . . Ah!" Wie der Aufschrei eines zur Strecke gebrachten Wildes ringt es sich aus ihrer Kehle. Und noch einmal: „Tot?!!!" S, der Lüge, die soeben einein trenliebenden Frauen herzen den Todesstoß versetzte! Sträubte sich nicht deine Zunge, Verruchter, sie aus zusprechen? Preßt sie dir nicht das Herz zusammen, daß du niederstürzen mußt vor der vor Entsetzen wie erstarrten Frauengestalt und bekennen: „Glaube mir nicht! Es ist nicht wahr! Tein Ge- siebter — lebt!" Nichts dergleichen. Sidi Assad schreckt nicht vor einer Lüge zurück. Sein leichtlebiger Sinn begreift gar nicht die Todesschauer, die ein treue-:- Franenberz befallen bei der Gewißheit: „DaS liebste, das du besitzest auf dieser Welt, dein ein und alles, das Wesen, das deinem Leben erst Wert und In halt verleiht, ist — tot!" Mit einem leichten Wort will er das Schweigen brechen. Es will nickt über seine Lippen. Die erhabene Größe dieses Schmerzes hält für den Augenblick selbst den vertragenen Abenteurer, den skrupellosen Glücksjäger, tm Zaum. Noch einen halb scheuen, halb spöttischen Blick wirft er auf das zur Medusa erstarrte Weib. Dann drückt er den Hut in die Stirn und schleicht hinaus. „Morgen ist auch noch ein Tag denkt er. „Viel leicht ist sie morgen anderen Sinnes!" Drinnen aber siegt Sulamith aus den Knien, das Ge sicht in den Händen vergraben. Konvulsivisches Schluchzen schüttelt ibren Körper wie im Krampf. „Tot!" schreit ihre Seele aus. „Tot!!" 17. Nerida. Wie lange Sulamith so dagelegen -- in stummem Schmerz, in dumpfer Verzweiflung sie weiß es nicht. Noch ist sie unfähig, irgend einen Eindruck der Außen welt in sich auszuuehmen. Eine-:- nur beherrscht sie mit grausamer Gewißheit: „Tot! . . . Verloren für dich für immer!" Nicki denkt sie daran, daß die Nackt bercingebrocken ist und sie noch immer in dem Hause weilt, in das Sidi Assads List sie gelockt. Nickt fragt sie sich, was inan von ihr denken wird, wenn man erfährt, wo ne die Nacht zugebracht. In sich ziisammengesunkei! bockt sie auf einem Diwan und starrt in§ Leere. Ta schlägt die große Wanduhr dumpf dreimal. Sulamith sckreck: empor. Schon drei Uhr! Bald wird der Morgen grauen, und sie ist noch immer hier! Sie eilt zur Tür. Verschlossen.