Volltext Seite (XML)
Wochenschau. Nikolaus bedeutet der Besieger des Volkes, und fast will es scheinen, daß Kaiser Nikolaus aus dem gewaltigen Ringen mit seinem nach Freiheit schrnachtenden Volke als Sieger her vorgehen werde. Als am Anfang dieser Woche die Kunde von dem Ukas des Zaren die Lande durchdrang: die Reichsduma ist ausgelöst!, da war aller Orten der erste Gedanke: Dieser Ukas ist das Signal für eine neue Revolution, die nur mit der Beseitigung des gegeinvärtigen Regimes und der Dynastie Romanow oder aber mit der völligen Unterdrückung des Russenvolkes endigen könne. Und jetzt, da wir am Ausgange der Woche stehen, die mit einem so kühnen «Unternehmen in Peterhof. begonnen hatte, kann die Besorgnis vor neuen Un gewittern beinahe als grundlos bezeichnet werden. Die Ruhe in Rußland ist anläßlich der Dumaauflösung nirgends gestört worden, ja es ist sogar der Plan eines politischen General streiks, der während der letzten Wochen der Duma-Tagung gefaßt wurde, aufgegeben worden. Die oppositionellen Zei- tungen werden unterdrückt, die Führer der revolutionären Bewegung werden verhaftet, es regiert bis auf weiteres die Knute wieder, und siehe da, es geht alles ganz vortrefflich. Mau ersieht auch aus dieser Fügsamkeit der großen Massen im Zarenreich unter die eiserne Faust der Machthaber wieder, daß die russischen Verhältnisse mit denen des westlichen Eu ropa nicht zu vergleichen sind. Die in ihrer Mehrheit aus radikalen Elementen zusammengesetzte erste Reichsdnma war in der Tat keine Schöpfung, die dem Bedürfnis und den, politischen Verständnis des russischen Volkes in seiner Ge samtheit entsprach. Die Worte und Taten der Duma machten die breiten Massen der Bevölkerung vielmehr konfuse und erweckten in ihnen Vorstellungen und Wünsche, die mit der Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen waren. Tut die neue Regierung nicht einseitig ihre Schuldigkeit, vernach lässigt sie über der Unterdrückung der revolutionären Beweg ung die Durchführung angemessener Reformen nicht, dann kann die Duma-Auflösung immerhin noch zum Ausgangs- 'n «akuL*« dlM Uo-«igeo « depxuat« StKK »Kd tettl, Kur o» »»I—p vlorutt. Otto 68. Jahrg Sonntag, den 29. Juli 1906 Nr. 174 Gaffe Nr. 4 Gk. NO, ad« 40 und Fer«fp«cher: Dresden Sk. »VS Tetegr.-Adr.: Lwgaupreff« Vlasttsitz. andere haben ihm diese Tatsachen eindringlich genug zum Bewußtsein gebracht. Die Existenz eines Mauerblümchens har die in London abgehaltene Konferenz von Parlamentariern aller Länder ge- fristet. Die Abrüstungs- und Weltfriedensidee finden, so schön und ideal sie an sich auch sein mögen, gegenwärtig keinen fruchtbaren Boden. Für graue Theorien ohne praktischen Wert ist die Teilnahme selbstverständlich nur gering. UnL wenn es ein König war, der auf der Londoner Konferenz Kurch den Mund seines Ministerpräsidenten die Anregung zur allgemeinen Abrüstung erteilte, so muß man ja wohk daran denken, daß man an eines Königs Wort nicht drehen und deuteln soll. Aber auf den Widerspruch wird num doch Hinweisen dürfen, der zwischen diesen Worten des König» Eduard und den Taten seiner Regierung besteht, die ihre Rü stungen zu Wasser und zu Lande mit Feuereifer betreibt. Recht interessant war die abfällige Kritik an der Duma-Auslösung, die sich der liberale englische Ministerpräsident Campbell- Bannerman in seiner Ansprache zur Eröffnung per in Rede stehenden Konferenz leistet. Das hätte der leitende Staats mann irgend eines anderen Landes, wohl gar des Deutschen Reiches, wagen sollen? Dann hätte es ein Halloh an der Themse gegeben. Aufrichtige und herzliche Teilnahnre hat «das Geschick der Königin der Niederlande erregt, der nun schon zum drit ten Male die Hoffnung, ihrem Lande einen Thronerben zu schenken, in grausamer Weise zerstört ward. Da die Königin nach dem Urteil ärztlicher Autoritäten jetzt auf das Mutter glück endgültig verzichten muß, so beschloß ein im Haag zu sammengetretener außerordentlicher Ministerrat den Gene- ralständen behufs sofortiger Regelung der Thronfolgefraz» ein niederländisches Thronfolgegesetz zu unterbreiten. Der nächste Erbe an dem niederländischen Throne wäre der Groß herzog von Sachsen-Weimar. Da er kinderlos ist und als der lebte seines Geschlechts nicht auf die Regierung seines Landes Verzichten wird, so kommt für den niederländischen Thron t» Loff^m»., - Otto Frau «rw. Richt«, Loschwttz, Grmldsk. 1», Arirdr. ML. StStzner tu Pillnitz, Bruno Schneid« in Schünsrt sowie sämtliche «mnmcea. Lxvedtttonen Deutschland«. SMMe puirkte einer in« Interesse der Volkswohlfahrt Rußlands zu begrüßenden Entwickelung werden, Tas einmal Gewahrte wll dem Volke ja nicht vorenthalten bleiben. Eine Duma wird ini nächsten Frühjahr wieder zusammentreten, lich wird sie anders aussehen als die erste; denn der^neue 4? l- nisterpräsident Stolypin wird für ein Wahlgesetz sorge tra gen, das nur maßvollen oder regierungsfreundlichen Mimrvrn den Einzug in das Taurische Palais ermöglichen wird. Alv wichtigste Aufgabe betrachten der Zar und seine Regierung die Befriedigung der Bauern. Hierfür werden die erforder lichen Schritte so schnell als möglich getan werden. Ist aber das Land beruhigt, dann hat es keine Not mehr, mit den Städtern wird die Regierung schlimmsten Falls unter aus giebigster Zuhilfenahme der Truppen fertig, die, von ver einzelten Ausnahmen abgesehen, sich in ihrer Gesamtheit treu und zuverlässig gezeigt haben. In der inneren Politik des Reicks und Preußens herrscht nach wie vor erfreuliche Sommerstille. .Hätte die Regierung nicht mit der Zurückweisung von Verdächtigungen ihrer Politik durch die Auslands-, namentlich die englische Presse Tag für Tag zu tun, so würde man nach außen hin ihre Existenz kaum wahrnehmen. Mit der am kommenden Donnerstag erfolgenden Rückkehr unseres Kaisers von der Nordlandl-eise wird es auch in der hohen Politik wieder leben diger werden. Der Reichskanzler Fürst von Bülow, der sich bis spät in den September hinein auf Norderney aufzuhalten gedenkt, erfreut sich wieder seiner vollen Gesundheit und wird mit dem «Beginn der politisckx'i, Kampagne in gewohnter Weise seinen Mann stehen. Der deutsche Reichsbürger, der sich in dieser schönen Sommerszeit etwas besseres weiß, als um jeden Preis auf dem politischen Gaule herumzureiten, ist gleichwohl genugsam daran erinnert worden, daß er ein po litisches Lelvweien ist. Der infolge der Brausteuer ent- brannte Bierkrieg, die andern neuen Reichssteuern, zu denen an, 1. August nun auch die Fahr karten steuer tritt, die Reichs tags-Ersatz- und Stichwahlen, die ewigen Nörgeleien an an- geblichen Mißständen unserer Kolonialpolitik und manches . »»aiuwvrtl. Redakteur. Pau! L, » « «, vtas,»ltz Druck «L B«cka-: Tldguu-Buchdruckeret «ad Verlagtaustalt Herman« Beyer G L o., Bla'rwitz, , „ Amtsblatt ,, . IWL«« 4«I. m«, und «" di. Kgl o,«d.n II. di. Kgl. / „ E, und e»,m.nd. und dl« g.m«lnd.n c,,d«,iu c»IKnvl». llodrin, »«»«>», Mtdr'pdtt»«. Ist""" ^UdllllHtl»»» «kg» lük dl« Gemeinden ül«»«ilr, Lorchwilr. Koldvilr, lveirr« lür äie crsr»ltrge»el»ae». Robert Schumauus Ende. Die 50. Wiederkehr des Todestages Robert Schumanns (29. «Juli 1906) gibt Gelegenheit, sich mit dem tragischen Ende des Meisters zu beschäftigen, der in der Blüte seines schaffens, im Alter von nur 46 Jahren dahingerafst wurde. Nur >16 Jahre war es ihm vergönnt, mit seiner heiß geliebten Gattin Clara Wieck, die er nach so harten Kämpfen mit ihren, Vater erst spät erringen konnte, in innigster Har- nionie zu wirken. Schumann wurde bekanntlich nach Düsseldorf als städti scher Kapellmeister gerufen und nahm diesen Ruf auch an, um am 2. September 1850 nach dort überzusiedeln. Vorher machte das Ehepaar noch eine -glänzende Konzerttour nach Hamburg, wo sie die Bekanntschaft Jenny Linds machten. Die Fahrt an den Rhein sollte die letzte des unglücklichen Künstlers sein. Er hatte infolge der geistigen Anstrengung und der mannig fachen Archregungen schon Ende 1848 wieder stark unter Kopf schmerz zu leiden gehabt; Unruhe und Bangen ergriffen ihn, als er in einem Buche von der Existenz einer Irrenanstalt in Düsseldorf las. „Ich muß mich sehr vor allen melancholischen Eindrücken in Acht nehmen. Und leben wir Musiker, Du weihest es ja, so oft auf sonnigen Höhen, so schneidet das Un glück der Wirklichkeit um so tiefer ein, wenn es sich so nackt vor die Tilgen stellt. Mir wenigstens geht es so mit meiner lebhaften Phantasie." Mit solchen Gedanken zog Schumann seinem neuen Be- rinnnungsorte entgegen. Der Empfang Schumanns in der rheinischen Stadt war glänzend. Die Einwohnerschaft tot alles, um dem gefeierten Meister und seiner Gattin ihr« Verehrung zu bezeugen. Am 24 Oktober trat er mit seinem ersten Abonnements-Konzert sein Amt an-, auf dem Programm stand sein Adventlied, wäh rend Clara Mendelssohns G-moll-Konzert spielte. Seine Düsseldorfer Tätigkeit sagte ihm während der ersten zwei Jahre sehr zu; sie bestand außer der Direktion der genannten Konzerte in der Leitung der wöchentlichen Hebungen des Ge sangvereins und einiger in Verbindung mit dem katholischen Gottesdienst regelmäßig wiederkehrender Aufführungen. Da neben drängte es Schumann beständig nach einem Werk in größeren, Stil, und hierfür wurde zunächst der Plan eines großen Oratoriums „Luther" ins Auge gefaßt, mit dessen Tertdichtung Rich. Pohl betraut ward. Allein der Plan schei terte einmal an Schumanns Gesundheitszustand, ferner aber deshalb, weil er sich mit dem Dichter nicht über die Form einigen konnte. Und so blieb dieser weitausschauende Plan unausgeführt. Im März zog es Schumann wieder auf einige Wochen nach seinem geliebten Leipzig. Er hatte die Freude, zu sehen, wie seine treue Anhänglichkeit an diese Stadt von der dortigen Musrkwelt in reichsten, Maße erwidert wurde. Im Sommer stellten sich bereits wieder Krankheits- erscheinungen ein, die eine Kur in Scheveningen notwendig machten. Es waren die unmittelbaren Vorboten der Kata- strophe von 1854. Die Wirkungen der Krankheit zeigten sich zunächst in einem auffälligen Nachlassen der schöpferischen Produktion. Das Schlimmste für den Meister waren die nunmehr mit erschreckender Häufigkeit auftretenden Gehörs- täuschungen. Dazu kamen Täuschungen rhythmischer Art — es erschienen ihm beim Hören alle Zeitmaße zu schnell — endlich steigerte sich die Schwerfälligkeit seiner Sprache in hohem Grade. Die Wahnvorstellungen ließen ihn nicht mehr los. Das Schlimmste war, daß sie nunmehr auch seine Dirigententätig, keit in einer Weise zu beeinträchtigen begannen, die ihm selbst den Gedanken an ben Rückritt nahe legten. Dazu gesellten sich allerhand Intrigen, denen sich sein müder Geist nicht mehr geivachsen fühlte. Bald gab er sein Amt endgiltig auf. Noch zwei freudige Ereignisse waren ihm zu erleben be- schieden. Das eine war eine Tour nach Holland, wo unge ahnte Triumphe seiner warteten. Das andere war seine Be kanntschaft mit Johannes Brahms, der ihm von Joachim empfohlen war und seine ersten Kompositionen vorspielte. Die Freüde an dem neu aufsteigenden Genie war seine letzte. Das erste bedenkliche Symptom war, daß er Anfang Februar plötzlich des Nachts aufstand und Licht verlangte, «da er von Franz Schubert ein Thema erhalten habe, das er so fort aufschreiben müsse. Am 27. Februar war er bei der fünften Variation darüber angelongt, als ihn ein derinahen intensives Angst- und Beklemmungsgefühl überkam, daß er sich aus dem Kreise der anwesenden Bekannten wegstahl und von der Rheinbrücke in den Strom stürzte. Bon Rheinschiffern gerettet und nach Hause zurückgebracht, nwchte er sich alsbald schweigend an die Fortsetzung jener Variation. Die nach der Katastrophe eintretende Erholung war nickst von Dauer; ihn selbst verlangte nach der Unterbringung in einer Heilanstalt. So erfolgte denn am 4. März die Ueberführung des unglück lichen Meisters in eine Privat-Jrren-Anstalt. Sein Denken war keineswegs zerrüttet und der Verkehr mit ihm durchaus nicht quälend oder beängstigend. Nur todesmüde war sein Geist, abgespannt bis zum Aeußersten. So können wir von dem großen Künstler ohne trübe öder gar erschreckende Erinnerung Abschied nehmen. Noch am Rande des Grabes steht seine Gestalt in lichtem Glan-? da; hatte sein Geist auch seine zündende Kraft verloren, fein edler Sinn und sein überreiches Herz sind ihm bis ans Ende treu geblieben. Am 29. Juli 1856, nachmittags 4 Uhr, wnrde Robert Schirmann von seinen Leiden erlöst.