Volltext Seite (XML)
— irij nicht mehr erheben zu ihrem höchsten, schönsten Selbstgefühl, als wenn man statt Glück und Freude, Dank und Ehre Ar- beit und Sorge, Schmerz und Gefahr auf sie vererbt; es liebt sich dann wohl nicht so leichten Sinnes, doch liebt es sich so mit wärmerem und freudigerem Herzen; wie die An sprüche sich steigern, steigert der Liebe höhere Kraft sich auch. Das lehrt der Heiland nicht nur an dem Taubstummen, den seine undankbaren Landsleute ihm entgegenbringen, er lehrt es durch sein ganzes Leben, er lehrt es am herrlichsten aus Golgatha. — O, daß wir oon ihnen lernen möchten, wie wir lieben sollen, in einer so liebeleeren Zeit wo man zwar viel und geschickt von christlicher Liebe zu sprechen und zu schrei ben, aber sie desto weniger zu üben weiß, und wo schon das. was zu unterlassen eine Härte wäre, für Liebe gilt. Daß wir von ihni lernen möchten, wie wir sieben sollen, in einer so selbstsüchtigen Zeit, wo ohne die Frage: was wird mir dafür? so selten zur Tat die Kraft sich regt und in dem Baalsdienste der Selbstvecgötterung jede aufopfernde Hin gebung für die Sache, und wäre es die höchste und heiligste, untergeht. Daß wir von ihm lernen möchten, wie wir lieben sollen in einer so feindseligen Zeit, wo der fast in allen Gebieten menschlicher Erkenntnisse erwachte Geistcskampf nicht sowohl mit den Waffen der Wahrheit, als mit Lüge und Verleum dung geführt wird und in einseitigem, wildem Toben Wohl zur Betäubung, aber nicht zur Beruhigung der Gemüter kühren kann. Sorge er laute Tag war längst verlärmt, Ls hockte die Nacht vor den Fenstern; Mein Vater stand und sann, umschwärmt von huschenden Gespenstern. Da knarrte die Tür ... und Lampenschein verscheuchte die flüchtigen Gestalten ... Bang sah ich dem Vater ins Antlitz hinein. Das lag in tiefen Falten ... Lorenz Wmgerter, Apotheker in Waldbreitbach. ZufallsSpiel Reise-Aocntiure von M. von Weser Nachdruck verboten Der Pariser Nordbahnhof . . . Ein Gewirr von Menschen und Stimmen, von Pasta- gieren und Gepäckträgern, von eleganten Damen mit ibren Kavalieren, von aufgeputzten Frauen aus dem Volke, von Sappeurs, von Kürassieren mit dem vom Helm lang her niederwallenden Pferdescbwcif, von Zuavcn, kurzum ein Gewirr, wie es sich vor den großen Festtagen an jedem der Pariser Bahnhöfe abspielt. Dazwischen aufgeregte Beamte, die bei der Ucberfüliung den Kopf verlieren, Reisende, die auf einen guten Platz bestehen, weil sie doch dafür bezahlt haben und schließlich froh sind, einen Stehplatz oder gar einen Unterschlupf im Durchgang zu erwischen. Am Fenster eines durchgehenden Wagens steht eine zier liche, in tiefe Trauer gekleidete Gestalt, Malwine Brnck- mann, und winkt ihrer in der Seinestadt ansässigen Ver wandten, Madelcine Geoffroy, einen letzten Scheidegruß zu. Ter Abschied von seiten drr Pariserin ist ein wenig frostig. Malwine hat ihren Lieblingsplan durchkreuzt, indem sie unzweideutig zu verstehen gegeben, daß die Bewerbung Marcels, des Schwagers von Madeleine, ihr nicht willkom men sei. Und was wäre das für eine glänzende Partie für ein unbemitteltes Mädchen gewesen! Im Winter ein ele gantes kleines Hotel in Passy, im Sommer eine ent zückende Villa bei St. Cloud, Reisen an die See im eigenen Auto, Reitpferde für Streifereien durch das Bois de Bon- logne . . . Konnte man mehr verlangen? Und dieses törichte, nicht einmal mehr junge Mädchen sagt nein . . . Malwine ist reckt unglücklich, daß sie eine solche Ent täuschung verursacht bat und hat deshalb zu leichten Ent- ichnldigungslügen ihre Zuflucht genommen, um noch vor dem Feste abrcisen zu können. Wenn sie gewußt hätte, unter welcher Voraussetzung sie eingeladen worden ist, sie wäre gar nicht gekommen.... Und doch haben die ab wechslungsreichen Tage an den Ufern der Seine ihr überaus wohlgetan und die Schatten von ihrer Seele ge nommen, die sich seit dem Tods der guten Großmutter, der einzigen, die ihr nach dem frühen Tods beider Eltern geblie ben, auf ihr gelegen hatten. Sie hatte alle Ursache, R6nü und Madeleine dankbar zu 'ein, und sie wäre es ja auch so gern, wenn nur diese dumme Geschichte mit Marcel nicht dazwischen gekommen wäre. Malwine winkt mit dem schwarzgeränderten Taschen tuch, bis die Silhouette der hyperelegangt und hypermodern gekleideten jungen Frau nicht mehr zu erkennen ist, als könne sie mit dieser letzten Freundlichkeit alles Unfreund liche und Kalte ans ihrem früher so hübschen Verhältnis davonjagen. Und flicht dann mit einem leichten Seufzer den Platz auf, der ihr vorsorglich im Coup6 „Non fumeur" reserviert worden ist. Ein paar flotte junge Offiziere erheben sich bei ihrem Eintreten und suchen sich in Galanterien zu überbieten; besonders der übermütige Kürassier, dem der Helm steht wie einem jungen Kriegsgott und besten Kohlenougen Bände reden. Malwine ärgert sich furchtbar, aber sie er- rötet trotz ihrer nun bald dreißig Jahre wie ein Backfisch... Zu dumm! Hätte sie ihrem etwas altmodischen Schicklich keitsgefühl gefolgt und hätte „Dames seules" gewählt, — man ist eben in Frankreich, wo dis alleinstehende Frau als Freiwild betrachtet wird, — aber die schreienden Kinder schreckten sie. Sie setzt eine eisige Miene auf, ohne die Er oberungsgelüste des jungen Militärs damit zu verscheuchen. A la gucrre, c'est comme ü la guerre . . . Und dann kommt ihr die Sache wieder riesig lächerlich vor; wenn diese jungen Bübchen wüßten, daß sie bald dreißig Jahre zählt! Nein! sie bat nicht Lust, sich bis Reims so anstarren, so anlachen zu lassen. Im Vorübergehen hat sie entdeckt, daß im Rauchcoups nur ein einzelner alter Herr sitzt, der über seiner Zigarre eingeschlafsn ist. Das ist eine Gesellschaft, die sie nicht stören wird. . . . Im Nu hat sie ihr Hand- köfferchsn aus dem Netz genommen und ohne Abschiedsgruß an dis verblüfften Marsjünger das Nachbarcoupä ausgesucht, wo sie ihre Gedanken ungeniert spazieren lassen kann. Bald sind sie wieder bei den Geoffroys und ihrem veränderten Benehmen. Es war eigentlich Unrecht von Madeleine, einen solchen Druck auf sie ansüben zu wollen. Eine schwächere Natur hätte sich vielleicht beeinflussen und in eine verhasste Ehe zwingen lassen. Und das um einiger Aeußerlichkeiten willen . . . Nein, Brillanten und Federn und Toiletten vom ersten Modeschneider wogen bei ihr nickt soviel als bei der oberflächlichen Französin; ihre Freiheit, ihre Nei gungen, ihre Interessen fallen mit anderem Gewicht in dis Wagschale . . . Eine Männcrfeindin hatte Madcleine sie ge nannt. Das war sie durchaus nicht, wenn sie auch gelegent lich die Rechte der Frauen verteidigte! Im Gegenteil. Sie hatte fick es oft eingestanden: Liebe und Ehe gehörten zu ihrem Traum von Glück wie bei den meisten jungen Mäd- chen. Nur daß keiner, der ihr erwartend genaht war, in ihren Traum von Glück gepaßt hätte. Wie jetzt bei Marcel hätte sie sagen können: die Kapelle ist schön, aber die Statue darin gefällt mir nicht. Ihr Blick haftet auf der einfachen, aber freundlichen Landschaft die der Zug durcheilt; so wird vielleicht auch ihr Leben dahinfließen: ruhig, ohne Sensationen oder große Momente: aber nutzbar durch Kleineres, von freundlichen Blumen durckflockten, wird es dennoch wert sein, geliebt zu werden. Reims. Der Zug entsendet zwei Drittel seiner In sassen. Ter alte Herr wackt auf und entfernt sich eilends, Achill, Tolemackos nud Antinous, wie sie die übermütigen Offiziere getauft bat, steigen säbeiklirrend aus: sie ist fast allein im Wagen, der sich nur langsam wieder füllt. Mir Interesse sieht sie auf das Hasten und Drängen, auf das Ab- schiednchmen und Grüßen auf asm Perron. Da kommt noch