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- 17b- An alles das denken wir heute Und was du sonst noch getan. In anderer Rüstung und Kleide Seh'n wir dann den Kriegsveteran - Not, Mühen und Elend zu lindern War ferner die Zukunft geweiht. Dies Haus mit all seinen Kindern Kennt deine Barmherzigkeit. Mög an die Achtzig an Jahren Manch' Jahr gesegnet sich reih'n. Und Gott dich gnädig bewahren. Uns und den Vinzenz-Verein. Mög' dir der Allmächt'ge einst geben Nach all den Miihen und Streit Im Himmel das ewige Leben Und den Orden der Seligkeit. Sein Alles Allerscelenskizze von Hanns Gisbert Nachdruck verboten Nein! Erschreckt hastete Alfred Klein von der Kirch- yofstür zurück, als er das rege Leben an den sonst so füllen Gräbern sah. Freilich heute war ja Allerheiligen, morgen Allerseelen, die Tage, wo die Toten ihre Freunde empfangen, auch diejenigen, die während des Jahres keine Zeit dazu finden. Er hatte nicht daran gedacht, und niemand hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Warum auch? War nicht der Weg zur Stätte, wo sein Liebstes ruhte, sein täglicher Gang? Schmückte er das Grab nicht immer mit den erlesensten Blu- men, betaute es mit seinen Tränen? Wer sollte ihn dar auf aufmerksam machen, daß heute der Tag des allgemeinen Gedenkens sei? — der Tag, an dem alle kommen, auch die Kalten und Neugierigen, die prüfenden Blickes die geschmück- ten Gräber betrachten und den Grad der Trauer nach der Kostbarkeit der Ausstattung bemessen, die kühl beobachtend an der tiefen Trauer vorüber gehen, und denen nichts ent geht, selbst nicht die verschwiegene Träne im zu Boden ge- senkten Blick. Nein, er konnte seinen bitteren Gram nicht ausstellcn vor der Welt, konnte seinen heiligen Schmerz nicht entweihen lassen durch Neugier. Erregt flüchtete Alfred den schmalen Pfad hinan, der an dem Wege der Lcidensstationen hinaufführte zur Friedhofs, kapelle. Wie Schutz suchend trat er in das weihevolle Halb dunkel, und seine Hand streckte sich aus, den Strauß von goldfarbigem Herbstlaub und bunten Waldbeeren, den er für seine geliebte Tote gepflückt hatte, vor dem Bilde der schmerzhaften Mutter niederzulegen. Da traf sein Blick die goldglänzende Inschrift: Schauet, ob ein Schmerz gleich sei meinem Schmerze! Und wieder war es, als ob die Furien des Schmerzes, die er mit starker Hand niedergezwungen zu haben glaubte, ihre Häupter regten und ihn: das Herz zu zerfleischen versuchten. Biel, viel größer war sein Leid! Was hatte er in der Toten nicht alles verloren! Die Gattin, die Mutter seiner Kinder, den treuen Kameraden und die Geliebte, die zärt lich Geliebte! Wie öde und freudlos war sein Leben seit dem! Nur in der Erinnerung an sie, in der Sehnsucht nach ihr lebte er. Mit Freude hörte er es, daß er elend und hin fällig aussehe — ein Christenmensch darf sich ja den Tod nicht wünschen; vielleicht hatte der gütige Gott Erbarmen mit ihm und nahm ihn bald zu sich, -damit er mit der Ein- zigen vereinigt würde. Sie meinten es ^ alle gut mit ihm. Er fühlte das, wenn der sonst so strenge Vater weich und mild mit ihm sprach, wenn er ihn mit geschäftlichen Sorgen belud, um seine Teilnahme abzulenken: wenn die Mutter ihn schalt, ihm von der Religion, von seinen Kindern sprach. Aber sie quälten ihn alle: ihm war alles lästig, das Leben, die Kin der. Er liebte sie wob! — wie sollte er Mariannes Kinder. sein eigen Fleisch und Blut, nicht lieben? — aber er würde ihnen nicht fehlen, wenn er nicht mehr wäre. Hatten sie die Mutter vermißt? Hatten sie nicht lachen und spielen können, als alles mit ihm um die so plötzlich Entrissene trauerte? Nur das Kleinste, das Neugeborene, welches das teuere Leben gekostet hatte, hatte schmerzlich gewimmert und war ein stilles, ernstes Kind geblieben, als ob es unbewußt um die trauere, die es nie gesehen hatte. Aber die beiden Grö ßeren, der sonnige Knabe und die kleine Erna, waren sie nicht glückliche Kinder? Trübte der Schatten der Dahinge gangenen ihre Jugend? — würden sie nicht auch den Vater vergessen, wenn Großeltern und Verwandte für sie sorgten? Er hatte es nie begreifen können, daß der fast dreijäh rige Willem auf die Frage nach der Mutter stets sorglos zur Antwort gab, sie schlafe. Er hatte ihn an den offenen Sarg geführt, hatte dem Kinde die todesstarre Hand zu Hallen ge geben, um ihm klar zu machen, was er verloren habe. Aber er hatte nur erreicht, daß der Knabe scheu und verschüchtert zurückwich — vor ihm, dessen Gebaren ihn erschreckte, nicht vor den Schrecken des Todes, die er nicht begriff. Nein, niemand war ihm etwas, konnte ihm etwas sein. Nur dem Bildhauer, der nach seinem Aufträge die Tote so rührend schön als trauernden Genius in Marmor ausgehauen hatte, hatte er seine Anerkennung spenden müssen. Das war die selbe anmutige, wie müde vorgebeugte Haltung, dasselbe zarte, blasse Gesichtchen, das ihn so entzückt hatte. Und doch war auch in dieser poetischen Wiedergabe ihres liebreizenden Aeußeren etwas, was ihn quälte, ihm ins Herz schnitt. Hätte ihn diese ätherische Gestalt, dieses durchgeistigte Antlitz nicht warnen müssen? Hatte er in seiner Liebe von dem guten Kameraden nicht zu viel verlangt; hätte er sie nicht besser hüten, schützen müssen? Lange noch irrte Alfred umher, ohne für die Schönheit des herbstlich gefärbten Waldes, der an den Friedhof aN- stieß, ein Auge zu haben. Me Kinder waren schon zu Bett gebracht, als er heimkehrte. Auf seine flüchtige Frage klagte die Wärterin, daß das Kleinste ihr Besorgnis einflötze, es sei so still und teflnahmslos und scheine zu fiebern. Der sofort herbeigeholte Arzt zerstreute die Bedenken, einstweilen sei kein Grund zu Befürchtungen; er werde morgen Nach sehen kommen. Der andere Morgen fand den Kleinen wieder wohlauf, wenn auch mit den ernsten großen Augen — die den Vater von seinem Bettchen forttrieben. Schien es ihm doch wie eine Anklage gegen ihn selbst darin zu liegen. Waren feine Kinder nicht Vater- und mutterlos? Mutterlos hatte das Geschick sie gemacht, und er entzog ihnen auch den Vater! Sprach diese Anklage nicht auch aus dem Erstaunen der bei den Größeren, als er die Kinderstube bettat, zum ersten Male bettat seit dem Tode seiner Frau! Er hätte sich an das Bettchen des Kleinen setzen mögen, ihm die Hand zu halten und konnte es doch nicht über sich bringen. Auch dem Friedhof blieb er heute fern. Dafür erteilte er Weisungen über eine würdigere Ausstattung des Grabes und erlaubte den beiden Aeltesten, mit der Kinderfrau hinauszugehen. Sie würden ja nichts empfin den als kindliche Freude und Neugier, aber es waren doch Mariannes Kinder, die heute an ihrer letzten Ruhestätte stehen sollten, wenn er, der Gatte, fernblicb. Nach seiner Gewohnheit jedem Gruß, jeder Anrede von Bekannten sorgsam ausweichend, flüchtete er in den Wald, um allein zu sein mit seinen selbstquälerischen Ge danken. Aber die nahmen heute eine andere Richtung. Immer wieder sah er in dem verdunkelten Schlafzimmer das spitzenverhangene Bettchen mit dem fiebernden, teil nahmslosen Kinde. Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe, daß es hätte dahingehen können, ohne eine Liebkosung von seinem Vater erhalten zu haben, ohne zu wissen, was Eltern liebe ist! Früh brach die Dunkelheit heran; er wollte umkehren, zu seinem Kinde gehen — da fiel sein Blick hinunter ins