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Sette I«6 Aetersse«». NnlerhaHungS-BeiMge zur Sachfischen Dorfzeilung und Elbgaupreffe. Nr. 47. Es ist eine ernste Mahnung, die das diesjährige Totenfest von neuem an unS richtet, dis wir dank unserer Tapferen die Kriegsnöte in ihrer schlimmsten Gestalt: Ver wüstung, Vertreibung aus der Heimat, Elend ,und Schande, nicht zu spüren bekommen. Wohl dem, der diese Mahnung verstehend, den Dank, der uns alle beseelt, künf tig durch Werke der Nächstenliebe betätigen wird. Unend lich Aufgaben harren der Lösung, unendliche Arbeit zum Besten der Krieger - Wittvcn und -Waisen harrt tatkräf tiger Unterstützung, werktätiger Hilfe. Laßt das Fest der Toten nicht vorübergehen, ihnen das feste Gelöbnis zu geben, jeder nach seinen Kräften Hilfe und Beistand zu leisten, wo immer es not tut. Elisabeth Thielemann. Des alten Thomas Abschied. Skizze von Paul Burg. Nachdruck verboten. Die Sehnsucht hatte ihn da hinauf getrieben und daS Leid ihn da oben festgehalteu, vierhundertundzwei unö- achtzig Stufen hoch unter dem Himmel. Tie Menschen un ten in der Stadt wußten nicht einmal mehr viel von ihm, als daß er der Türnier feit undenklichen Zeiten war und Thomas hieß, wie der Heilige, nach dem die Kirche selber benannt war. Eigentlich hieß der einsame Sonderling da oben mit den weißen Haaren wohl ganz anders, aber was ging sie sein Name an. Vor mehr als zwanzig Jahren war ihm die Frau woggelaufsn aus seiner jungen Ehe. Ta ntals l>atte er noch mitten unter ihnen in der engen dunk len Gasse gewohnt. Aber weil er ihr Mitleid und ihren Spott nicht mehr ertrug, war er auf den Turm geflüchtet. Und hatte ihn nie mehr verlassen. Zu allen Stunden wachte er da oben hoch über den Dächern, blies das Abendgebet und den Morgengruß, ohne daß es noch einer unten in der Stadt beachtet hätte, die riesengroß über ihre Mauern hinausgewachsen war und mit tausend Maschinen zu ihm herauflärmte wie ein Un geheuer. Er blickte verächtlich und sehnsüchtig über sie hin weg ins Weite. Der Himmel über ihm blieb sich immer gleich im Zürnen und blauen Lächeln. Und alle Tage wie die Sonne leuchtete das Licht vom Turme, das Thomas entzündete. Es war so treu wie seine Gedanken, die nicht von Martha lassen wollten, nun über zwanzig Jahre schon. Ja doch, ja, sie war viel jünger gewesen als er, aber sie war so gut, wie sie jung und schön gewesen war, und der andere.. der Schuft lmtte sie von ihm weggelockt, daß sie zur Nacht den Mann und das kleine Kind verließ, in die weite Welt hinauslief. Längst schon wäre sie wieder zu ihm gekom men, mit einem bittenden Wort auf den Lippen. Aber sie fürchtete sich gewiß vor den Menschen in der Gasse. Nun, er »vohnte ia hoch über ihnen allen und ihren hämischen Worten. Sie würde ihn hören, sein Horn, das nur sie ries, alle Morgen und Abend und die Glocke. . . . Und das Lickt in der Nacht leuchtete nur ihr allein. Sie'würde cs fühlen und erkennen, war sie auch weit, weit in der Welt. Einmal würde sie wiederkommen, Martha. Darüber war nun schon seit zwei Jahren auch der Traugott, sein Bub, fort. In den Krieg. Mit loderndem Herzen, mit bebenden Lippen bließ der Alte fromme Cho räle an Siegestagen, anfeuernde Choräle an Leidestagen vom Turme herab über Stadt und Land. Und hielt treue Ausschau nach seinem Weibe und seinem Sohne. Nach dem Frieden, den die Menschen so heiß ersehnten. Es war eine strenge Zeit übers Land gekommen; die Speisen, die er sich an seinem Seile jeden Tag hinaufzog, wurden immer kläglicher. Es war eine grausige Zeit ge worden; riesige eiserne Vögel, Flintenläufe zwischen den Flügeln, zogen hoch über dem Turme dahin, ratternde Un geheuer, die lvohl Verderben speien mochten. Der alte Thomas saß oftmals sinnend in seinem Stuhle. Er verstand die Welt nicht mehr. Und Martha, Traugott wollten, sie wollten noch immer nicht kommen. Lange Zeit, sie zu erwarten, ließ ihm wohl der Tod nicht mehr. Einmal am Abend tat sich seine Tür auf. Er er schrak, denn es kamen jetzt so selten Menschen herauf auf den Turm, ihn zu besuchen, sich an der weiten Gotteswelt sattzuschauen. Der Bürgermeister der Stadt trat über die Schwelle, weiß und gebeugt wie der Türmer selber. Bewegt blieb er bei der Türe stehen und schaute auf den Alten am Fenster. War es nicht, als träte Nethels Bild von dem Tode als Freund aus seinem Rahmen drun ten in der großen schönen Bildergalerie? Da war grad so ein Türmer gemalt, an seinem Fenster, tot. Und der größte und letzte Freund aller Menschen l>atte nebenan die Sense an den Pfosten gelehnt und zog für den Türmer die Glocke. Im Abendfrieden. „Lest Ihr die Zeitung?" fragte der Bürgermeister in die Stille. Da schüttelte der Alte den Kopf, und der Oberste der Stadt nickte aufatmend, wie von einer Last befreit, dem Greise zu, der so hochentrückt über ihnen allen wohnte. Sprach noch ein weniges und entfernte sich wieder. Der Wog die vielen, vielen Stufen hinab wurde ihm soucr. Oft blieb er stehen, schaute zu einer Luke hinab auf die Dächer. Schüttelte manchmal den Kopf. Und drunten trat er mit einem festen Willen in den weiten Saal, wo die Väter und Berater der Stadt ihre Sitzung hielten. Er widersprach ihnen heute mit der sons ten, überzeugenden Milde seines Alters. . . Sie wollen die Segnungen der neuen nnd neuesten Zeit hinaufverlegen in unfern alten Turm von Sankt Ttwnlä. Ein Fahrstuhl soll hinaufführen. Und das Licht droben soll elektrisches sein. Auch das Läute werk. Dann soll der Alte, den sie den Thomas nennen, nicht mehr seinen Segen auf uns blasen, nicht mehr uns sein Licht anzündcn. Er ist ein alter Mann wie ich, und wir Alten vertragen soviel Bekümmernis nicht mehr wie ein Junger. Sehen Sie, einmal ist ihm seine Fran aus dem Leben gegangen. Uns dann derSohn. Er ist nun ge fallen vor dem Feinde. Tas wollt' ich ihm heute sagen, daß er nicht melw auf ihn warten mag. Ich hab's nicht über mich gebracht. Nun ihm auch noch den Abschied do hinauf in seine Stube tragen, die so still und hoch über allen Welten liegt, das ist zuviel für ihn und für mich, meine lieben Herren. Schelten Sic mich nicht altersschwach, nicht sentimen tal und rückschrittlich! Fühlen Sie menschlich mit mir und lassen Sie den Alten seine Tage da oben beschließen, ehe Fahrstuhl und fremdes Licht ihn überfallen. Viele Tage werden Sie ia nicht mehr warten müssen. . . Da beschlossen die Stadtväter nach seinem Wissen nnd nickten am Abend, als sie heimkehrten und das gewohnte Lied vom Tlwmasturme vernahmen, dem riesenhohcn grauen Gemäuer freundlich zu, das sich vor ihrem Blicke in die Wolken verlor. Droben blinkte ein Helles Licht. Wie ein verheißen der Stern. Und da oben saß der Lichtwärter bei seiner Bibel und wartete. * * * Es war am Morgen des Totenfestes, als er wie im mer seinen Korb mit der schmalen Tagkost hinaufseilte, da fand er einen Zettel an das harte Brot gebmrden: Vir. 47. M«ch Aeier«Se»d. Unterhaltungs-Beilage zur Sächsischen Dorszeitung und Tlbgau-Prrfst. Beite 187. „Euer Sohn ist vor dem Feinde gefallen." Da stand der Alte ganz still in der Höhe, schickte den Blick zum Himmel und betete so inbrünstig wie er es noch nie an diesem Tag getan. Und er betete um den Frieden der Welt. „Lieber Herrgott, was ich Sünde getan, laß es gesirhnt sein durch meinen Sohn, meinen tapferen Trau gott. Und rufe auch mich bald. Ich darf nun auf meine Martha nicht mehr warten, denn mein Leben ist spät ge- lvorden. Laß sie glücklich geworden sein unter den Men schen! Sie war ja noch so jung. Lieber Herrgott, dein Wille ist l)öher als alle Menschenvernunft. Gib uns Frieden!" Und diesen Abend klang es über die Stadt hin, feier lich hallend vom hohen Turme: Was Gott tut, das ist wohlgetan! So denken Gottes Kinder. Wenn man nicht reichlich ernten kann. Liebt er uns doch nicht minder. Er zieht das Herz Nur himmelwärts, Ob wir gleich hier auf Erden Bei Mangel traurig werden. Das Feld mag traurig stehen . . . Wir gehn getrost auf Zions Bahn Und wollen Gott erhöhen. Sein Wort ist Brot. So hat's nicht Not Es nennt uns Gottes Erben . . . Wir können nicht verderben. Die hastigen Städter sonst in den heute so friedlich ruhigen Straßen standen still und lauschten auf das ein fältige Lied, das sie so lange schon vergessen hatten. Es l>atte etlvas kindlich Heiliges in ihren Herzen wachgerufen, nnd manch einer nahm es sich an diesem Abend vor, öfter jetzt auf das Lied des Türmers zu lauschen. Und droben der Türmer schickte nach dein letzten Ton einen langen Bilck ringsum, beugte sich über die steinerne Brüstung und spähte hinab in die Gassen, wo seine Jugend gewohnt hatte und sein kurzlebiges junges Glück. Schaute weitum ins abendliche Land und hinauf zum Himmel, an dem sich die ewigen Sterne entzündeten. Dann ging er hinein und setzte sich an sein Fenster wie jeden Tag, in den Schlaf hinüberzuträumen. Schatten sah er kommen, schnelle Gestalten. Und ein Singen unter dem Himmel hallte um ihn. Es war ein langer, langer Zug von fremden Gesichtern, Könige und .Krieger, Feldherren, aus Grüften entstiegen, und tau sende, tausende Helden mit frischen Wunden, männliche Ge stalten. Sie zogen singend unter dem Himmel vorüber. Und alle Glocken der Welt läuteten dazu. Da tat sich der Himmel auf. Engel jubilierten. Und es war eine blen dende, jauchzende Helle hoch, bock in hehren Regionen. Die ewige Sonne strahlte. Gottes Thron. Der Mte lmtte seine Hände gefaltet. Es war noch ein Gedanke in ihm: Du mußt die Menschen wecken. Nimm dein Horn und zieh den Glockenstrang. Der Friede ist ge boren, der ewige Frieden auf Erden! Türmer, bist du wach ? Aber die Augen fielen ihm zu, und sein weißes Haupt sank schwer auf die Brust herab. Totenfrieden breitete sich in jener Nacht um den Turnt, und l>och in Lüften war ein heimliches Klingen uird Rauneir. .... > D'' DaS Glerbr«. Bon Pfarrer I. Behse, Archtdiakonut an Et. Rikolat-BerUn. Der Weltkrieg steigert alles aufs äußerste: die Tapfer- keit, die Treue, aber auch die Verluste, die Wunden und Schmerzen. Das Rote Kreuz hat eine riesengroße Auf gabe; Tausende mühen sich bei Tag und bei Nacht, Schmer zen zu lindern, Wunden zu heilen. Was ärztliche Tüchtig keit und Kunst, was hingebende Pflege vermag, wird ge tan, und nicht vergeblich. Welche Freude, wenn die Wunde heilt, die Kraft wiederkehrt, das Leben gesundet! ?lber viele fallen in dem mörderischen Kampf und erliegen den Wunden. Die Zahl der Opfer ist ungeheuer. Und wenn draußen viel Blut fließt, fließen daheim viel Tränen. Die Kugel, welche im Felde ein Herz zu Tode traf, traf zugleich die Herzen der Lieben in der Heimat. Gewaltig tönt die Totenklage durch unser Volk: kaum eine Familie, kaum em Haus ist ohne Trauer! Viele erliegen den Wunden. Alle Hilfe, alle Pflege kann es nicht verhindern. Die Kräfte sind verfallen, daS Leben entflieht. Erschüttert sehen es, die um den Ver wundeten sich mühen, ihn dem Tode zu entreißen und dem Leben wiederzugewinnen. Da wird es ihnen zur bangen Frage: hat der Tod das letzte Wort? Ist ihr Leben ver loren und dahin? Wir können es verstehen, wenn Menschen ins Grab sinken, welche des Lebens Arbeit vollendet haben und müde und matt geworden sind; sie haben des Lebens Kraft er schöpft, sie haben des Lebens Fülle erlebt. ?lber wir sind gebeugt und nennen es ein hartes, grausames Geschick, wenn der Mann herausgerissen wird aus seiner Vollkraft, aus seiner Arbeit heraus, wenn er abgerufen wird aus der Schar der Heranwachsenden Kinder. Er hatte noch so viel vor und wollte das alles vollbringen, er nahm so viel unerfüllte Pflicht, so viel unverbrauchte Kraft mit in den Tod! Und nun: die blühende Kraft und Jugend unseres Volkes zog hinaus, in hehrer Begeisterung für das Vater land bereit zu siegen oder zu sterben. Die Granaten schlugen ein und zerrissen ihre Leiber. Wieviel Hoffnung ist mit ihnen vernichtet! Sie sollten dem Vaterland noch lange Jahre dienen, sollten den Acker bauen und das Eisan schmieden, sollten vorwärts streben in Handel und Wan del, in .Kunst und Wissenschaft, in Treue und Tüchtigkeit zum Segen unseres deutschen Volkes. Ist ihr Tod mcht ein unersetzlicher Verlust? Ist ihr Sterben nicht ein Ver derben der besten Kraft? Ihr Sterben führt uns in die Tiefe alles Menschenleides, aber es führt auch zur Höhe des Glaubens, des Gottvertrauens. Ihr Sterben redet von großen, von göttlichen Dingen. Ihr Sterben ist lichtumflossen und nicht ein Ende mit Schrecken. Der letzte Atemzug war höchste Liebe und Treue. Wohl zerbrach des Leibes Kraft, aber der innere Mensch ward nicht hinfällig imd schwach. Sie dachten der Lieben daheim, und eine Verklärung kam über ihre Züge. Sie hatten ihre Pflicht aufs Höchste erfüllt, für die Heimat, für Vater und Mutter, für Weib und Kind, für die Brüder urck Schwestern. Sie wußten es, man würde sie niemals vergessen. Da des Todes Nacht sie auf ewig umhüllen wollte, tauchte ihre Seele in unauslöschlicher Liebe, in un vergänglicher Treue und ewiges Licht. Ihr Sterben ist lichtumflossen. Die an ihrem Sterbelager standen, die ihr Heldentum unter Schmerzen und Dulden sahen, die ihren Glauben an Deutschlands Zukunft, an die ewiye Liebe, an Gottes Walten erlebten, können es bezeugen: ihr Sterben war nicht höchste Schwäche, sondern höchste Kraft. Sie starben für Deutschlands Größe und Freiheit. Es gibt keine schönere Vollendung de- Leben-, es gibt